Buch-Cover »Lisboa – Die melancholische Schöne« · © Salon Literatur Verlag
Das Schöne an der Melancholie
Fotobuch mit Bildern aus und kurzen Texten über Lisboa • von Andreas Lahn
Ruprecht Günther kommt Mitte der 1970er Jahre zum ersten Mal nach Lissabon. Auf den ersten Seiten des Buches schildert er seine ersten Eindrücke in der Alfama und im Bairro Alto. Dann sind Fotos zu sehen, in unterschiedlichen Formaten, oft quadratisch, aber auch doppelseitig oder horizontal, in Farbe oder Schwarzweiß. Klassische Motive aus dem Reiseführer spielen keine Rolle. Die Auswahl ist subjektiv, was ich zu schätzen weiß. Einigen Fotos hätte in meinen Augen eine kurze Beschreibung gutgetan, denn entgegen der verbreiten Meinung sagt ein Bild eben nicht mehr als tausend Worte. Das liegt vermutlich daran, dass Bilder normalerweise nicht sprechen können.
Der Fotograf meistert unterschiedliche Lichtsituationen und fängt die Stimmung in der Stadt so ein, wie er sie empfindet. Das ist am Aussichtspunkt St. Catarina so, bei einer telefonierenden Frau oder diskutierenden Männern, bei den verschiedenen Linienführungen von Gebäuden, dem roten Blütenmeer vor einem zugemauerten Balkon oder am Abend. Die Sortierung leuchtet mir nicht ein, ein paar Fotos sind mir zu gelb, aber alle zusammen lassen den Wunsch aufkommen, sofort einen Flug in ja auch meine Lieblingsstadt zu buchen.
Nach einigen Seiten mit Fotos sind Texte eingefügt − das zieht sich so durch das ganze Buch. Thematisiert werden nicht nur portugiesische Eigenarten, sondern auch Veränderungen in der Stadt durch die zunehmende Zahl der TouristInnen oder steigende Mieten. Es geht um die portugiesische Melancholie und den Fado, um Sardinen und die Sehnsucht: »So könnte man die Saudade auch beschreiben als Sehnsucht nach einem imaginären Ziel, das eigentlich niemals erreicht sein will, denn der scheinbare Erfolg würde ihr jeglichen Grund unter dem Boden entziehen.«
Es sind häufig Personen zu sehen auf Ruprechts Günthers Fotos: Sie sind jung oder alt, groß oder klein, sie arbeiten, essen, lesen, diskutieren oder sitzen in der Bar und schauen fern. Mir gefallen die eingestreuten Texte. Auch die beiden Seiten über bedeutsame Ereignisse der portugiesischen Geschichte sind sorgfältig formuliert. Schade, dass Ruprecht Günther die Bilder so nackt lässt. Trotzdem mag ich den Kiosk und die Möwe auf der anderen Seite des Tejo. Der Leuchturm und das Schiff dagegen erreichen mein Herz nicht, dafür dann aber wieder die beiden Laternen und die junge Frau am Brunnen auf dem Rossío. Den abendlichen Blick von der Graça über das Lichtermeer der Baixa hin zur beleuchteten Ponte 25 de Abril kenne ich selbst nur zu gut.
Wer diesen Foto-Band von Ruprecht Günther kauft, erhält einen subjektiven Blick auf Lisboa. Und wenn man fünf Menschen fragen würde, welche Bilder für sie die schönsten sind, bekäme man garantiert fünf verschiedene Antworten. Das ist der Vorteil einer Auswahl, die sich nicht am Mainstream orientiert, sondern an den Empfindungen eines feinfühlenden Fotografen.
»Seit meiner ersten Reise nach Portugal sind Jahrzehnte vergangen, und Lissabon, das so viel Freude und Leid gesehen hat, ist nicht mehr dasselbe wie damals.« schreibt Ruprecht Günther. Das empfinde ich auch so. Natürlich hat sich Lisboa im Laufe der Jahrzehnte verändert. Aber der Charme dieser Stadt ist in meinen Augen exakt derselbe wie vor einigen Jahrzehnten. Man muss nur etwas genauer hinsehen…
Ruprecht Günther − Lisboa, Die melancholische Schöne, Salon Literatur Verlag 2017, 21×21cm, 112 Seiten, Hardcover, ISBN: 9783947404018, 18,90€