Ein leises Resümé über den August 2018 in Monchique • von Catrin George Ponciano
> Im August 2018 brannte im Algarve der Bergzug Serra de Monchique acht Tage und sieben Nächte lang, und seine Bewohner sahen hilflos zu, wie kräftig- böiger Wind die glühende Feuerwalze in rasender Geschwindigkeit unaufhaltsam vorwärtstrieb.
»Dieses Mal war es anders als im Jahre 2003«, erzählt Antonieta leise. Damals kam das Feuer auch bis vor ihre Haustür, »doch es ließ es sich zähmen«, sagt sie. In diesem Jahr fauchten die Flammen bereits auf ihrem Weg von Monchique nach Alferce so laut, als brülle ein monströses Raubtier durch die Dunkelheit. Antonieta kennt dieses lodernde Fauchen aus ihrem Brotbackofen, wenn sie die Ofenklappe zum Nachlegen öffnet, und Wind durch den Schlot pfeift. In jener Nacht wähnte Antonieta sich selbst mitten im dunklen Schlund, als das Feuer den Abhang im Malhada-Quente-Tal hinabstürzte, als die über hundert Jahre alten Korkeichen knirschten und kreischten, als die Flammen ihre Baumkrone und den Stamm fraßen, als sie sich wie ein Derwisch um den glühenden Stamm wickelten und schwefelgelb lodernd tanzten, bis weniger als ein verkohltes Stück Stumpf von den mächtigen über zehn Meter hohen Sonnenschirmbäumen übrig blieb.
Erst die Bäume, dann die Erde. Antonieta macht sich gar nicht mehr die Mühe, ihre Tränen zu verbergen. Die Erde zischte. Mitten im lodernden Feuerkegel knallte es, als breche der ganze Berg auf. Dreck flog umher, Glut stob auseinander. Das hörte sich an, als würde das Feuer nicht bloß den Wald, sondern Mutter-Erde gleich mit verschlucken. Ihre Stimme bricht. »Als die Steine platzten, sah ich dem Dämon mitten in sein züngelnd höhnendes Gesicht. Das war kein Feuer, das war der Teufel mit Feuer-Maske«, schließt sie ihren Vortrag ernst.
Die Katastrophe setzte ihren grausamen Weg der Verwüstung fort. Das Flammenmeer raste die teilweise 45° steilen Abhänge an der Nordseite des Picota-Berges hinauf und hinab und fraß sich kreuz und quer durch den uralten Mischwald rund um Alferce. Zu diesem Zeitpunkt waren die meisten Höfe bereits evakuiert, manche Hausbesitzer gingen nur unter Protest, gegen ihren Willen. Sie ahnten, dass niemand ihre Höfe retten würde, wenn sie es selbst nicht in die Hand nahmen, aber die Guarda Nacional de República nahm jeden mit − wenn nötig, mit Nachdruck. Die Polizisten wollten auch Antonietas Mann Zé Filipe evakuieren, doch dieser dachte nicht einmal daran, den Hof seiner Familie zu verlassen, büxte den Polizisten aus und versteckte sich.
Eingeschlossen in den tödlichen Kreis aus Flammen, Hitze und Rauch, verbrachte Zé Filipe die längste Nacht seines Lebens und kämpfte allein mit einem Schlauch gegen die Flammen. Strom und Telefon waren längst ausgefallen. Wen sollte er auch anrufen. Niemand konnte kommen, um ihm zu helfen. Sämtliche Straßen waren gesperrt, er war auf sich allein gestellt. Als der Wasserspeicher und die Zisterne leer gepumpt waren, lechzten die Flammen nach dem Dach des Wohnhauses. Zé Filipe verlor den Kampf gegen den Flammendämon, floh ins Tal und entkam dem Feuertod nur knapp. Seitdem wirkt er oft abwesend. Sein Blick verweilt an einem Ort, den nur er allein kennt.
Viel gesprochen hat Zé Filipe noch nie. Im Gegensatz zu Antonieta, die überaus kontaktfreudig ist. Es mache ihr Angst, wie schweigsam ihr Mann sei. »Ironie des Schicksals«, meint Antonieta in ihrer Backstube, wo täglich ein halbes Klafter Holz brennt, um über 2000 Laibe Brote gar zu backen, und nicht einmal eine winzige Rauchspur die erst im Frühsommer frisch gekälkten Wände schwärze. Ihre hellbraunen Augen glänzen verräterisch feucht. Tapfer schluckt sie die Tränen herunter. »Sei es drum«, meint sie, »müssen wir eben noch eine Seite im Buch des Lebens umblättern«.
Es gibt viele Familien in Monchique und Umgebung, die Ähnliches erlebt haben. Seither hadern sie mit der Lokalpolitik, den Behörden, dem Staat und mit Gott. Obwohl geografisch im Algarve gelegen, verkörpert der Gemeindekreis von Monchique mit seinen Bewohnern einen Lebens-Kosmos, der mit dem für den Algarve typischen Touristen-Rummel rein gar nichts zu tun hat, und vom sogenannten modernen Zeitgeist Mitteleuropas eine Galaxie weit entfernt liegt. Hier stehen − wie seit eh und je in der Menschheitsgeschichte − die Natur und ihre Gaben im Mittelpunkt des Universums, und der Mensch ist Gast darin. Er sät, erntet, verzehrt und hegt Mutter-Erde mit Respekt und altem Wissen. Religiosität ist in Monchique an der Tagesordnung. Die Menschen definieren sich und ihr Dasein in der liturgischen Gesamtheit der biblischen Interpretation. Eine Katastrophe wie der Brand im August 2018 bringt die Natur ins Schwanken, zerstört ihre Synergien und raubt den Menschen ihre Lebensgrundlage, die wiederum fest verankert ist im tiefem Glauben an die göttliche Fügung. 2018 geriet ihre kleine Welt aus den Fugen. Seither hadern die Menschen mit allem, was ihnen lieb und wichtig ist. Zurück bleibt eine Wunde, die kein Trost heilen kann. Es scheint, als seien ihre Seelen zerbrochen, still, leise, unbemerkt, in der Nacht, als die Felsen platzten. Bem Hajam, Monchique
Ich habe noch nie eine so zu Herzen gehende Schilderung eines Waldbrandes gelesen. Die Berichte im Fernsehen oder in deutschen Zeitungen waren mehr oder weniger oberflächlich und unbeteiligt. Der Bericht von Catrin Ponciano ist ganz anders. Jetzt verstehe ich die Angst, die solch ein Feuer bei den Menschen auslöst.