Interview mit Stephan Garbe von Gin Sul

Foto von Stephan Garbe (Gin Sul)STEPHAN GARBE · Foto: © GIN SUL

Heutzutage zählt vor allem Glaubwürdigkeit 

> Stephan Garbe über die Altonaer Spirituosen Manufaktur und seine Liebe zu Portugal
• Fragen von Andreas Lahn 

> Stephan Garbe ist 1976 in Hamburg geboren, verheiratet und Vater zweier Kinder. Er ist Autodidakt, hat keine Ausbildung und 15 Jahre lang als Werbetexter gearbeitet. Seine Hobbys sind Kochen und Motorradfahren, sein Lebensmotto lautet: »Work like you don’t need the money.« Garbes Lieblingsort ist Odeceixe in Portugal.

PORTUGAL REPORT: Am Stadtrand von Lissabon gibt es eine kleine Adega. Was hat der Bacalhau von Dona Alice mit Ihnen gemacht?
STEPHAN GARBE: Dona Alice ist die Mutter meines besten Freundes Miguel. Sie hat den Bacalhau drei Tage gewässert und dann gegrillt und zusammen mit gegrillter Paprika, Zwiebeln, Kartoffeln, sehr viel Knoblauch und Olivenöl serviert. Der einzigartige Geschmack hat mich sofort geflasht. Seit dem ist der Bacalhau etwas Besonderes für mich.
Ich bin jemand, der gerne kocht und isst. Über das Kochen, Essen und Trinken kann man viel über ein Land erfahren. Man kann sich ein Land ertrinken und eressen. Meine Liebe zu Portugal ist auch eine kulinarische Liebe geworden. Und obwohl die Küche sehr einfach ist, ist sie doch ungemein kontrastreich. Das gefällt mir.

Auf der Website steht, Gin Sul sei ein Hamburger Gin mit portugiesischen Wurzeln − eine hochprozentige Liebeserklärung an das kleine Land am Rande Europas. Wie ist die Idee zu Gin Sul entstanden?
Die Idee kommt über zwei Bestandteile unserer Rezeptur. Das eine sind die Zitronenschalen. Ich habe neben meinem Haus in Portugal einen alten Zitronenbaum, an dem richtig große Zitronen wachsen. Je älter ein Baum ist, desto massiver werden ja auch die Früchte. Diese tollen Zitronen hatten es mir angetan. So was gibt es bei uns auch nicht im Biomarkt. Dort sind die Zitronen eiergroß und sehen alle gleich aus. Deshalb habe ich gedacht: Mit den Zitronen müsste man eigentlich etwas machen. Und das Zweite ist die Lackzistrose. Das sind die harzigen Blätter des Zistrosenstrauches, der vorwiegend im Alentejo und an der Algarve wächst. Die Blätter haben einen süßlichen, würzigen und harzigen Geruch. Immer, wenn ich zurück nach Portugal in die Nähe von Odeceixe komme und die Abendsonne auf diese Pflanzen scheint, dann riecht die ganze Küste danach. Dann kurbelt immer die ganze Familie die Fensterscheiben runter und alle saugen diesen Duft ein. So spüren wir, auch als Deutsche, dieses Saudade-­Gefühl − mit einer nostalgischen Wiedererkennung anhand dieses Geruchs. Und eine Tages habe ich gedacht: Diese beiden Pflanzen sind charakterstarke Botanicals, aus denen man was machen müsste. Zusammen mit meiner Frau − die auch eine große Gin-Liebhaberin ist − ist die Idee entstanden, daraus einen Gin zu machen. Als wir festgestellt haben, dass neben den Zistrosen Wacholderbeeren wachsen, hat’s Klick gemacht, und wir haben versucht, das Projekt in Portugal auf die Beine zu stellen.

Zitronen und Lack-Zistrose sind einige der Zutaten, die Gin Sul von der portugiesischen Costa Vicentina bezieht. Dort liegt Odeceixe, ein kleiner Ort mit einigen Hundert EinwohnerInnen − ihre zweite Heimat sozusagen. Was lieben Sie an Odeceixe und was hat der Ort mit Gin Sul zu tun?
Es ist der Geburtsort der Idee zu Gin Sul. Dort wachsen die wichtigen Botanicals. Die Wacholderbeeren beziehen wir nicht aus Portugal, denn die dort wachsenden phönizischen Wacholderbeeren sind nicht für den menschlichen Verzehr geeignet. Wacholderbeeren kaufen wir in Bio-Qualität aus Norditalien und aus der Balkan-Region. Odeceixe ist ein Grenzort zwischen dem Alentejo und der Algarve. Dort fließt der Rio Seixe. In den 70er und 80er Jahren hat die Hippie-­Kultur Ode­ceixe geprägt: Am Strand wurde wild gecampt, in den Dünen haben Hippies gewohnt und man erzählt sich die wildesten Geschichten. Der Ort atmet immer noch diesen Spirit von damals. Die Enkel-Generation der Hippies kleidet sich ähnlich wie die Großeltern. Ich muss immer ein wenig schmunzeln, wenn die am Marktstand stehen und Haare flechten oder Muschelketten anbieten. Hier wiederholt sich sozusagen die Geschichte. Und das macht für mich den Charme von Odeceixe aus. Dazu kommen diese malerische Lage am Hang, der Fluss, der in den Atlantik fließt, und der Strand, der eingerahmt ist vom Meer und dem Fluss, tiden-abhängig voll- und leerläuft. Odeceixe ist ein Ort, der einen ganz schnell erdet…

Was ist Gin überhaupt, und was macht für Sie einen richtig guten Gin aus?
Es gibt im Wesentlichen drei Spirituosen-Kategorien: Das sind die Brände (Korn, Whiskey, Obstbrände etc.), dann die Liköre mit Wasser, Zucker, Aromen und manchmal Farbstoffen (Sambuca, Anis-­Likör, Kräuter-Liköre etc.) und die Geiste − zu den bekanntesten zählen beispielsweise Haselnuss- und Himbeer-­Geist − mit allen Früchten, die nicht genügend Zucker haben, um sie wirtschaftlich zu vergären und daraus Alkohol herzustellen. Bei Wacholderbeeren ist es ähnlich. Gin ist eine Wacholder-Spirituose, die ihren Ursprung in Holland hat, im Gienever. Das ist Maltwein mit Wacholder aromatisiert. Gin hat im 18. Jahrhundert in England seinen fulminanten Start gehabt. Damals hat man Wacholderbeeren genutzt, um minderwertigen Alkohol zu kaschieren. Mit dem sehr würzigen Wacholder hat man versucht, Produktionsfehler zu vertuschen. Daraus ist dann irgendwann die Spirituose Gin entstanden, die es mittlerweile in jeder Bar gibt, und die wie Rum, Tequila und Wodka in das Backboard jeder Bar gehört, weil ja ganz viele Cocktails auf Gin basieren. Das Tolle beim Gin ist, dass er neben den Wacholderbeeren eine Reihe anderer Botanicals hat, so dass jeder Gin eine spezielle Rezeptur hat, die ihn einzigartig macht. Das kann von zwei oder drei bis zu Dutzenden von Botanicals reichen. Je nachdem, wie das Rezept des jeweiligen Herstellers ist.

Ohne abgeschlossene Ausbildung Geschäftsführer einer wachsenden Firma zu sein, zeigt, dass es nicht auf die Vergangenheit sondern auf gute Ideen, Lust und Leidenschaft ankommt. Sind Sie zufrieden und vielleicht auch ein wenig stolz über den momentanen Stand der Dinge?
Ich bin sehr glücklich mit dem, was ich jetzt mache. Ich war noch nie so zufrieden in meinem Berufsleben, weil hier Vieles zusammenkommt: Man lernt jeden Tag etwas dazu und der Aufgaben-Querschnitt ist enorm breit. Das geht von der Produktion über die Vermarktung hin zum Vertrieb. Wir haben einen kleinen Laden, machen alles selbst und lassen bauen, was wir brauchen. Das macht unfassbar viel Spaß. Mein Team besteht aus vielen Quereinsteigern. Hier geht es nicht darum, ob man irgend etwas studiert oder gelernt hat, sondern es geht darum, ob man mit Leidenschaft für die Sache hier brennt. Nur eine Mitarbeiterin ist gelernte Destillateurin, alle anderen haben sich in das Thema reingearbeitet.

Ist in Ihrem Leben schon immer alles ganz gut gelaufen oder kennen Sie auch Zeiten, in denen fast nichts klappen wollte?
Die gibt es natürlich auch. Eigentlich habe ich viel Glück im Leben. Allein schon, weil ich eine tolle Frau und zwei gesunde Kinder habe. Ich konnte fast immer das machen, was ich wollte. Seit ich aus der Schule bin, arbeite ich selbständig. Es ist ja schon sehr befriedigend, dass man nie irgend jemandem Rechenschaft schuldig ist − nur sich selber. Es gab eine Zeit, da ging es mir relativ schlecht. Höhepunkt war die Phase, in der ich in Portugal versucht habe, die Destillerie genehmigt zu bekommen. Da bin ich an den Windmühlen der portugiesischen Bürokratie zerschellt. Das ist für jemanden, der so ungeduldig ist wie ich, ganz schwer zu ertragen. Und es ist nach wie vor so: Wenn ich in Portugal bin und mal einen Handwerker brauche, muss ich ewig warten. Das ist nicht meins! Da braucht man schon ein bisschen Gleichmut.

Mit welchen Gefühlen denken Sie an die Zeit als »Werbetexter« zurück? Und welche Kunden waren Ihnen lieber: Firmen mit »großen« Namen oder die kleinen Krauter?
Ich finde, alles im Leben hat seine Zeit! Das hat damals tatsächlich Spaß gemacht. Ich vermisse es aber nicht. Wenn man etwas Neues anfängt, muss man sich auch hundertprozentig der neuen Aufgabe widmen und sollte nicht in den Rückspiegel schauen. Es hilft mir auch bei dem, was ich jetzt mache. Was die Kunden angeht: Ich fand immer die Kunden gut, die selber für ihr Thema mit Herzblut gekämpft haben. Immer dann, wenn die Leute bereit waren, Verantwortung zu übernehmen, hat es mir Spaß gemacht, mit ihnen zusammenzuarbeiten, inhabergeführte Firmen zum Beispiel, wo noch eine Familie dahinterstand. Schwierig wird es immer dann, wenn Leute entscheiden, die für zwei bis drei Jahre da sind, und gar keine richtige Bindung zu dem Unternehmen haben.

Sie lieben Motorräder. Fahren Sie nur so zum Spaß, um abzuschalten oder fahren Sie auch Rennen?
Ich fahre zum Vergnügen, weil es gerade in der Stadt ein praktisches Verkehrsmittel ist, weil man weniger Platz wegnimmt schneller unterwegs ist und überall einen Parkplatz kriegt. In Portugal fahre ich auch Enduro. Ich habe dort vor drei Jahren begonnen, mit einem Trainer Trail-Riding zu lernen, also die kleinen Berge hoch- und runterzufahren. Das ist eher eine sportliche Herausforderung als zum Abschalten, weil man sich gut konzentrieren muss.

Sie stehen für die Schönheit des Einfachen und sagen »Simples é o novo prémium«. Doch laden circa 120 verschiedene Zutaten als Aromen und Wirkstoffe für Gin nicht geradezu zum Experimentieren ein?
Ja, das stimmt! Ich habe mit 35 Botanicals angefangen in der Rezeptierung und bin runter auf 14, um durch Weglassen die Klarheit zu verstärken, so dass man eine Spirituose hat, in der man einzelne Aromen immer noch rausschmecken kann. Ich habe mich bei der Rezeptierung an der portugiesischen Küche orientiert: Wir haben Zimt vom Pasteis de Nata, Koriandersaat, Zitronen, die in zwei Bestandteilen in das Destillat kommen: Einmal als Mazerat, das Glas mit den Zitronenschalen, und morgens frische Zitronenschalen, die in einen Edelstahlkorb kommen, der zwischen der Brennblase und dem Helm sitzt. Dann ziehen die Alkoholdämpfe durch diese Zitronenschalen und reißen das frische Aroma dieser Zitronenschalen mit. Manchmal braucht es gar nicht mehr als Wacholder, Zistrose und Zitronen, um ein klares Geschmacksprofil zu haben.

Aber Experimente sind trotzdem erlaubt, oder?
Wir machen einmal im Jahr eine Sonder­edition. Da toben wir uns aus. Einmal haben wir Botanicals beim Motorradfahren in der Algarve gesammelt. Dann haben wir mehrere Experiment mit der Fass­lagerung von Gin gemacht, zum Beispiel mit gebrauchten Moscatel-Fässern aus Sétubal. Auch in diesem Jahr wird es eine Hommage an Portugal geben. Doch beim eigentlichen Gin-Sul-Rezept bleiben wir unserer Linie treu und verwenden immer die gleiche Rezeptur.

Sie destillieren den Gin in einer relativ kleinen 100l-Edeldestillat-Brennerei-Anlage. Qualität geht vor Quantität?
Ja, auf jeden Fall! Wir sind ja durch die Größe der Anlage limitiert. Wir wollen nicht jedes Geschäft machen und sind stolz, dass es soweit wie bisher gekommen ist.

Wacholderbeeren, Koriander, Ingwer, Orangenschalen, Piment, Rosenblüten: Ist der »Geistkorb« das Herzstück der Destillier-Anlage?
Nein, eine wichtige Komponente. Der ist voll mit Zitronenschalen. Da müssen dann die Dämpfe durch und nehmen das Aroma mit. Die Anlage als Ganzes ist das Herzstück von Gin Sul.

Neben Gin Sul gibt es Tanqueray, Bombay Sapphire, Beefeater Crown, London Gin und viele andere. Gibt es irgendwann einen Gin Lisboa oder einen musikalischen Gin Fado?
Es gibt in Portugal den einen oder anderen Gin. Aber es gibt dort auch einige Gins, bei denen so getan wird, als würden sie in Portugal hergestellt. Tatsächlich aber kommen sie aus Spanien oder England. Wir haben uns bewusst für Hamburg entschieden, weil es in Portugal damals schlicht nicht möglich war. Aber man soll niemals nie sagen… Vielleicht kriegen wir es doch eines Tages hin, mal schauen. Es bleibt jedenfalls ein Traum von mir!

Das Design von Gin Sul entwerfen Sie selbst. Somit auch die Optik der weißen Tonflaschen. Zu einem guten Produkt gehört ein ansprechendes Design. Wie wichtig ist die Design für gute Verkaufszahlen?
Bei der Menge an Gins, die auf dem Markt sind − und es kommen jede Woche auch noch neue dazu − ist es wichtig, sich zu unterscheiden. Und die typische weiße Tonflasche ist mittlerweile in den Backboards vieler Bars zu sehen. Sie ist sowohl optisch als auch haptisch eine Besonderheit, ein Hingucker. Die Korken sind zweiteilige Naturkorken, die extra für uns in Portugal hergestellt werden. Es ist uns wichtig, alle Teile der Geschichte ehrlich zu erzählen und keinen Humbug zu verzapfen. Viele Gins auf dem Markt basieren auf Marketing-Ideen und hahnebüchenen Geschichten wie, »man hat ein Rezept auf dem Dachboden gefunden«. Eine solche Geschichte trägt nicht ewig. Unsere Destillerie ist jeden Tag auf, so dass jeder sehen kann, wie der Gin hergestellt wird. Und das ist am Ende die Währung, die heutzutage zählt: Glaubwürdigkeit! Design und Glaubwürdigkeit zusammen ergeben das Produkt.

Die Hamburger HADAG-Fähre ist zum Cacilheiro geworden, weil einige der Hamburger Fähren seit etlichen Jahren Lissabon mit Cacilhas verbindet. Dokumentieren die sogenannten Typschiffe auf den Ginflaschen von Gin Sul auch ihre eigene Verbindung zwischen Hamburg und Portugal?
Ja, ich kenne diese Schiffe noch aus meiner Kindheit. Die waren damals im Hamburger Hafen omnipräsent, weil es sehr viele dieser Hadag-Fähren gab. Was ich witzig finde: In Lissabon sind die Fähren für die Portugiesen portugiesische Fähren. Es sind also zwei Städte, für die diese Fähren typisch sind. In Portugal haben sie sogar einen eigenen Namen. Mittlerweile sind viele ausgemustert worden. Ich glaube, es gibt noch zwei Fähren in Lissabon als Reserveschiffe. Eins ist ein Kulturschiff, das bei der Biennale in Venedig war, das zweite ist ein Ausflugsschiff. Für mich sind diese Schiffe typisch hamburgisch und auch portugiesisch.

Funktioniert die Altonaer Spirituosen Manufaktur hierarchisch mit einem Chef und seinen Angestellten oder eher als Team?
Das ist schon eher »Old School«. Wir sind ein tolles Team, jeder kann sich einbringen. Aber wir sind auch ein Produktionsbetrieb, in dem einer die Entscheidungen treffen muss. Und das bin dann ich.

Soll Gin Sul immer weiter wachsen und größere Marktanteile erobern oder setzen Sie auf das Nischendasein spezieller Abfüllungen nach dem Motto »Klein, aber fein«?
Wir müssen wachsen, weil der Spirituosenmarkt ein Verdrängungswettbewerb ist. Wenn man nicht wächst, wird man irgendwann aus dem Regal genommen. Deswegen müssen wir immer ein bisschen wachsen, aber natürlich im gesunden Maßstab. Das ist auch durch die Produktionsräume begrenzt. Ein bisschen Luft nach oben ist aber noch!

Jedes Jahr gibt es eine Sonder-Edition von Gin Sul. Entsteht die Idee dafür nach dem Motto »Alles kann, aber nix muss«?
Ja, aber der Korridor ist: Wie können wir mit Hamburg, Deutschland und Portugal unser Heritage ein bisschen ausleben? Im letzten Jahr haben wir eine Hamburg-Edition gemacht, die hieß »Kleine Freiheit«. Die hat Hamburg in den Vordergrund gestellt. Doch eigentlich ist es ein Spiel, das sich um Portugal dreht.

Die »Tastings« genannten Gin-Workshops sind immer schnell ausgebucht. Gibt es den typischen Gin-Trinker oder auch die Gin-Trinkerin?
Ja, könnte man sagen. Zumindest gibt es eine Altersstruktur, die zwischen 25 und 50 Jahren liegt. Das ist der Hauptteil unserer Kundschaft. Und lustigerweise sind bei Gin Sul auch viele Frauen, bestimmt 45%. Das unterscheidet uns von anderen Marken. Die Tastings sind gemischt und keineswegs reine Jungs-Veranstaltungen.

Und trinken die dann ihren Gin eher zu Hause oder im Restaurant?
Es ist fast eine Sammel-Leidenschaft ausgebrochen. Leute, die sich für Gin interessieren, haben zu Hause meist vier bis sechs verschiedene Gins und experimentieren mit unterschiedlichen Tonics oder Cocktails. Und erst nach dem Gin Tonic kommt die ganze Thematik: Gin Fizz, Gin Sour, Negroni. Es gibt so viele Cocktail-Klassiker auf Gin-Basis, wo auch unterschiedliche Gins Sinn machen. Mein Lieblings-Gin-Drink ist der French 75., ein Gin Fizz, bei dem statt Soda zum Toppen Champagner genommen wird. Der wird in einem Silberbecher serviert. Das ist ein festlicher, toller Gin-Drink, in dem der Gin-Geschmack deutlich rauskommt.

Trotz des Erfolges von Gin Sul sind Sie auf dem Boden geblieben und liefern zum Beispiel die Gin-Kisten immer noch selbst aus. Ohne Kommunikation macht Geschäftemachen keinen Spaß, nicht wahr?
Genau! Wenn man die Gastronomie beliefert, ist das ein People-Business! Wir haben so tolle Mitarbeiter, die sich um die Gastronomie kümmern − zum Teil aus der Gastronomie selber kommen. Da muss man sich mal sehen lassen, gut schnacken, und mittrinken können.

Wenn Fernando Pessoa recht hat, können eigentlich nur PortugiesInnen »saudades« fühlen. Sie aber mittlerweile auch, oder?
Ich bilde es mir zumindest ein. Ich weiß nicht, ob meine portugiesischen Mitarbeiter ihr Veto einlegen würden. Aber ich glaube nicht. Ich empfinde es so, dass ich das schon fühlen kann, vor allem, wenn man die Situationen spüren kann, in denen Portugiesen das spüren. Ich bin neulich mal frühmorgens zum Strand gegangen bei einem schönen Sonnenaufgang. Da standen drei junge Mädels, und die eine sagte zu den beiden anderen: «Que saudade!» In diesem Moment weiß ich wirklich, was damit gemeint ist. Auch wenn man durch Lissabon geht, bleibt es nicht aus. Diese Stadt ist so magisch und versprüht diese Saudade an allen Ecken, so dass man sich dem gar nicht entziehen kann.

Tut die Lockerheit der Menschen in Portugal auch deshalb gut, weil in Deutschland viele Menschen mit Scheuklappen durch die Gegend laufen?
Portugiesen sind gar nicht so locker! Sie sind uns Hamburgern in vielen Dingen sehr ähnlich. Sie sind teilweise sogar sehr nüchtern. Es ist oft gar nicht dieses Südländische, das man aus Italien kennt. Oder dieses Ungestüme. Man muss sich nur angucken, wie die Portugiesen Auto fahren: sehr bedacht, sehr langsam, da hupt keiner. Es ist nicht Istanbul!

Ihr Lebensmotto lautet »Work like you don’t need the money«. Um mit Ihren eigenen Worten zu fragen: Ist es nicht geil, ­genau das zu machen, was man schon ­immer machen wollte?
Das ist eigentlich die größte Erfüllung! Ich kenne so viele Menschen, die so unglücklich sind in ihrem Job und das nur machen, weil sie es studiert haben oder weil sie sich gefangen fühlen in Zwängen. Ich hatte die Gelegenheit, komplett neu zu starten, mein altes Leben hinter mir zu lassen und einfach einen neuen Berufsweg anzufangen. Dass das funktioniert hat, macht mich sehr glücklich und auch demütig. Das hätte ja auch in die Hose gehen können. Ich lerne nette Leute kennen, bin viel im Ausland, beruflich auch viel in Portugal. Zudem haben wir einen tollen Importeur an der Algarve, der unser Produkt vertreibt. Dem versucht man natürlich ab und zu unter die Arme zu greifen. Das macht schon Spaß!

Was fehlt, wenn man ein dünnes bauchiges Glas hat, dickes Eis, Orangenzeste, einen Zweig Rosmarin und einen guten Tonic?
Noch ein guter Gin, und zwar in ausreichender Menge, sage ich als Produzent. 5−6 cl Gin sollten es schon sein.

Lieber Stephan Garbe, herzlichen Dank für dieses wundervolle Gespräch!

Foto der Destillier-Anlage von Gin Sul in Hamburg

Destillier-Anlage von Gin Sul in Hamburg · Foto: © Andreas Lahn

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert