Peniche: Ein Museum für die Winde und Wellen der Freiheit

Foto vom «Museu Naçional da Resistência e da Liberdade» in PenicheEhemaliges Gefängnis in Peniche wird Museum · © Thomas Fischer (Lissabon)

Unter Salazar Gefängnis, jetzt Museum • von Thomas Fischer

> In Portugal gibt es schon längst Nationalmuseen für Kunst und Kutschen, Archäologie und Azulejos, Theater und Trachten. Nun entsteht ein Nationalmuseum für den Widerstand und die Freiheit − an einem symbolträchtigen Ort.
Wuchtige Mauern umgeben die Festung aus dem 17. Jahrhundert, auf einem Felsvorsprung gleich am tosenden Meer. Noch vor wenigen Jahren war im Gespräch, diese Anlage für den Bau eines Hotels an private Investoren zu verpachten. Hier sollten Touristen die Aussicht auf das Meer genießen und sich raue Winde um die Ohren sausen lassen. Aber diese Idee galt doch bald als makaber. Allzu lebendig ist die Erinnerung an ein Kapitel der jüngeren Geschichte, das am 27. April 1974 ein Ende fand.
An jenem Tag, zwei Tage nach der festlichen »Nelkenrevolution« in Lissabon, versammelte sich auch hier, in der Fischerstadt Peniche, 100 Kilometer nördlich der Hauptstadt, eine riesige Menge. Sie feierte begeistert die Freilassung der Häftlinge aus dieser Festung, die unter der Salazar-Diktatur als Hochsicherheitsgefängnis für Oppositionelle gedient hatte. Unter ihnen war der damals 24-jährige José Pedro Soares. Er ist heute Mitglied einer Kommission für die Einrichtung des Nationalmuseums für den Widerstand und die Freiheit (Museu Nacional da Resistência e da Liberdade), das hier nach und nach entsteht.
Er war einer der mindestens 2510 politischen Häftlinge, die unter dem faschistischen Diktatur der Jahre 1926 bis 1974 irgendwann hier einsaßen. Auf einer Mauer sind alle ihre Namen eingraviert, also auch der von José Pedro Soares. Als sie am 45. Jahrestag der Befreiung feierlich eingeweiht wurde, waren er und andere ehemalige Häftlinge mit dabei.
Viele der Surfer, bei denen sich die mächtigen Wellen vor diesem Küstenabschnitt herumgesprochen haben, gehen an der Festung einfach vorbei. Sie symbolisiert wie wenige andere Bauten im Land die Diktatur von António Oliveira Salazar, Regierungschef der Jahre 1932 bis 1968. Er ließ in den 1950er Jahren die Zellentrakte für bis zu 154 Häftlinge in ihrer heutigen Form bauen. Unter den Häftlingen waren unter anderem Anhänger der Ersten Republik (1910-1926), Anar­cho-Syndikalisten und Kommunisten.
Anfang April hat José Pedro Soares noch eine Gruppe von Journalisten durch das frühere Gefängnis geführt. »Manchmal kommen noch die Gefühle hoch« entschuldigt sich der jetzt 69-jährige Ex-­Häftling, wenn ihm der Knoten im Hals das Sprechen erschwert, um dann beim Rückblick auf den Tag der Befreiung doch wieder zu strahlen.
Er war elf Monate in Peniche inhaftiert. In einem der jetzt leer stehenden Trakte, die später zum Museum gehören sollen, findet er gar seine frühere Zelle mit vergittertem Fenster, das einen Blick auf das Meer erlaubt. »Ich konnte das Meer aber nicht sehen, denn das Glas war damals getrübt«, erinnerte er sich. Er hörte immerhin das Kreischen der Möwen und das Tuckern der zum Fang auslaufenden ­Fischerboote.
Am 25. April 1974 kamen neue Laute hinzu − das festliche Hupen von Autos. Klarheit über den Anlass bekamen die Insassen über den Fernsehapparat, den es seit kurzer Zeit im Gefängnis gab. Weil die Diktatur fiel, sollte auch die Haftstrafe von dreieinhalb Jahren, zu der José ­Pedro knapp ein Jahr zuvor für die illegale Kommunistische Partei verurteilt worden war, vorzeitig enden.
Er war gerade 21 Jahre alt, als ihn die Geheimpolizei fasste. Er würde lebend nie frei kommen, sei ihm gesagt worden, wenn er nicht verrate, welche Genossen gewisse Decknamen versteckten. José Pedro berichtet, dass er drei Wochen lang unter Folter verhört worden sei, mit Schlafentzug und Schlägen, aber geschwiegen habe. »Wir hatten alle so ein Blatt«, sagt er dann und zückt eine Kopie seines Auszuges aus dem polizeilichen Register mit Information über die Haftstrafe, die er in Peniche verbüßen sollte. Es habe dort zwar keine Folter gegeben, sagt er, denn die Häftlinge seien meist schon verurteilt gewesen. Und doch sei alles getan worden, um sie zu brechen. Er habe dort phantastische Menschen kennengelernt. Manche Häftlinge hätten von Mitinsassen erst das Lesen und das Schreiben gelernt.
Während er erzählt, stockt er, wenn er sich an schwere Schicksale erinnert. Aber seine Augen leuchten, wenn er etwa beschreibt, wie dem bekannten Kommunistenführer Álvaro Cunhal (1913–2005) mit einer Gruppe weiterer Häftlinge im Januar 1960 eine absolut spektakuläre Flucht gelang. José Pedro wirkt jetzt nicht nur als Zeitzeuge bei der Gestaltung des Museums mit. Er hat sich auch in die Geschichte der Diktatur und dieses Gefängnisses vertieft. Hierfür begibt er sich öfter auch ins Staatsarchiv in Lissabon, um in Akten der Geheimpolizei PIDE/DGS zu stöbern. Fast 30.000 Festnahmen sind dort aktenkundig, aber die wahre Zahl dürfte höher sein.
Das Museum »wächst« noch. Zugänglich sind, neben der Mauer mit den Namen der Häftlinge, derzeit eine Ausstellung «Por Teu Livre Pensamento» (Für die Freiheit deiner Gedanken) und der Raum, in dem die Häftlinge unter strenger Bewachung mit Besuchern reden konnten. An die Gefangenen in Peniche dachte offenbar aber auch, noch zu Zeiten der Diktatur, die berühmte Fado-Sängerin Amália Rodrigues (1920−1999) in ihrem als «Fado de Peniche» bekannten Lied «Abandono» (sinngemäß »Verlassenheit«). »Weil du frei gedacht hast, haben sie dich weit weg eingesperrt, so weit, dass mein klagender Schrei dich nicht erreicht«, sang sie. Ihr Fado endet mit »Wenigstens hörst du den Wind, wenigstens hörst du das Meer«. Auch ohne die Erwähnung von Peniche sah die Zensur jener frühen 1960-er Jahre darin eine Anspielung −und verbot das Lied.

Die Gefängnisse der Salazar-Diktatur
Nicht nur in Peniche saßen Gegner der Salazar-Diktatur ein. An einer weiteren Stätte von Folter und Verfolgung rattern in Lissabon sogar die Trams der Linie 28 vorbei. Gleich gegenüber der Kathedrale erheben sich die Gemäuer des Aljube, das von 1928 bis 1965 als politisches Gefängnis diente und heute ein kommunales Museum beherbergt. Zu sehen sind unter anderem winzige Zellen für Häftlinge, die bei der Geheimpolizei PIDE/DGS verhört und gefoltert wurden. Viele Regimegegner kamen auch in die Haft-anstalt von Caxias, westlich von Lissabon, wo − wie in Peniche − die politischen Gefangenen am 27. April 2974 die ersehnte Freiheit erlangten. Gefängnisse für politische Häftlinge gab es in Portugal auch in Porto und auf der Azoren-Insel Terceira.
Zahlreiche Oppositionelle deportierte das Regime derweil nach Tarrafal auf der Kapverden-Insel Santiago, wo Salazar 1936 das berüchtigte »Lager des langsamen Todes« eröffnen ließ. Im Jahr 1954 wurde es geschlossen, in den 1960er Jahren aber für die qualvolle Inhaftierung von Kämpfern für die Unabhängigkeit der afrikanischen Kolonien wieder in Betrieb genommen. Erst mit dem Sturz der Diktatur ging diese Zeit zu Ende.

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