Schlagwort: Portugal

Jede Menge Weihnachtsbräuche in Portugal

Foto einer Weihnachtsbeleuchtung in Lissabon

Weihnachten in Lissabon · © Andreas Lahn

Die gemütlichste Zeit des Jahres in Portugal

Um Weihnachten ist überall im Land eine besondere Stimmung · Weihnachtsbräuche von Ana Paula Goyke

Immer wenn ich an Weihnachten denke, reise ich durch die Zeit und empfinde ein Gefühl der Wärme und Geborgenheit. Es war immer – und ist noch heute – eine große Freude zu überlegen, wie wir dieses Jahr die Wohnung dekorieren, wie groß der Tannenbaum wird, welche Farben die Kugeln haben, wo die Krippe stehen wird etc. Es fängt alles um den 6. Dezember herum an: mit dem Kauf des Baumes und der Vorbereitung der Krippe, die jeden Tag ein bisschen größer wird. Der Kranz hängt an der Tür, die Kerzen werden verteilt, es riecht schon so gut nach Tanne. Der 24. Dezember rückt immer näher und wir müssen anfangen, die Lebensmittel zu besorgen, zu backen und zu kochen – alle gemeinsam!
Die Geschenke wurden gut versteckt – so dachten jedenfalls unsere Eltern. Doch mein Bruder und ich haben sie fast immer vorher gefunden. Um Mitternacht wurden sie dann vom Weihnachtsmann bzw. Christkind unter den Baum gelegt. Wir haben das Spiel immer mit Freude mitgespielt.
Ich habe als kleines Kind immer ein Weihnachtslied am Klavier gespielt. »Der arme Weihnachtsmann braucht ein bisschen Musik, um nach so viel Arbeit richtig in Stimmung zu kommen.« Das Fenster wurde weit geöffnet, und Opa und Mama schauten, ob er schon da war… Und dann kam die Freude über die bunten Pakete!
Erst waren wir in der wunderschönen Mitternachtsmesse Missa do Galo. Sie heißt der Legende nach »Hahn-Messe«, weil ein Hahn in dem Moment der Geburt Jesus sang.
Traditionell treffen sich die Familien am 24. Dezember. Zum Abendessen werden Stockfischgerichte serviert, meistens mit Kartoffeln, portugiesischem Kohl, Möhren und manchmal mit Eiern. Alles wird gekocht – Bacalhau com todos. Eine Leckerei!!! Am 25. Dezember wird dann die gefüllte und gebackene Pute verspeist.
Zum Nachtisch darf der Bolo Rei (Königskuchen) nicht fehlen. Er wird gefüllt mit kristallisierten Früchten oder Trockenfrüchten, neben den traditionellen frittierten Leckerbissen wie Filhós, Sonhos und Rabanadas. Die Rabanadas (ähnlich wie »Arme Ritter«) habe ich immer mit meiner Mama zusammen gebacken und – seit ich selbst Mama geworden bin – backe ich sie jedes Jahr mit meiner Tochter. Ein Fest! Noch heute ist diese Zeit für mich und meine Familie eine Zeit voller Magie und Wärme!
Gastronomisch gibt es vom Norden Portugals bis in den Süden einige Unterschiede. Im Norden – Minho, Trás-os-Montes, Douro, Beiras – essen die Menschen zu Weihnachten gerne Tintenfischreis (Arroz de Polvo) und Zicklein (Cabrito Assado). Im Alentejo und im Algarve werden Azevias serviert – ein mit Süßkartoffeln oder Kichererbsen gefülltes Gebäck. Ach, die Azevias von meiner Mutter – himmlisch! Und auch die Broas de Milho (Maisküchlein) und die Broas de Mel e Nozes (Honig- und Wallnuss-Küchlein).
Einige Kuriositäten: In einigen Regionen, wie in Bragança, Guarda oder Castelo Branco, verbrennt man auf dem Vorplatz der Kirche während der Nacht noch Brennholz zu einem großen Feuer. Der Platz dient als Treffpunkt, um mit Freunden und Nachbarn zusammenzukommen und sich frohe Weihnachten zu wünschen. Das nennt man die queima do madeiro.
Die Weihnachtszeit bietet auch spezielle Musikprogramme und sehr viel Unterhaltung in den historischen Zentren der Städte. Am 6. Januar, am Tag der Heiligen Drei Könige, enden die Feierlichkeiten mit den »Janeiras«, die seit dem 1. Januar gesungen werden. Auf der Straße oder in Monumenten und Kirchen, auch an Wohnungstüren, werden diese traditionellen Lieder gesungen, um sich ein gutes neues Jahr zu wünschen. Man bekommt dazu Reste der Weihnachtsspeisen, die man später mit allen Teilnehmern teilt, und sogar Geld.

Der König der Kuchen: Bolo Rei

Foto vom Bolo Rei

Bolo Rei – der König der Kuchen · © Andreas Lahn

Der König der Kuchen in Portugal: Bolo Rei

Jede Konditorei in Lissabon hat »ihren« speziellen Bolo Rei im Angebot · Rezept von Ana Paula Goyke

Hier ist das Rezept vom »König der ­Kuchen«, dem Bolo Rei, unserem Weihnachtskuchen:
 
Zutaten:
· 750g Mehl
· 30g frische Hefe
· 150g Margarine
· 150g Zucker
· 4 Eier
· 150g kandierte Früchte
· 150g Trockenfrüchte
· Zitronenschale
· Orangenschale
· 1 dl Portwein
· 1 TL Salz
· 1 getrocknete dicke Bohne
· Puderzucker
· 1 kleines Geschenk
 
Die kandierten Früchte werden kleingehackt und in Portwein gelegt, um weich zu werden. Einige Früchte werden für die spätere Dekoration des Kuchens beiseite gelegt. Die frische Hefe wird in 1 dl lauwarmem Wasser aufgelöst und mit einer Tasse Mehl gemischt. Alles zusammen wird 15 Minuten an einem warmen Ort gehengelassen.
Jetzt Margarine, Zucker und die Zitronen- und Orangenschale dazumischen. Dann die Eier einzeln mit dem Hefeteig vermischen, den Rest des Mehls und das Salz dazugeben. Alles kneten bis der Teig weich und elastisch wird. Die gehackten Früchte und Trockenfrüchte dazugeben und zu einer Kugel formen. Den Teig mit Mehl bestäuben und abgedeckt circa 5 Stunden gehenlassen.
Nachdem der Teig sich verdoppelt hat, legt man die Kugel auf ein Blech, macht ein Loch in die Mitte des Teigs und drückt dort die getrocknete dicke Bohne rein. An einer anderen Stelle des Kuchens verfährt man mit dem kleinen »Geschenk« ebenso. Der Teig muss jetzt eine weitere Stunde ruhen. Der Kuchen wird dann mit Eigelb bestrichen und mit ganzen kandierten Früchten, Pinienkernen, Nüssen und anderen trockenen Früchten dekoriert. Danach wird der Kuchen im mittelwarmen Ofen circa 25 Minuten gebacken, bis er eine goldene Kruste bekommt. Wenn der Kuchen abgekühlt ist, wird er mit Puderzucker bestreut. 
Ach, übrigens: Wer die dicke Bohne bekommt, muss den Bolo Rei im nächsten Jahr backen oder kaufen!
Bom apetite e bom Natal!

Young Euro Classic mit dem Jovem Orchestra Portuguesa

Foto des Jovem Orchestra Portuguesa bei den Young Euro Classic 2017

Das JOVEM ORCHESTRA PORTUGUESA bei den Young Euro Classic 2017 · © Michael W. Wirges

Young Euro Classic – Jovem Orquestra Portuguesa

von Michael W. Wirges
Wie jeden Sommer finden im Berliner Konzerthaus am Gendarmenmarkt die Konzerte der besten europäischen jungen Musiker und Orchester als »Young Euro Classic« statt. So war dieses Jahr der »Jovem Orquestra Portuguesa« der Abend des 1. September gewidmet. Pate dieses Abends war Andreas Wunn, Leiter des ZDF-Morgenmagazins, Hauptpartner die KfW.
Durch gute Kontakte mit den Organisatoren hatte die DPG (Deutsch-Portugiesische Gesellschaft e.V.) das Glück, einige Freikarten für dieses Konzert zu erhalten. Ausgelost wurden diese Karten unter den DPG-Mitgliedern des Landesverbandes Berlin-Brandenburg nach einer kleinen Quizfrage über E-Mail. Die glücklichen Gewinner durften an diesem Abend den Präsidenten der DPG zu diesem Konzert in den Großen Saal dieses ehrwürdigen Konzerthauses begleiten.
Zunächst spielte die Jovem Orquestra Portuguesa unter Leitung von Pedro Carneiro die Ouvertüre zu »Der Freischütz« von Carl Maria von Weber (op.77, 1820). Das Besondere war hier, dass die jungen Musiker auf Geheiß ihres Dirigenten die Notenständer mit den Noten umdrehten und das Stück auswendig spielten!
Das zweite Stück war eine Uraufführung der Komposition der erst 20jährigen Komponistin Mariana Vieira, Studentin an der Musikhochschule Lissabon, mit dem Titel »Raiz«, ein Konzert für Oboe, Klarinette, Tuba, Harfe, Kontrabass, Marimba und Orchester. Mariana Vieira, die schon diverse Preise gewonnen hat, erhielt hier in Berlin den »Europäischen Komponistenpreis«.
In der Pause gab es für geladene Gäste – so auch für die Gewinner des DPG-Quiz’– einen Sektempfang im Beethoven-Saal. Nach der Pause spielte das portugiesische Jugendorchester noch Ludwig van Beethovens Symphonie Nr. 3 Es-Dur op. 55 »Eroica« von 1805. Nach tosendem Applaus legte das Orchester noch eins drauf, nämlich ein Fragment aus der Symphonie Nr. 9 von Ludwig von Beethoven, die ja bekanntlich auch als die Europa-Hymne gilt. Statt dem Schlusschor »Ode an die Freude« jedoch, beschworen einige der jungen Musiker, die sich zu diesem Zweck in die Mitte der Bühne begeben hatten, die Einheit und Friedfertigkeit Europas ohne jeden Hass und Rassismus, mit den Schlussworten »We are all Europeans!«
Zum Abschluss lud der Hauptpartner, die KfW, geladene Gäste noch zu einem großen Empfang in deren Niederlassung in der benachbarten Französischen Straße ein.

Foto von Mitgliedern der DPG bei den Young Euro Classics 2017

Mitglieder der DPG bei den Young Euro Classic 2017

Im Gespräch mit Michael W. Wirges (DPG)

»Wer in Berlin lebt, dem wird nicht langweilig«

Michael W. Wirges ist seit 18 Monaten Präsident der DPG. Er spricht über Portugal, Deutschland, sein Leben in Berlin und über die DPG • Fragen von Andreas Lahn

Du bist in Lissabon geboren. Deshalb stellt sich natürlich sofort die Frage: Sporting oder Benfica?
Michael W. Wirges: Obwohl meine Schule näher am Sporting-Stadion liegt, bin ich Benfica-Fan, weil das Krankenhaus meiner Geburt im Stadtteil Benfica liegt. Ich muss aber auch sagen, dass ich nicht viele Spiele gucke. Nur die wichtigen…

Und für wen bist du, wenn Deutschland gegen Portugal spielt?
Ich habe die Frage schon mal so beantwortet: In der ersten Hälfte bin ich für Deutschland und in der zweiten für Portugal. Aber mein Herz schlägt natürlich für Portugal.

Als Kind bist du auf die »Deutsche Schule« gegangen. Wie lange hast du in Lissabon gelebt und warum seid ihr fortgegangen?
In Lissabon habe ich nur mein erstes Lebensjahr verbracht. Wir sind 1954 in die Nähe von Estoril gezogen. Dort und in Cascais habe ich meine Kindheit verbracht. Später auch in Lissabon, weil ich dort auf die Oberschule gegangen bin.
Mein Vater stammt aus der Nähe von Köln. Er ist Mitte der zwanziger Jahre ausgewandert. Meine Mutter stammt aus Sachsen. Sie hat von 1936 bis 1938 bei einer deutsch-­portugiesischen Familie als Au-pair-Mädchen gearbeitet. Da mein Va­ter ein Freund der Familie war, haben sie sich eines Tages kennengelernt. Meine Mutter ist nach Sachsen zurückgekehrt, um ihr Studium zu beenden. Während des Krieges haben sie sich geschrieben. Und danach hat mein Vater ihr vorgeschlagen, nach Portugal auszuwandern.
Ich war nach der Schule zur Ausbildung als Hotelkaufmann ein Jahr in Deutschland, am Tegernsee. Im Oktober 1972 bin ich nach Portugal zurückgekehrt, um bis Oktober 1974 ein Praktikum am Lisboa Sheraton Hotel anzutreten.

Du hast während der Nelken-Revolution in diesem Hotel gearbeitet. Wie hast du den Sturz der Diktatur aufgenommen?
Den Sturz der Diktatur vom 24. auf den 25. April 1974 habe ich live miterlebt, weil ich als Praktikant Nachtdienst hatte. ­Einen Monat später bin ich nach Paris gegangen, um meine Stelle im dortigen Sheraton-Hotel anzutreten. Damals war das Hotel das größte in Europa. Das hatte keine politischen Gründe, sondern war schon länger geplant.

Wann und warum bist du nach Deutschland gekommen?
Ich war zwei Jahre in Paris, habe dort gelebt und gearbeitet, und immer wieder nach Portugal geschaut, ob sich die Lage dort beruhigt, denn in Portugal ging zu dieser Zeit alles drunter und drüber. Da eine Besserung nicht in Sicht war, habe ich beschlossen, erst einmal nach Deutschland zu gehen. Ich habe ein Jahr für das Sheraton in Frankfurt gearbeitet und wurde dann nach München versetzt. Dort war ich circa vier Jahre. Der Verdienst war nicht üppig und ich wollte keinen Schichtdienst mehr machen. Deshalb  habe ich entschieden, bei einer kleinen Firma alles zum Thema Indus­trieexport zu lernen. Im Oktober 1980 bin ich nach Berlin gezogen und habe mich bei der Industrie- und Handelskammer zum Industriefachwirt umschulen lassen.

Du hast ein halbes Leben als Exportkaufmann für Bombardier in Berlin gearbeitet. Was hast du dort hauptsächlich gemacht?
Ich habe dafür gesorgt, dass Maschinen und Maschinenteile versendet wurden, habe Angebote geschrieben, den Transport, die Zollabwicklung und Bankpapiere organisiert. Bis 2016, allerdings nicht nur bei Bombardier, sondern zunächst bei kleineren Firmen. 1985 bin ich zur AEG gewechselt, die jedoch in die Pleite rutschte. Ich habe einen neuen Arbeitsplatz bei der Waggon Union Gmbh gefunden, die Waggons für die Alliierten gebaut und repariert hat, und Doppel­decker-Busse für Berlin, Lübeck und Bagdad. Sie wurde mit anderen Firmen zu Adtrans, die im Jahre 2000 von Bombardier übernommen wurde. Ich habe 30 Jahre für das gleiche Unternehmen gearbeitet, obwohl ungefähr fünfmal der Unternehmer gewechselt hat.
Letztes Jahr wurde ich verabschiedet, habe mich zwei Jahre für die Altersteilzeit verpflichtet, ein Jahr aktiv und ein Jahr passiv, das Ende September zu Ende geht. Am 1. Oktober gehe ich in meinen wohlverdienten offiziellen Ruhestand.

Jeder Portugiese reist so oft es geht nach Portugal. In welche Regionen fährst du?
Ich fahre am liebsten in die Region Lissabon, weil dort Freunde und Bekannte leben und ich das Grab meiner Eltern und meines Bruders auf dem deutschen Friedhof aufsuche. Meine Freunde in Lissabon, Estoril, Cascais, Sintra und anderen Orten freuen sich jedes Mal, wenn ich komme − und ich mich natürlich auch. Ich möchte auch mal wieder an den ­Algarve fahren. Weitere Reiseziele sind Madeira und die Azoren.

Liest du Bücher und Zeitungen lieber auf deutsch oder auf portugiesisch?
Da ich Deutscher bin, lese ich vorwiegend auf deutsch, aber ich nehme auch portugiesische Schriftstücke in die Hand und beziehe zwei Zeitungen. Meinen Freunden in Portugal schreibe ich natürlich auf portugiesisch.

Musik von Madredeus und der Fado von Amália Rodrigues, Mariza, Mísia, Ana Moura etc. werden weltweit bewundert. Ist das auch deine Musik?
Ja, selbstverständlich! Das ist ein Mix aus dem ursprünglichen Fado mit Folklore, Jazz und ein bisschen Pop. Exemplarisch dafür ist die Gruppe Sina Nossa. Ich bin noch die alte Fado-Zeit aus den 60er und 70er Jahren gewohnt, wo der konserva­tive Fado noch unter Beobachtung Salazars und dem Estado Novo stand: Carlos do Carmo, Amália Rodrigues etc. Von den jungen Leuten wurde er weitgehend abgelehnt. Nach der Revolution ist eine neue Generation von Fado-SängerInnen entstanden. Die haben einen neuen Fado entwickelt, der auch die Jugend anspricht und von ihr akzeptiert wird.

Es heißt, es gäbe für jeden Tag des Jahres ein andere Art, Bacalhau zu servieren. Welches ist dein Lieblings-Rezept?
Ich schätze viele Arten von Bacalhau, aber am liebsten mag ich Bacalhau à Brás. Das Gericht esse ich nicht nur in Portugal, sondern auch in Berlin. Ich habe auch nichts einzuwenden ­gegen ein kräftiges Mahl aus dem Alentejo oder einer anderen Region.

Eines deiner Hobbys ist das Rad fahren. Ist das für dich ehrgeiziger Sport oder nutzt du die Zeit in der Natur, um abzuschalten?
Ich bin gerne Radfahrer. Aber kein Rennradfahrer, sondern eher der gemütliche. Ich fahre gerne in Berlin, hauptsächlich in meinem Kiez im Westend, in Charlottenburg. Ich mache auch Radtouren z. B. durch Brandenburg. Einmal im Jahr ­fahre ich mit meiner Schwägerin durch Holland. Von Enschede, Groningen oder Alkmaar aus fahren wir fünf Tage durch Nord-Holland, schauen uns schöne Landschaften an, gehen ins Museum oder ­besuchen ein Konzert. Dieses Jahr war ich in Amsterdam, um diese herrliche Stadt kennenzulernen.

Du bist seit 18 Monaten Präsident der DPG. Hast du dich mittlerweile an die Anforderungen dieses Amtes gewöhnt oder bist du immer noch in der »Lernphase«?
Ich bin eigentlich immer in der Lernphase. Wir lernen ja jeden Tag etwas dazu. Ich bin 2001 in die DPG eingetreten. Kurze Zeit später hat Harald Heinke mein Potential erkannt und mich ins Präsidium berufen. Dort war ich lange als einer der vier Vize-Präsidenten tätig. Ich habe vor allem von Harald Heinke viel gelernt und bin so in die Aufgaben hineingewachsen. Ich war also kein Anfänger mehr, als ich 2016 gewählt wurde, und wusste, was auf mich zukommt. Es sollte ja jemand sein, der sich auskennt mit Deutschland, Portugal, den beiden Sprachen und den Mentalitäten. Wichtig war für Harald Heinke, dass die zu wählende Person in Berlin ansässig ist.

Ist alles so gelaufen wie erwartet oder ist etwas besonders Schönes, Komisches oder Ungewöhnliches passiert?
Eine Sache war besonders schön und auch komisch: Ich wachte Anfang März auf, saß an der Bettkante, schüttelte meinen Kopf und sagte zu mir: Mein Gott, Michael, jetzt bist du Präsident der DPG! Da lief mir ein Schauer über den Rücken, und ich fragte mich, ob das wohl gutgehe… Ich begreife das Amt als Herausforderung, als Dienst an der Freundschaft zu Harald Heinke, seiner Frau Gabi, zum Präsiduum und zur DPG ingesamt.

Vom 20. bis 22.10.2017 findet die Jahres­tagung der DPG in Erfurt statt. Warum sollten noch mehr Mitglieder als sonst daran teilnehmen?
Bisher hatten wir immer 40−60 Anwesende. Ich würde es natürlich begrüßen, wenn mehr kämen. Wir haben 350 Mitglieder in Deutschland und Portugal. Ich wäre froh, wenn wenigstens 1oo kämen. Ich fordere nochmals alle Mitglieder auf, nach Erfurt zu kommen. Schließlich ist es schön, über Portugal zu sprechen und sich über Kultur auszutauschen. Je mehr Außenstehende davon erfahren, desto besser ist das für die DPG. Das ist eine Art Schneeball- oder Synergie-Effekt.

Persönlich und bezogen auf die DPG: Welche Ziele hast du für die Zukunft?
Wir müssen ein stabiler und erfolgreicher Verein bleiben, der sich weiterentwickelt und es schafft, jüngere Menschen für die Mitarbeit in der DPG zu begeistern, für Portugal, die portugiesisch-sprachige Welt und Kultur. Der Verein wurde ja 1964 gegründet und 1990 erweitert durch die Freundschaftsgesellschaft DDR/Portugal. Wir sind zusammengewachsen. Außerdem möchte ich noch einige Reisen im Inland machen und auch im Ausland wie z. B. auf die Kapverdischen Inseln.

Der Kontakt zur portugiesischen Botschaft ist immer wichtig für die DPG. Wie läuft die Zusammenarbeit mit Botschafter João Mira Gomes? Gibt es etwas zu verbessern?
Die Zusammenarbeit mit dem Botschafter und seinem Team läuft sehr gut. Ich bin froh, dass wir uns oft treffen, auch zu Kunst- und Kulturveranstaltungen. So können wir zusammen auftreten, auch mit dem Instituto Camões. Es hat in der letzten Zeit in Berlin einige Lesungen gegeben, die wir zusammen mit der Botschaft und dem Instituto Camões durchgeführt haben. Das freut mich sehr!

Die Regierung von António Costa hat den Mindestlohn angehoben, Renten und Sozialleistungen für Geringverdienende erhöht, die 35-Stunden-Woche im Öffentlichen Dienst eingeführt etc. und zahlt Staatsschulden trotzdem pünktlich zurück. Ein kleines Wunder, das größte Anerkennung verdient, oder?
Selbstverständlich. Toll, dass es mit ­Portugal wieder aufwärts geht. Selbst Finanzminister Schäuble hat Portugal gelobt. Der Tourismus hat stark zugenommen. Die Portugiesen sind jedoch noch unzufrieden, weil bei ihnen viel gekürzt wurde, wodurch sie viel leiden müssen. Bis 2020 will der Staat aus der Schuldenfalle raus sein.

Du lebst seit 36 Jahren in Berlin. Was gefällt dir an dieser Stadt und was nicht?
Ich mag die heitere, lockere Art der Berliner, auch wenn sie bisweilen sehr frech sind. Doch so ist die Berliner Schnauze eben. Man muss auf humorvolle Art und Weise kontern können. Dann wird man akzeptiert. Ich mag die offene Art und die Stadt selbst: Häuser, Hochhäuser und man ist schnell im Grünen, in Müggelsee, Wannsee, Grunewald. Und dann ist da ja auch noch die hochkarätige Kultur. Wer in Berlin lebt, dem wird nicht langweilig. Und wenn doch, ist er selber Schuld! Das gilt für das Jahr 2017. Noch in den 1980er Jahren waren wir jedoch umzingelt von einer schrecklichen Mauer, die undurchlässig war. Wenn man raus wollte, musste man Anträge stellen und sich Visa von den DDR-Behörden holen. Ich bin froh, dass die Mauer weg ist. Ich ­erzähle meinen erwachsenen Söhnen von der Existenz dieser Mauer, damit so etwas nie wieder passiert. Ich lebe hier gern. Und Berlin wird auch meine letzte Adresse werden. Ich gehe von hier nicht weg und werde meine Zeit als Rentner auf keinen Fall am Algarve verbringen!

»Ó mar salgado, quanto do teu sal são lágrimas de Portugal!« Was denkst du über diese Worte von Fernando Pessoa?
Ein sehr schöner Spruch: »Oh du salziges Meer, wie viel von deinem Salz sind Tränen Portugals!« Die Portugiesen sind zwar ein heiteres Volk, aber sie lamentieren auch gerne. Auch über ihr Land. Und sie leiden. Ich denke, dass dieser Spruch richtig gut zu Portugal passt.

Die Sardinhada im Juni in Berlin hat allen BesucherInnen große Freude bereitet. Deshalb schlage ich vor, sie zukünftig einmal im Monat zu feiern. Was meinst du?
Ein- bis zweimal im Jahr ist das wunderbar. Jeden Monat wäre es irgendwann langweilig und würde dem Fest seinen Reiz nehmen.

MICHAEL W. WIRGES ist am 23.4.1953 in Lissabon geboren. Dort, in Estoril und Cascais verbringt er seine Kindheit. Er lernt Hotelkaufmann und arbeitet für die Sheraton-Hotels in Lissabon, Paris, Frankfurt und München. 1980 zieht er nach Berlin. Nach der Umschulung zum Industriefachwirt durch die IHK arbeitet er 35 Jahre als Exportkaufmann in verschiedenen Unternehmen. Am 1.10.2017 geht er in Rente.

Michael W. Wirges ist ledig und Vater zweier erwachsener Kinder. Im Jahre 2001 tritt er in die DPG ein und wird im Februar 2016 deren Präsident. Er fotografiert viel, fährt gerne Fahrrad, singt im Jazz-Chor, hört Musik und beschäftigt sich mit Kunst und Historischem. Er liest gern Texte von Fernando Pessoa, Hermann Hesse und Rainer Maria Rilke. Seine Lieblingsfarben sind dunkelblau und dunkelgrün.