Die Lyrikerin Florbela Espanca

Foto des Monuments für Florbela Espanca in Vila Viçosa · © Wikimedia Commons, GC.KER CACHE TEAM

Das Leben der portugiesischen Lyrikerin (1894–1930) noch mal neu entdeckt    von Catrin George Ponciano

> Die portugiesische Dichterin Florbela Espanca war zart wie ein Schmetterling und schön wie eine Nymphe. Sie war eine aufregende Exotin, ein lasziver Vamp, ein schutzbedürftiges Mädchen, die Ordensschwester Sehnsucht, eine blühende Blume, eine verwelkte Blüte, eine aufrichtig Trauernde, aber vor allem Liebende, Verliebte, Geliebte, Ungeliebte. All dies war Florbela, und mehr noch: Sie war die Athene der Moderne für die beginnende Emanzipation der weiblichen Literaturwelt ihrer Epoche, Leitfigur für die aufstrebende Emanzipationsbewegung Portugals. Sie war Minerva, die erste Frau Portugals, die Jura studiert hat, sie war aber ebenso Nyx und sank hinab in die innere Finsternis ihrer eigenen Melancholie. Niemand schaffte es, sich ihrer Aura zu entziehen. Und dafür wurde sie entweder geliebt oder beneidet. Eine sentimentale Balance existierte im Leben der Dichterin nie. Ihren eigenen Gefühlen ausgesetzt, strömten die ihrer Verehrer, ihres Bruders, ihrer wenigen Freunde auf sie ein und sorgten für eine unentwegte emotionale Eruption, die sie in ihrer poetisch zarten und gleichzeitig konsequent wirklichkeitsorientierten Dichtung aufblättert. 

Für jeden Lebensabschnitt schlägt Florbela ein eigenes Buch auf, das sie durchgehend Ich-bezogenen mit Sonetten füllt. Um ihrer inneren Aufruhr Herrin zu werden, führt Florbela rege Korrespondenzen und beschreibt darin im Rollenspiel ihre Auseinandersetzung mit dem Leben an sich, und gewährt über diesen literarischen Umweg intime Einblicke in ihre komplexe Persönlichkeit. »Die Welt will mich nicht, weil niemand solche Flügel hat wie ich …«, beschreibt sie die Schwierigkeit anderer, sich mit ihr und ihrer komplexen Persönlichkeit zurechtzufinden.

Als uneheliches Kind 1894 in Vila Visçosa im Alto Alentejo geboren, wächst Florbela gemeinsam mit ihrem jüngeren Bruder Apeles bei ihrem leiblichen Vater und dessen Ehefrau auf, ohne dass der Vater die Tochter und den Sohn als seine Kinder legitimiert hat. Das Mädchen wächst abgelehnt vom eigenen Vater auf, und ungeliebt von der Stiefmutter. Florbelas natürliche Sehnsucht nach Innigkeit und Geborgenheit bleibt unerfüllt, und so schenkt sie ihre gesamte kindliche Zuneigung dem einzigen Menschen, der ihr wahrhaftig nahesteht: Apeles. Er ist ihr Bruder, ihr Freund, ersetzt den ­Vater und stellt später − bewusst oder unbewusst − ihren Wunschprinzen dar. Unzertrennlich, sind die Geschwister ihrem Schicksal vollkommen ergeben.  

Foto von Florbela Espanca

Florbela Espanca · © Wikimedia Commons

Florbela notiert ihre Gedanken über sich und ihre Familie in ein Tagebuch. Wortmalerisch wünscht sie sich eine ­andere Welt, für sich, für die kleinsten Lebewesen, die Kinder, die Bienen, die Vögel, die Fliegen. Pflanzen, Tiere. Der Himmel schenkt Florbela in ihrer Vorstellung die Geborgenheit, die ihr im echten Leben fehlt. Somit enden all ihre Gedichte traurig − sobald sie aus ihrem Ideenhimmelreich in den familiären Alltag zurückfällt. Außer Apeles ist Papier ihr einziger Freund. Bald verdichten sich die Verse, finden präzisiert in Metaphern formuliert Ausdruck für ihre Sehnsucht nach Akzeptanz ihrer selbst und nach einem liebevollen Heim. Letzteres versucht Florbela selbst aufzubauen, heiratet dreimal − und scheitert dreimal. Lieben will sie, nichts als lieben, der Liebe willen, schreibt sie, versucht Mutter zu werden und verliert zweimal die Frucht ihres Leibes.

Was ihre Stiefmutter und ihre echte Mutter versäumt haben, wollte Florbela besser machen, eigene Kinder, gezeugt in Liebe bekommen, sie bedingungslos lieben und hätscheln, kosen und beschützen. Ihr Scheitern war endgültig. Florbela flieht, zieht nach Lissabon, taucht ein in den literarischen Reigen um die aufstrebende Avantgarde, lernt Almeida Negreiros, Carlos Queiroz, Fernando Pessoa und andere Dichter der modernistischen Bewegung kennen. Sie lässt sich fallen in den Strom der Zeit, den gesellschaftlichen Rausch in der Welt der Intellektuellen, wählt Liebhaber, wechselt sie, kostet das Leben aus in allen Zügen bis an die Grenzen des Erträglichen − und darüber hinaus. Völlig verausgabt kehrt Florbela von ihren Eskapaden an den Schreibtisch zurück und lässt ihre Seele auf Papier lyrisch reflektiert neu auferstehen, und zwar in solch aufrichtig egozentrischer und gleichzeitig sinnlich poetischer Weise, dass man selbst heute, neunzig Jahre später, ihre Unruhe, ihre Schluchzer und ihr Getriebensein beim Lesen spürt.

Die nichts weiter vom Leben wollte, als sie selbst zu sein und als Florbela geliebt, anerkannt und verstanden, strauchelt, weil ihr all dies verwehrt bleibt. Niemand liebt sie als diejenige, die sie ist. »Niemand kenne sie wirklich«*, sagt sie in der Rolle eines Liebhabers, der über Florbela schreibt, obwohl natürlich in Wahrheit Florbela einzig, immer und ausschließlich über sich selbst schreibt. »Selbst ich kenne mich nicht.«, setzt sie hinzu.

Seelischen Beistand empfängt sie von Apeles, der ihr Bett mit Sternschnuppen bestreute, aber dann in einem Flugzeugabsturz den Tod findet. Hinter vorgehaltener Hand sagt man den Geschwistern eine mehr als platonische Beziehung nach und behauptet gar, Apeles hätte sich das Leben genommen. Florbelas Verlust kann nicht größer sein. Das Gewicht ihrer Seelenpein drückt sie nieder, bis sie sich mehr und mehr in den Rollen verliert, die sie sich von Salomé zur Maria-Theresa selbst andichtet, und keine mögliche Frauenfigur der Literatur auslässt, bis sie wirklich nicht mehr weiß, wer sie ist.

Nach dem Tod ihres Bruders 1927 fällt Florbela in sich zusammen, physisch und psychisch. In den nächsten drei Jahren bringt sie ihre Geschichtensammlung «As Máscaras do Destino»  zu Papier und zieht metaphysisch Bilanz über »das ersehnte Leben und sei es auch bloß ein stinkender Sumpf«*. Ihr Fazit lautet: »Du lebst, aber du kennst das Leben nicht.«* 

Zu ihrem 36. Geburtstag am 8.12.1930 lädt Florbela Gäste ein, eine Party sollte es keine sein − sondern ihr Abschied vom Leben.

*Zitate aus: »Der Rest ist Parfum«, Gesa ­Hasebrink, 1994, Verlag Beck & Glückler

HINWEIS

Die Schriftstellerin Catrin George Ponciano, Landesvertreterin der DPG am Algarve, und ihre Bühnenpartnerin, die Geschichtsforscherin Paula Villares Pires, haben die Initiative Buchstabenbühne – Letras no Palco ins Leben gerufen. Portugiesische Dichterinnen wie Florbela Espanca bringen sie in einem eigens erarbeiteten Programm, zweisprachig auf die Bühne, simultan portugiesisch/deutsch interpretiert, mit musikalischen Interludien begleitet von Portugiesischer Gitarre und zu Fado vertonten Florbela–Weisen. Die Premiere fand am 12.12.2020 statt im Kloster Convento de São José in Lagoa im Algarve, live und virtuell, hybrid zur gleichen Zeit. Bis auf weiteres geht die Buchstabenbühne virtuell tingeln unter dem Motto: Petiscar Poesia – Poesie in Häppchen, im Live Stream. Sobald wieder möglich, treten wir im Algarve, im Alentejo und in Lissabon auf. Buchungsanfragen für unser Programm mit Live–Musik-Begleitung bitte per E-Mail an: catringeorge@yahoo.de  

Weitere Infos auf: https://www.facebook.com/LetrasnoPalcoBuchstabenbuhne

2 Kommentare

  1. Gunthard Lichtenberg

    Wir bedanken uns sehr herzlich bei Ihnen, Frau George Ponciano für den schönen Artikel über die Dichterin Florbela Espanca.
    Wir sind ihr zum ersten Mal »begegnet«, als wir im April 2019 vor ihrer Büste am Ende der Avenida Bento de Jesus Caraça standen. Natürlich wurden wir neugierig, forschten etwas nach und fanden schließlich die Grundzüge ihrer Biographie.In Ihrem Artikel haben Sie unsere wenigen Kenntnisse über diese prominente Dichterin Portugals deutlich erweitert. Dafür sind wir dankbar.
    Übrigens haben wir, bei Durchsicht unserer Bilder, auch das Denkmal des Namensgebers der Avenida gefunden. Und auf dessen Sockel steht sein bemerkenswerter Spruch «Se não receio o erro, é porque estou sempre pronto a corrigi-lo.» (Ich fürchte keinen Fehler, denn ich bin immer bereit, ihn zu korrigieren.) Zu diesem Spruch habe ich persönlich eine besondere Affinität, weil mir das von meinen Eltern bereits in jungen Jahren sinngemäß weitergegeben wurde.
    Wäre noch anzumerken, dass dieser Sohn von Vila Viçosa schon in jungen Jahren seine überragende mathematische Begabung zeigte. Näheres kann man in der englischsprachigen oder der portugiesischen Wikipedia nachlesen oder, auf Portugiesich, unter http://www.epbjc-porto.net/bjc/vida.html. Bereits in jungen Jahren war er «professor catedrático» (entspricht wohl unserem Ordinarius = ordentlichen Professor).
    PS: Gerade stelle ich beim Nachlesen fest, dass Bento de Jesus Caraça gut drei Wochen nach meinem Vater im Jahr 1901 geboren wurde…

  2. Lieber Gunthard Lichtenberg, herzlichen Dank für Ihre Zeilen, es berührt mich, wie liebevoll beeindruckt Sie von Ihrer “Begegnung” mit Florbela sprechen und wie neugierig Sie sogleich wissen wollten, wer diese Frau gewesen ist. Ich glaube, Florbela war eine sehr komplexe Persönlichkeit, die uns heute, als Wegmarke für die Zeit damals in vielerlei Hinsicht Hinweise geben kann, wie Lyrik und Literatur für Frauen funktioniert hat. In einer Zeit, wo gerade in Lissabon rund um Fernando Pessoa sich ja eine völlig neue Literatur entwickelt hat. Dieser neuen Welle schließt sie sich zwar zeitweise als Dichterin an, aber sie springt nicht in den Sog hinein, die Welt durch ihre Worte zu spiegeln und auch nicht die Gesellschaft, sondern umgekehrt, Florbela ist der Spiegel, der einzige, für sie Gültige. Das war das menschliche Drama in ihrer Biografie. So oft hat sie versucht, zu Sein, und durfte nicht. Diese persönliche Tragik findet in ihrem Werk Niederschrift und bleibt uns als melancholisch Sinn stiftende Lebenslinie erhalten.
    Was Sie über Bento de Jesus Caraça in Erfahrung bringen konnten klingt interessant. Und noch interessanter die direkte Parallele zu Ihren eigenen Erfahrungen. Ein sehr schöner Wahlspruch, er nimmt die Angst davor Fehler zu machen und beschert Mut weiterzugehen. Passend für unsere momentane Situation.
    Ja, Portugals Straßennamen und Denkmäler führen immerzu zu neuen Geschichten und Episoden, über die man staunen kann.
    In diesem Sinne, im Geiste und im Herzen Portugal affin vereint, lieber Herr Lichtenberg, wünsche ich Ihnen einen zauberhaften Tag und freue mich auf weiteren spontanen Austausch, sehr herzliche Grüße aus Portugal schickt Catrin George Ponciano

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert