Was ist der einzig »richtige« Weg?

Bild des Covers von Dagmar Fohls RomanCover des Romans von Dagmar Fohl · © Gmeiner Verlag

Zum Roman von Dagmar Fohl über Aristides de Sousa Mendes    von Andreas Lahn

> Über das Leben von Aristides de Sousa Mendes ist schon viel geschrieben worden. Deshalb bin ich skeptisch, was ein Roman über ihn Neues sagen kann. Die reißerische (überflüssige) Beschreibung »Der portugiesische Oskar Schindler« lässt meine Skepsis eher wachsen. Doch was die in Hamburg lebende Autorin Dagmar Fohl auf 220 Seiten schreibt, begeistert mich allein deshalb, weil sie es schafft, das Jahr 1940 lebendig werden zu lassen. Ich bin ein ganzes Wochenende gefangen in dieser für Millionen Menschen schwierigen Zeit und kann − ansatzweise − mitempfinden, welches Leid der Nazi-Terror verursacht.
Und den Roman von Aristides de Sousa Mendes selbst erzählen zu lassen, ist schlicht eine wundervolle Idee. Schade nur, dass die Geschichte nicht im Präsens erzählt wird, dann wären die LeserInnen noch intensiver Teil der Ereignisse.
Mendes dient unter der portugiesischen Salazar-Regierung als Generalkonsul in Bordeaux. Als immer mehr Menschen vor der Verfolgung durch die Faschisten fliehen, verweigert Salazar ihnen die benötigten Transit-Visa für eine Weiterfahrt von Portugal nach Übersee. Die Menschen stranden vor dem Konsulat in Bordeaux. Dagmar Pohl schildert akribisch die persönliche Situation von Sousa Mendes, wie er schwankt zwischen dem Gehorsam zu Salazar und der Rettung der Verfolgten in so eindrucksvoller Art und Weise, dass man selbst in den »Gewissenskonflikt« hineingezogen wird. Spätestens als Rabbi Chaim Krüger das angebotene Visum mit der Begründung verweigert, er nehme es nur, wenn alle anderen Flüchtlinge auch ein Visum kriegen, beschließt Sousa Mendes, sich Salazars Befehlen zu widersetzen und sagt: »Es gibt Augenblicke des inneren Aufruhrs, wo einem das Herz sagt, welches der einzig richtige Weg ist.« (S. 123). 
Mit diesem Gefühl im Herzen arbeiten er und seine Mitarbeiter rund um die Uhr und stellen im Juni 1940 mehr als 30.000 Transit-Visa für Portugal aus, eine Aktion, die unzähligen Menschen das Leben rettet und ihnen einen Neuanfang in anderen Teilen der Welt ermöglicht.
Sousa Mendes wird nach Portugal zurückbeordert, wo Salazars Gerichte dafür sorgen, dass ihm die Fähigkeit, ein Konsulat zu führen, aberkannt wird. Er wird für ein Jahr vom Dienst suspendiert und in den vorzeitigen Ruhestand versetzt: »Ich war gefangen in meinem eigenen Schicksal und ein Gefangener im eigenen Land.« (S. 148)
Trotzdem hat er seine Entscheidung nie in Frage gestellt. Das ist bei allen Entscheidungen so, die wirklich vom Herzen kommen. Natürlich nimmt er das Urteil nicht hin und kämpft einen aussichtslosen juristischen Kampf gegen das, was für ihn Unrecht ist. Doch Salazars Gefolgsleute kennen kein Erbarmen. Mendes verliert sein Einkommen, sein Haus, und seine Kinder dürfen nicht an der Universität studieren. »Ich blieb als gekrümmter morscher Eukalyptusbaum in einem verwüsteten Wald zurück.« (S. 198) 
Nach dem Tod seiner langjährigen Ehefrau Angelina kümmert er sich um seine Geliebte Andrée, mit der er ein viele Jahre verheimlichtes Kind gezeugt hat, und heiratet sie 1948. Doch für sein Leben gilt: »Ich sitze in einem Boot, das mich Ruderschlag für Ruderschlag von der Welt entfernt.« (S. 209) Er stirbt verarmt am 3.4.1954 im Armenspital des Franziskaner­ordens Ordem Terceira. Auf seinem Grabstein steht: »Wer ein Leben rettet, rettet die Welt.« Leider gehören die Rettenden manchmal nicht mehr zur Welt dazu …
Dagmar Fohl schreibt »Romane über Menschen in Grenzsituationen«. Das ist ihr mit diesem grandiosen Buch auf geradezu wunderbare Art und Weise gelungen. Vielleicht trägt es eines Tages dazu bei, Menschen in ähnlich dramatischen Entscheidungssituationen den Weg des Herzens gehen zu lassen. Je öfter das nämlich der Fall wäre, desto angenehmer würde es sein, in dieser Welt zu leben. 
1986 wird in der Jerusalemer Gedenkstätte Yad Vashem in der »Allee der Gerechten« ein Baum für Mendes gepflanzt. Merkwürdig spät − nämlich erst 1988 − wird er in Portugal rehabilitiert und  posthum wieder ins diplomatische Corps aufgenommen. Er erhält den höchsten Orden Portugals. Und 1995 erklärt Mario Soares ihn zum »größten Helden des 20. Jahrhunderts«.
Weitere Informationen über das Leben von Aristides de Sousa Mendes finden Sie unter www.sousamendesfoundation.org und centerofportugal.com.

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