1437: Ein Geiseldrama erschüttert Europa

Bild des Infante Dom HenriqueBild des Infante Dom Henrique (Museu de São Vicente, Lisboa) · © Andreas Lausen

Wie der Größenwahn des Infante Dom Henrique seinen Bruder Fernando in den Kerker brachte • von Andreas Lausen

> Die Ursache für diese emotionale Tragödie liegt im Jahre 1415. Portugal hatte in einer waghalsigen Operation die Stadt Ceuta an der Nordküste Marokkos erobert und damit den Grundstein für die Entdeckungsfahrten und den Kolonialismus der Europäer gelegt. Infante Dom Henrique − in Deutschland als Heinrich der Seefahrer bekannt − hatte sich als junger Prinz und Ritter bei der Einnahme der Festung hervorgetan.
Die Einnahme der Stadt verbanden die Portugiesen mit der Hoffnung, den ertragreichen Handel Ceutas mit dem Orient und Nordafrika übernehmen zu können. Diese Erwartung erfüllte sich nicht: Die Karawanen und Schiffe der Mauren mieden das jetzt portugiesische Ceuta und liefen das 50 Kilometer westlich gelegene Tanger an.
Ceuta war zur Bürde für Portugal ­geworden. Alle Lebensmittel, jede Versorgung für Ceuta musste aus Portugal herangeschafft werden. Tausende Männer waren für die Verteidigung der Stadt nötig, ohne dass irgendein Profit für das Mutterland abfiel. König Duarte (Regierungszeit 1433−1438) und seine Berater entschieden nach langem Zögern, dass eben auch Tanger erobert werden müsste, um endlich das Handelsmonopol der Mauren, Venezianer und Genuesen zu durchbrechen.
Dem Infanten Henrique wurde die Leitung einer Militärstreitmacht von 6.000 Männern übertragen, der auch sein jüngster Bruder Fernando (1402−1443) als stellvertretender Befehlshaber angehörte. Im Gegensatz zur erfolgreichen Ceuta-­Expedition erledigte Henrique die Vorbereitungen schlampig. Die Ratschläge seiner Berater nahm er nicht ernst.
Im September 1437 landete die portugiesische Streitmacht zehn Kilometer östlich von Tanger. Entgegen den Warnungen seiner Berater ließ Henrique ­seine Truppe auf dem Landweg gegen Tanger marschieren. Bei den Schiffen blieb nur eine kleine Bewachung. Wasser nahm man kaum mit − Tanger war schließlich voller sprudelnder Brunnen, und für die Eroberung von Ceuta hatten die Portugiesen 1415 nur zwei Tage gebraucht.
Aber der Plan des Infanten ging nicht auf. Der Sultan hatte Tanger gut auf den portugiesischen Angriff vorbereitet. Die schnelle Eroberung der Stadt war unmöglich, und für eine Belagerung waren die Portugiesen nicht ausgerüstet. Die Soldaten des Sultans unter ihrem Feldherrn Salah Ibn Salah schnitten Portugals Truppe den Rückweg zu den Schiffen ab.
Der Infant saß mit seinen Männern in der Falle. Der Durst nahm ihnen allen Mut. So schmachteten sie in der heißen Steppe vor den Mauern von Tanger und waren dem Tod geweiht. Doch der Sultan machte ihnen ein Friedensangebot: Die Portugiesen könnten ehrenvoll abziehen, wenn sie Ceuta räumten. Infant Henrique versprach den Abzug aus Ceuta. Den Befehl dazu könne allerdings nur der König geben − mit Zustimmung der Cortes.
Der Sultan willigte ein, verlangte aber, dass Henriques Bruder, Infant Fernando, als Bürge für diese Abmachung im Gewahrsam der Mauren bliebe. So begaben sich Fernando und 12 Gefährten in die Gefangenschaft, während Henrique die Streitmacht sicher zu den Schiffen und heim nach Portugal brachte. Alle gingen davon aus, dass Portugal die Abmachung einhalten und Ceuta übergeben würde.
König Duarte war sofort damit einverstanden, nicht aber die Cortes. Diese Versammlung war einem Parlament ähnlich, war jedoch nicht nach heutigen Maßstäben gewählt, sondern aus Vertretern von Adel, Geistlichkeit und Ständen zusammengesetzt. Sie berieten ausführlich über die Lage. Eindringlich appellierte der König, Ceuta an die Mauren zurückzugeben und seinen Bruder aus der ­Geiselhaft zu erlösen.
Aber die Cortes lehnten ab. Die Eroberung Ceutas sei mit dem Leben hunderter Portugiesen teuer bezahlt worden, und das wöge schwerer als das Leben eines Prinzen. Allenfalls Lösegeld könne man zahlen. Der Sultan ließ sich darauf nicht ein. Hatte man in Marokko den Infanten bis dahin als Gast behandelt, wurde er nun in den Kerker von Fèz gebracht. Dort wurde Fernando gefoltert und nur mit Abfällen ernährt.
Fernando schickte flehentliche Briefe nach Portugal, man möge ihn doch aus dem Kerker befreien. Boten berichteten, dass sich sein Zustand immer weiter verschlechterte. Aber die Cortes blieben bei ihrer unnachgiebigen Haltung. Nach sechs Jahren starb Fernando elendig am 5. Juni 1443 im marokkanischen Verlies.
Infant Dom Henrique, verantwortlich für das Desaster von Tanger, wurde ein anderer Mensch. Er sah ein, dass Portugals Ziele auf dem afrikanischen Kontinent nicht mit blinder Gewalt erreicht werden konnten, sondern nur mit Planung, Verhandlungen und gründlicher Vorbereitung. Grübelnd und in Askese verbrachte er seine Tage und Nächte in Lagos und Sagres. Die Expeditionen an der Küste Afrikas wurden gründlich ausgearbeitet, die Kapitäne handverlesen. Die Entdeckungen der Portugiesen auf dem Seeweg nach Indien waren abenteuerlich, aber ihre Protagonisten waren keine Abenteurer, auch nicht nach dem Tod des Infanten im Jahre 1460.
Ceuta hatte für Portugal nur noch symbolische Bedeutung. 1668 wurde es nach einem Vertrag den Spaniern übergeben. Spanisch ist Ceuta auch heute noch − Ziel von Afrikanern auf dem Fluchtweg nach Europa.
Tanger wurde 1471 doch noch von Portugal erobert. 1661 wurde die Stadt als Mitgift der Infantin Catarina an England übereignet.
Die Gebeine Fernandos wurden von Portugal 1471 ausfindig gemacht und in der Grabkapelle der Dynastie Aviz im Kloster von Batalha beigesetzt. Der spanische Dramatiker Pedro Calderon de la Barca ließ sich durch das Schicksal des portugiesischen Prinzen zu seinem Schauspiel »El Principe Constante − Der standhafte Prinz« inspirieren (1636).

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