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Maria und Eusébio

Das Cover des Buches »Maria und Eusébio«

Bericht über die Lesung von Michael Longerich am 26.1.2022 in Berlin    von Michael W. Wirges

> Michael Longerich wurde 1959 in Freiburg im Breisgau geboren. Nach dem Abitur studierte er Geschichte, Germanistik sowie Politikwissenschaften. Er wohnt seit 1989 mit seiner Familie in Tønder (Dänemark) und arbeitet dort als Gymnasiallehrer. Seit einigen Jahren schreibt er Kurz­geschichten und Romane, wobei Maria und Eusébio als sein zweiter Roman veröffentlicht wurde.

Michael Longerich lud zur Lesung seines neuen Buches Maria und Eusébio ins Hotel Friedenau − das Literaturhotel in Berlin ein, in den gemütlichen Uwe-Johnson-Salon, dessen Interieur einen sofort an die Salons des neunzehnten Jahrhunderts erinnern ließ.

Foto von Michael Longerich bei der Lesung am 26.1.2022 in Berlin

Michael Longerich bei der Lesung am 26.1.2022 in Berlin · © Michael W. Wirges

Der Roman erzählt von dem Kindermädchen Maria, die 1960 auf dem Flug von Lourenço Marques (heute Maputo) nach Lissabon neben dem späteren portugiesischen Fußballstar Eusébio sitzt. Sie schätzt Eusébio sehr, auch für den Mut, fern von seiner Heimat neu anzufangen. Sie selber, die wie Eusébio aus Mosambik stammt, soll bei der Familie eines Bankdirektors als Kindermädchen arbeiten. Bald stellt sich heraus, dass nicht nur die Kinder sie als Afrikanerin ablehnen, und der Herr Bankdirektor mehr von ihr verlangt, als nur den täglichen Dienst in seinem Hause. Selbst ein katholischer Pfarrer, dem sie sich anvertraut, erweist sich als Verräter und lässt sie mit der Polizei wieder zu ihrer Herrschaft zurückbringen, wo sie weiterhin unter den sexuellen Übergriffen ihres Herrn leiden muss. Bei einem zweiten Fluchtversuch gelingt es der Afrikanerin, aus dem Hause zu fliehen, um selbstbewusst ein neues Leben zu beginnen.

Eusébio, in den sie sich verliebt hatte, begegnet sie nur einmal kurz bei einem Fußballspiel im Stadion, ansonsten verfolgt sie sein Leben über Presseartikel und bei Fußballspielen im Fernsehen, bis zu seinem Tode im Jahre 2014. Er bleibt jedoch in ihrem ganzen Leben präsent. Michael Longerich hatte meiner Meinung nach wohl nicht eine Liebesgeschichte zwischen Maria und Eusébio im Visier, sondern eher den Gedanken der persönlichen Freiheit und Entfaltung ­eines Menschen zu schwierigen Zeiten eines autoritären Regimes, das Portugal damals unter Salazar führte. Der Titel des Buches führt also eher in die Irre, besser wäre meiner Meinung nach Maria, Eusébio und der Gedanke der Freiheit. Es wird vorwiegend Marias Streben nach Glück und Freiheit beschrieben, Eusébio tritt eher als ihr Idol auf.

Ein näherer Bezug zu Portugal wird vor allem von KennerInnen des Landes vermisst.

Die Lesung war für den DPG-Landesverband Berlin / Brandenburg ein zum Jahresanfang gelungener Auftakt der DPG-Encontros. Für die Gäste der Lesung und die teilnehmenden Mitglieder der DPG war es ein schöner, gemütlicher Abend, begleitet von einem guten Glas Rotwein, in der gediegenen Atmosphäre des vorletzten Jahrhunderts.

Herrn Longerich wünsche ich alles Gute und viel Erfolg bei seinen künftigen schriftstellerischen Arbeiten!

Bus fahren auf Madeira

Foto der Ponta de Sao Lourenço (Madeira)

Preise, Tipps und Routen    von Gunthard Lichtenberg

> Auch dieses Mal waren wir im ­Dezember (2021) bis in den Januar hinein in Funchal auf Madeira. Inzwischen ist das ja vertrautes Gelände, es war immerhin das fünfte Mal. Neu jedoch war, dass wir dieses Mal keinen Mietwagen hatten. Die Preise waren zeitweise exorbitant hoch, und so beschlossen wir, konsequent auf den angebotenen Busverkehr zurückzugreifen. Für Funchal und einige Destinationen außerhalb sind die Horários do Funchal (HF) zuständig.

Foto zur Weihnachtsstimmung in Funchal 2021

Weihnachtsstimmung in Funchal · © Gunthard Lichtenberg

Anzumerken ist weiterhin, dass wir wieder in unmittelbarer Nähe des Fórum Madeira wohnten. Vorteil: Bushaltestellen in beiden Richtungen. Und nebenbei ist hier auch die Haltestelle des Aerobus zum Flughafen: 5 Euro pro Fahrt.

So erwarben wir einen 30-Tage-Pass von HF für den Stadtverkehr von Funchal, Startdatum beliebig wählbar. Ein Passfoto sollten Sie dabei haben, wenn Sie zur Hauptstelle im Anadia-Einkaufszentrum, schräg gegenüber vom Mercado dos Lavradores, gehen. Wenn Sie auch Ziele außerhalb von Funchal mit Horários erreichen wollen, können Sie für 40 Euro die Version Interurbano kaufen.

Die Dame am Schalter hatte gerade nicht viel zu tun, und so füllte sie für uns den umfangreichen Antrag aus. Wir mussten nur noch  unterschreiben. Kurze Zeit später hielten wir den Pass mit Namen und Bild im Scheckkarten-Format in Händen. Kostenpunkt: 30 Euro für 30 Tage, das heißt 1 Euro pro Tag für beliebig viele Fahrten. Das erstmalige Ausstellen der Karte kostet 5 Euro.

Mit Pass und Netzplan der Busse ausgerüstet unternahmen wir eine ganze Reihe von Fahrten zu Zielen innerhalb Funchals, die uns wegen ihrer Hanglage reizvoll schienen. Hier die Auswahl:

  • Bus Nr. 48 von Nazaré nach Monte. Bei der Anfahrt kommt der Bus am Fórum Madeira vorbei, wo ja unser Quartier lag. Die Fahrt ist spektakulär und überraschend, weil es nicht einfach nur bergauf geht, sondern, wenn man die eine Höhe erklommen hat, geht es erst einmal steil bergab und erst dann wieder bergauf, weil unterwegs noch andere Stadtteile angefahren werden. Das wiederholt sich zwei Mal, bis man dann wirklich Monte erreicht. Zwischendurch gibt es atemberaubende Ausblicke und fast dramatische Momente, wenn es an steilen Abgründen entlang um enge Kurven bergauf oder bergab geht. Die Rückfahrt unternahmen wir dann von der anderen Seite des Monte aus mit Bus Nr. 22, der uns in manchmal halsbrecherisch erscheinender Fahrt wieder hinunter an die Uferpromenade der Stadt brachte. 
  • Bus Nr. 43 von Praia Formosa nach Romeiras. Diesen Bus nahmen wir eigentlich nur, weil wir uns die Mühe des Fußmarsches von der Praia Formosa hinauf zur Estrada Monumental ersparen wollten. Da aber gerade die Dunkelheit hereinbrach und wir neugierig genug waren, blieben wir einfach sitzen bis zur Endhaltestelle und wurden mit großartigen, weihnachtlich beleuchteten Panoramen von Funchal belohnt.
  • Bus Nr. 46 nach Ribeira Grande, von der Haltestelle Pinga  aus gleich neben dem Elektrizitätsmuseum. Das bisher schon Grandiose der Hügelpanoramen wurde bei dieser Fahrt noch übertroffen. Und eine Besonderheit erlebten wir dann auch noch: Ab der Endhaltestelle wechselte der Bus seine Nummer und fuhr mit der Nummer 10A wieder ins Tal, unter anderem durch so enge Straßen, dass man meinen konnte, da kommt der doch niemals mehr durch. 
Foto vom Tea House auf der Quinta Palheiro Ferreiro

Das Tea House auf der Quinta Palheiro Ferreiro (Madeira) · © Gunthard Lichtenberg

  • Bus Nr. 36 zu Palheiro Gardens. Dieses Mal fuhren wir hinauf, weil wir uns dort im  Park mal wieder umsehen wollten. Nachdem wir uns im dortigen Tea House mit einem Getränk und einem kleinen Snack erfrischt hatten, nahmen wir den Bus Nr. 37, der praktischerweise direkt am Parkeingang vorbeifährt. Auch hier wieder eine spektakuläre Abfahrt ins Tal, wobei sowohl die Lässigkeit des Fahrers als auch sein fahrerisches Können überzeugten. Und die Bilder unterwegs sowieso.
  • Bus Nr. 45 nach Alegria. Auch hier eine wunderschöne Fahrt, aber auch hier lohnt sich das Aussteigen an der Endhaltestelle nicht. Und so fuhren wir nach circa zehn Minuten Pause wieder talwärts.
  • Die letzte Fahrt unternahmen wir dann nicht mit den Horários, sondern mit dem für den Osten von Madeira zuständigen Busunternehmen SAM. Die Fahrt von Funchal bis an die Baía de Abra, an der Ponta de São Lourenço kostet hin und zurück 12,20 € für uns beide, und die Fahrt war wieder sehr unterhaltsam. Von Andreas erfuhren wir übrigens inzwischen, dass das auch mit dem 113er Interurbano von Horários geht.

Schlussfolgerung: Mit dem Bus zu fahren bedeutet, dass man sich nicht, wie beim Fahren mit einem Auto, auf den Verkehr und seine madeirensischen Besonderheiten (enge Straßen, enge Kurven, steile Anstiege und Abhänge, entgegenkommende Fahrzeuge (!) konzentrieren muss, sondern genug Muße hat, die Umgebung rechts und links in sich aufzunehmen. Und eins ist sicher: Kein zweidimensionales Bild kann dem wirklichen Eindruck standhalten, wenn man vierdimensional darin unterwegs ist. Nur beim Laufen sieht man mehr, aber das ist bei der hügeligen Lage von Funchal dann doch eher anstrengend und an manchen Stellen sicher auch nicht ungefährlich.

Zu den Kosten ist zu sagen: Man kann für  die einfache Fahrt mit dem Bus die Fahrkarte für 1,95 € beim Fahrer kaufen. Beim Umsteigen in einen anderen Bus fällt dieser Preis noch einmal an …

Wenn man für 0,50  € eine aufladbare GIRO-Karte kauft, zahlt man pro Fahrt 1,35 €. Mit anderen Worten: die ersten 2 Fahrten mit der neuen GIRO-Karte kosten 2 ×1,35 €+ 0,50 € = 3,20 €. Für weitere 2 Fahrten dann nur noch 2×1,35 € = 2,70 €. Verglichen mit dem Kauf der 2 Fahrkarten im Bus: 2 ×1,95 € = 3,90 €. Und wenn man die Karte mit 10 Fahrten lädt, dann zahlt man nur noch 1,25 € pro Fahrt. Die GIRO-Karten bekommt man insbesondere in Zeitschriften-Läden, und dort kann man sie auch wieder aufladen lassen − wie übrigens auch den 30-Tage-Pass.

Bei dieser Sachlage ist es geradezu ­unverständlich, dass viele Funchal-BesucherInnen ihre Fahrkarten nur beim Busfahrer kaufen. Für die Differenz kann man sich, bei einem Preis für die Bica von typischerweise 70−75 Cent, viel Kaffee leisten!  

Im Übrigen haben wir die Linha Verde (Buslinien 1, 2 und 4) zwischen der Uferpromenade von Funchal und dem Fórum Madeira ausgiebig genutzt. Tipp: Bei der Rückfahrt von Funchal am besten am Elektrizitätsmuseum einsteigen, dann hat man noch die Platzwahl. An späteren Haltestellen sind häufig nur noch Stehplätze zu vergeben.

Nachtrag: Ein deutscher Fahrgast jüngeren Semesters sagte zu seiner Begleiterin, das mit den Bussen auf Madeira sei ja Glückssache, denn es gebe keine Fahr­plan-Informa­tionen im Internet. Leider nicht ganz richtig, hier sind die Links:    

Ergänzend dazu gibt es an der Anfangshaltestelle der Linha Verde einen Kiosk von Horários, wo man eine sehr gute Übersichtskarte der Buslinien bekommt, im Internet unter: 

Weitere Broschüren unter:

Eine missglückte Liebeserklärung

Das Cover des Buches »Liebeserklärung an Portugal«

Buchvorstellung von Andreas Lausen

Die Vielfalt Portugals in einen schmalen Buchrücken zu quetschen, ist ein Kunststück. Viele Einzelheiten und wertvolle Hinweise müssen weggelassen werden, um den Umfang nicht zu sprengen. 

In diesem Buch stellt eine Reihe von Kapiteln einen durchaus gelungenen und nützlichen Reiseführer dar. So macht die Schilderung der Portwein-Kellereien in Vila Nova de Gaia neugierig auf einen Besuch. Eine Glanznummer ist auch die Beschreibung einer Bootsfahrt zu den Berlengas-­Inseln, die schon so manche Portugal-­BesucherIn wegen des Seegangs unterlassen hat.

Aber für eine Liebeserklärung reicht das nicht. So ist es fehl am Platz, wenn der Autor sieben Seiten lang über seinen einzigen Fallschirmsprung über dem Alentejo berichtet. Das Abenteuer hat wenig mit Portugal zu tun, denn der Sprung hätte genauso über der Altmark oder der Normandie stattfinden können. Ähnlich selbstbezogen ist die Beschreibung seines Surf-­Abenteu­ers an der Costa Vicentina.

Madeira kommt gar nicht erst vor, dafür aber unpassende Bemerkungen über die heilige Virgem do Leite. Auch die langatmige Wiederholung der Legende von der Steinsuppe muss nicht sein, denn sie ist auch in anderen Ländern verbreitet, also nicht typisch für Portugal. 

Fazit: Für eine Liebeserklärung hat der Autor das Thema verfehlt. 

Andreas Drouve: Liebeserklärung an ­Portugal
224 Seiten, 12,99€ · Stürtz-Verlag
ISBN: 978-3-8003-4760-5

Pássaros da morte

Foto des Buchcovers »Die Todesvögel Salazars«

Buchtipp von Andreas Lahn

> Miguel Oliveira ist 1979 in Hamburg geboren und u. a. durch seine Bücher über den amerikanischen Schriftsteller John Dos Passos bekannt. Die Todesvögel Salazars ist eine Tragödie in zwei Farcen, die den Opfern der portugiesischen Geheimpolizei PIDE gewidmet ist.

In der 1. Farce macht eine kleine Gruppe Dissidenten dem PIDE-­Spitzel Manuel Fernandes e Castro am 10.4.1974 im Tribunal da Boa Hora den Prozess und konfrontiert ihn mit den Gräueltaten des Kolonialkrieges und den Foltergefängnissen in Tarrafal, Peniche und Caxias: »Dieser Prozess ist der erste Schritt in eine neue Zeit.« (S. 50)

In der 2. Farce geht es um WiderstandskämpferInnen und deren Schicksal. Dann stürmt die Polizei das Gebäude, es fällt ein Schuss …

Miguel Oliveiras Text über die Todesvögel (pássaros da morte) ist eindringlich, seine Sprache ist direkt und voller Gewalt. Wie die Realität zur Zeit der Salazar-Diktatur. Dieses Buch ist nichts für Zartbesaitete. Wer sich darauf einlässt, lebt einen Nachmittag in längst vergangenen Zeiten. 

Miguel Oliveira: Pássaros da morte
Eine Tragödie in zwei Farcen
BoD – Books on Demand · 3.12.2021
Taschenbuch, 112 Seiten; 12,7 × 20,3 cm
ISBN 978-3755742203 · 14,95 €

SPENDENKAMPAGNE 2021

SPENDENAKTION +++ BIS ZUM 31.12.2021 

9.999 € FÜR DIE DPG!

SEIEN SIE BITTE AUCH IM JAHR 2021 GROSSZÜGIG
> Die DPG braucht auch im Jahre 2021 Geld, um in den nächsten Monaten und Jahren den PORTUGAL REPORT und alle anderen Aufgaben zu finanzieren. Wir sind bescheidener als im letzten Jahr, freuen uns über jede Spende und sagen »Herzlichen Dank« im Voraus.

DPG-KONTO BEI DER BERLINER SPARKASSE
Nachdem merkwürdige Aktionen von PayPal im letzten Jahr für Chaos  auf der Website gesorgt haben, möchten wir Sie in diesem Jahr um eine Spende auf normalem Weg bitten.

DPG Berlin
IBAN: DE61 1005 0000 0190 9031 04
Berliner Sparkasse

SCHNELL SEIN LOHNT SICH!

Die ersten 5 SpenderInnen, die bis zum 31.12.2021 mindestens 500 Euro an die DPG überweisen, erhalten den Sternzeichenkalender 2022 im DIN-A2-Format im Wert von 29,50 € gratis zugesendet (Ausland: plus Versandkosten). Natürlich sind auch alle anderen Zahlungen in beliebiger Höhe herzlich willkommen − je höher desto besser für die DPG!

 

 

 

 

Diesen STERNZEICHEN-KUNSTKALENDER für 2022 hat Andreas Lahn in seiner Firma PORTANDI e. K. zusammen mit der Künstlerin Tamara Budnikova produziert, die seit etlichen Ausgaben Illustrationen für den PORTUGAL REPORT zeichnet. Sie haben auf den beiden Webseiten www.portandi.de und www.amazon.de die Möglichkeit, den Kalender im Format DIN A2 für 29,50 € zu erwerben: EAN-Code 4251851300139 

Lissabon: Impressionen einer Rückkehr

Bom dia, Lisboa: Nach zwei Jahren ist eine Reise in die charmante Stadt am Tejo endlich wieder möglich    von Andreas Lahn

> Der Flug mit der TAP von Hamburg nach Lissabon verläuft ohne Probleme. Auch wenn man bei den immer enger werden Sitzreihen kaum weiß, wo man seine Beine lassen soll und nicht mal mehr ein Glas Wasser umsonst serviert wird, ist es doch ein schönes Gefühl, den portugiesischen Worten der Stewardessen zu lauschen. Auf dem Lissabonner Flughafen kommt das Gepäck so schnell wie noch nie – was für eine angenehme Überraschung! Und das, obwohl das Flugzeug relativ weit draußen parken muss und keine Gangway zur Verfügung steht. 

Was für ein unvergesslicher Moment, beim Verlassen des Flughafens endlich wieder Lissabonner Luft zu atmen und aufgrund der angenehm warmen Temperaturen den Pullover auszuziehen. Ich fahre zum Hotel immer mit der Metro, die an diesem Sonntagnachmittag nahezu leer durch die Gegend fährt. Dieses Mal steige ich am Cais do Sodré aus, denn ich habe beschlossen, ein paar Tage in der Nähe des Tejo zu logieren. Doch bevor es zum Hotel geht, verbringe ich eine knappe Stunde am Tejo, schaue in die Sonne und lasse die vielen Momente an diesem Ort Revue passieren. Ich liebe es, an Orte zurückzukehren, die ich im Laufe des Lebens zu schätzen gelernt habe. Die Treppenstufen am Tejo sind so ein Ort. Allein träumend oder mit Leuten plaudernd, morgens die wärmenden Sonnenstrahlen genießen oder abends auf das beeindruckende Lichtermeer am anderen Ufer blicken, immer sind Licht und Stimmungen anders. Und genau das macht den Reiz aus: Ich fühle jedes Mal anders und deshalb ist auch der Blick auf die Ponte jedes Mal ein anderer. Fernando Pessoa hat schlicht Recht mit seinem schlauen Satz: »Was wir sehen ist nicht, was wir sehen, sondern was wir sind.« Wir leben unser Leben und kommen immer an Orte zurück, die auch ihr Leben leben. So einfach ist das!

Mein gemütliches Zimmer liegt direkt am Largo do Corpo Santo und hat einen freien Blick auf die gegenüber liegende Igreja do Corpo Santo. Ich habe es bekanntermaßen nicht so mit Kirchen und vertraue eher mir selbst als himmlischen Kräften, doch etwas befremdlich finde ich es schon, dass etliche Jugendliche direkt auf dem Vorplatz der Kirche bis in Nacht mit ihren Scateboards einen geradezu höllischen Krach machen. Nur gut, dass dieses Spektakel kurz vorm Schlafen vorbei ist. Ein Gott sei Dank kann ich mir an dieser Stelle gerade noch verkneifen.

Eigentlich möchte ich im Zarzuela frühstücken und Udo Bachmeier, dem deutschen Besitzer des Restaurants ein freundliches Bom dia entgegen schmettern, doch leider hat das auch glutenfreie Speisen servierende Restaurant montags und dienstags geschlossen. Ich habe mir im Laufe der Jahrzehnte abgewöhnt, lange nach Alternativen zu suchen, weil ein solches Vorgehen nur länger dauert, aber nicht zu besseren Lösungen führt. Deshalb zieht mich die ein paar Meter weiter auf der rechten Seite liegende Pastelaria Ribeira magisch an. Draußen stehen Tische, und drinnen steht mir ein freundlicher Verkäufer gegenüber, dem ich − vermutlich etwas zu laut − mein erstes Bom dia im Jahre 2021 direkt ins Gesicht rufe. Ich bestelle einen Espresso und muss danach innehalten. Denn diese Pastelaria hat etwas, was vor etlichen Jahren und ohnehin vor einigen Jahrzehnten in Lissabon zum normalen Angebot jedes Cafés gehört. Um Sie nicht länger auf die Folter zu spannen: Die Rede ist von Croissants. Während ich zu Hause kaum Brot esse und mir morgens einen leckeren Smoothie mit Obst, Hanfsamen, schwarzem Sesam, Kokosflocken, Leinsamen, einigen Gewürzen und Hirsemilch zubereite, liebe ich in Portugal die fettige Variante in Form von Torradas und eben Croissants. In der Pastelaria Ribeira gibt es viele verschiedene: normale, ungefüllte und welche mit Füllung in Form von Schokolade oder Creme. Alle sind gigantisch groß und genau das, was ich jetzt Lust habe zu verzehren. Ich esse sonst immer einen normalen, aber an diesem Morgen schreit der Croissant − oder heißt es »das«? − mit einer Creme-­Füllung so laut »Nimm’ mich«, dass ich keine ­andere Chance habe als diesem aufdringlichem Verhalten nachzugeben. Ich zahle das erste Mal an einem kontaktlos funktionierenden Münzautomaten, schnappe mir Croissant und Bica, um mich nach draußen zu setzen und mein erstes Frühstück in Lisboa nach langen Monaten gebührend zu zelebrieren. Selbst obigem Foto kann ich nicht widerstehen, obwohl es sonst nicht meine Art ist, von allen Dingen des Alltags Erinnerungen in Form von Fotos zu produzieren. Ich transportiere diese Erinnerungen lieber in Form von persönlichen und nur mir zugänglichen Bildern in meinem Herzen, immer bereit, sie zu gegebener Zeit erneut zu fühlen.

Frisch gestärkt bin ich bereit, Schiffe zu gucken und Leute, die am Tejo spazieren gehen, joggen, laufen oder auf diesen unsäglichen Rollern am liebsten durch alle hindurch fahren würden. Die Sonne scheint und wärmt den ganzen Körper so angenehm, dass ich die feuchte Kälte der ersten Oktoberwochen in Deutschland schnell vergesse. Ich gehe am Tejo entlang Richtung Terreiro do Paço und bin − wie immer − begeistert von diesem wundervollen Platz mit seinen in jeder Richtung atemberaubenden Reizen. Ich laufe unter den Arkaden entlang nach rechts Richtung Campo das Cebolas und weiter nach Santa Apolónia. Um mich herum wirkt alles entspannt. Selbst die TouristInnen scheinen sich dem portugiesischen Lauf der Dinge anzuschließen und schalten ein paar Gänge zurück. Schließlich muss man nicht alles an einem Tag sehen, sondern das, was man sieht, auch wirken lassen und genießen!

Jetzt geht es steil bergauf in die Alfama. Nach ein paar Stunden ist es Zeit für ein Mittagessen. Es ist zwar erst 12 Uhr, doch mein Magen knurrt. Und als ich sehe, wie liebevoll eine ältere Dame ihre drei Tische deckt, frage ich sie, ob sie schon bereit sei, ein Mittagessen zu servieren. Ein kurzer Blick in die Karte reicht, um mich für Bacalhau à Brás zu entscheiden. «E para beber?» Eigentlich trinke ich nichts zum Essen, aber heute muss es einfach ein Glas Rotwein sein. Ich habe im Laufe der Jahre gemerkt, dass ich mit Vinho tinto da casa, also dem Hauswein, noch nie eine schlechte Wahl getroffen habe. So ist es auch dieses Mal. Schön fruchtig, knallrot, angenehm leicht und trotzdem vollmundig: Genau die richtige Wahl für einen wundervollen Sommertag im Oktober! Ich bin ja das, was die PortugiesInnen einen guloso nennen, eine Naschkatze also, und deshalb ist die Frage nach sobremesa (Nachtisch) fast schon zwingend. Und als ich bolo de chocolate höre, ist meine Wahl schnell getroffen. Mousse de chocolate hätte ich auch genommen, aber dieser kleine Kuchen ist nicht nur optisch ein Genuss, sondern er schmeckt auch einfach wundervoll. Ich muss nach einem dreimal so teuren, aber lieblosen  Essen in einem Hotel in Porto an diese sympathische Dame und ihre mit Liebe und Leidenschaft zubereiteten Speisen zurückdenken. Ich mag sowohl die ungezwungene Stimmung als auch das oft authentischere Essen in diesen »Volksküchen« lieber als die gediegene Atmosphäre und das »korrekt« liegende ­Besteck und die einstudierten Abläufe in diesen Hotel-­Restaurants. 

Frisch gestärkt geht es kreuz und quer durch die verwinkelte Alfama zum Pantheon und weiter an der Igreja de São Vicente de Fora vorbei hoch nach Graça zum Miradouro da Graça, wo zur Zeit leider gebaut wird. Ich gehe also weiter die Treppe runter und genieße das schöne Licht in den Gassen der Mouraria. Hier hat ja die britische Fotografin Camilla Watson viele BewohnerInnen des Viertels abgelichtet und ihre Konterfeis samt Namen auf die Gebäude in der Nachbarschaft gebannt. Was für eine schöne Idee! Ich habe jedes Mal das Gefühl, immer mehr BewohnerInnen der Mouraria zu kennen, obwohl ich noch nie jemandem begegnet bin, der oder die auf einem Bild an der Hauswand prangt − jedenfalls nicht bewusst. Es duftet nach frisch gegrillten Sardinen. Ich laufe kreuz und quer durch die Mouraria und komme an der Rua da Palma raus. Ich gehe über die Praça Martim Moniz,  lasse das Hotel Mundial links liegen. Direkt am Rossio schaue ich mir das Treiben vor der Ginjinha-Bar an, wo ich gestern Abend auch einen Kirschlikör getrunken habe, um Lissabon und den Lisboetas bem-vindo zu sagen. Diese Tradition habe ich über alle Jahre beibehalten. 

An vielen Stellen stehen wieder die Stände der Maronen-VerkäuferInnen. Ich liebe diesen Geruch, den von weitem sichtbaren Rauch und kaufe fast jeden Tag «Uma dúzia», zwölf heiße Kastanien, deren Schale ich auf dem weiteren Weg pelle, um anschließend den köstlichen Geschmack der Maronen zu genießen.

So schlendere ich mit meiner Maronen-Tüte langsam durch die Rua Augusta zum Terreiro do Paço und biege ein in die Rua do Arsenal Ich gehe am Praça do Município vorbei, von dem das sehenswerte Museu do Dinheiro nur einen Katzensprung entfernt liegt. Mich zieht es zurück in mein Zimmer, um ein wenig auszuruhen und um Mails zu checken, wie es auf Neudeutsch mittlerweile heißt. Davon kann ich mich leider nicht ganz freimachen, da ich bekanntlich die kleine Firma PORTANDI führe und deshalb bisweilen schauen muss, ob KundInnen irgendwelche Wünsche haben. 

Nach einer Bica am Tejo und einem Rundgang inklusive Bad in der Abendsonne entscheide ich mich für ein Abendessen in der Nähe des Hotels − draußen! Ich habe wohl noch den Geruch der Sardinen aus der Mouraria in der Nase, denn dies ist das Essen meiner Wahl. Ich erinnere mich noch genau daran, wie vor etwa vierzig Jahren meine Liebe zu Land und Leuten mit diesen gegrillten Sardinen, einem leckeren Salat und genau so leckerem Rotwein auf der Ilha da Tavira im Algarve angefangen hat. Damals faszinieren mich Strand, Sonne und Sternenhimmel, heute sind es das Licht und die immer wieder bezaubernde Atmosphäre in meinem geliebten Lissabon. Diese Liebe wird ewig halten, davon bin ich felsenfest überzeugt.

Also Lisboa: Dieser erste Tag ist wunderschön. Weitere sind in der Zwischenzeit gefolgt. Während der DPG-Tagung in Porto habe ich von einigen Leuten viele schöne Dinge über Porto gehört. Auch wenn sich ja niemand für die eine und damit gegen die andere Stadt entscheidet, möchte ich abschließend einfach nur sagen: Amo-te, Lisboa!

DPG in Lissabon: Es tut sich was!

26.10.2021: DPG-Treffen in Lissabon

Am 26.10.2021 trifft sich DPG-Präsident Michael W. Wirges im Lissabonner Hotel Mundial mit einigen aktiven DPG-Mitgliedern aus Portugal und Deutschland, um die Chancen für DPG-Aktivitäten in Lissabon und den Aufbau einer Stadtsektion zu erfragen.

> Die drei ganz oder zeitweilig in Lissabon ansässigen DPG-Mitglieder Ariane Reipke, Madalena Leal de Faria und Oliver Wedekind wollen in einem weiteren Treffen Anfang November klären, ob ein Engagement möglich ist und wie sich das mit beruflichen Anforderungen vereinbaren lässt. Dieses zweite Treffen findet am 6.11. mit dem Ergebnis statt, »die Aktivitäten in Lisboa zu bündeln«. Es geht zunächst nicht in erster Linie darum, Mitglieder anzuwerben, sondern »eine Masse an motivierten Leuten in Lissabon zu akquirieren, mit denen  sich kurz- bis mittelfristig Unternehmungen in Lissabon durchführen lassen«. Die Zielgruppe besteht vornehmlich aus Deutschen, »die in Lissabon leben und/oder arbeiten«. Die angedachten Aktivitäten werden zunächst ähnlich wie in Deutschland sein, also Sardinhadas, Beer  Talks, Vorträge, Lesungen, Podiumsdiskussionen, Konzertbesuche, Ausstellungen etc. Die bestehenden Netzwerke der einzelnen Mitglieder sollen gebündelt, die Kontakte intensiviert und ausgebaut werden. Ziel ist, für Lissabon ­einen Verteiler aufzubauen, der auch für die Verbreitung des PORTUGAL REPORTs genutzt werden soll. 2022 will sich die Gruppe in die Hannover Messe einbringen, denn Portugal ist dort Gastland.

Es ist beabsichtigt, sich eng mit den anderen Mitgliedern in Portugal abzustimmen. Wer in oder um Lissabon wohnt oder dort Bekannte hat, die Interesse an einer Mitarbeit haben könnten, möge sich bitte per E-Mail an Oliver Wedekind wenden: lisboa@dpg.berlin  Andreas Lahn

Vergessen auf der Liste der Weltwunder

Foto der Rocha do Bordões (Flores, Azoren)

Über zwei faszinierende Naturwunder auf Flores (Azoren)    von Ana Carla Gomes Fedtke und Eberhard Fedtke

> Mag sein, dass viele die sieben Wunder der antiken Welt kennen, aber falls nicht,  sollten ihnen die sieben Wunder der heutigen Welt bekannt sein. Als diese Listen erstellt wurden − sei es das antike Original, sei es eine neue moderne Aufstellung zu attraktiven Naturorten und wertvollen sowie preziösen Zeugnissen des menschlichen Geistes auf dem Gebiet der Architektur − taucht das Archipel der Azoren in dieser Liste nicht auf. Besucht man dieses endemisch intakten beeindruckenden Monumente, erkennt man deutlich, dass die Listen unvollständig sind, Naturschönheiten erster Kategorie aufzuzeigen und zu bezeugen.

In diesem Fall hier reden wir von der Insel Flores. Wir besuchten imponierende und unerklärliche Wunder. Beginnen wir mit dem Poço da Ribeira do Ferreiro: Der Besuch zu Fuß ist ein Abenteuer. Wir lassen daher unseren Wagen auf dem Parkplatz an der Hauptstraße zwischen Mosteiro und Fajã Grande. Gut mit Sport- und Bergschuhen und sicheren Sohlen ausgerüstet, benötigen wir etwa 45 Minuten, um zur erwähnten Poço aufzusteigen, auf einem Weg mit Natursteinen, die glatt und unregelmäßig sind. Dona Fatima, Assistentin in der wenige Meter vom Parkplatz entfernt stehenden Wassermühle, ist enthusiastisch damit beschäftigt, dem Publikum die Art und Weise zu demonstrieren, wie Mais gemahlen wird. Sie warnt uns, dass der Aufstieg zum Poço da Ribeira do Ferreiro bei Regenwetter, mehr noch der Abstieg auf nassen Platten ohne adäquates Schuh­werk echte Lebensgefahr bedeuten könne. Schließlich habe der Weg keinen Handlauf auf der Seite des Abgrunds. Sie hatte allzu Recht, aber wir hatten zum Glück einen Tag voller Sonne und tanzten von einer Steinplatte zur anderen.

Am Poço angekommen, grüßt ein wahr­haft weiträumiges Amphitheater in einer magischen grünen und braunen Wand die TouristInnen, die bezaubert sind von diesem ergötzlichen Anblick der Einmaligkeit. Zwölf originäre Wasserfälle, einer neben dem anderen, vielleicht deren mehr, sicherlich unsichtbar verborgen unter dem Schutz des grünen Vorhangs, ähneln glitzernden Zöpfen, spiegeln ihre elementare Wucht im Poço unterhalb von ihnen und echoloten eine lyrisch beruhigende und milde Musik. Es ist nicht gestattet, in dieser Quelle reinsten Wassers zu schwimmen. Die Pflanzen auf dem Grund des Poço bilden ein Meer poetischer Inspiration, ähneln authentischen Korallen. Ein Wächter, Herr Gilberto, listet die Zahl der BesucherInnen auf, außer samstags und sonntags, und versichert sich, dass niemand diesen paradiesischen Ort missbraucht und nicht campiert, nicht grillt, nicht fischt. 

Eine moderne Störung bildet die wachsende Zunahme des Gebrauchs von Drohnen, um das illustre Firmament dieses Ortes jenseits der Welt zu erkunden. Aber die Natur wehrt sich und wir wurden Zeugen eines euphorischen Versuchs: Die gigantische Wand fängt ungelegene Geräte ein. »Heute wurden acht Stück eingefangen.«, sagt Herr Gilberto mit einem vielsagenden Lächeln.  »Bravo, mutige Natur!« Wir scheiden von dieser fantastischen Atmosphäre mit ihrer intimen Autobiographie, perfekten Harmonie und einer sichtbar gefestigten Natur, den Hängenden Gärten von Babylon ähnelnd. Insgesamt eine sensible Einmaligkeit, sind wir sicher, dass dieser Platz mit seiner durchdringenden Schönheit und seiner polycromen und indiskutablen Authentizität eindeutig berechtigt ist, in einer Liste der Wunder der Welt zu erscheinen.

Der zweite Ort in Flores, welcher eine Ehre in der famosen Liste verdient, ist Rocha do Bordões. Dieses Juwel findet sich auf dem Weg von Mosteiro nach Lajes de Flores. Die gigantische Naturkonstruk­tion von Lava gibt der BeobachterIn keine logische Erklärung für die vulkanische Verformung. Wie ist diese Verbindung von Lava-Material in vertikalem und horizontalem Überfluss möglich? Schon der untere Teil des Berges mit seiner filigranen und regelmäßigen Ablagerung ähnelt menschlicher Arbeit und nicht dem Resultat wilder Ablagerung eines natürlichen Feuerspeiers. Dies so gesehen, erscheint er uns als ein Phänomen gegen feste Regeln irdischer Schwer­kraft. Niemand vermag uns eine plausi­ble Erklärung für diese gegensätzliche Ablagerung der erkalteten Lava zu geben, im unteren Teil in einer rigiden vertikalen Form gleichförmiger Rippen, sodann mit dem Hut obendrauf, mehr oder minder horizontal in seinem finalen Szenarium einer Eruption. Die bei Sonnenuntergang in lachsfarben erleuchtete Wand kann poetische Gedanken bis zu hypnotischen Fantasien reflektieren. ArchäologInnen sprechen von einem charismatischen Wunder dieses Rocha de Bordões. Was kann besser für eine verdiente Legitimation sein als die Aufnahme in eine Liste der Weltwunder? Es mag kein überzeugenderes und beeindruckenderes Wunder von weltweiter ­Bedeutung ­geben. Rocha de Bordões als perfektes Naturprodukt kann mit der Grande Pyramide von Gizé sowie Chicen Itzá konkurrieren, beides einzigartige Gebilde von Menschenhand, kann zumindest beanspruchen, als ernsthaftes Modell auf Distanz aus der Urzeit der Welt angesehen zu werden.

Poco da Ribeira do Ferreiro · Foto: © Ana Carla Gomes Fedtke

Brigadechefin Madalena Oliveira – das Schreckgespenst der PIDE

Wie Maria mit »Streichholzschachtel« die Folter übersteht    von Catrin George Ponciano

> Marias Bruder wurde verhaftet und nach Lissabon in die Zen­trale in die Rua António Maria Cardoso, Hausnummer 39, gebracht. Dort haben die sogenannten Zeittotschläger (safanões a tempo) ihn verhört, für durchgehenden Schlafentzug gesorgt. Neun Tage lang. Danach kam er ins Gefängnis Aljube in Lissabon. Seine Schwester ­Maria kämpfte weiter. Für ihn. Für sich. Für alle Marias.

Sie tritt ein in die vom Regime verbotene Bewegung für demokratische Vereinigung Movimento de Unidade Democrá­tica. Doch pazifistisches Aufbegehren wird mit Polizeigewalt bestraft. Polizisten prügeln die Frauen nieder, wollen ihren Widerstand brechen. Maria und andere Marias schließen sich als Aktivistinnen zusammen im militanten Flügel der Portugiesischen Kommunistischen Partei PCP, sorgen für Unruhe bei Protestkundgebung gegen das faschistische Regime. Während einer Kundgebung kommt es zu Tumulten, die Geheimpolizei schlägt zu, verhaftet Maria und bringt sie nach Lissabon. Wohin, weiß Maria ganz genau: In die Rua António Maria Cardoso, Hausnummer 39, dritter Stock. Was sie dort erwartet, weiß sie auch und nimmt sich vor, außer dem Wort Streichholzschachtel sonst nichts zu sagen.

Es ist Ende April. Der Frühling hält Einzug in Lissabon. Es ist warm. Frauen tragen bunte Kleider spazieren. Maria erspäht Menschen, die auf den Bürgersteigen flanieren, während der Militärjeep die Steigung erklimmt und in den Hof des PIDE-Hauptquartiers einbiegt. Das Metalltor schließt sich. Die Agenten schubsen Maria aus dem Jeep, in das Gebäude, in einen schmalen leeren Raum. Die Fensterflügel zum Hinterhof sind weit geöffnet. Eine Lerche singt. Alle zehn Minuten kündigt eine Tram mit fröhlichem Bimmeln ihren Halt vor dem Tea­tro São Luiz an.

Der erste Faustschlag schnürt Maria die Luft ab, sie erbricht sich, aber sie schreit nicht − sie bleibt stumm. Mehrere Agenten der PIDE bombardieren sie abwechselnd mit Fangfragen über militante Genossen, über Verstecke, Waffen, Strukturen, schlagen willkürlich zu, überallhin. Schlaf wird zum Fremdwort. Man verweigert Maria Wasser, Nahrung, den Gang zur Toilette. Irgendwann, Maria hat sämtliches Zeitgefühl längst verloren, betritt eine Frau in Uniform das Verhörzimmer.

Die Brigadechefin Madalena Oliveira, Spitzname PIDE-Leninha. »Spricht sie immer noch nicht?«, höhnt sie. Die Kollegen lachen. Die Brigadechefin schlägt zu.Maria röchelt, erbricht sich, macht unter sich. Madalena Oliveira zwingt sie, sich auszuziehen, auf den Boden zu knien und Urin und Erbrochenes mit der eigenen Kleidung aufzuwischen. Die anderen Agenten schauen zu. Rauchend. Lachend. Fotografierend.

Marias Körper erträgt die Drangsal. ­Alles erträgt sie. Den Schlafentzug. Das Dauerstehen. Systematisch demoralisiert, missbraucht, misshandelt, widersteht sie allen psychologisch perfiden Taktiken. In einem fort murmelt sie caixa dos fósforos, Streichholzschachtel, Streichholzschachtel. Wie ein Gebet.

Nach elf Tagen kommt sie ins Gefängnis nach Caxias, achtzehn Monate Einzelhaft. Ein Ohr an die Wand gepresst, lernt sie das Klopfmorsen, um das Alleinsein zu überstehen. Drei Jahre nach ihrer Freilassung die zweite Verhaftung. Wieder treffen Maria und Madalena aufeinander, und auch dieses Mal sagt Maria nicht mehr als das Wort Streichholzschachtel. Die Brigadechefin steckt sie in eine Dunkelzelle in Einzelhaft.

Drei Jahre nach der Nelkenrevolution erstattet Maria Anzeige gegen Madalena Oliveira wegen Menschenrechtsverletzung. Vier weitere weibliche PIDE-Opfer treten in den Zeugenstand und berichten erstmals in aller Öffentlichkeit von den erfahrenen Misshandlungen in der Frauengefängnisabteilung in Caxias sowie von den Drangsalen im PIDE-Hauptquartier durch die ehemalige Brigadechefin. 

Madalena Oliveiras sagt aus: »Ich habe mir nichts zuschulden kommen lassen, sondern nur meine Arbeit gemacht.« Sie sagt das mit Inbrunst tiefer Überzeugung, was das charakteristische für Staatsfolterorgane nicht vorhandene Unrechtbewusstsein widerspiegelt, das den meisten vor Gericht gestellten Tätern und Handlangern aus faschistischen Systemen fehlt. 

Beinahe wäre Madalena Oliveira freigesprochen worden, denn in den 148 am 25. April 1974 sichergestellten Registerjournalen im PIDE-Hauptquartier mit 29.500 penibel notierten Verhörprotokollen zwischen 1933 und 1974, steht nirgends auch nur eine einzige Bemerkung über angewandte Staatsfolter oder gar Todesfälle. Einzig beruhend auf den Zeugenaussagen der fünf Opfer wird Madalena Oliveira zu vier Jahren und vier Monaten Haft verurteilt.

Die Geschichte von Maria und Madalena ist ein Paradigma dafür, wie essentiell Erinnerungskultur ist, wie komplex der Aufarbeitungsbedarf ist, damit keine einzige Maria, die jahrelang Folter und Haft für ihren Glauben an eine gerechtere Zukunft ertragen hat, jemals in Vergessenheit gerät.

Zeittafel zur Geheimpolizei Portugals:
• 1932 bis 1945 PVDE − Polícia de -Vigilância e de Defesa do Estado
• 1945 bis 1969  PIDE − Polícia -Internacional de Defesa do Estado
• 1969 bis 1974 DGS − Direcção Geral da Segurança

INFO:
Im Museum Museu do Aljube de Resistência e Liberdade in Lissabon hat im April 2021 die Ausstellung »Frauen im Widerstand − Mulheres e Resistência« eröffnet. 

Die Exponate gedenken weiblichen Folteropfern der portugiesischen Geheimpolizei zwischen 1926 und 1974 und dokumentieren den Gerichtsprozess gegen die Drei Marias, Maria Teresa Horta, Maria Velho da Costa und Maria Isabel Barreno. 

Eine Hommage an 50 Jahre »Neue Portugiesische Briefe« − Novas Cartas Portuguesas (Gustav Kiepenhauer Verlag) und an alle Marias, die Opfer des Salazar-Regimes wurden.

INTERNET:
https://www.museudoaljube.pt/en/

111 Orte im Alentejo

Buch Cover »111 Orte im Alentejo«

Anmerkungen zum Reisebuch von Catrin George Ponciano über die größte Provinz Portugals    von Andreas Lahn

> Bevor ein Buch mit Artikeln zu 111 Orten im Alentejo erscheinen kann, muss die Autorin den einen oder anderen Kilometer zurücklegen. Denn der Alentejo ist ein riesiges Gebiet, die Orte, Städte und Objekte der Begierde liegen weit auseinander. Viele der von  Catrin George Ponciano vorgestellten Orte haben eine mehr oder weniger weit zurückliegende Geschichte. Das Buch selbst zum Beispiel ist Catarina Eufémia gewidmet, die am 19.5.1954 in Baleizão von Polizisten erschossen wird, weil sie und andere LandarbeiterInnen mehr Geld fordern, damit Mütter Milch für ihre Kinder kaufen können.

Geschichten über den Alentejo müssen den eigenen Lebensrhythmus zum Thema haben, die Hitze, die alte Kultur, aber auch Ritterburgen, uralte Festungsstädte, alte Wanderwege, schöne Strände, eine spezielle Küche etc. Im Vorwort schreibt Catrin George Ponciano: »Folgen Sie mir in das andere, in das verschwiegene Portugal, wo Schmugglerinnen Kaffee gegen Bombazin tauschten, wo das Traumpferd des Königs wiehert, wo Antoni Gaudí Inspiration für seine Kunst bei der heiligen Santa Maria fand und wo Tümmler im Mondlicht tanzen.« Ja Catrin, wir folgen dir!

Lernen Sie, warum es eine Fisch- und eine Salzgaleere gibt und was das Schwarmfischen damit zu tun hat (S.12). In der Gemeinde Torrão kreuzen sich vier spätantike Handelsrouten (S. 28). Auf S. 20 lesen Sie, wie ein uneheliches Kind die Souveränität Portugals rettet und zu König Dom João I. ernannt wird. Sie erfahren, wie der Chocalheiro seine Signalinstrumente herstellt (S. 22), wie der größte Stausee Europas ein ganzes Dorf verschlingt (S. 24). In Alter do Chão lernen Sie 300 lusitanische Pferde kennen, die traumhaft schön sind und als Höhepunkt des Tages gegen 15 Uhr alle zusammen auf die Nachtweide traben. In Arraiolos im Norden wiederum ist eine Teppichstick-Industrie entstanden, die einen Aufschwung erlebt, als eine Weberin die Idee hat, Leinen mit dem Doppelkreuzstich zu bearbeiten. Warum man dabei gut zählen können muss, steht auf S. 40. Wie ist das Spielmuseum in Arronches entstanden (S. 44), wo steht die kleinste Grenzbrücke der Welt (S. 46), woher kommt der Dialekt Barranquenhos (S.50), wie überleben Flüchtlinge des spanischen Bürgerkriegs in Barrancos (S. 52), wo und warum werden die mittlerweile berühmten Liebesbriefe «As Cartas Portuguesas» geschrieben (S. 56)? Wollen Sie wissen, was Salgueiro Maia am Tag der Nelkenrevolution vom 25.4.1974 gemacht hat (S. 68), was der Friedensstein in Castelo de Vide mit den sephardischen Juden zu tun hat (S.70), was den Laurentius-Brunnen in Elvas so besonders macht (S. 84), was eine Schnarchtrommel ist (S. 86), woher der blinde Engel der Liebe in Estremoz kommt (S. 92), was das Denkmal für Radrennen in Èvora (S.114) und die Hinkelsteinfamilie in Guadelupe (S.  120) bedeuten, was die Gedenkmauer in Grândola ( S. 126) ist, was das Buchdenkmal in Melides bedeutet (S.134) und was die roten Gaudí-Klippen am Strand von Galé so interessant macht (S. 138)?

In Portugal gibt es ein »Flipper-Delta« (S. 140) und eine Schmugglerroute, auf der Sie nicht nur wandern, sondern auch vergangene Zeiten nachempfinden können. Die Olivenmühle in Moura (S. 166) ist genauso faszinierend wie die Idee, Kunstwerke als Teppich nachzubilden (S. 174) Auf S. 178 lernen Sie die Aldeia dos pequeninos, das Miniaturdorf in São Bartolomeu do Outeiro kennen.

Sie lieben Sterne? Dann nichts wie los zum Sternenpark. Das Observatório Oficial Dark Sky Alqueva in Reguengos de Monsaraz wartet auf Sie (S. 182). Um den Hirtengesang Cante Alentejano geht es auf S. 194, um den Uhrenturm von Serpa auf S. 200 und um den Amphorenwein Vila de Frades auf S. 220. Über die Dichterin Florbela Espanca haben wir in Portugal Report 82 berichtet. Lesen Sie über ihre wechselvolle Geschichte, ihren gewollten Tod am Geburtstag 8.12.1930 und über ihr Grab in Vila Viçosa auf S. 226.

Dieses Buch ist ein wundervolles Lesebuch mit tiefgründigen Erzählungen über den Alentejo und die Alentejane­rInnen. Es ist aber gleichzeitig auch ein Reisebuch, das 111 Möglichkeiten bietet, den Alentejo in all seinen Facetten zu entdecken. Und es ist auch ein Geschichtsbuch, denn in vielen Orten liegen die dem Artikel zugrunde liegenden Ereignisse  Jahrhunderte zurück. 

Catrin George Ponciano ist mit diesem Buch eine beeindruckende Hommage an den Alentejo und die AlentejanerInnen gelungen. Allein ihr Fleiß bei der aufwändigen Recherche für die 111 Artikel dieses beeindruckenden Werkes hat als Lohn viele LeserInnen verdient!

Foto von Catrin George Ponciano

Catrin George Ponciano · Foto: © Andreas Lahn

Catrin George Ponciano
111 Orte im Alentejo, die man gesehen ­haben muss
emons Verlag · 26.8.2021 · 13,5 × 20,5cm
Broschur, 240 Seiten
ISBN 978-3-7408-1067-2 · 16,95 €

Weitere Informationen:
catringeorge.com