Schmeichelhafte lusitanische Botschaften aus Berlin

Cover von Portugal Aktuell 158Cover von Portugal Aktuell 158 · Portugiesische Botschaft Berlin

Newsletter der portugiesischen Botschaft: Indizes und Vorhersagen den Realitäten zuwider • von Eberhard Fedtke und Ana Carla Gomes Fedtke

 
> Es ist stets ein freudiger Anlass, von Freunden aus der Ferne Neuigkeiten zu erfahren, vor allem wenn es um positive Notizen geht, bevorzugt um herausragende Botschaften.
Die portugiesische Botschaft in Berlin praktiziert diese besondere Dienstleistung und veröffentlicht monatliche Berichte zu den Themen »Wachstum, Investitionen sowie Innovationen in Portugal«.
Diese Berichte lesen sich wie eine zaghafte Nachahmung der bekannten »Portugiesischen Briefe«, jener berühmtesten Liebesbriefe der Welt. Die Botschaft zeigt mit behaglich ausgewählten Worten eine glühende tiefe Zuneigung für jedweden wirtschaftspolitischen Erfolg. Portugal wird uns wie ein kleines irdisches Paradies dargestellt.
Betrachten wir einige Beispiele »Botschaften aus Berlin« des Jahres 2018. Lediglich als eine kleine Auswahl, gleichsam als Aperitif dieser »Mitteilungen der diplomatischer Wahrheiten«, teilen wir mit dem Leser die nachstehenden Angaben:
Januar 2018: Ausfuhren und Umsätze der Häfen des Landes sowie der Tourismus erreichten in 2017 Rekorde.
Februar 2018: Portugal zahlte 831 Millionen seiner Schuld von 26,3 Milliarden beim »Internationalen Währungsfonds« – IWF (FMI) zurück.
März 2018: Die Europäische Kommission entschied, dass Portugals Bewertung von »beträchtlich kritische wirtschaftliche Lage« auf »kritische Lage« wechselte.
April 2018: Die Produktion von Energie aus Wasser- und Windquellen erreichte 103% im Bedarfsvergleich des Landes. Portugal vermag somit 
Energie zu exportieren.
Mai 2018: Portugal brilliert international mit IT-Kompetenz und authentischer Kreativität in den neuen digitalen Zentren sowie technischen Exzellenz-Zentren der Firmen Mercedes, BMW und Volkswagen in Lissabon und Porto.
Juni 2018: Der BIP 2009 für Exporte zeigt einen Anstieg von 27,1% auf 43,7% im Jahr 2017. Die Ausfuhr von Schuhen wies eine neue Höchstmarke auf.
Juli 2018: Portugal glänzt unter 51 europäischen Ländern an erster Stelle ausländischer Interessenten für Investitionen. Drei Faktoren sind für ernsthafte Investoren maßgeblich: die soziale Sicherheit der Arbeitnehmer, die potentielle Verstärkung der Produktivität sowie die geringen industriellen Produktionskosten.
August 2018: Die Zahl der Arbeitslosen war 2017 die geringste seit 14 Jahren, geringer als im europäischen Durchschnitt. Für arbeitslose Jugendliche fiel die Zahl seit 2009 unter 20%. 
September 2018: Die Investitionen stiegen von 2013 bis 2017 von 14,9% auf 16,1%.
Oktober 2018: die Schulden Portugals bei der Europäischen Zentralbank fielen im September 2018 auf 18,96 Milliarden Euro. 34.000 neue Firmen wurden gegründet, 16.800 schlossen wieder.
November 2018: Unter den Golfländern nimmt Portugal den ersten Platz als Zielland ein.
Dezember 2018: Portugal erscheint an erster Stelle der Ferienziele, wobei herausragende Attraktionen dabei Lissabon, der Park von Sintra und der Geo-Parque von Arouca bilden. Bis September 2018 fiel die Zahl der Arbeitslosen allgemein um 6,6% und die der arbeitslosen Jugendlichen auf 19,9%.
Ein ehrliches Kompliment zu jedwedem wirtschaftlichen und sozialen Erfolg. Wir jedoch, die in diesem schönen Land mit seinen großen und kleinen Problemen des Alltags leben, haben einige Fragen: Kommen beschriebene enorme Erfolge beim Volk an oder vornehmlich auf Konten einer Elite? Wer vermag von 600 Euro Einkommen monatlich zu leben und davon den Lebensunterhalt sowie neben weiteren Ausgaben eine Wohnung zu bezahlen, vor allem den Sprit, in Europa einer der teuersten. Warum kehren so wenige Emigranten in »mein glorioses und geliebtes Heimatland« zurück, um hierzulande zu arbeiten, zu investieren und Familien zu gründen, wenn die Sozialbedingungen derart exemplarisch sind? Weshalb fliehen alljährlich ungezählte Personen mit Ausbildung und höheren Abschlüssen, vornehmlich Frauen, ins Ausland? Warum entfallen nicht multiple Hindernisse seitens einer komplizierten Administration, welche vielfältige gut geplante Investitionen von Ausländern verhindern? Wer spricht von dem allgemeinen Chaos nicht eingehaltener Fristen, von einer erschreckenden Unpünktlichkeit? Jugendarbeitslosigkeit um die 20% bedeutet eine gute Visitenkarte? 18.96 Milliarden Euros Schulden des Staates stellen eine beruhigende Sachlage dar, nicht zu sprechen von der restlichen Schuld, deren Höhe sich auf 25,5 Milliarden Euro beim IWF bemisst? 34.000 neue Firmen zu eröffnen, in gleicher Periode 16.800 zu schließen, verleiht dem Arbeitsmarkt Sicherheit und Stabilität? Warum sind die schwachen Rechte der Frauen in Portugal noch immer so archaisch? Wann wird das Arbeitsrecht internationalen Standards angeglichen, um Investitionen anzuziehen und zu sichern? Und was die Lehrerschaft anbetrifft, kann es Zustimmung finden, dass diejenige Berufsgruppe, welche zukünftige Generationen unterrichtet, vor ungezählten Hindernissen beruflicher Unwägbarkeiten steht, statt Zugang zu einer angemessenen Karriere zu finden, in welcher Dauerverträge bestehen, nicht zu reden von der skandalösen Tatsache, dass die Berufsträger dieses Sektors Reisekosten zu einer auswärtigen Schule, nicht selten über das ganze Land ausgedehnt, aus eigener Tasche zahlen müssen? 
Und das Ganze wird ergänzt durch ein Gesundheitssystem, das von einer tiefen Krise erfasst ist, sei es allgemein durch das unsichere staatliche Gesundheitssystem, sei es durch Mangel an Fachkräften. Seitdem die jetzige Regierung im Amt ist, stiegen die Kosten für Gesundheit auf 12%, wie Abrechnungen zwischen dem Wirtschafts- und Finanzministerium belegen. Steht das alles nicht in echtem Widerspruch zu  einer internen »Elite« dar, welche von einem wahrhaftigen System nicht steuerbarer Subsidien lebt und dies sich in einem komfortablen Luxusleben widerspiegelt? Wann werden staatliche Maßnahmen für den gesetzlichen und profunden Schutz des einfachen Verbrauchers insbesondere im Banken-, Versicherungs- und Gesundheitswesen getroffen?
Wir  können diese »alternative und objektive Liste« erweitern, zum Beispiel über die famosen Alfa- und Intercity-Züge schreiben, fragile sowie technisch gefahrvolle und miserable Gefährte.
Ein weltweit bevorzugtes Land für Ferien und Golf zu sein, belegt Kreativität und die Gunst der Natur, ist aber lediglich ein kleiner Lichtblick innerhalb einer »unharmonischen Wirtschaft«.
Berlin scheint – für die Botschaft – weit weg von Portugal entfernt zu liegen. Schließen wir gnädig unsere Augen vor vielen verzückenden Glorifizierungen und bemänteln die gewichtigen Realitäten. Schauen wir auf die Straße vor unserem Haus und bleiben mit unserem realen, integren und ehrlichen Alltag, voller Probleme auf dem Gebiet der Ökonomie, mit schwacher öffentlicher Solidarität und fehlender strukturelle Konsolidierung, zufrieden. Ist doch das Improvisieren eine starke Waffe der Portugiesen, hilft mit optimistischen Rezepten gegen jegliches Ungemach des Lebens. Falls nicht, hilft ein Fado-Lied: Portugal als irdisches Paradies – nicht auszudenken, noch nicht.
Für wahrheitsgerechte Perspektiven auch einer froh gestimmten Diplomatie muss »das gesamtökonomische Spektrum« zählen, nämlich die zwei Seiten einer Medaille.
 

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