Kategorie: PR72

Der Palácio das Passagens in Vendas Novas

Foto vom Palácio das Passagens in Vendas Novas

Ein Königspalast für zwei Tage 
•  von Andreas Lausen

> Die portugiesische 12.000-Einwohner-Stadt Vendas Novas ist nicht gerade ein Magnet für Besucher. Zwar sind die hier beheimateten Bifanas (Brötchen mit Schnitzel) berühmt, aber sonst macht die Stadt zwischen Lissabon und Évora keinen attraktiven Eindruck. Und doch gibt es in Vendas Novas einen weitgehend unbekannten königlichen Palast, der für wenige Tage im Jahre 1729 im Mittelpunkt einer kuriosen Reise stand. Wie viele Bauwerke in Portugal ist er einer Laune des barocken Königs João V. entsprungen, der das Land von 1706 bis 1750 regierte.
João war eher ein friedfertiger Mensch. Er strebte nicht nach militärischen Großtaten wie viele seiner europäischen Kollegen. Seine Leidenschaft waren die Schönen Künste: Architektur, Musik, Bildhauerei, Malerei und die Bücher.
Nach dem Ende des Spanischen Erbfolgekrieges 1714 wollte er die jahrhunderte­alte Feindschaft mit den spanischen Nachbarn beenden. Die kluge Heirats­politik seiner österreichischen Verwandten brachte João auf die Idee, zur neuen spanischen Bourbonen-Dynastie ehe­liche Bande zu knüpfen.
So verhandelten die Nachbarländer ausführlich über eine Doppelhochzeit: Die portugiesische Prinzessin Maria Bárbara sollte den spanischen Thronfolger Fernando (später König Fernando VI.) heiraten. Im Gegenzug wurde die spanische Infantin Mariana Vitória dem portugiesischen Thronfolger José versprochen. 1723 wurde das Heiratsversprechen feierlich abgelegt, obwohl Fernando erst neun und Maria Bárbara erst zwölf Jahre alt waren. Mariana war eigentlich bereits dem französischen Thronfolger zugesagt und hatte schon einige Jahre in Versailles gelebt, aber inzwischen war den spanischen Bourbonen die Hochzeit mit dem portugiesischen Thronfolger wichtiger. Die Unterhändler verhandelten ausführlich über den Austausch der Prinzessinnen, der auf den 19. Januar 1729 festgelegt wurde.
Als Ort der Feierlichkeiten wurde der kleine Grenzfluss Caia zwischen Elvas und Badajoz ausgesucht. Hier sollte ein stabiles hölzernes Brückenbauwerk errichtet werden mit einem Saal auf portugiesischer, einem auf spanischer Seite und einem Saal über der Flussmitte. Nun galt es, für die portugiesische Delegation standesgemäße Quartiere zu finden. Von Évora bis Elvas standen genügend Unterkünfte zur Verfügung, aber zwischen Lissabon und Évora fand sich nichts.
1727 rief João die Architekten zu sich, die seit bereits zehn Jahren am Palast von Mafra arbeiteten. Dem deutschstämmigen João Frederico Ludovice, seinem Sohn Pedro und dem Portugiesen Custódio Vieira schwante nichts Gutes. Seit Jahren forderte der König von ihnen mehr Anstrengungen, um den Bau in Mafra zu beschleunigen. Und jetzt verlangte der Magnânimo (der Großherzige) den Bau eines weiteren Palastes in Vendas Novas, um dort auf der Reise zur spanischen Grenze ein standesgemäßes Quartier vorzufinden!
Innerhalb eines Jahres sollte der Bau fertig sein, in den Maßen von 70 mal 70 Metern. Die drei Architekten wagten den Widerspruch. Schon in Mafra fehlten Arbeiter, Künstler und Geld − wie sollte dann noch ein Schloss fertig werden? Der König wischte alle Bedenken vom Tisch. Sein einziges Zugeständnis war: Ein tatkräftiger Offizier (Coronél José de Silva Pais e Vasconcelos) sollte für genügend Arbeiter und Geld sorgen. Dieser schickte Greiftrupps durch das Land, um Arbeiter für die Bauten anzuwerben, was oft nur mit Gewalt gelang.
Im Jahre 1728 arbeiteten 45.000 Männer in Mafra und 2.000 in Vendas Novas, um die Bauwut ihres Königs zu befriedigen. In Brasilien wurden mehr Zölle und Steuern eingetrieben, und unter Leitung von Custódio Vieira wurde Vendas Novas tatsächlich schon in neun Monaten fertig.
So konnten sich João V. und seine öster­reichische Gemahlin Maria Ana mit Sohn und Tochter am 9. Januar 1729 von Lissabon auf den Weg machen. 185 prächtige Kutschen umfasste die Kolonne − einige davon stehen heute im Kutschenmuseum in Belém − dazu hunderte Plan­wagen und Karren, begleitet von 7.000 Soldaten, 3000 Dienern, einem Orchester, 222 Köchen, Adligen, Bischöfen, Priestern und Handwerkern. Pauken und Trompeten kündigten die königliche Karawane an, die durch die stillen Dörfer des Alentejo lärmte. Und wenn der König gute Laune hatte, griff er in die Truhe zu seinen ­Füßen und warf ein paar Hände voll Münzen unters Volk.
Trotz Kälte und Regen sowie zahlreicher Achsbrüche kam man termin­gemäß im neuen Palast von Vendas Novas an. Portugals Nobelpreisträger für Literatur José Saramago beschreibt die Reise eindrücklich in seinem Buch »Das Memorial«. Der Palast war prächtig ausgestattet und geschmückt. Nach der Übernachtung ging es über Èvora weiter nach ­Elvas.
Am 19.Januar 1729 trafen sich die Delegationen beider Königreiche in dem hölzernen Bauwerk über dem Grenzfluss. Zum ersten Mal begegneten sich hier die eingeschüchterten Brautpaare. Die Zeremonie erinnerte eher an den Austausch von Geiseln («Troca das princesas») als an eine fröhliche Feier. Beide Prinzessinnen sahen ihre Heimat nie wieder.
Politisch war die so besiegelte Freundschaft nicht von langer Dauer. Schon 1734 forderte Spanien den Abzug der Portugiesen vom Rio de la Plata und griff die Kolonie Sacramento im heutigen Uru­guay an.
Auch auf der Rückfahrt von Elvas machte die königliche Familie wieder in Vendas Novas Station. Danach residierte nie wieder ein König in diesem Palast, der den Namen «das Passagens» erhielt − »Palast der Durchreisen«. Nach langem Leerstand wurde der Palast schließlich als Seuchenspital genutzt. Als 1857 direkt hinter dem Palast die Eisenbahnlinie Barreiro—Évora gebaut wurde, fand der Palast eine gänzlich andere Verwendung. Der Gleisanschluss machte den schnellen Transport von Geschützen möglich, und so residiert hier seit 1861 die Escola ­Prá­tica de Artilharía.
Eine reguläre Besichtigung des mili­tärisch genutzten Gebäudes ist nicht ­vorgesehen. Trotzdem können Sie den Wachtposten am Tor danach fragen. Wenn der Dienstplan es erlaubt, führt ­Sie ein fachkundiger Soldat durch einige Räume und zeigt Ihnen auch die an­sprechende Kapelle mit sehr schönen weiß-blauen Azulejos. Sie sehen dann ­einige der königlichen Wohnräume mit ­Deckengemälden und den Lichthof mit gusseisernen Säulen. Auch die «Sala dos Tedescos» ist heute noch beeindruckend.
Und wenn Sie mögen, können Sie anschließend in einem Restaurant in Vendas Novas die berühmten Bifanas probieren.

Elétricos in Lissabon: Linie E24 rollt wieder

Foto einer Straßenbahn in Lissabon

1995 eingestellte Linie der Carris ist wieder in Betrieb  
•  von Andreas Lausen

> Die Lissbonner Straßenbahn E 24 wurde 1995 nach fast 100 Jahren stillgelegt. Jetzt fährt sie wieder und könnte zu einem touristischen Magneten werden − und die überlaufene ­Alfama-Linie E 28 etwas entlasten.
Die E 24 startet an der Praça Luís de Camões am Ende der Einkaufsstraße ­Chiado. Von dort fährt sie über folgende Stationen:
Nach Süden hin ist die Verlängerung zum Cais do Sodré geplant. Montag bis Freitag (dias uteis) fährt die E 24 von 7 bis 20.30 Uhr, am Samstag von 7.30 bis 19.40 und am Sonntag von 10.30 bis 18.30 Uhr. Es werden überwiegend die »alten« gelben Wagen eingesetzt (»Remodeladas«), von denen die Carris 63 Stück besitzt. Sie fahren teilweise auf einem eigenen Gleiskörper, wodurch die Behinderung durch abgestellte Autos gering werden soll.
Aber die neue Linie stößt nicht überall auf Freude. Der Kommentator Fernando Sobral schrieb am 3.5.2018 in »Negoçios«, dass die neue Straßenbahn für die Lissabonner wenig bringt und nur gut für die Touristen sei.

Haltestellen der Elétrico 24 in Lisboa

Haltestellen der Elétrico Nr. 24 in Lisboa

Interview mit Stephan Garbe von Gin Sul

Foto von Stephan Garbe (Gin Sul)

Heutzutage zählt vor allem Glaubwürdigkeit 

> Stephan Garbe über die Altonaer Spirituosen Manufaktur und seine Liebe zu Portugal
• Fragen von Andreas Lahn 

> Stephan Garbe ist 1976 in Hamburg geboren, verheiratet und Vater zweier Kinder. Er ist Autodidakt, hat keine Ausbildung und 15 Jahre lang als Werbetexter gearbeitet. Seine Hobbys sind Kochen und Motorradfahren, sein Lebensmotto lautet: »Work like you don’t need the money.« Garbes Lieblingsort ist Odeceixe in Portugal.

PORTUGAL REPORT: Am Stadtrand von Lissabon gibt es eine kleine Adega. Was hat der Bacalhau von Dona Alice mit Ihnen gemacht?
STEPHAN GARBE: Dona Alice ist die Mutter meines besten Freundes Miguel. Sie hat den Bacalhau drei Tage gewässert und dann gegrillt und zusammen mit gegrillter Paprika, Zwiebeln, Kartoffeln, sehr viel Knoblauch und Olivenöl serviert. Der einzigartige Geschmack hat mich sofort geflasht. Seit dem ist der Bacalhau etwas Besonderes für mich.
Ich bin jemand, der gerne kocht und isst. Über das Kochen, Essen und Trinken kann man viel über ein Land erfahren. Man kann sich ein Land ertrinken und eressen. Meine Liebe zu Portugal ist auch eine kulinarische Liebe geworden. Und obwohl die Küche sehr einfach ist, ist sie doch ungemein kontrastreich. Das gefällt mir.

Auf der Website steht, Gin Sul sei ein Hamburger Gin mit portugiesischen Wurzeln − eine hochprozentige Liebeserklärung an das kleine Land am Rande Europas. Wie ist die Idee zu Gin Sul entstanden?
Die Idee kommt über zwei Bestandteile unserer Rezeptur. Das eine sind die Zitronenschalen. Ich habe neben meinem Haus in Portugal einen alten Zitronenbaum, an dem richtig große Zitronen wachsen. Je älter ein Baum ist, desto massiver werden ja auch die Früchte. Diese tollen Zitronen hatten es mir angetan. So was gibt es bei uns auch nicht im Biomarkt. Dort sind die Zitronen eiergroß und sehen alle gleich aus. Deshalb habe ich gedacht: Mit den Zitronen müsste man eigentlich etwas machen. Und das Zweite ist die Lackzistrose. Das sind die harzigen Blätter des Zistrosenstrauches, der vorwiegend im Alentejo und an der Algarve wächst. Die Blätter haben einen süßlichen, würzigen und harzigen Geruch. Immer, wenn ich zurück nach Portugal in die Nähe von Odeceixe komme und die Abendsonne auf diese Pflanzen scheint, dann riecht die ganze Küste danach. Dann kurbelt immer die ganze Familie die Fensterscheiben runter und alle saugen diesen Duft ein. So spüren wir, auch als Deutsche, dieses Saudade-­Gefühl − mit einer nostalgischen Wiedererkennung anhand dieses Geruchs. Und eine Tages habe ich gedacht: Diese beiden Pflanzen sind charakterstarke Botanicals, aus denen man was machen müsste. Zusammen mit meiner Frau − die auch eine große Gin-Liebhaberin ist − ist die Idee entstanden, daraus einen Gin zu machen. Als wir festgestellt haben, dass neben den Zistrosen Wacholderbeeren wachsen, hat’s Klick gemacht, und wir haben versucht, das Projekt in Portugal auf die Beine zu stellen.

Zitronen und Lack-Zistrose sind einige der Zutaten, die Gin Sul von der portugiesischen Costa Vicentina bezieht. Dort liegt Odeceixe, ein kleiner Ort mit einigen Hundert EinwohnerInnen − ihre zweite Heimat sozusagen. Was lieben Sie an Odeceixe und was hat der Ort mit Gin Sul zu tun?
Es ist der Geburtsort der Idee zu Gin Sul. Dort wachsen die wichtigen Botanicals. Die Wacholderbeeren beziehen wir nicht aus Portugal, denn die dort wachsenden phönizischen Wacholderbeeren sind nicht für den menschlichen Verzehr geeignet. Wacholderbeeren kaufen wir in Bio-Qualität aus Norditalien und aus der Balkan-Region. Odeceixe ist ein Grenzort zwischen dem Alentejo und der Algarve. Dort fließt der Rio Seixe. In den 70er und 80er Jahren hat die Hippie-­Kultur Ode­ceixe geprägt: Am Strand wurde wild gecampt, in den Dünen haben Hippies gewohnt und man erzählt sich die wildesten Geschichten. Der Ort atmet immer noch diesen Spirit von damals. Die Enkel-Generation der Hippies kleidet sich ähnlich wie die Großeltern. Ich muss immer ein wenig schmunzeln, wenn die am Marktstand stehen und Haare flechten oder Muschelketten anbieten. Hier wiederholt sich sozusagen die Geschichte. Und das macht für mich den Charme von Odeceixe aus. Dazu kommen diese malerische Lage am Hang, der Fluss, der in den Atlantik fließt, und der Strand, der eingerahmt ist vom Meer und dem Fluss, tiden-abhängig voll- und leerläuft. Odeceixe ist ein Ort, der einen ganz schnell erdet…

Was ist Gin überhaupt, und was macht für Sie einen richtig guten Gin aus?
Es gibt im Wesentlichen drei Spirituosen-Kategorien: Das sind die Brände (Korn, Whiskey, Obstbrände etc.), dann die Liköre mit Wasser, Zucker, Aromen und manchmal Farbstoffen (Sambuca, Anis-­Likör, Kräuter-Liköre etc.) und die Geiste − zu den bekanntesten zählen beispielsweise Haselnuss- und Himbeer-­Geist − mit allen Früchten, die nicht genügend Zucker haben, um sie wirtschaftlich zu vergären und daraus Alkohol herzustellen. Bei Wacholderbeeren ist es ähnlich. Gin ist eine Wacholder-Spirituose, die ihren Ursprung in Holland hat, im Gienever. Das ist Maltwein mit Wacholder aromatisiert. Gin hat im 18. Jahrhundert in England seinen fulminanten Start gehabt. Damals hat man Wacholderbeeren genutzt, um minderwertigen Alkohol zu kaschieren. Mit dem sehr würzigen Wacholder hat man versucht, Produktionsfehler zu vertuschen. Daraus ist dann irgendwann die Spirituose Gin entstanden, die es mittlerweile in jeder Bar gibt, und die wie Rum, Tequila und Wodka in das Backboard jeder Bar gehört, weil ja ganz viele Cocktails auf Gin basieren. Das Tolle beim Gin ist, dass er neben den Wacholderbeeren eine Reihe anderer Botanicals hat, so dass jeder Gin eine spezielle Rezeptur hat, die ihn einzigartig macht. Das kann von zwei oder drei bis zu Dutzenden von Botanicals reichen. Je nachdem, wie das Rezept des jeweiligen Herstellers ist.

Ohne abgeschlossene Ausbildung Geschäftsführer einer wachsenden Firma zu sein, zeigt, dass es nicht auf die Vergangenheit sondern auf gute Ideen, Lust und Leidenschaft ankommt. Sind Sie zufrieden und vielleicht auch ein wenig stolz über den momentanen Stand der Dinge?
Ich bin sehr glücklich mit dem, was ich jetzt mache. Ich war noch nie so zufrieden in meinem Berufsleben, weil hier Vieles zusammenkommt: Man lernt jeden Tag etwas dazu und der Aufgaben-Querschnitt ist enorm breit. Das geht von der Produktion über die Vermarktung hin zum Vertrieb. Wir haben einen kleinen Laden, machen alles selbst und lassen bauen, was wir brauchen. Das macht unfassbar viel Spaß. Mein Team besteht aus vielen Quereinsteigern. Hier geht es nicht darum, ob man irgend etwas studiert oder gelernt hat, sondern es geht darum, ob man mit Leidenschaft für die Sache hier brennt. Nur eine Mitarbeiterin ist gelernte Destillateurin, alle anderen haben sich in das Thema reingearbeitet.

Ist in Ihrem Leben schon immer alles ganz gut gelaufen oder kennen Sie auch Zeiten, in denen fast nichts klappen wollte?
Die gibt es natürlich auch. Eigentlich habe ich viel Glück im Leben. Allein schon, weil ich eine tolle Frau und zwei gesunde Kinder habe. Ich konnte fast immer das machen, was ich wollte. Seit ich aus der Schule bin, arbeite ich selbständig. Es ist ja schon sehr befriedigend, dass man nie irgend jemandem Rechenschaft schuldig ist − nur sich selber. Es gab eine Zeit, da ging es mir relativ schlecht. Höhepunkt war die Phase, in der ich in Portugal versucht habe, die Destillerie genehmigt zu bekommen. Da bin ich an den Windmühlen der portugiesischen Bürokratie zerschellt. Das ist für jemanden, der so ungeduldig ist wie ich, ganz schwer zu ertragen. Und es ist nach wie vor so: Wenn ich in Portugal bin und mal einen Handwerker brauche, muss ich ewig warten. Das ist nicht meins! Da braucht man schon ein bisschen Gleichmut.

Mit welchen Gefühlen denken Sie an die Zeit als »Werbetexter« zurück? Und welche Kunden waren Ihnen lieber: Firmen mit »großen« Namen oder die kleinen Krauter?
Ich finde, alles im Leben hat seine Zeit! Das hat damals tatsächlich Spaß gemacht. Ich vermisse es aber nicht. Wenn man etwas Neues anfängt, muss man sich auch hundertprozentig der neuen Aufgabe widmen und sollte nicht in den Rückspiegel schauen. Es hilft mir auch bei dem, was ich jetzt mache. Was die Kunden angeht: Ich fand immer die Kunden gut, die selber für ihr Thema mit Herzblut gekämpft haben. Immer dann, wenn die Leute bereit waren, Verantwortung zu übernehmen, hat es mir Spaß gemacht, mit ihnen zusammenzuarbeiten, inhabergeführte Firmen zum Beispiel, wo noch eine Familie dahinterstand. Schwierig wird es immer dann, wenn Leute entscheiden, die für zwei bis drei Jahre da sind, und gar keine richtige Bindung zu dem Unternehmen haben.

Sie lieben Motorräder. Fahren Sie nur so zum Spaß, um abzuschalten oder fahren Sie auch Rennen?
Ich fahre zum Vergnügen, weil es gerade in der Stadt ein praktisches Verkehrsmittel ist, weil man weniger Platz wegnimmt schneller unterwegs ist und überall einen Parkplatz kriegt. In Portugal fahre ich auch Enduro. Ich habe dort vor drei Jahren begonnen, mit einem Trainer Trail-Riding zu lernen, also die kleinen Berge hoch- und runterzufahren. Das ist eher eine sportliche Herausforderung als zum Abschalten, weil man sich gut konzentrieren muss.

Sie stehen für die Schönheit des Einfachen und sagen »Simples é o novo prémium«. Doch laden circa 120 verschiedene Zutaten als Aromen und Wirkstoffe für Gin nicht geradezu zum Experimentieren ein?
Ja, das stimmt! Ich habe mit 35 Botanicals angefangen in der Rezeptierung und bin runter auf 14, um durch Weglassen die Klarheit zu verstärken, so dass man eine Spirituose hat, in der man einzelne Aromen immer noch rausschmecken kann. Ich habe mich bei der Rezeptierung an der portugiesischen Küche orientiert: Wir haben Zimt vom Pasteis de Nata, Koriandersaat, Zitronen, die in zwei Bestandteilen in das Destillat kommen: Einmal als Mazerat, das Glas mit den Zitronenschalen, und morgens frische Zitronenschalen, die in einen Edelstahlkorb kommen, der zwischen der Brennblase und dem Helm sitzt. Dann ziehen die Alkoholdämpfe durch diese Zitronenschalen und reißen das frische Aroma dieser Zitronenschalen mit. Manchmal braucht es gar nicht mehr als Wacholder, Zistrose und Zitronen, um ein klares Geschmacksprofil zu haben.

Aber Experimente sind trotzdem erlaubt, oder?
Wir machen einmal im Jahr eine Sonder­edition. Da toben wir uns aus. Einmal haben wir Botanicals beim Motorradfahren in der Algarve gesammelt. Dann haben wir mehrere Experiment mit der Fass­lagerung von Gin gemacht, zum Beispiel mit gebrauchten Moscatel-Fässern aus Sétubal. Auch in diesem Jahr wird es eine Hommage an Portugal geben. Doch beim eigentlichen Gin-Sul-Rezept bleiben wir unserer Linie treu und verwenden immer die gleiche Rezeptur.

Sie destillieren den Gin in einer relativ kleinen 100l-Edeldestillat-Brennerei-Anlage. Qualität geht vor Quantität?
Ja, auf jeden Fall! Wir sind ja durch die Größe der Anlage limitiert. Wir wollen nicht jedes Geschäft machen und sind stolz, dass es soweit wie bisher gekommen ist.

Wacholderbeeren, Koriander, Ingwer, Orangenschalen, Piment, Rosenblüten: Ist der »Geistkorb« das Herzstück der Destillier-Anlage?
Nein, eine wichtige Komponente. Der ist voll mit Zitronenschalen. Da müssen dann die Dämpfe durch und nehmen das Aroma mit. Die Anlage als Ganzes ist das Herzstück von Gin Sul.

Neben Gin Sul gibt es Tanqueray, Bombay Sapphire, Beefeater Crown, London Gin und viele andere. Gibt es irgendwann einen Gin Lisboa oder einen musikalischen Gin Fado?
Es gibt in Portugal den einen oder anderen Gin. Aber es gibt dort auch einige Gins, bei denen so getan wird, als würden sie in Portugal hergestellt. Tatsächlich aber kommen sie aus Spanien oder England. Wir haben uns bewusst für Hamburg entschieden, weil es in Portugal damals schlicht nicht möglich war. Aber man soll niemals nie sagen… Vielleicht kriegen wir es doch eines Tages hin, mal schauen. Es bleibt jedenfalls ein Traum von mir!

Das Design von Gin Sul entwerfen Sie selbst. Somit auch die Optik der weißen Tonflaschen. Zu einem guten Produkt gehört ein ansprechendes Design. Wie wichtig ist die Design für gute Verkaufszahlen?
Bei der Menge an Gins, die auf dem Markt sind − und es kommen jede Woche auch noch neue dazu − ist es wichtig, sich zu unterscheiden. Und die typische weiße Tonflasche ist mittlerweile in den Backboards vieler Bars zu sehen. Sie ist sowohl optisch als auch haptisch eine Besonderheit, ein Hingucker. Die Korken sind zweiteilige Naturkorken, die extra für uns in Portugal hergestellt werden. Es ist uns wichtig, alle Teile der Geschichte ehrlich zu erzählen und keinen Humbug zu verzapfen. Viele Gins auf dem Markt basieren auf Marketing-Ideen und hahnebüchenen Geschichten wie, »man hat ein Rezept auf dem Dachboden gefunden«. Eine solche Geschichte trägt nicht ewig. Unsere Destillerie ist jeden Tag auf, so dass jeder sehen kann, wie der Gin hergestellt wird. Und das ist am Ende die Währung, die heutzutage zählt: Glaubwürdigkeit! Design und Glaubwürdigkeit zusammen ergeben das Produkt.

Die Hamburger HADAG-Fähre ist zum Cacilheiro geworden, weil einige der Hamburger Fähren seit etlichen Jahren Lissabon mit Cacilhas verbindet. Dokumentieren die sogenannten Typschiffe auf den Ginflaschen von Gin Sul auch ihre eigene Verbindung zwischen Hamburg und Portugal?
Ja, ich kenne diese Schiffe noch aus meiner Kindheit. Die waren damals im Hamburger Hafen omnipräsent, weil es sehr viele dieser Hadag-Fähren gab. Was ich witzig finde: In Lissabon sind die Fähren für die Portugiesen portugiesische Fähren. Es sind also zwei Städte, für die diese Fähren typisch sind. In Portugal haben sie sogar einen eigenen Namen. Mittlerweile sind viele ausgemustert worden. Ich glaube, es gibt noch zwei Fähren in Lissabon als Reserveschiffe. Eins ist ein Kulturschiff, das bei der Biennale in Venedig war, das zweite ist ein Ausflugsschiff. Für mich sind diese Schiffe typisch hamburgisch und auch portugiesisch.

Funktioniert die Altonaer Spirituosen Manufaktur hierarchisch mit einem Chef und seinen Angestellten oder eher als Team?
Das ist schon eher »Old School«. Wir sind ein tolles Team, jeder kann sich einbringen. Aber wir sind auch ein Produktionsbetrieb, in dem einer die Entscheidungen treffen muss. Und das bin dann ich.

Soll Gin Sul immer weiter wachsen und größere Marktanteile erobern oder setzen Sie auf das Nischendasein spezieller Abfüllungen nach dem Motto »Klein, aber fein«?
Wir müssen wachsen, weil der Spirituosenmarkt ein Verdrängungswettbewerb ist. Wenn man nicht wächst, wird man irgendwann aus dem Regal genommen. Deswegen müssen wir immer ein bisschen wachsen, aber natürlich im gesunden Maßstab. Das ist auch durch die Produktionsräume begrenzt. Ein bisschen Luft nach oben ist aber noch!

Jedes Jahr gibt es eine Sonder-Edition von Gin Sul. Entsteht die Idee dafür nach dem Motto »Alles kann, aber nix muss«?
Ja, aber der Korridor ist: Wie können wir mit Hamburg, Deutschland und Portugal unser Heritage ein bisschen ausleben? Im letzten Jahr haben wir eine Hamburg-Edition gemacht, die hieß »Kleine Freiheit«. Die hat Hamburg in den Vordergrund gestellt. Doch eigentlich ist es ein Spiel, das sich um Portugal dreht.

Die »Tastings« genannten Gin-Workshops sind immer schnell ausgebucht. Gibt es den typischen Gin-Trinker oder auch die Gin-Trinkerin?
Ja, könnte man sagen. Zumindest gibt es eine Altersstruktur, die zwischen 25 und 50 Jahren liegt. Das ist der Hauptteil unserer Kundschaft. Und lustigerweise sind bei Gin Sul auch viele Frauen, bestimmt 45%. Das unterscheidet uns von anderen Marken. Die Tastings sind gemischt und keineswegs reine Jungs-Veranstaltungen.

Und trinken die dann ihren Gin eher zu Hause oder im Restaurant?
Es ist fast eine Sammel-Leidenschaft ausgebrochen. Leute, die sich für Gin interessieren, haben zu Hause meist vier bis sechs verschiedene Gins und experimentieren mit unterschiedlichen Tonics oder Cocktails. Und erst nach dem Gin Tonic kommt die ganze Thematik: Gin Fizz, Gin Sour, Negroni. Es gibt so viele Cocktail-Klassiker auf Gin-Basis, wo auch unterschiedliche Gins Sinn machen. Mein Lieblings-Gin-Drink ist der French 75., ein Gin Fizz, bei dem statt Soda zum Toppen Champagner genommen wird. Der wird in einem Silberbecher serviert. Das ist ein festlicher, toller Gin-Drink, in dem der Gin-Geschmack deutlich rauskommt.

Trotz des Erfolges von Gin Sul sind Sie auf dem Boden geblieben und liefern zum Beispiel die Gin-Kisten immer noch selbst aus. Ohne Kommunikation macht Geschäftemachen keinen Spaß, nicht wahr?
Genau! Wenn man die Gastronomie beliefert, ist das ein People-Business! Wir haben so tolle Mitarbeiter, die sich um die Gastronomie kümmern − zum Teil aus der Gastronomie selber kommen. Da muss man sich mal sehen lassen, gut schnacken, und mittrinken können.

Wenn Fernando Pessoa recht hat, können eigentlich nur PortugiesInnen »saudades« fühlen. Sie aber mittlerweile auch, oder?
Ich bilde es mir zumindest ein. Ich weiß nicht, ob meine portugiesischen Mitarbeiter ihr Veto einlegen würden. Aber ich glaube nicht. Ich empfinde es so, dass ich das schon fühlen kann, vor allem, wenn man die Situationen spüren kann, in denen Portugiesen das spüren. Ich bin neulich mal frühmorgens zum Strand gegangen bei einem schönen Sonnenaufgang. Da standen drei junge Mädels, und die eine sagte zu den beiden anderen: «Que saudade!» In diesem Moment weiß ich wirklich, was damit gemeint ist. Auch wenn man durch Lissabon geht, bleibt es nicht aus. Diese Stadt ist so magisch und versprüht diese Saudade an allen Ecken, so dass man sich dem gar nicht entziehen kann.

Tut die Lockerheit der Menschen in Portugal auch deshalb gut, weil in Deutschland viele Menschen mit Scheuklappen durch die Gegend laufen?
Portugiesen sind gar nicht so locker! Sie sind uns Hamburgern in vielen Dingen sehr ähnlich. Sie sind teilweise sogar sehr nüchtern. Es ist oft gar nicht dieses Südländische, das man aus Italien kennt. Oder dieses Ungestüme. Man muss sich nur angucken, wie die Portugiesen Auto fahren: sehr bedacht, sehr langsam, da hupt keiner. Es ist nicht Istanbul!

Ihr Lebensmotto lautet »Work like you don’t need the money«. Um mit Ihren eigenen Worten zu fragen: Ist es nicht geil, ­genau das zu machen, was man schon ­immer machen wollte?
Das ist eigentlich die größte Erfüllung! Ich kenne so viele Menschen, die so unglücklich sind in ihrem Job und das nur machen, weil sie es studiert haben oder weil sie sich gefangen fühlen in Zwängen. Ich hatte die Gelegenheit, komplett neu zu starten, mein altes Leben hinter mir zu lassen und einfach einen neuen Berufsweg anzufangen. Dass das funktioniert hat, macht mich sehr glücklich und auch demütig. Das hätte ja auch in die Hose gehen können. Ich lerne nette Leute kennen, bin viel im Ausland, beruflich auch viel in Portugal. Zudem haben wir einen tollen Importeur an der Algarve, der unser Produkt vertreibt. Dem versucht man natürlich ab und zu unter die Arme zu greifen. Das macht schon Spaß!

Was fehlt, wenn man ein dünnes bauchiges Glas hat, dickes Eis, Orangenzeste, einen Zweig Rosmarin und einen guten Tonic?
Noch ein guter Gin, und zwar in ausreichender Menge, sage ich als Produzent. 5−6 cl Gin sollten es schon sein.

Lieber Stephan Garbe, herzlichen Dank für dieses wundervolle Gespräch!

Foto der Destillier-Anlage von Gin Sul in Hamburg

Destillier-Anlage von Gin Sul in Hamburg · Foto: © Andreas Lahn

Kork aus dem Biotop Alentejo (deutsche Version)

Foto von Korkeichen in Portugal

Kork aus dem Biotop Alentejo
•  von Ana Carla Gomes Fedtke und Eberhard Fedtke

> Wenn die Welt über Kork spricht, redet sie über Portugal und eines seiner bekanntesten Produkte: Kork. Die Korkeiche liefert den wertvollen Grundstoff für eine Anzahl von Gegenständen des industriellen und privaten Lebens. Kork lässt sich in vielfältigen Modalitäten verwenden. An erster Stelle rangiert mit 70% die Produktion von Flaschenkorken, sodann die Fertigung von Tapeten, Fussböden, Taschen, Geldbörsen, Schuhsohlen etc. Dieses Grundmaterial vereinigt wichtige Eigenschaften, ist ein besonders leichtes Produkt mit elektrisch und akustisch dämmenden Elementen. Selbst die astronautische Technik profitiert nachhaltig von diesen originären und nützlichen Vorzügen. Kork umrundet ständig in Satelliten die Erde.
Portugal produziert die Hälfte des Weltmarktes an Kork. Unter den Mittelmeerländern, welche Kork anbauen, steht unser Land in direktem Wettbewerb mit Spanien und Italien an erster Stelle. Auf einer Fläche von 800.000 ha im Biotop Alentejo zeigen sich die Korkeichen immer grün, selbst in extrem heissen Sommern mit bis über 40 Grad, wohingegen sie kalte Winter nicht mögen. Die berühmten «Montados» produzieren einen hochwertigen industriellen Grundstoff. Darüberhinaus bildet das blühende Alentejo ein ökologisches und waldbäuerliches Zentrum, solidarisch darin reiche Natur, menschliche Inspiration und Technik. Das luftsaubere Alentejo produziert jährlich circa 14 Millionen Tonnen an Kohlenstoffdioxid, in der Menge ausreichend zur Neutralisierung und Filterung des Kohlenmonoxids von drei Millionen Autos. Eine Freude für die Natur. Die Korkeiche lebt bescheiden, schont die Nährstoffe der Natur, sofern diese nicht kalkhaltig ist. Um harmonisch zu wachsen, genügen 500 bis 700 Millimeter Regen pro Jahr.
Korkeichen sind Einzelbäume, benötigen für ihre ausladenden Kronen große Flächen und viel Licht von allen Seiten. In dicht gedrängten Waldformationen vermögen sie nicht zu leben. Beim Durchqueren des Alentejos sieht man ihre majestätischen Einzelstände, ein Anblick, der vielfach bis an den Horizont reicht.
Die Korkeiche existiert seit 30 Millionen Jahren. Im Gebiet des Alentejos findet man an die 200 Arten an Fauna, einige Exemplare nur hier heimisch. Die Korkeiche, eine Ikone Portugals, bildet das Hauptwappen vieler Gemeinden. Im Jahr 2007 gab die Bank von Portugal ein 2-Euro-Geldstück zu Ehren der Korkeiche heraus, um an die Präsidentschaft Portugals in der Europäischen Gemeinschaft zu erinnern.
Die Ernte des Korks ist ein Unterfangen von Hand mit der Axt, durchgeführt zwischen den Monaten Mai bis August, eine Tätigkeit, die nicht der Fertigkeit eines jeden entspricht, denn es ist viel Erfahrung und Einfühlung aufzubieten, nicht das Innere des Baums zu verletzen, lediglich die wertvolle »Haut«, den Kork in einer Breite von 2,7 bis 4 Zentimetern, abzuschälen. Nur alle neun Jahre kann Kork geerntet werden, erstmals nach 12 bis 15 Jahren. Ab der dritten Ernte kommt zum ersten Mal ein optimales Ergebnis heraus. Jeder Baum liefert zwischen 100 und 200 kg Kork, bezogen auf 5 bis 10 Ernten. Ein Hektar kann 200 bis 500 kg/pro Jahr erzielen. Der Baum hat eine durchschnittliche Lebensdauer von 200 Jahren. Korkeichen dürfen gemäß öffentlicher Regeln nicht gefällt werden, bevor sie nicht vollständig abgestorben sind. Menschlicher Respekt vor der Schöpfung Natur.
Die Korkreiche wurde zum »Europäischen Baum des Jahres 2018« auserwählt, eine außerordentliche Ehre und Auszeichnung für einen Baum, dessen kultureller Wert Portugals Einordnung im zentralen Blick der gesamten Welt repräsentiert. Die berühmte Korkeiche
«O Assobiador» in Águas de Moura in der Gemeinde Palmela, im Jahr 1783 gepflanzt, zählt heute 235 Jahre, umfasst eine majestätische Höhe von 17 Metern und weist 30 Meter Umfang in der Krone aus. Sie lieferte zwanzig Mal Korkeiche. Ihre Ausnahmestellung als »größte Korkeiche der Welt« ist im Guinness Buch der Rekorde festgehalten. In einem europäischen Wettbewerb im März 2018 in Brüssel mit online-Abstimmung gewann das «O Assobiador»-Exemplar den Wettbewerb zum europäischen Baum gegen einen spanischen Baum auf dem zweiten Platz und einem russischen auf dem dritten. Das portugiesische Volk gab dem «Assobiador» wegen der zahllosen Vogelscharen, die in seiner barocken Krone ein harmonisches und ausgedehntes Gezwitscher veranstalten, liebevoll den Namen »pfeifende Korkeiche«.
Ein aktuelles Thema stellt die Zukunft der Korkindustrie dar, für Portugal ein wirtschaftliches Problem grosser Bedeutung. Der Korken stösst auf beachtliche Wettbewerber technischer Applikationen. Bekanntlich bevorzugen viele Produzenten, Flaschen mit künstlichen Korken oder Drehkapseln zu verschliessen. Eine andere Form der Aufbewahrung des Produktes, wie es an Weinboxen in Supermärkten erkennbar ist, stellt der synthetische Behälter mit Plastikverschluss dar. Wissenschaftliche Versuche ergaben, dass für die Haltbarkeit des Weines der Korken eindeutig die schwächste Wirkung gegenüber den drei anderen Alternativen entfaltet. Einfache Begründung ist, dass der Korken gemäß seiner natürlicher Beschaffenheit nicht hermetisch schliesst und stets luftdurchlässig beleibt. Statistisch ist belegt, dass zwei bis fünf Prozent der jährlichen Ernte wegen bakterieller Infektion der Korken gefährdet ist, ein Umstand, welcher die minutiöse Kontrolle bei der Endfertigung des Produktes erklärt. Das klassische Verfahren, Flaschen horizontal zu lagern, damit die Korken immer feucht bleiben, stellt nicht die absolute Lösung zur Absicherung des Produkts dar.
Auf Anfrage beim Korkverband zu diesen Gegebenheiten erwidert das Unternehmen gelassen, dass diese Fakten bekannt und ständig unter Beobachtung seien. Was eine ausgewogene Zukunft des Korkens anbetrifft, so sind die Verantwortlichen überzeugt, dass guter Stil, Tradition und Weinkultur die Oberhand behalten. Argument: Kein Gast offeriert eine Flasche mit einem Kunstkorken oder Schraubverschluss oder Wein in Plastikabfüllung. Qualitäts- und Spitzenweine für den nationalen und internationalen Markt seien mit der nicht in Frage zu stellenden Wertigkeit des Naturkorkens verknüpft, ungeachtet der geschilderten Gefahr des Befalls mit Bakterien, ein einkalkuliertes Risiko. Um das Risiko einer Verunreinigung zu verringern, stellt die Herstellung der Korken eine äußerst kritische Aufgabe mit profunder Kontrolle dar, wobei nur beste Ergebnisse die Endphase überstehen.
Die Zukunft des Korkens berührt die Existenz von etwa 700 Firmen dieser Sparte und bildet einen wirtschaftlichen Pfeiler des Landes, vor allem für das Alentejo, indem es die Lebensbasis für ungezählte Familien bildet, welche in der Produktion, Verarbeitung und im Verkauf dieser Ware arbeiten. Befragte Arbeitnehmer der Korkbranche sind gleichfalls wenig besorgt, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, und betonen, dass der Sektor dieses industriellen Reichtums unantastbar bleibt.
Innerhalb dieser angesprochenen Aspekte müssen Produzenten auf umsichtige Art und Weise vorausschauen, den Bestand für die Herstellung dieses wertvollen Grundstoffs vernunftgerecht zu erweitern, nicht nur abgestorbene Bäume zu ersetzen, sondern gezielt neue Bäume zu pflanzen, um Umwelt- und Ökologiestandards zu erhalten, einbezogen eine intelligente Forststrategie auf der Grundlage, dass der Korkbaum resistent gegen Feuer ist. Mit Blick auf ökonomische Ergebnisse geschieht die Anpflanzung für die nächste Generation. Diese wird in der modernen Welt Kork benötigen, hoffen wir sehr.
Stoßen wir mit einer guten Flasche auf die Zukunft des Korkens an.

Tavira: Wundervolle Stadt mit eigener Insel

Foto der Brücke Ponte Antiga sobre o Rio Gilão in Tavira

Mit Tavira beginnt Anfang der 1980er Jahre meine Liebe zu Portugal
• von Andreas Lahn

> In Abwandlung eines Spruchs von Fernando Pessoa könnte man sagen: «Quem não viu Tavira, não viu coisa boa.» − »Wer Tavira nicht gesehen hat, hat (noch) nichts Schönes gesehen!«Pessoa bezieht sich natürlich auf sein geliebtes Lissabon, aber für mich trifft dieser Spruch allemal auch auf Tavira zu. Und das liegt nicht nur daran, dass dies die erste Stadt in Portugal ist, die ich kennenlerne. Heute hat sie circa 30.000 EinwohnerInnen, liegt im östlichen Teil des Algarve und wird − wie viele andere Orte auch − im Sommer von TouristInnen aus allen möglichen Ländern überrannt. Doch Tavira hat sich seinen eigenen Charakter bewahrt und auf den Bau riesiger Bettenburgen verzichtet. So ist der beeindruckende Charme an allen Ecken und Ecken noch spürbar, vorausgesetzt, Sie sind bereit, mit geöffnetem Herzen durch den Ort zu schlendern.
Als ich Anfang der 1980er Jahre zum ersten Mal an den Algarve fahre, lande ich aus heute nicht mehr nachvollziehbaren Gründen auf dem Camping-Platz der Ilha de Tavira. Knallige Hitze, gemütliche Cafés, Bars und Restaurants gepaart mit der Leichtigkeit des Jungseins bringen mich schnell zu der Frage, was die Welt kostet und was eigentlich wichtig ist im Leben. Wir hatten damals nicht viel Geld (genau wie heute), und wir brauchten auch nicht viel (fast so wie heute).
Die Tage auf der Ilha sind für mich ­unvergesslich! Das Leben auf dem ­Camping-Platz ist für junge Leute ideal: Günstige Preise, die Möglichkeit zur Selbstversorgung, viel Natur, direkt am Strand, vielen andere jungen Leute etc. Da wir den Strand vor dem Zelt haben, verbringen wir viele Stunden am Meer, baden, liegen in der Sonne, lesen, dis­kutieren und genießen es, in den Tag hineinzu­leben. Hier entstehen Kontakte zu Menschen aus aller Welt, die man am Abend bei kleineren Partys wiedersieht. Bisweilen treffen wir uns am Strand, schauen auf den am Algarve grandiosen Sternenhimmel und verbessern in end­losen Diskussionen die Welt.
Natürlich haben wir auch Zeit, in den Cafés und Restaurants auf der Ilha verbracht. Morgens ist − bisweilen − die Sun­shine Bar angesagt, mit schönem Blick über den kilometerlangen Sandstrand und leckerem Frühstück. Am frühen Abend ist dann − ab und zu − der Pavilhão da Ilha erste Wahl. In diesem Familienbetrieb arbeiten Jung und Alt miteinander. Ein Kellner stammt aus England und hat sich in eine portugiesische Frau aus der Familie verliebt. Der eigenwillige, schon etwas betagte Besitzer lässt seine wechselnden Launen an allen Anwesenden aus. Dazu kommt der Alkohol und macht etliche unangenehme Situationen noch unangenehmer. Hier gibt es auch heute noch einfache portugiesische Gerichte. Ich habe bisweilen nostalgische Anwandlungen. Wie vor 35 Jahren bestelle ich auch heute Sardinen mit Salat und fühle mich durch das Schwelgen in Erinnerungen einige Jahrzehnte jünger. Verstärkt wird dieses Gefühl noch durch den jetzigen Besitzer, der seit circa 30 Jahren in dem Lokal arbeitet, eben seit Anfang der 1980er Jahre. Ich erkenne ihn wieder und spreche ihn auf die alten Zeiten an. Er erinnert sich auch an mich, obwohl ich zu jener Zeit mit ­einer richtig langen Mähne herumgelaufen bin. Das sind schöne Geschichten, die das Leben schreibt. Immer wenn ich im Sommer am Algarve bin, plane ich einen Abstecher zur Ilha de Tavira ein, auch wenn mich das Strandleben beileibe nicht mehr so reizt wie früher.
Wer vom Camping-Platz ins Zentrum Taviras will, muss zunächst mit einer kleinen Fähre von der Ilha zum Fähranleger »Quatro Águas« fahren. Der Name beschreibt die Lage des Anlegers, weil sich hier der Wasserweg der Lagune mit dem Rio Gilão kreuzt. Es ist nur ein Katzensprung von der einen Seite zur anderen. Und doch ist jede Überfahrt etwas Besonderes. Schließlich kommt man vielen Menschen aus allen möglichen Ländern nah. Ich frage mich gerade, was wohl die portugiesischen Schiffsführer und Kartenverkäufer gedacht haben, als all die alternativ gekleideten jungen Leute ihr Schiff betreten, um auf der Ilha de Tavira Partys zu feiern. Diese Frage werde ich mir bei meinem nächsten ­Besuch beantworten lassen…
Von Quatro Águas gibt es eine (staubende) Straße in das kleine Städtchen. Auch wenn ein Bus fährt, bin ich diesen Weg (fast) immer zu Fuß gegangen. Er führt an riesigen mit Salzwasser gefüllten Becken vorbei. Die Salzberge werden von SalzgärtnerInnen bearbeitet und glitzern in der glühenden Sonne. Ich kaufe mittlerweile gerne portugiesisches Salz, und auch das wundervolle Flor de Sal, das per Hand im Naturschutz gebiet Ria Formosa geerntet wird. Die Salz­gewinnung ist schon seit den Römern bekannt. So sollen die römischen Legionäre ihren Sold (Salär) teilweise in Salz erhalten haben.
Wir bummeln durch den Ort, erfreuen uns an den leuchtenden Farben und genießen die Hitze. Der vor allem im Abendlicht romantisch wirkende Fluss Rio Gilão teilt Tavira in zwei Teile, die durch Brücken verbunden sind. In dem kleinen Park am Fluss spenden Bäume Schatten, dort trinke ich auch ganz gern in einem der zahlreichen Cafés einen Galão. Im Zentrum kaufe ich eine Zeitung und ein paar Lebensmittel, und dann sind wir auch schon wieder auf dem Weg nach »Quatro Águas«, von wo uns die häufig voll besetzte Fähre zur Insel zurückbringt.
Tavira ist also der erste Ort, den ich in Portugal kennenlerne und bis heute sehr schätze. Der Charme von damals ist bis heute geblieben, auch wenn sich einiges verändert hat. Auf der anderen Uferseite sind viele Straßen und Häuser neu gebaut worden. Das Schicke lockt natürlich zahlungskräftigere TouristInnen an, mit dem vermutlich immer gleichen Resultat: Steigende Einnahmen für einen Teil der Bevölkerung gepaart mit höheren Preisen für alle anderen.
Ich gehe auch heute noch gerne rauf zur Burgruine, schaue mich im maurischen Viertel um und gehe auf Entdeckungstour im Rest der Stadt. Wenn Sie am späten Abend auf der siebenbogigen Ponte Antiga sobre o Rio Gilão stehen oder sich gemütlich hinsetzen und den Blick in alle Richtungen schweifen lassen, kommen Sie aus dem Staunen nicht ­heraus: Die Sicht auf das Rund der Praça da Republiça ist schon beeindruckend, weil Sie die Uferstraße genau so im Blick haben wie den wunderschönen Platz selbst mitsamt der angrenzenden Läden, Restaurants und Cafés. Am anderen Ufer sehen Sie das abendliche Treiben in einem schönen und romantischen Stadtviertel, das sich im Laufe der Jahrzehnte immer weiter gemausert hat und dabei ist, dem historischen Zentrum die Aufmerksamkeit zu stehlen. Und dann sind da ja auch noch die Brücke und der Fluss selbst und öffnen Blicke Richtung Meer und ins Landesinnere. Spürt man auf der einen Seite die salzige Luft des Meeres, stehen auf der anderen geöffnete Restaurants und Häuser, die teilweise einen eigenen Bootssteg haben und ein wenig venezianisches Flair verströmen. Die ­alten Laternen auf der Brücke − die im Übrigen nur für Fußgänger geöffnet ist − sorgen für romantisches Licht und eine Stimmung, in der sich Verliebte − und diejenigen, die auf dem Weg dahin sind − sehr wohl fühlen sollten.
Mein Hotel ist bei diesem Besuch eher schlicht, hat aber eine Besonderheit zu bieten: Ich kann bis ganz nach oben auf’s Dach steigen und den grandiosen Blick in alle Richtungen genießen. Das ist vor allem am Abend ein Vergnügen, weil dieses Lichtermeer der Stadt genau so beeindruckend ist wie das bunte Treiben auf den angrenzenden Straßen.
Man kann von Tavira einige Ausflüge in die nähere Umgebung und auch in andere Städte wie Olhão, Faro oder ­Ca­stro Marim machen. Mit dem Miet­wagen ist man vermutlich flexibler und auch schneller. Dennoch bevorzuge ich meistens den Zug. Hier scheint sich im Laufe der Jahrzehnte kaum etwas verändert zu haben. Die Waggons wirken uralt, der Zug schleicht vor sich hin wie in den 1980er Jahren, die meisten Streckenabschnitte sind nach wie vor eingleisig. Und doch gefällt mir diese gemächliche Art des Reisens. Ich habe Zeit, kann lesen und suche hin und wieder das Gespräch mit den portugiesischen Mitreisenden.
Wenn Sie Fan von Fernando Pessoa sind, kommen Sie in Tavira auf Ihre Kosten, denn in der Rua da Galeria gibt es eine Bibliothek, die Casa Álvaro de Campos heißt und nach einem von Pessoas Heteronymen benannt ist. Den Hintergrund liefert Catrin George Ponciano in ihrem Buch 111 Orte an der Algarve, die man gesehen haben muss: »In Tavira sorgte seinerzeit der literarische Nachlass eines gewissen Jara für die Grundsteinlegung der Bibliothek und Fernando Pessoas Heteronym später für ihren Namen. Eine poetische Hommage an einen erfundenen Autor. Das Haus in Tavira gedenkt Fernando Pessoa und seinem Heteronym aus Tavira mit Literatur­salons, literarischen Spaziergängen und Ausstellungen.« (S. 216)
Also: Wenn Sie schon nicht in Tavira nächtigen, ist zumindest ein Ausflug ein absolutes Muss, denn diese Stadt ist im Gegensatz zu vielen anderen Orten am Algarve wirklich noch »portugiesisch« geprägt. Wer nur an Action und Partys interessiert ist, wird Lagos vielleicht ­interessanter finden. Aber die Gefühle sind ja bekanntlich verschieden. Für mich jedenfalls ist Tavira nach wie vor eine wundervolle portugiesische Stadt mit großem Charme. Und das nun schon seit 35 Jahren!

Multimedia Show im Lissabonner Convento do Carmo

Foto von der Multimedia Show im Convento do Carmo 2018

Bei »Grandola« flossen die Tränen 
• von Wolfgang Weiß

> Der zweifellos emotionale Höhepunkt war, als die Stimme des vor 31 Jahren gestorbenen Musikers und Interpreten José Afonso − auch Zeca Afonso genannt − mit dem legendären Lied «Grandola, vila morena» (Grandola, braune Stadt) in den Ruinen des Con­vento do Carmo im Lissabonner Stadtteil Bairro Alto ertönte. An den Wänden der Klosterruine wurden wie auf einer 360-­ Grad-Leinwand Bilder aus jenen Tagen um den 25. April 1974 projiziert, als junge Soldaten und Offiziere mit Hilfe des ­Volkes die älteste faschistische Diktatur Europas stürzten und Marktfrauen den Befreiern rote Nelken in die Gewehr­läufe steckten. «Grandola, vila morena», im Rundfunk abgespielt, war damals das ­Signal zum Losschlagen. Noch heute, mehr als 44 Jahre später, sind dieses Lied und die damit verbundenen Ereignisse tief im Bewusstsein der Portugiesen verankert. Bei Zeca Afonsos Melodie standen die Besucher der Show im Convento do Carmo auf und sangen mit, bei vielen flossen Tränen.
Es war keine politische sondern eine kommerzielle Veranstaltung unter dem Titel «Lisbon under Stars» (Lissabon ­unter Sternen) in Anspielung auf die Tatsache, dass das ehemalige Kloster unter freiem Himmel steht, also nur noch die Seitenwände zum Teil erhalten sind. In der imposanten und technisch hochwertige Show ging es in einer Art Zeitraffer um 600 Jahre der wechselvollen Geschichte des Klosters und der Geschichte Portugals überhaupt. Dabei projizierten Laser Sterne in den nachtblauen Himmel über Lissabon. Die Show begann mit ­einem eindrucksvollen musikalischen Prolog des wohl bedeutendsten portugiesischen Komponisten Luis de Freitas Branco, dessen Musik auch den ersten Akt des Spektakels begleitete: die Schlacht von Aljubarrota. Damals, am 14. August 1385, schlugen 7000 portugiesische Krieger ein spanisches (kastilianisches) Heer von 40.000 Mann, und sicherten so die Unabhängigkeit des ältesten europäischen Staates in seinen ursprünglichen Grenzen. An den Klosterwänden sah man sich Ritter schlagen und sterben.
Neben den Bauphasen des Convento do Carmo − untermalt und begleitet durch Tanzszenen berühmter portugiesischer Ballettkünstler − konnten die Besucher dank Multimedia auch an der Ent­deckung des Seeweges nach Indien am 8. Juli 1497 durch Vasco da Gama teilnehmen. Dramatisch, optisch wie akustisch, wurde es, als sich die Show mit dem schweren Erdbeben vom 1. November 1755 befasste, dem Feuersbrünste und eine Tsunami-Welle folgten. Damals wurden große Teile Lissabons und auch das Convento do Carmo zerstört. An den Wänden des Klosters irrten verzweifelte Menschen auf der Suche nach Schutz umher, untermalt von dramatischer ­Musik Freitas Brancos. Dessen Sohn, ein bekannter portugiesischer Dirigent, war übrigens Präsident der Freundschafts­gesellschaft Portugal—DDR.
Ein kleines Kapitel, das in einer geschichts- und musikbetonten Show in Portugal nicht fehlen darf, gehörte dem Fado. Und damit dem 23. Juli 1920, als Amalia Rodrigues geboren wurde, die wohl berühmteste Interpretin dieses ­typischen volkstümlichen Gesangs. Ihre bis heute unvergleichliche Stimme ertönte im Convento do Carmo mit dem Lied «Lisboa Antiga» (Alt-Lissabon). Den Abschluss der 12 Kapitel umfassenden Show bildete ein buntes Potpourri zu Themen wie »Lissabon heute, Lissabon frei, Lissabon multikultural«, wo erzählt wurde, wie heutzutage in der portugiesischen Hauptstadt gelebt wird. Musikalisch untermalt wurde das Ganze von der Sängerin ­Mariza, der man nachsagt, sie könne die Nachfolgerin von Amalia werden. Die Show endete um Mitternacht − unter den Sternen von Lissabon.

Cortiça do biótopo Alentejo (em português)

Foto von Korkeichen in Portugal

Cortiça do biótopo Alentejo
•  Ana Carla Gomes Fedtke e Eberhard Fedtke

> Se o mundo inteiro falar de cortiça, fala-se de Portugal e de um dos seus produtos mais famosos: cortiça. O sobreiro fornece o precioso material para uma selecção de acessórios na vida industrial e privada. A cortiça pode ser usada em muitas modalidades. Figura em primeiro lugar com a produção de 70% de rolhas, depois o fabrico de tapetes, pisos, bolsas, carteiras, solas de sapatos, etc. Esta matéria-prima combina ­factores importantes, é um produto particularmente leve, que isola eléctrica e acusticamente todos os componentes. Mesmo a técnica astronáutica aproveita profundamente destas vantagens originais e úteis. Cortiça gira permanentemente nos satélites à volta da terra.
Portugal produz metade da cortiça do mercado mundial. De entre os países ­mediterrânicos que exploram a cortiça, o nosso país aparece na frente em competição directa com a Espanha e Itália. Numa área de 800.000 hectares do biótopo Alentejo os sobreiros apresentam-se sempre verdes, ainda que seja no extremo calor do verão com temperaturas ­superiores a 40 graus, no entanto não gostam de invernos frios. Os famosos «montados« produzem um elemento básico de elevada categoria industrial. Para além disso, no Alentejo florido existe um centro ecológico e agro-florestal em solidariedade com uma natureza rica, com a inspiração humana e com a técnica. O Alentejo puro produz por ano cerca de 14 milhões de dióxido de carbono, esta é uma capacidade suficiente que permite neutralizar e filtrar o monóxido de carbono, correspondente a 3 milhões de ­autocarros. Uma jóia para a saúde. O ­sobreiro vive de forma modesta, resguardando a riqueza alimentar da terra, ­especialmente quando ela não é calcária. Para crescer harmoniosamente, entre 500 até 700 milímetros de chuva por ano chegam.
Os sobreiros são solitários, precisam para as suas amplas copas de largos espaços e de muita luz, vinda de todo o lado. Não podem viver em densas estruturas florestais. Atravessando o Alentejo, vê-se bem as suas majestosas posições isoladas entre si, um quadro que muitas vezes se preenche até ao horizonte.
O sobreiro tem 30 milhões de anos de existência. Encontram-se em terras alentejanas, cerca de 200 espécies diferentes de fauna, alguns exemplares são indígenas. O sobreiro, o ícone de Portugal, é o símbolo principal de muitas vilas. No ano de 2007 o Banco de Portugal emitiu uma moeda de 2 euros em homenagem ao ­sobreiro, a fim de ser recordado na ­presidência de Portugal na Comunidade Europeia.
A colheita de cortiça é uma destreza manual com o machado, feita entre os meses de maio e agosto, uma manobra que não está ao alcance de todos, uma vez que é necessário ter-se muita experiência e cuidado para não estragar o interior da árvore, só descascar a preciosa «pele», a cortiça entre 2,7 a 4 centímetros. Só de 9 em 9 anos é que a colheita de cortiça pode ser feita, sendo que a primeira vez é realizada após 12 a 15 anos. Depois da terceira colheita aparece o primeiro resultado de óptima qualidade. Cada exemplar produz entre 100 a 200 kg de cortiça, retirando-se entre 5 a 10 colheitas. Um hectare pode dar 200 a 500 kg/ano. A árvore tem uma vida média de 200 anos. Sobreiros, de acordo com as regras públicas fixadas, não podem ser cortados, a menos que se encontrem definitivamente mortos. Respeito humano pela ­criação natural.
O sobreiro foi escolhido como a ­«árvore europeia do ano 2018», uma excepcional honra e condecoração singulares para uma planta, cujo valor cultural representa a colocação de Portugal numa projecção central em todo o mundo. O famoso sobreiro «O Assobiador» em Águas de Moura, no concelho de Palmela, plantado no ano de 1783, tem hoje 235 anos de existência, apresenta uma majestosa altura de 17 metros e exibe 30 metros de diâmetro no tronco. For­neceu cortiça mais de 20 vezes. A sua grandiosidade como «maior sobreiro do mundo», consta no livro do Guiness em termos de recordes. Num concurso europeu, em Bruxelas, em Março de 2018, através de uma votação online, o exemplar «Assobiador» ganhou a competição de árvore europeia do ano contra um sobreiro espanhol que ficou em segundo lugar, e um russo, respectivamente em terceiro lugar. O povo português deu carinhosamente ao «Assobiador» o nome de «sobreiro apitando», por causa das inúmeras quantidades de alegres passarinhos ruidosos que habitam na sua copa barroca e fazem um harmonioso e intenso chilrear.
Um problema da actualidade é o futuro da indústria de cortiça, um facto ­económico de grande importância para Portugal. A rolha encontrou concorrências significantes de aplicações técnicas. Como é sabido, muitos produtores ao ­fechar as garrafas preferem usar rolhas artificiais ou tampas de enroscar. Uma outra forma de fechar o produto, como se vê nas caixas de vinho nos supermercados, é o sistema de saco sintético com válvula de plástico. Sondagens científicas provaram que para conservar a qualidade do vinho, a rolha, claramente, tem o pior efeito relativamente às outras três alternativas. A razão simples é a de que a rolha de cortiça, conforme a sua ­consistência natural, não fecha hermenêuticamente, é sempre permeável ao ar. Comprova-se estatisticamente que entre 2 a 5 % da produção anual está em risco devido à infecção bacteriana das rolhas de cortiça, facto que explica o minucioso controlo na finalização do produto. O procedimento clássico de armazenar as garrafas na horizontal para que as rolhas permaneçam molhadas, não é a solução absoluta para a conservação do produto.
Questionada a associação portuguesa de cortiça sobre estas circunstâncias, a entidade responde calmamente que os factos em causa são conhecidos e continuamente observados. Mas os responsáveis estão convencidíssimos relativamente a um futuro harmonioso da rolha de cortiça que prevalece em nome do bom gosto, da tradição e da cultura do vinho. Argumento: nenhum hóspede oferece uma garrafa com rolha artificial, de ­enroscar ou um vinho com ventilador de plástico. Os vinhos de qualidade e de ­categoria para o mercado nacional e mundial são conectados pela indubitável força da rolha de cortiça, não obstante o perigo descrito de infecção com bactérias, um risco aceite. Com o intuito de minimizar uma possível contaminação, a produção das rolhas é um trabalho muito criterioso e profundamente contro­lado, só os melhores resultados passam à fase final.
O futuro da rolha de cortiça toca a existência para as cerca de 700 empresas do sector e que formam um pilar económico para o país, em primeiro lugar para o Alentejo, garantindo a base de vida de inúmeras famílias que trabalham na área da produção, manufactura e venda do material. Os trabalhadores do sector da cortiça, entrevistados mostram-se também pouco preocupados na perda do seu posto de trabalho, afirmando que o sector desta riqueza industrial manter-se-á intocável.
De forma cuidadosa, de entre todos os aspectos focados, os produtores devem colocar a hipótese de ampliar razoavelmente o espaço de produção desta valiosa matéria-prima, não só substituindo árvores mortas, como ainda plantar ­novas árvores devidamente, a fim de salvar as condições ambientais e ecológicas, incluindo uma estratégia florestal inteligente pelo facto de que o sobreiro é resistente contra o fogo. Visto os resultados económicos, a plantação é feita para a próxima geração. Ela, no mundo moderno, vai precisar da cortiça, assim o esperamos vivamente.
Brindamos com uma boa garrafa ao futuro da rolha de cortiça.

Über die Brände in der Serra de Monchique

Foto vom Brand in Monchique 2018

Das Leben geht weiter  •  von Timo Dillner 

> Als uns Freunde im Mai fragten, wo wir nach unserem Umzug von Lagos wohnen würden, beschrieb ich ihnen die Gegend scherzhaft: »Bei Monchique, noch ein bisschen höher. Ganz oben in den Bergen, wo es im Sommer immer so lichterloh brennt.« Tatsächlich hatten wir in den 20 Jahren, die wir an der Küste wohnten, keinen Sommer erlebt, in dem die Berge von Monchique, Foia und Picota völlig von Bränden verschont geblieben wären. Und jedes Mal, wenn in der Ferne Rauch aufstieg, betete man, dass es nicht wieder so schlimm würde wie 2003, als die Nächte dort oben glühten wie die Orkschmieden von Mordor; als Asche und verkohlte Eukalyptusblätter vom heißen Wind bis nach Lagos getragen wurden, wo sie als schwarzer Schnee vom Endzeithimmel rieselten, an dem die Sonne zu einem trüben orangefarbenen Ball geschrumpft war.
Vorerst mussten wir uns allerdings keine Sorgen machen, denn während Mittel- und Nordeuropa in der Hitze schmolzen, erlebte die Algarve das scheußlichste Frühjahr seit Anno Weiß­ichnicht, und in Monchique, wo es immer noch ein paar Grad kälter und ein paar Eimer Wasser feuchter ist als unten an der Küste, waren die Kamine bis weit in den Juni hinein in Betrieb. Es dauerte lange, bis der Sommer endlich zu uns in die Höhe kam, und am 1. August war er plötzlich da und krempelte die Ärmel hoch.
Am 2. August wurde die Waldbrand­gefahr in den dunkelroten Bereich ausgerufen. Alle Handys empfingen vom Zivilschutz SMS-Nachrichten, die zu erhöhter Vorsicht mahnten, und die Waldarbeiter mussten ihre Maschinen ruhen lassen. An unserem Häuschen kommen recht häufig größere und kleinere Wandergruppen vorbei, die die schöne Landschaft von Monchique bis hinauf zur Foia zu Fuß erkunden. Mit einer französischen Gruppe kamen wir ins Gespräch. Meine Frau sagte, ihr wäre nicht wohl, wenn sie mich mit dem Skizzenblock jetzt in irgendeinem Wald wüsste, denn so ein Feuer breitet sich in Windeseile aus. Wer weiß, ob man noch entkommen würde. Auch ein Spaziergang könne gefährlich sein, und es wäre auf alle Fälle besser, sich auf den Wegen zu halten. Die Franzosen lächelten und bedankten sich und fanden unsere Sorge offenbar ein wenig übertrieben. Einige Stunden später − wir gingen in der Hitze unseren ­Arbeiten nach − näherte sich lautes Geschrei. Es war just eine der Französinnen, mit denen wir vorher noch gesprochen hatten. Mit wirrem Haar stürzte sie von Haus zu Haus und schrie, es würde brennen und das Feuer käme schnell und wir müssten alle fliehen. Wir freuten uns gar nicht darüber, dass wir mit unserer Warnung recht gehabt hatten, zumal wirklich nicht weit von uns einige Rauchwolken aufstiegen. Gemeinsam mit den Nachbarn beobachteten wir besorgt, wie der Rauch dichter wurde, aufstieg und sich in unsere Richtung auszubreiten schien. Wir ahnten auch, wo es brannte und machten uns Sorgen um die junge Familie, deren Haus und Caravan dicht an einem Kiefernwald standen. Es dauerte glücklicherweise nicht lange, bis die Hubschrauber und Fahrzeuge der Monchiquer Feuerwehr kamen, und tatsächlich war der Brand nach gut zwei Stunden gelöscht. Traurig war die Gegend anzusehen, keinen Kilometer von uns entfernt, aber Haus und Caravan standen unversehrt, von der Feuerwehr bewacht, die die Umgebung kontrollierte, ob nicht etwaige Funken oder Glutherde übrig geblieben waren. Bald stellte sich heraus, dass ein erhitztes Stromkabel in einem Verteilerkasten die Ursache der Entzündung war. Zum Glück des schnell ­gelöschten Feuers kam nun die Erleichterung darüber, dass es nicht Brandstiftung war. Am Abend wurde wieder alles ruhig und friedlich, und wir waren froh, dass wir sozusagen mit dem Schrecken davon­gekommen waren. Das war am Donnerstag, dem 2. August.
Am Freitag stieg abermals Rauch in den Himmel. Und diesmal bekam die Feuerwehr es nicht in den Griff.
Ich erhielt an diesem Tag eine e-Mail vom PORTUGAL REPORT, ob ich nicht einen Textbeitrag für die kommende Ausgabe verfassen wolle. Meine Antwort war kurz:
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FREITAG ››› 3.8.2018
Lieber Andreas − haben gerade ein ziemliches Feuer hier in der Nähe. Die Nachrichten hören sich nicht gut an, und der Himmel sieht ganz mies aus. Kriege gar keinen roten Faden in meine Gedanken. Kannst Du Dir vorstellen.
Sobald die Feuergefahr vorbei ist, mehr. Bis dahin liebe Grüße,
Timo
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Es wurde im Laufe des Tages nicht besser, und Grund zum ­Optimismus gab es auch nicht. Es herrschte eine unglaubliche Hitze, Horizont und Himmel waren trübe und verräuchert, die Luft stank nach Qualm und Asche, und dicke Rauchwolken ­erhoben sich in scheinbar nicht allzu großer Entfernung hinter unserem Haus. Meinen Orientierungssinn nachzuweisen müsste man wahrscheinlich ein spezielles Messgerät erfinden, zumal hinter Hügeln aufsteigender Rauch distanzmäßig schwer einzuschätzen ist. Aber sicher war, dass der Brandherd viel zu nahe lag, und eine Drehung des Windes uns dramatische Verschlechterung bringen konnte. An Schlaf war in dieser Nacht nicht zu denken. Da die Nachrichten weit und breit von den Bränden in Monchique berichteten, machten sich viele Freunde Sorgen um uns, und ich nahm einige Gelegenheiten wahr, beruhigende e-Mails zu schreiben.
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SAMSTAG ››› 4.8.2018
… an alle, die sich womöglich um uns Sorgen machen: Das Feuer hat unser kleines Anwesen bisher gottlob verschont. Dicke Qualmwolken hinterm Haus, feuchte Tücher vor den Türen, damit der Rauch draußen bleibt; manchmal trudelt ein verkohltes Eukalyptusblatt auf den Hof, und vorhin sah ich über meine Staffelei hinweg eine Schwalbe vom Himmel fallen. Das arme Tierchen muss von Hitze oder Qualm das Bewusstsein verloren haben. Zu sehen, wie es leblos zur Erde taumelte, schien mir ein gruseliges Omen … − beängstigender noch als die spektakulären Rauchwolken, die sich gar nicht auflösen oder gar verschwinden wollen. Schlimm, weil man ja nie weiß, wann und in welche Richtung sich der Wind dreht. Schlaflose Nächte sind angesagt. Die Verbindung ist aus unterschiedlichen Gründen unzuverlässig: Ingeborg ist bis zum 13. noch unten in Lagos, wo der Büchermarkt stattfindet. Sie hat das Smartphone mit, aber dort kein WLAN. Ich bin hier oben per Handy meist zu erreichen. Festnetz funktioniert auch noch, außer, ich bin irgendwo draußen, um besorgte Blicke durch die Hügel zu bohren oder unser Gärtchen anzufeuchten.
Wir wohnen hier nicht ganz isoliert, haben nette und ebenfalls besorgte Nachbarn auf allen Seiten, also macht euch nicht allzu wilde Gedanken! Ich melde mich bei Gelegenheit wieder. Jetzt muss ich erstmal raus, gucken.
Liebe Grüße,
Timo
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Dieses Rausgehen-und-Gucken fand inzwischen mit erhöhter Frequenz statt, denn der Rauch, der uns am nächsten aufstieg, stieg hinter unserem Haus auf, wo ich ihn nur beobachten konnte, wenn auch ich hinters Haus ging. Das hatte den angenehmen Nebeneffekt eines Treffens mit den Nachbarn, die sich oft auf der Straße versammelten, um die Lage einzuschätzen und Nachrichten auszutauschen. Wenn es mir zu einsam und fürchterlich werden sollte, war ich herzlich eingeladen, mich auf Dauer zu ihnen zu gesellen. José António meinte, dass sich auch eine Schlafstelle für mich finden ließe. Da meine Frau für die Dauer des Buchmarktes bei seiner Schwester in Lagos wohnte, waren wir so durch mehrere Kanäle miteinander verbunden und wussten voneinander, auch wenn wir mal nicht direkt telefonieren konnten.
Ich harrte allerdings noch zu Hause aus, denn erstens gab es trotz der besonderen Umstände viel zu tun, und zweitens ­konnte ich, wenn es brenzlig wurde, ja immer noch hinüber gehen. Ein Blick auf das nachbarliche Fernsehgerät, das natürlich einen Zusammenschnitt der grässlichsten Informationen brachte, machte mir die große Sorge verständlich, mit der unsere Kinder und Freunde sich nach uns erkundigten. Vor Ort war es grausig aber − noch − auszuhalten. Dennoch musste ich versprechen, fluchtbereit zu sein und auch wirklich zu fliehen, falls das ­Feuer in allzu große Nähe käme.
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SONNTAG ››› 5.8.2018
Das kann ich versprechen, ihr Lieben! Im Moment knattern wieder die Hubschrauber über die Gegend. Sehen tut man sie nicht, weil alles verräuchert ist. Ich würde hier gerne mal durchlüften, bleibe aber lieber im warmen Mief sitzen, anstatt die Luft von draußen reinzulassen. Ein bisschen Wind wäre nicht schlecht … − andererseits ist es zwecks Brand­bekämpfung sicherlich besser, wenn es windstill bleibt. Den Garten habe ich schon gegossen und die Hühner sind auch versorgt; beim Müllwegbringen ­Worte mit den Nachbarn gewechselt, die ebenfalls am Gießen waren; gut, dass unsere Zufahrtswege breit und frei sind und wir nicht tatsächlich im Nirgendwo wohnen. Da kommt man im Notfall gut weg. Wenn’s hier also kritisch wird, schwinge ich mich ins Auto!
Langsam zweifle selbst ich daran, ob man hier oben wohnen kann. Ist doch echt Mist: Da wünscht man sich sehnlichst ein paar warme Tage, und dann kommen sie, und sofort geht die Welt unter. Mal sehen, wie es sich weiter entwickelt.
Liebe Grüße!
Timo
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Es entwickelte sich weiter. Vor allem die Feuer. Als es dunkel wurde, nahm ich unsere Nachbarn beim Wort und gesellte mich zu ihnen, zwischen ihrem und unserem Haus hin und her ­pendelnd.

MONTAG ››› 6.8.2018
Hab die Nacht unversehrt und mit intakter Behausung überlebt, ihr Lieben, aber es war ziemlich fürchterlich: Ein Fluchtkoffer mit dem Allernötigsten im einsatzbereit geparkten Auto, und die ganze Nacht an der Seite dreier Nachbarn wachend und sorgend verbracht. Beizeiten Stromausfall (kam erst vor einer Weile wieder). Unten im Tal und drüben an den Hängen eine Vielzahl von Feuern, die mit zunehmender Dunkelheit natürlich zunehmend bedrohlich aussahen … − dabei wäre das nicht nötig gewesen, weil sie tatsächlich bedrohlich waren. Am schlimmsten − obwohl aktuell nicht am feurigsten − waren die aufsteigenden Rauchwolken luvwärts hinter uns, weil die es gewesen wären, die ­unseren Häusern am gefährlichsten würden, wenn der Wind ihren Grund in ­unsere Richtung triebe. Also kein Auge zugetan. Irgendwann kam die Polizei mit Tatütata, Blaulicht und Trillerpfeifen, um die noch vorhandenen Anwohner einzusammeln und zu evakuieren. Also versteckten wir vier uns auf Anraten José Antónios hinter seinem Haus zwischen den Bohnen. Mir war nicht wohl bei der Sache, braver Bürger, der ich bin; aber schließlich siegte doch das Vertrauen in José Antónios ­Erfahrung über den lockenden Ton der Trillerpfeife. Zweimal entgingen wir so den Häschern. Danach hatten sie ihre Pflicht erfüllt, und ließen uns in Ruhe … − na ja, Ruhe. Die Feuer wurden größer und größer und kamen immer dichter heran (das klingt jetzt dramatisch, war aber so), mit einem Geräusch wie wilde Brandung an hohen Klippen. Allzu nahe der schmutzig-orange Lichtschein der Glut, die sich über die Hügel und Berge fraß. Wir sahen deutlich, wie Bäume in Flammen aufgingen; Eukalyptusbäume, die ihre brennenden Blätter und Äste in gewaltigen Eruptionen weit nach oben schleuderten, wo die fliegenden Brände hunderte von Metern weit durch die Luft segelten und mehr und mehr Gegend entzündeten. Manchmal von unten ­explosionsartiger Donner, der wohl überhitzte Gasflaschen ­anzeigte. Da es im wahrsten Sinne des Wortes für uns brenzlig wurde, haben wir unsere Gartenschläuche bemannt und Wände, Dächer und vor allem all das so sorgfältig für den Winter getrocknete Feuerholz (man mag das Wort jetzt gar nicht ­sagen) durchnässt, damit herumfliegende Glut nichts Neues entzünden konnte. − Die Hühner hatte ich vorher schon ins eben­erdige Bad evakuiert. − Der Wasserdruck war gar nicht mächtig, und um einen glühenden Span auf dem Dach unserer Grillecke zu löschen, musste ich mit dem Schlauch auf den Tisch steigen. In diesem Augenblick war ich wahrhaft verzweifelt: Was konnte man schon ausrichten mit einem Gartenschlauch, dessen dürftiger Wasserstrahl nach drei Metern schlappmachte! Es war eine lange Zeit bis zum Sonnenaufgang; herzlich herbeigewünscht, weil das Tageslicht den Einsatz von Hubschraubern und Flugzeugen versprach. Sie kamen auch und wurden eingesetzt, und also bin ich dann völlig verräuchert und erledigt unter die Dusche gestiegen und aufs Bett gefallen. Vor einer Weile wieder auferstanden, und nun musste ich mir die neuesten Infos erstmal aus dem Internet holen, weil man inzwischen gar nichts mehr sieht: Die Luft ist heiß und grau, und Asche­flocken fallen vom Himmel. In den Nachrichten stand, dass die Arbeit der fliegenden Löschgeräte durch den Rauch arg behindert sei. Also bleiben wir mit dem Schlauch in Bereitschaft und grausen uns vor der kommenden Nacht. Ich bin nur froh, dass Ingeborg unten in Lagos in Sicherheit ist.
So sieht’s aus. Ich geh mal wieder alles nassspritzen. Bin auf die Wasserrechnung gespannt.
Seid jedenfalls gegrüßt, und bis zur nächsten Gelegenheit, von Timo
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Der Tag verging, eingehüllt in Hitze, Qualm und Rauch, und schließlich trat das Befürchtete ein: Der Wind drehte sich, und nun waren wir sozusagen die nächste Beute auf dem Weg des gefräßigen Feuertiers. Die Nachricht, dass eintausend Feuerwehrleute mit Flug- und Fahrgerät im Einsatz waren, tröstete nicht, denn bei Feuern, die sich auf über 20 km Länge nach mehreren Seiten hin ausbreiteten, war klar, dass nur die wichtigsten Brennpunkte, sozusagen, gelöscht und kontrolliert werden konnten. Meine Nerven waren so ziemlich am Ende, als abermals Polizei vorfuhr und bestimmte, dass die noch vor Ort verharrenden Anwohner innerhalb einer viertel Stunde in ­Sicherheit gebracht werden würden. Ich hatte von Evakuierungen gehört, die eher Verhaftungen glichen; den Leuten nur erlaubt mitzuführen, was sie eben am Leibe trugen. Da schien es mir endlich doch geraten, die wichtigsten Dokumente und den Laptop ins Auto zu schaffen und damit nach unten, nach Monchique, zu fahren. Ein Entschluss, den ich bereute, sobald ich die erste Straßensperre passiert hatte, die mir eine Rückkehr aus eigenem Entschluss unmöglich machte. Nun musste ich mein Auto also im Ort am Straßenrand parken und die Nacht ­irgendwie durchstehen, nicht wissend, ob wir am nächsten Morgen noch ein Zuhause haben würden. Ich stellte mich so hin, dass ich wenigstens die Berge hoch in unsere Richtung sehen konnte und sah also, wie der dicke Qualm aufstieg und mächtiger wurde und immer näher kam, bis endlich auch die Flammen zu sehen waren, die nicht lange brauchten, sich bis an den Rand des Ortes zu fressen und hier einige Anwesen in lichterlohe Glut aufgehen zu lassen. Wieder die Explosionen von Tanks oder Gasflaschen, und auf der Straße verzweifelte, weinende, telefonierende Menschen mit Staubmasken vor den Gesichtern. Derweil ich das Feuer als sozusagen globales Phänomen beobachtete, wussten sie genau, wessen Haus und Hof dort in Flammen standen. Ich hatte für unser Haus und mein darin bewahrtes Lebenswerk an Malerei, Grafik und Skulptur keine Hoffnung mehr, und als die Lage in Monchique endlich unter Kontrolle war, war ich sicher, dass alles, was brennen konnte, auch verbrannt war. Beim ersten Anzeichen der Dämmerung fuhr ich wieder zurück und war überrascht, dass ich die Sperre passieren durfte: Das Feuer war über uns hinweg gegangen und weitergezogen.
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DIENSTAG ››› 7.8.2018
Bin nach einer unten in Monchique im Auto verbrachten Nacht wieder zu Hause. Haus steht noch, Garten grünt vor sich hin, und die Hühner scharren lebendig herum, als wäre nichts ­gewesen. Eine Oase, denn ringsherum ist alles verbrannt. Überall zwischen den verkohlten Bäumen glüht und raucht es noch. Aber das Feuer findet wohl keine rechte Nahrung mehr.
Es ist windig und kalt … − jedenfalls kommt es mir kalt vor, nach abermals durchwachter Nacht. Also erstmal die Augen schließen. Weiteres demnächst. Mal sehen, ob der Stromausfall demnächst wieder einfällt …
Liebe Grüße!
Timo
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Ja, ringsherum war alles verbrannt, Asche lag auf allen Flächen und in allen Ecken und wirbelte mit jedem Luftzug herum. Es stank sauer und metallisch nach frisch gelöschter Grillkohle. Die herrliche Korkeiche dicht vor unserer Terrasse reckte zwei Drittel ihrer Äste als schwarze Arme in die Luft; das grüne Laub zu farblosem Graubraun geglüht. Schwarze Reste der Bodenvegetation; Gräser, Farne, kleine Sträucher; bis dicht heran an das Gehege unserer 8 Hühner, die, nebst Haus und Gärtchen, wie durch ein Wunder gerettet waren. Ich spürte mein Glück durch die Erschöpfung hindurch bis tief in mich hinein: Ich liebte unsere kleine grüne Oase!
Meine nächste Sorge galt den Nachbarn. Auch sie und ihre Häuser waren gerettet worden, und auch bei ihnen waren die Flammen bis dicht an die Mauern und Zäune gekommen. So mancher Stall und Schuppen waren verbrannt, das meist hinter den Häusern gestapelte Feuerholz zu kleinen Häuflein grauer Asche geschwunden, die Bäume − Kiefern, Kork­eichen, Kirschbäume, Kastanien … rabenschwarz verkohlt und tot. José António, sein Nachbar und sein Schwager waren geblieben und hatten mit Eimern und Schläuchen getan, was sie konnten, die Flammen zu löschen. Trotzdem hatte er alle Kaninchen und einen großen Teil seines Gartens verloren. Und alle waren wir froh, dass wir lebten und dass der Schaden nicht größer war.
Ob ich später zum Almoço herüber kommen wollte? Gerne! Also machte ich so gut es ging ein wenig Ordnung, quälte ein paar Tropfen Wasser aus der irgendwo tödlich verwundeten Leitung, um den schmierigen Staub loszuwerden und ging schließlich wieder zu den Nachbarn, die gut gelaunt um den Grill mit der brennenden Holzkohle saßen, von dem sich der Duft ganz ausgezeichneter Sardinen erhob. Ich lachte und ­fragte, ob sie denn von Feuer nicht erstmal genug hätten. Ach, sagten sie, dieses hier ist ja gezähmt. Und weit und breit gibt es nichts mehr, was sich entzünden könnte, und außerdem: Das Leben geht weiter, und essen muss man.
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MITTWOCH ››› 8.8.2018
… hab meinen Laptop bei Nachbarn aufgeladen, also nur fix paar Bilder ohne nähere Erklärungen. Es brennt weiter, windab von uns. Da geht dann der Rest der Landschaft drauf, nebst Lebensgrundlage so vieler Menschen … −
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Am Donnerstag, dem 9. August, schien es vorbei zu sein. Im Laufe des Tages kehrte der Strom zurück, mit dem ich noch gar nicht gerechnet hatte, denn ich hatte die verkohlten Masten und Leitungen gesehen, die bis zur Foia hinauf auf dem Boden zwischen den verbrannten Bäumen lagen.
Es ist eine Freude zu erleben, wie viele Vögel den Flammen entkommen sind! Die Buchfinken und das Taubenpaar, die uns immer besuchen kamen, sind wieder da. Auch die Kleiber und einen Specht habe ich schon wieder gesehen … − gestern Nacht waren sogar die beiden Eulen wieder hier. Ich glaube und ­wünsche mir, dass sich auch die Landschaft wieder erholen wird.
Ich weiß nicht, wie viele Menschen ihre Häuser, Werkstätten, Gärten und Vieh verloren haben. Ich kann auch die Koordination und die Arbeit der Feuerwehr nicht einschätzen. Ich müsste ins Internet schauen, um genau herauszukriegen, wie viele zigtausend Hektar der Algarve in diesen acht Tagen verbrannt sind. Ich bin auch nicht darüber informiert, wodurch das ­Feuer entstand. Ich weiß, es ist vorbei. Das Leben geht weiter, und ­essen muss man.