Póvoa de Lanhoso (1846): Eine Wäscherin ruft zum Aufstand

Bild vom Aufstand in Póvoa de Lanhoso (1846)1846: Aufstand in Póvoa de Lanhoso · © Centro Interpretativo Maria da Fonte in Lanhoso

Andreas Lausen erzählt aus dem Leben der Maria da Fonte

> Eine 17-jährige Wäscherin ruft arme Bauern, Landarbeiter und Handwerker zum Aufstand, führt ein Bauernheer gegen die portugiesische Armee, bringt den Staat ins Wanken. Dabei konnte sie nicht einmal lesen und schreiben. Sie kam aus dem Nichts und verschwand spurlos. Sie hat kein Grab, aber ihr Andenken ist in Portugal lebendig.
Aber der Reihe nach: Nach dem Sieg über die französischen Invasoren und der Unabhängigkeit Brasiliens taumelte Portugal von Krise zu Krise. Der Staat war nach heutigen Begriffen pleite und ­unfähig, seine ausufernden Kosten einzuschränken. Zwar hatten liberale Regierungen das absolutistische Königtum mit viel Blutvergießen abgeschafft, aber die große Mehrheit des Volkes lebte in ­Armut und Rechtlosigkeit.
In den 1840er-Jahren sorgten ein neues Rekrutierungsgesetz und eine neue Steuer auf Hausbesitz für Wut und Verärgerung im einfachen Volk. Ein neues Gesetz, das den Friedhofszwang für Verstorbene einführte, brachte das Fass schließlich zum Überlaufen.
Traditionell wurden die Toten in den Kirchen beigesetzt. Heute noch sieht man in vielen Kirchen, dass der Fußboden in Quadrate aufgeteilt ist, die mit Brettern abgedeckt und durch steinerne Kanten voneinander abgegrenzt sind. Darunter verbergen sich Grüfte, die bis 1846 die Toten aufnahmen. Besser gestellte Bürger fanden nach dem Tod ihren Platz in Nischen der Seitenwände, Adlige in ­Seitenkapellen oder in steinernen Sarkophagen.
Durch höhere Einwohnerzahlen nahm ab 1830 die Zahl der Beisetzungen stark zu. Seuchen durch fehlende Hygiene und belastetes Trinkwasser führten besonders im Sommer zu vielen Sterbefällen. In den Kirchengrüften wurde der Platz knapp. Der Verwesungsgeruch war auch durch Weihrauch nicht mehr zu überdecken. Der Staat musste handeln.
Mit Dekret vom 28. September 1844 ordnete die Regierung von António Bernardo da Costa Cabral (ein Liberaler, der aber diktatorisch regierte) an, dass jede Gemeinde einen Friedhof am Ortsrand einzurichten hätte. Beisetzungen in den Kirchen wurden verboten − mit Ausnahmen für den Adel.
Außerdem mussten die Angehörigen der Toten eine Unbedenklichkeitserklärung und eine Sterbeurkunde beibringen. Der Staat kassierte Gebühren für die Beisetzung auf den neuen Friedhöfen, während die Kirche vorher mit einer Spende zufrieden war.
Das Volk murrte. In dem Minho-Städtchen Póvoa de Lanhoso hielt − der Überlieferung nach − eine junge Wäscherin namens Maria aus dem Dorf Fontarcada (später Maria da Fonte genannt) leidenschaftliche Reden gegen die Regierung. Niemand hat ihre Worte aufgeschrieben und der Nachwelt überliefert, aber sie könnte etwa gerufen haben: »Wir Armen haben keinen Besitz. Aber wenn wir tot sind, werden wir in der Kirche bestattet, und am Jüngsten Tag erwachen wir und sehen als Erstes den Altar und das Kreuz. Diese ­Gewissheit ist unser einziger Reichtum, und den will uns die gottlose Regierung in Lissabon nun ­rauben! Wehrt euch! Holt Forken und Dreschflegel, stürmt die Rathäuser und Gerichte!«
Als dann am 21. März 1846 die hoch ­betagte Custódia Teresa starb, wurde sie von ihrer Familie und vom Priester ­entgegen dem neuen Gesetz in der Pfarrkirche von Póvoa de Lanhoso beigesetzt. Der Bürgermeister setzte das neue Recht durch. Teresa wurde von den Gemeindearbeitern aus der Kirchengruft geholt und ohne Zeremonie auf dem neuen ­Gemeindefriedhof verscharrt.
Vier Frauen, alle mit dem Vornamen Maria, wurden als Rädelsführerinnen verhaftet, weil sie die gesetzwidrige Bestattung in der Kirche zu verantworten hatten. Doch am folgenden Tag wurden die vier von einer großen Volksmenge aus dem Gefängnis befreit.
Es begann im friedlichen Minho ein regelrechter Volksaufstand. Mit Knüppeln, Dreschflegeln und Heugabeln zogen wütende Bauern, Arbeiter und Handwerker gegen die Regierungsgebäude. Unter der Führung von Frauen wurden Rathäuser und Gerichte geplündert oder angezündet, die Beamten verprügelt und verjagt. Bald sprang der Aufstand auf das Land südlich des Douro über.
Die Regierung setzte Soldaten in Marsch, um den Aufstand niederzuschlagen. Aber etliche Soldaten liefen über. Den Aufständischen gelang es, die Kaserne von Braga und die Waffenkammer zu stürmen. Somit hatten sie ausgebildete Schützen und tödliche Waffen.
Acht Monate dauerte der Bürgerkrieg. Königin Maria II. schwankte zwischen Angst und Härte. Die Miguelisten, die das absolutistische Königreich zurückwollten, mischten auf Seiten der Aufständischen mit. Maria II. setzte den unbeliebten Regierungschef Cabral ab. Sie sah sich gezwungen, Briten und Spanier um Hilfe zu bitten, die daraufhin tausende Soldaten in den portugiesischen »Guerra da Patuleia« schickten. Schließlich mussten die Revolutionäre aufgeben. Durch die Konvention von Gramido am 30.6.1847 wurden einige wenige ihrer Forderungen erfüllt. Die Regierung hatte gesiegt.
Maria da Fonte tauchte nie wieder auf. Trotzdem (oder deswegen?) wurde sie zur Heldin. Bücher und Lieder wurden über sie verfasst, Denkmäler errichtet, Straßen nach ihr benannt. Salazar lobte sie als Kämpferin für einen strengen Katholizismus. Kommunistische Politiker sahen in ihr eine Revolutionärin, die sich gegen eine diktatorische Regierung auflehnte.
Aber die Frage drängt sich auf: Hat es Maria da Fonte überhaupt gegeben? Oder ist sie nur die Erfindung des Schriftstellers Camilo Castelo Branco, der fast vier Jahrzehnte später (1885) diese Frau zur Heldin eines Romans machte?
Tatsache ist, dass Maria da Fonte in keinem Tauf- oder Sterberegister vorkommt. In keinem Polizeiprotokoll, auf keiner Fahndungsliste, auf keinem Flugblatt taucht sie auf. Ihr richtiger Name ist ungeklärt. Es gibt keine authentische Zeichnung von ihr, keine Zeugenberichte, keine aufgeschriebene Rede.
Wohl aber ist sicher, dass die im März 1846 verhafteten vier Frauen existiert ­haben, denn sie sind aktenkundig. Alle hießen Maria. Bewiesen ist auch, dass der Aufstand wesentlich von Frauen angeführt wurde − eine Seltenheit in der ­europäischen Geschichte.
Ist es vielleicht so gewesen, dass die Volksmeinung und Camilo Castelo Branco verschiedene Frauen und verschiedene Ereignisse in der Person »Maria da Fonte« zusammenführten? Literarisch wird diese Praxis Epitome genannt. Das Forschungszentrum Maria da Fonte in Lanhoso nennt insgesamt sieben Frauen, die Taten und Wesen der Maria da Fonte verkörpern. (Infos unter: www.mariadafonte.pt)
Ob Maria da Fonte als Person existiert hat, ist unter diesen Gesichtspunkten nicht entscheidend. Bedeutsam für die Geschichte Portugals und Europas bleibt, dass sich 1846/47 das einfache Volk gegen die arrogante, tyrannische Behandlung durch die Obrigkeit erhoben hat.

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