»Hände weg von Portugal!«

Rote Nelken zur Erinnerung an den 25.4.1974Gedenkfeier auf dem Largo do Carmo (25.4.2014) zur Erinnerung an den 25.4.1974 · © Andreas Lahn

Hintergründe der SED-Politik zur Zeit der Nelken-Revolution • von Gert Peuckert

> Anlässlich des Jubiläums der Nelkenrevolution, mit der vor 45 Jahren die faschistische Diktatur in Portugal endete, lud die Technische Universität Chemnitz vom 4. bis 6. Dezember 2019 zur Tagung Portugal im deutsch-­deutschen Fokus ein. Eine Gruppe junger Wissenschaftler an der TU in Chemnitz hatte die Idee, die historischen Ereignisse im Fokus der damals noch existierenden beiden deutschen Staaten aufzuarbeiten und suchte Zeitzeugen aus der damaligen DDR für die Umsetzung ihres Vorhabens. In Abstimmung mit dem Vorstand der DPG nahm ich die Einladung zur Teilnahme gerne an und nutzte die Gelegenheit zu den Beziehungen der DDR mit Portugal in dieser Zeit und über unser Projekt zur Dokumentation der Geschichte der Freundschaftsgesellschaft in den beiden deutschen Staaten zu sprechen. Den Organisatoren in Chemnitz war bei ihren Recherchen zum Gegenstand der Tagung aufgefallen, dass die Beziehungen Portugals zu den beiden deutschen Staaten nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges bisher nur selten in wissenschaftlichen Forschungsarbeiten thematisiert wurde, da vor allem die Nelkenrevolution 1974 auf großen Widerhall gestoßen und auch die postrevolutionäre Entwicklung Portugals ganz entschieden von der BRD und der DDR beeinflusst wurde. Die zweitägige Konferenz verfolgte das Ziel, dieses Thema in einem Rahmen zu diskutieren, in welchem wissenschaftliche Forschung durch Augenzeugenberichte von Akteuren aus Ost und West flankiert und neben wissenschaftlichen Vorträgen auch Diskussionsrunden den deutsch-deutschen Blick auf Portugal freilegen sollten. Bei Vorbereitung meines Vortrags wurden viele Erinnerungen an die unvergessliche Aufbruchszeit in Portugal geweckt, und ich fand unter meinen persönlichen Sachen ein altes Tagebuch mit Aufzeichnungen, das ich als Quellenmaterial nutzte. Im Sommer 1975 konnte ich als Student am Institut für internationale Beziehungen in Moskau ein Auslandspraktikum in Lissabon absolvieren und dort für meine Diplomarbeit zur Rolle der MFA in den ­Ereignissen des 25. April 1974 in Portugal recherchieren. Meine erste Begegnung mit Freunden aus Portugal hatte ich bereits bei den Weltfestspielen der Jugend und Studenten 1973 in Berlin als Dolmetscher für die portugiesische Delegation. Die Mehrzahl der portugiesischen Teilnehmer reiste damals über Paris an, wo sie als Emigranten lebten, um nicht in den Kolonialkrieg nach Afrika zu müssen. Während der Weltfestspiele hatten mich die vielen herzlichen Begegnungen der Jugendlichen aus Portugal mit den Teilnehmern von den nationalen Befreiungsbewegungen aus Afrika und die gemeinsamen Protestaktionen zur Beendigung der blutigen Kolonialkriege nachhaltig beeindruckt. Das waren Vorboten für ein baldiges Ende des Krieges. Wir ahnten aber zu dieser Zeit noch nicht, dass wir schon am Vorabend des Militäraufstandes der MFA vom 25. April 1974 stehen würden. Nachdem in den frühen Morgenstunden des 25. April 1974 Zeca Afonsos Grândola, Vila Morena das Startsignal zum Marsch nach Lissabon für die aufständischen Einheiten der Bewegung der Streitkräfte gegeben und die Nelkenrevolution das Ende der faschistischen Diktatur in Portugal gebracht hatte, stand mein Entschluss fest, meine Diplomarbeit zu diesem Thema zu schreiben. In ganz Europa befanden sich in dieser Zeit die Anhänger der Politik der friedlichen Koexistenz auf dem Vormarsch. Der Helsinki-Prozess hatte mit der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) seinen Höhepunkt erreicht. Im Ergebnis der Nelkenrevolution war eine der letzten faschistischen Diktaturen gefallen und eröffneten sich neue Perspektiven für die Vertiefung des Entspannungsprozesses in Europa und den Sieg der nationalen Befreiungsbewegungen in Afrika. Für die meisten Bürger im Osten Deutschlands war Portugal bis dato ein schwarzer Fleck auf der Landkarte. Politische Kontakte seitens der DDR-Führung bestanden lediglich zu den in der Emi­gration lebenden Vertretern der Portugiesischen Kommunistischen Partei (PKP). Der Aufstand der linken Militärs zum Sturz der 48-jährigen faschistischen Diktatur und das Bild von der roten Nelke im Gewehr des Soldaten der MFA verbreitete sich wie ein Lauffeuer, und es kam zu Solidaritätsbekundungen im ganzen Land. In Fernsehen und Presse der DDR wurde fast täglich über die Entwicklung der politischen Ereignisse in Portugal berichtet. Nur wenige Monate zuvor hatte nach dem blutigen Militärputsch Pinochets zum Sturz der Allende-Regierung eine breite Solidaritätsbewegung mit Chile das ganze Land erfasst, die sich nun auch auf die Unterstützung der linken Militärs und der Nelkenrevolution in Portugal ausweitete. Für mich unvergessen sind bis zum heutigen Tage die mit Hochrufen auf die internationale Solidarität begleiteten Auftritte von Zeca Afonso auf dem Festival des Politischen Liedes in Berlin. Noch vor Aufnahme der offiziellen diplomatische Beziehungen im Juni 1974 wurden seitens der DDR mit Hilfe der PKP Kontakte zu den führenden Vertretern der MFA in Lissabon hergestellt. Zu diesem Vortrupp gehörte neben Politbüro-Mitglied Hermann Axen auch der Journalist und spätere Präsident der Freundschaftsgesellschaft, Klaus Steiniger. Danach gaben sich Delegationen aus allen Bereichen des öffentlichen Lebens der DDR die Klinke in die Hand, von denen ich 1975 eine ganze Reihe persönlich vor Ort begleitet habe. Zu einem Höhepunkt gestaltete sich die Durchführung der ersten Brecht-­Woche der DDR im September 1975 mit Theateraufführungen in Lissabon, Porto, Coimbra, Almada, Setúbal und Évora. Die Brecht-Gruppe vom Volkstheater Rostock spielte im ganzen Land vor ausverkauften Häusern und einem begeisterten Publikum, das jedes Mal zum Ende der Vorstellung die Internationale anstimmte. Die erste DDR-Vertretung war in der Avenida de Berna eröffnet worden. Im Januar 1976 erfolgte dann der Umzug in ein mehrstöckiges Gebäude in der Alameda Dom Afonso Henriques. Das Casa Azul − wie es von den DDR-Leuten und portugiesischen Freunden genannt wurde − stand weithin sichtbar auf dem vom Instituto Superior Técnico gegenüberliegenden Hügel über der Fonte Luminosa. Der damalige Botschafter, Dr. Butzke, scharte innerhalb kurzer Zeit ein Team von erfahrenen Diplomaten um sich, die durchgängig über portugiesische Sprachkenntnisse verfügten. Die repräsentative und zahlenmäßig große Vertretung der DDR in Portugal zeugte vom hohen Stellenwert des Landes für die Entwicklung künftiger Beziehungen, war aber für die rechte Presse Anlass zur Verbreitung verschiedenster Verschwörungstheorien im Bezug auf die Rolle von DDR und SED bei den revolutionären Ereignissen des 25. April in Portugal. Allerdings waren die wirklichen Verschwörer wohl eher unter den politisch rechten Kräften in der damaligen BRD zu finden, wie Günter Wallraff in seinem 1976 veröffentlichten Buch über die Kontaktaufnahme von General Spinola zu CSU-nahen Kreisen um Franz Josef Strauß zur Finanzierung von Waffenkäufen bei der Vorbereitung eines Putsches aufdeckte. Mit Fortschreiten der revolutionären Entwicklungen, insbesondere nach den Maßnahmen der Regierung von General Vasco Goncalves im März 1975 zur Nationalisierung von Banken und Konzernen und Umsetzung der Agrarreform, wurde die Unterstützung der DDR für Portugal weiter intensiviert. Ab diesem Zeitpunkt gab es eine sprunghafte Entwicklung der Beziehungen auf allen Ebenen, vor allem im Handels- und Wirtschaftsbereich. In meinen persönlichen Tagebuchaufzeichnungen vom September 1975 ist ein Gespräch mit dem damaligen DDR-Handelsrat Seifert vermerkt, der zum Inhalt einer politischen Richtlinie des Ministeriums für Außenhandel zum vorrangigen Ausbau des Handels mit Portugal berichtete, insbesondere mit den von Arbeiterkommissionen in Verwaltung genommene Unternehmen und neu entstandenen Kooperativen im Alentejo. Die DDR leistete materielle Hilfe durch Lieferung von Saatgut und Landwirtschaftsmaschinen und den Kauf von Waren aus enteigneten Betrieben, die nach dem Wegbrechen ihrer traditionellen Märkte Absatzprobleme hatten und um ihr wirtschaftliches Überleben kämpften. Im Rahmen des 1975 geschlossenen Handelsabkommens wurde beispielsweise der Import großer Mengen von Portwein und Schuhen im Umfang von mehreren Millionen Valutamark (VM) aus Portugal vereinbart. Die DDR verzehnfachte innerhalb eines Jahres die Importe auf 20 Millionen VM und lieferte u. a.Textilmaschinen, polygrafische Maschinen und Düngemittel im Umfang von 8 Millionen VM. Damit war innerhalb ­eines Jahres der Handel mit Portugal von faktisch Null auf fast 30 Millionen VM gewachsen. Auch die politisch-kulturellen Beziehungen stiegen sprunghaft an. Im Juni 1975 konstituierte sich in Berlin das Freundschaftskomitee DDR-­Portugal bei der Liga für Völkerfreundschaft, dessen Hauptpartner für die Zusammenarbeit die Nationale Freundschaftsgesellschaft (NFG) Portugal−DDR wurde. Die NFG war von Freunden des Alemanha democrática − wie die DDR im Volksmund von den Portugiesen im allgemeinen genannt wurde − bereits im Dezember 1974 in Lissabon gegründet worden. Zum Präsidenten wurden der anerkannte portugiesische Musikwissenschaftler Prof. Freitas Branco und als Generalsekretär der Rechtsanwalt und Schriftsteller Alexandre Babo gewählt. Die Gesellschaft fand großen Zuspruch und hatte bald 2.000 Mitglieder, die aus den unterschiedlichsten kulturellen und sozialen Schichten ­kamen und die landesweit in 28 Basisgruppen organisiert waren. Der Beitritt von Admiral Rosa Coutinho, José Saramago und weiteren anerkannten Persönlichkeiten aus Politik und Kultur belegt, dass die Nationale Freundschaftsgesellschaft und damit die DDR einen relativ breiten Zuspruch auch in intellektuellen Kreisen fand. Das ist auch darauf zurückzuführen, dass die DDR aufgrund ihrer Geschichte und Größe für Portugal einen Vergleichsrahmen bildete und den erfolgreichen Aufbau einer antifaschistischen demokratischen Ordnung voraushatte. Beide Staaten befanden sich in einer ähnlichen Ausgangs­lage: Sie hatten eine faschistische Diktatur hinter sich und mussten nun mit dieser Hypothek, welche sich ja vor allem in den Köpfen der Menschen befand, eine neue Gesellschaft aufbauen. Auf Beschluss des Ministeriums für Hoch- und Fachschulwesen wurden 1975 bei der Nationalen Freundschaftsgesellschaft (NFG) Portugal–DDR ein Deutsch-­Lektorat eingerichtet und ein Deutsch-Lektor aus der DDR nach Portugal entsendet. In Zusammenarbeit mit der NFG wurden auf Basis jährlicher Arbeitsvereinbarung zum Beispiel die Woche der DDR in Lissabon und weiteren wichtigen Zentren Portugals und die Solidaritätswoche mit Portugal in der DDR veranstaltet. Nach Aufnahme der diplomatischen Beziehungen wurden in den Jahren 1975/76 weitere Abkommen unterzeichnet und entwickelte sich ein reger Delegationsaustausch, besonders im kulturellen Bereich. Auch Studienauf­enthalte in der DDR, Freiplätze für internationale Sommerkurse sowie Hochschulstudienplätze und Plätze für postgraduales Studium wurden seitens der DDR für die portugiesische Seite angeboten. Diese euphorische Phase in den beiderseitigen Beziehungen erfuhr mit dem Wahlsieg der PS im Jahre 1976 eine spürbare Abkühlung, und die Errungenschaften der Nelkenrevolution wurden in ihrem weiteren Verlauf von den Mechanismen des Kalten Krieges entscheidend beeinflusst. In meinem Vortrag habe ich versucht, basierend auf persönlichen Erinnerungen und Tagebuchaufzeichnungen, die Ereignisse des 25 April 1974 ins Gedächtnis zurückzurufen und die Reaktion der DDR auf die Nelkenrevolution in dem ­damaligen historischen Kontext darzustellen.

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