Interview mit dem Komponisten Manuel Durão

Foto des Komponisten Manuel Durão (Leipzig)

Der Komponist Manuel Durão (Leipzig) · © Andreas Lahn

»Ich muss mich anstrengen!«

Manuel Durão ist Komponist und arbeitet an der Hochschule für Musik und Theater in Leipzig. Er spricht über Musik, die Nelken-Revolution, Fußball und Weihnachten · Fragen von Andreas Lahn

In Lissabon gibt es eine riesige und gesellschaftlich anerkannte Kulturszene. Warum sind Sie nach Leipzig gekommen?

Manuel Durão: Ich bin 2007 im Rahmen des ERASMUS-Programms als Austausch-­Student an die Hochschule für Musik und Theater nach Leipzig gekommen. Eigentlich wollte ich nach Frankreich, aber die Musikhochschule in Lissabon hatte damals keine Partnerschaft mit dem Pariser Konservatorium. Ich hatte vorher sogar schon ein bisschen deutsch gelernt, allerdings nur, um die Sprache der großen Komponisten der Geschichte ein wenig zu verstehen: Bach, Beethoven, Mozart etc. Das erste Semester hier hat mir sehr gut gefallen. Deshalb habe ich später mein Studium hier verlängert. 

Aber Sie haben mit dem Gedanken gespielt, nach Portugal zurückzukehren, oder?

Genau. Ich bin auch nach dem ersten Semester nach Portugal zurückgegangen, um mein Studium zu beenden. Damals hatte ich keine Perspektive in Portugal, weil es weder ein Master- noch ein Aufbau-Studium im Fach Komposition gab. Daher habe ich 2008 die Aufnahmeprüfung in Leipzig gemacht, und blieb dort bis zu meinem Diplom-Abschluss. Ich habe danach in der Meisterklasse studiert − ein Aufbau-Studium. Nach Beendigung wurde mir hier ein Lehrauftrag angeboten.

Die PortugiesInnen werden für Ihre lockere Art zu leben geliebt. Wie kommen Sie mit der deutschen Mentalität klar?

Die Dinge, vor denen man vermeintlich Angst haben könnte − vor der Organisation, Pünktlichkeit, Strenge etc. − waren für mich kein Problem, weil ich in einer Familie aufgewachsen bin, in der Pünktlichkeit immer eine große Rolle gespielt hat. Großen Einfluss hatte, dass mein Vater aus Afrika kommt. Die Kolonien waren stark von der englischen Art und Weise zu leben beeinflusst. Vor allem in Mosambik, Rhodesien, Südafrika. Ich glaube, die Deutschen können auch sehr locker sein, wie auch die Portugiesen streng, pünktlich und organisiert sind. Die Deutschen genießen z.B. sehr ihren Urlaub und ihren Feierabend. Im Portugiesischen gibt es kein Wort für Feierabend. Es gibt eine Kultur der Freizeit in Deutschland. Die Deutschen gehen gerne wandern, in die Natur, machen Ferien am Meer etc.

Was genau machen Sie als künstlerischer Mitarbeiter für Tonsatz und Gehörbildung an der HMT Leipzig?

Ich unterrichte Tonsatz, d.h. Musiktheorie oder Komposition. Gehörbildung soll das Gehör schulen, um aufmerksamer und auch präziser hören zu können. Wenn etwas gespielt wird, soll man aufschreiben können, was gespielt wird, also die Umwandlung von Klängen in die Notation und auch anders herum. Man muss die Zusammenhänge der Klänge verstehen, um es aufschreiben zu können. Eigentlich bin ich Komponist. An der Hochschule gibt es verschiedene Studiengänge von Komposition und Tonsatz: Wie schreibt man Musik, wie komponiert man, was gibt es für Regelwerke…

Sie scheinen Bach und Beethoven zu mögen. Nach welchen Kriterien wählen Sie Komponisten aus?

Bach und Beethoven sind Komponisten, an denen niemand vorbeikommt, der Musik studiert. Ich wähle keine Komponisten aus. Ich mag Musik allgemein, und Musik, die mir gefällt, höre ich gerne. Es gibt also keine Auswahl.

Ihre Werke werden vom MDR-Sinfonie-Orchester, den Opern in Hamburg und Leipzig aufgeführt. Macht Sie das stolz?

Ja, natürlich macht mich das stolz. Aber wenn meine Stücke gespielt werden, ist wichtig, dass sie den Musikern und dem Publikum gefallen. Das ist das Schönste für einen Komponisten. Und es ist eine sehr schöne Erfahrung, für große Opern-Häuser arbeiten zu dürfen. Es ist sehr interessant, und man lernt dabei viele Leute kennen.

Sind das Auftragsarbeiten oder bieten Sie Ihre Arbeiten an?

In Leipzig war es so, dass ich das Werk dem Chef-Regisseur Peter Konwitschny bei einem Speed-Dating angeboten habe. Es kamen einige wichtige Leute aus der Musikszene in die Hochschule. Man durfte mit denen zwei Minuten sprechen. Einige Monate später kam die Nachricht, dass das Stück in Leipzig gespielt werden soll. Manchmal gibt es solche Situationen. In Hamburg wurde ich beauftragt, das Stück zu komponieren, also die Musik für ein Theaterstück zu schreiben. 

Aber einen solchen Auftrag erhalten Sie vermutlich nur dann, wenn Sie schon bekannter in der Szene sind, oder?

In Hamburg war es so: Ich war von 2013 bis 2015 Stipendiat der Deutschen-Bank-­Stiftung. Zu dem Programm gehörte, dass man am Ende mit den anderen Stipendiaten einen Abend an der Oper gestaltet. Ich habe die Musik komponiert, andere haben die Inszenierung gemacht, die Dramaturgie, das Bühnenbild etc.

Woran arbeiten Sie gerade?

Zur Zeit bin ich mit der Vorbereitung des Unterrichts beschäftigt, weil ich in diesem Semester mehr Fächer habe als ich bisher unterrichtet habe. Deshalb komme ich zur Zeit gar nicht zum Komponieren, sondern muss erst einmal Lehrmaterial für die Hochschule erarbeiten. Allerdings habe ich weitere Kompositionsaufträge.

Sie spielen Trompete und Pauke. Spielen Sie diese Instrumente manchmal bei öffentlichen Aufführungen?

Pauke spiele ich hin und wieder bei Konzerten. Als ich Komposition studiert habe, habe ich zusätzlich noch Klavierspielen gelernt. Das hat viel Zeit gekostet, auch weil mit 20 Jahren erst relativ spät angefangen habe. Man sagt auf portugiesisch »Burro velho não aprende lição« (Ein alter Esel lernt keine Lektion.). Dadurch hatte ich keine Zeit mehr, Trompete zu spielen. Die Trompete ist ein Instrument, das Kondition braucht und besonders viel Übung. Und wenn man dann wieder zur Trompete greift, ist man unglücklich darüber, wie schräg die Töne rauskommen. Das macht natürlich wenig Spaß!

Es ist ja ein Unterschied, ob man komponiert, dirigiert oder ob man selbst irgendwo als Musiker mitspielt

Die Hochschule bildet vor allem Instrumentalisten aus. D. h., Musiker, die dann im Orchester spielen, Jazz, Pop-Musik etc. Ich mache oft folgenden Vergleich, vielleicht deshalb, weil mein Vater Architekt ist: Ich sehe mich eher als Architekt. Ich mache das Projekt, wie die Musik klingt, und andere müssen es dann umsetzen. Ich mache also die Planung, und andere müssen es dann umsetzen. Ich mache die Planung, und andere Spezialisten, die besser sind als ich, spielen.

In Deutschland wird portugiesische Musik häufig mit dem Fado verbunden. Hören Sie selbst Fado?

Natürlich. Für mich ist Fado ein enormer Reichtum. Kaum eine andere Stadt in der Welt hat etwas Vergleichbares. Lissabon hat mit dem Fado ein eigenes Musik-Genre, vergleichbar vielleicht mit New Or­leans und seinem Jazz. Vor allem die großen Namen wie Amália oder Mariza und auch die Fado-Komponisten, die oft nicht erwähnt werden, sind Musiker von Weltniveau. Es ist richtig, dass der Fado ein Aushängeschild für Portugal ist. Ich habe vor einigen Wochen im Unterricht Fado als Beispiel benutzt. Die Studenten mussten dann die Melodie abschreiben.

Der Fado wird ja ein wenig in Einklang gebracht mit den Hörgewohnheiten der Leute, die die Tickets für die großen Konzerte kaufen sollen. Stört Sie diese Kommerzialisierung? 

Ich kenne Fado vor allem aus den kleinen Kneipen in Lissabon. Es ist gemütlich, Fado in einem kleinen Raum zu hören. Aber ich akzeptiere, dass Fado auch ein großes Publikum erreichen muss. Es ist natürlich nicht das Gleiche. Wenn man den ursprünglichen Fado hören will, sollte man das eher in den kleinen Kneipen Lissabons tun.

Sie sind 1987 geboren und haben Salazar-Diktatur und Nelken-Revolution nicht miterlebt. Beschäftigen Sie sich mit portugiesischer Geschichte?

Es wird natürlich in der Schule vermittelt. Aber auch meine Eltern haben mir erklärt, wie wichtig dieses Ereignis ist. Mein Vater ist in Mosambik geboren. Nach der Nelken-Revolution wurden die Kolonien unabhängig. Meine Mutter lebte in Lissabon und hat miterlebt, wie es unter der Diktatur war. Für sie ist dieses Datum immer sehr wichtig. Wir sind oft zusammen zu der Kundgebung am 25. April in Lissabon gegangen, wo die Revolution gefeiert wird. Meine Eltern haben mir dieses Datum immer als wichtigen Wendepunkt in der portugiesischen Geschichte vermittelt. Auch als Öffnung in Richtung Europa. Das war auch für die Entwicklung sehr wichtig. Man kann Portugal von 1974 nicht mit dem Portugal in den 1990er Jahren vergleichen.

Ihr Vater hat also ursprünglich in Mosambik gelebt und hat Ihre Mutter in Lissabon kennengelernt?

Mein Vater ist in den 1950er Jahren in Mosambik geboren, und ist zum Studieren nah Lissabon gekommen, wo er meine Mutter kennengelernt hat. Ich war leider noch nie dort, wo mein Vater geboren wurde. 

Interessieren Sie sich für Fußball?

Ja. Vor allem, wenn die portugiesische Nationalmannschaft spielt. Gestern haben sie gegen die USA 1:1 unentschieden gespielt.

Sie sind in Lissabon geboren. Sporting oder Benfica?

Ich bin Fan von Belenenses, dem drittgrößten Club in Lissabon, der auch in der ersten Liga spielt.

Und das Spiel von Leipzig gegen Porto?

Am spannendsten fand ich, dass das portugiesische Fernsehen live vom Augustus-Platz berichtet hat. 

PortugiesInnen haben eine Vielzahl an Weihnachtsbräuchen. Sie auch?

Ja, auf jeden Fall! Ich fahre über Weihnachten immer nach Portugal zu meiner Familie. Da gibt es vor allem immer sehr viele schöne Sachen zu essen. Am 24. Dezember gibt es Stockfisch, und am 25. dann Ente. Einen Weihnachtsbaum gibt es auch, aber typisch portugiesisch ist die Krippe mit ganz vielen kleinen Figuren. In der alten Fischhalle wird zu Weihnachten immer eine riesige Landschaft aus kleinen Figuren und Häuschen gebaut. Wir besuchen auch Verwandte in Nazaré, weil meine Mutter von dort kommt.

Gibt es im nächsten Jahr wieder »Música e Poesia« in Leipzig?

Geplant ist es für 2019 mit dem Zusammentreffen von 45 Jahre Nelken-Revolution und 30 Jahre Mauerfall. Das Konzert soll dann am 25. April stattfinden. Bis dahin sind es noch eineinhalb Jahre.

Welche Wünsche und Hoffnungen haben Sie für die Zukunft?

Ich hoffe, dass das europäische Projekt erhalten bleibt. Ich glaube sehr daran. Was ich selbst bis heute erreicht habe, war nur möglich, weil es die Europäische Union gibt. Europa sollte mehr zusammenwachsen als in einer Vielzahl kleinerer Staaten zersplittert zu werden. Wir müssen kooperieren, damit Europa stärker und effizienter wird.

Haben Sie auch persönliche Wünsche?

Ich würde gerne wieder am Theater arbeiten, weil ich mich dort sehr wohl fühle und ich das Gefühl habe, dort etwas Neues schaffen zu können: Neue Musik, neue Theaterstücke. Das würde mir großen Spaß machen.

Wie stehen die Chancen?

Ich muss mich anstrengen! (lacht)

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