Freies Timor-Leste

Foto: Lehrer im Teacher Training College in BacauLehrer im Teacher Training College in Bacau · Foto: © Dr. Alexander Loch

Seit 20 Jahren unabhängig    von Andreas Lausen

> Es kommt nicht oft vor, dass ein Land an zwei verschiedenen Tagen seine Unabhängigkeit feiert. Bei Timor-­Leste ist es so. Der kleine Staat zwischen Indonesien und Australien erreichte seine Freiheit am 28. November 1975 und am 20. Mai 2002.

1512  erreichten portugiesische Seefahrer die Insel Timor, gründeten dort Stützpunkte und benutzten sie als Basis für den lukrativen Handel mit Gewürzen und Holz von den feindlich gesonnenen Molukken. Die Portugiesen hatten weder Bedarf noch Möglichkeiten, Timor intensiv zu kolonisieren und beschränkten sich auf einige Handelsposten an der Küste. Erst als Folge der Nelken-Revolution 1974 bereitete sich Portugal auf die Unabhängigkeit seiner fernen Provinçia do Ultramar vor. Partner war die Freiheitsbewegung FRETILIN, die 1975 in ­einer feierlichen Zeremonie das Regierungsmandat im unabhängigen Timor erhielt.

In den politisch unruhigen Zeiten hatte Portugal es unterlassen, die Unabhängigkeit international abzusichern. Das Nachbarland, die regionale Großmacht Indonesien, sowie die durch den desaströsen Vietnamkrieg verunsicherten USA und Australien fürchteten völlig zu Unrecht einen kommunistischen Kleinstaat im westlichen Einflussbereich. ­Ermuntert von den beiden Partnern überfielen am 7. Dezember 1975 starke indonesische Truppen das schutzlose ­Timor-Leste (Ost-Timor) nur acht Tage nach seiner Unabhängigkeit und machten es gegen jedes Völkerrecht zur ­36. indonesischen Provinz.

Anfangs bemühte sich Indonesien, das Land durch Investitionen in Straßen, Wasserversorgung und Häfen zu modernisieren. Dennoch begannen einige Hundert Fretilin-Anhänger einen eigentlich aussichtslosen Guerillakrieg in den Bergen. 

Indonesien schlug unter dem Diktator Suharto den harten Kurs ein. Tausende Siedler von der übervölkerten indonesischen Hauptinsel Java wurden angesiedelt − auf Land, das den timorischen Bauern geraubt wurde. Die timorische Kultur und die katholische Religion (der damals nur 25 % der TimorerInnen angehörten) wurden unterdrückt, die portugiesische Sprache verboten. Immer wieder wurden TimorerInnen gefoltert, ermordet und vertrieben.  

 Je härter Indonesien herrschte, desto erbitterter wurde der Widerstand. Wo am Tag die indonesischen Truppen herrschten, regierten nachts die Freiheitskämpfer. Durch Überfälle auf indonesische Kasernen und Patrouillen erbeuteten sie Waffen und Verpflegung. Indonesien riegelte Ost-Timor völlig von der Außenwelt ab. 

Die Welt interessierte sich nicht für den abgelegenen Konflikt. Für Europa, Australien und Nordamerika waren die guten Beziehungen zum aufstrebenden Indonesien wichtig. Der Ost-Timor-Konflikt stieß weitgehend auf Desinteresse und wurde auch vom deutschen Kanzler Helmut Kohl und danach von Außen­minister Joschka Fischer als lästige Störung empfunden. Kohl war mit dem damaligen Präsidenten Indonesiens, Yussuf ­Habibie, persönlich befreundet und lieferte 1993 an Indonesien 29 Kanonen­boote aus stillgelegten DDR-Beständen.

Nur die Länder portugiesischer Sprache, allen voran Portugal und Moçambique, mahnten die Menschenrechte der TimorerInnen immer wieder an. Und tatsächlich − der Besuch des Papstes Johannes Paul II. 1989 zeigte den TimorerInnen, dass sie nicht allein standen. 

Als am 12.11.1991 indonesische Truppen ein Begräbnis auf dem Cemitério de Santa Cruz in Dili stürmten und ein Massaker an hunderten timorischen Trauergästen anrichteten, konnte ein britischer Reporter Filmaufnahmen des grausamen Terrors nach Australien schmuggeln. Da schlug die Weltmeinung um. 

Die Verleihung des Friedensnobelpreises 1996 an den tapferen Bischof von Dili, Carlos Ximenes Belo, und den gewalt­losen Fretilin-Aktivisten José Ramos ­Horta bewirkten bei Politikern wie Bill Clinton und Kofi Annan ein Umdenken. 

Die damalige indonesische Präsidentin Megawathi Sukarnopútri war es schließlich, die die Herrschaft ihres Landes in Ost-Timor in Frage stellte und einer Volksabstimmung zustimmte. Diese wurde 2001 unter UN-Kontrolle durchgeführt und brachte 85 % für die Unabhängigkeit. 

Am 20. Mai 2002 wurden in einer eindrucksvollen Feier die TimorerInnen frei. Timor wird seitdem demokratisch ­regiert. Die Wahlen verlaufen frei und gewaltlos. Dennoch sind die Probleme übermächtig. 15 Sprachen, die teilweise so verschieden sind wie Deutsch und Finnisch, werden von den knapp 30 Völkern des Landes gesprochen. Nicht allen TimorerInnen gefällt es, dass Tetum (eine malaiische Sprache) und Portugiesisch die beiden Staats- und Schulsprachen sind. Die Einnahmen aus dem unter dem ­Meeresgrund geförderten Erdöl sind mit Australien umstritten.

Besonders die jungen Menschen von Timor-Leste sind unzufrieden. Sie wollen eine schnellere Teilhabe an dem erwarteten Wohlstand. Stattdessen fühlen sie sich um ein bisschen Lebensqualität ­betrogen. 

Einigende Klammer ist die katholische Kirche, zu der sich nach der jüngsten Volkszählung 97,6 % des Volkes bekennen. Darin drückt sich auch der Dank aus, den die Menschen der einzigen Institu­tion entgegenbringen, die während der indonesischen Terrorherrschaft selbstlos für sie da war. 

Auch Portugal besitzt heute einen guten Ruf. Als die Mannschaft um Cristiano Ronaldo 2016 Europameister im Fußball wurde, schwappte eine heiße Welle der Begeisterung durch Timor-Leste, begleitet von tausenden portugiesischen ­Fah­nen. In der Gemeinschaft der Länder portugiesischer Sprache CPLP arbeitet Timor-Leste eng mit den anderen acht Staaten zusammen. 

Eine ausführliche Zusammenfassung der eindrücklichen Feiern von 2002 ist zu finden auf Youtube: «Restauracao Independencia Timor Leste 2002» (2 Teile, zus. 130 Minuten, in portugiesischer Sprache).

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