Schlagwort: Covid 19

Mit Goethe auf den Straßen von Gerês

Foto von Gerês zu Zeiten der Ausgangssperre 2020

von Eberhard Fedtke und Ana Carla Gomes Fedtke

> Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) ist seit jeher für das deutsche Volk der berühmteste  Dichter. Die universelle Biographie dieses genialen Mannes – zu Lebzeiten unter anderem als Schriftsteller, Essayist, Dramaturg, Wissenschaftler und Minister tätig – bietet eine Vielfalt umfänglicher Veröffentlichungen auf den Gebieten des Sozialen, der Kultur, der Umwelt, der Dichtung, der Politik, des Illusionären und Futuristischen. Wer eine Antwort auf ein nicht gelöstes Problem sucht, findet eine Lösung in seinen unersättlichen Philosophien mit  tiefgründigen und wahrhaftigen Rezepten. Goethe weiß immer eine Lösung und bietet vernünftige und adäquate Überlegungen des Trostes für jedwede  Notlage.

Die sanitäre Krise des Covid-19, im Januar des Jahres 2020 begonnen und mit einem Höhepunkt einer zweiten Welle Ende 2020, brachte nicht nur risikohafte Ergebnisse für die Menschheit. Im Zusammenhang mit der Katastrophe traten gleichfalls wesentliche Vorteile und vielfältige respektable Änderungen hervor. Unter dem Blickwinkel ethischer Wirklichkeit wird es im Opus Faust von Goethe, behandelnd das literarische Schicksal eines Menschen, welcher, enttäuscht über sein Leben, sich dem Teufel anschloss, ausdrücklich belegt. Im zweiten Teil dieses Bühnenstücks lässt Goethe zur Tröstung und Rettung von Faust einen Engelchor singen, »dass erlöst werden könne, wer immer strebend sich bemühe«. Authentische Hoffnung in einer transparenten Formulierung gegen jegliche teuflische Versuchung.

Mit exemplarischer Anstrengung kämpften, noch bevor das Phänomen des Virus wie eine »unerwartete Rettung« aufkam, unzählige Bürger weltweit in großen und kleinen Städten angesichts eines Lebens voller Krach, die Lungen lähmenden Smogs, eines übertriebenen und unüberwindlichen Tourismus, lärmender drogenabhängiger, brutal ununterbrochener Aktivitäten 24 Stunden pro Tag, sieben Tage pro Woche. Das historische Wirtschaftswachstum der letzten Jahrzehnte bescherte den Völkern eine unkontrollierbare Explosion des Straßenverkehrs in den Zentren der Städte. Die Covid-19-Misere ist lediglich ein Beispiel unter anderen sozialen Katastrophen. Konsequente Anstrengungen gegen diese »Schlacht auf den Straßen« wurden von verantwortlichen Politikern in Angriff genommen, wie etwa bestimmte Stadtteile für Automobile zu sperren, den Autoverkehr zu begrenzen, PKWs gegen andere Fortbewegungsmittel auszutauschen, Wochenenden vom Autoverkehr auszunehmen und andere rituelle Verbesserungen mehr, um die Risiken für das Wohlbefinden der Umwelt sowie die Leiden der Personen zu verringern. Der Egoismus der modernen Exploration und seine hemmungslosen Ökonomien verstärkten im Gegenteil fortwährend die Resignation der Menschen: Der Faktor »moderne Plage  der Autos in den Städten« nahm mit erschreckendem Anstieg zu und verschlechterte machtvoll die öffentliche Lähmung.

Wie ein »Morgenstern« erschien im November 2019 der Virus Covid-19. Die unausweichlichen Ausgangsbeschränkungen als sinnvolle Maßnahmen änderten ein wenig das Martyrium, beendeten es jedoch nicht. Unvermittelt trat lediglich ein einfaches Intervall ein, ohne eine dauernde und endgültige Lösung zu schaffen. Zumindest trat eine »gesunde Pause« ein, um sich über die tagtäglichen unnützen Widerwärtigkeiten sowie die unmenschlichen erlittenen Torturen einer unbestimmten Anzahl von Menschen Gedanken zu machen. Sie resultierten in Meditationen unter radikaler Hilfestellung: Die allgemeine Ruhe des Verkehrs in den Straßen, die Verringerung von Unfällen und von Smog, die pralle Sonne ohne Schatten einer superfortschrittlichen Zivilisation, die wohlige und kreative Einsamkeit der grünen Zentren der Städte, die Chöre der zurückgekehrten Singvögel, die Choräle der wieder aufgetauchten Glocken, die Abnahme physischer Belastung und die geistige Abschirmung gegen den mannigfachen unnützen akustischen öffentlichen Lärm, der gemeinsame Focus ethischer Überlegungen ohne Horizonte – alles eine neue Erfahrung, vor allem auch, um saubere Luft, Sauerstoff als heilige Rettung aus offenen Fenstern zu atmen, die Wiederauferstehung der geschändeten Natur zu genießen, und, um es nicht zu vergessen, die Möglichkeiten für Unterhaltung und Kommunikation ohne perfiden Hintergrund lautstarker Autos, Flugzeuge und anderer Dekors des rauhen menschlichen Daseins zu genießen. Als Höhepunkt erschien eine schöne Aura vergangener Epochen anstelle einer grauen und feindlichen Morgendämmerung, das Stigma der Städte des 21. Jahrhunderts.  Welch eine neue Lebensqualität!

Die Ankündigung der Engel, heilige Begleiter des mutlosen und enttäuschten Faust, wirkt und hat einen hohen spirituellen Wert solidarischer Tröstung für alle weiteren Unbilden der Pandemie. Sie ist mehr als reine Symbolik, mehr als mystischer Surrealismus. Es wächst sozusagen für jeden mutierten Virus ein Turbo-Virus, der in biblischer Dimension ohne Vorgeschichte eine wahrhaftige Tröstung bereithält, die sich an der Poesie des authentischen Goethe anlehnt, der sagt: »Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen.«

Foto der Fedtkes Weihnachten 2020 im menschenleeren Gerês

Corona: Die Fedtkes Weihnachten 2020 im menschenleeren Gerês

Glauben Sie, verehrte LeserIn, dass dieses Szenario eine schwache und blutarme Theorie wiedergibt, ein unbefangen irrealer Traum aus einer mystischen Parallelwelt ist oder eine Spielerei voller leerer Worte? Das Foto rechts offenbart eine authentische Situation am 25. Dezember letzten Jahres auf der Hauptstraße von Gerês: die Autoren dieser Veröffentlichung, in voller Selbstbestimmung inmitten dieser martialischen Dramaturgie von menschlicher Rasse und epochaler Epidemie. Sie verweilen sitzend, in aller Ruhe und Sicherheit und konfortablem Wohlbefinden mitten auf der Fahrbahn, profitieren im tiefen Lockdown in reiner Freude, Zufriedenheit und Wonne von der auferlegten widerwärtigen Ausgangssperre und leben eine zweideutige Humoreske symbolischen Überlebens. Sie zeigen sich in einer rührenden und sympathischen Stimmung in einer Zeit des Dialogs mit diesem neuen superfeindlichen und unsichtbar omnipotenten Gefährten, stimmen sich indes mit den Engeln in voller Hoffnung und Überzeugung ab, um mit intelligenten Kräften die lästigen Perioden sozialer Distanz zu bezwingen. Zu diesem Zweck ist nicht nur die Verbindung einer Maske mit einem sozialen Abstand von 1,5 Metern von Wert, diese Maßnahmen im Alltagsleben für sich gesehen sarkastisch genug, um die Schöpfer von Masken zu eigenwilligen Produkten anzuregen.

In Witterung einer neuen langanhaltenden digitalen Distanz der menschlichen Gesellschaft ohne Händeschütteln und freundschaftliche Intimitäten, ohne Umarmungen und Küsschen, ohne Feste, Festivals, ohne soziale sowie sportliche Events, ohne Familienbesuche und andere kulturelle Gewohnheiten, fragen sich die beiden emotionalisierten Protagonisten unseres Schnappschusses auf dem Boulevard von Gerês, welche lediglich – wie die WissenschaftlerInnen der Pandemie versprechen – eine Episode ist, die für das Register der Nachwelt bestimmt ist: Wer weiß, welche immensen Anstrengungen heute und bis zum Abschluss dieser Dekade, am Ende über die physischen und mentalen Kräfte der gesamten Welt hinaus, der erfinderische menschliche Genius unternehmen wird, um den hinterhältigen Virus und seine Mutationen, Plagiate sowie unkalkulierbaren infektiösen Collagen zu überwinden? Der menschliche Lebensweg auf Erden, derart phänomenal entwickelt, hat immer noch einen diskutierbaren Horizont!

Vielleicht reichen die himmlischen Gesänge der Engel von Faust bei weitem nicht aus. Schauen wir uns die kompetenten Arbeiten von Goethe an, um ein effizienteres sanitäres Rezept zu finden. Ein endgültiges, um des lieben Himmels Willen. 

Sorrir em tempo da máscara

Foto zwei maskierter Frauen zu Corona-Zeiten

de Eberhard Fedtke e Ana Carla Gomes Fedtke

> Encontro-me de sangue-frio numa fila frente a um supermercado, o carrinho de compras ligeiramente nas mãos, bem disciplinado, observando a distância de 2 m relativamente aos ­vizinhos da frente e atrás, cumprindo o que estipula a lei 2-A de 20 de março 2020. Imperativamente marcado, este isolamento social está estampado no chão em linhas amarelas, a cada 3 até 5 minutos avanço, como verifico no meu fiel relógio chinês, avaliado num valor de 10 euros, vou calculando e multiplicando os 17 compatriotas em frente a mim com uma média de 4 minutos de diferença, quando poderei entrar na loja para comprar o que preciso para a minha família, enchendo rigorosamente o carinho até ao topo. Felizmente não chove, nem pensar num martírio de tal compra! O ambiente parece um pouco como folclore, Covid 19 em tempo de confinamento, ­fazer as tarefas quotidianas para sobreviver sem contactos «cara a cara». Um suplício para muita gente, se vejo os vários rostos em torno. No total contabilizo uma fila com cerca de 30 pessoas bem mascaradas, algumas com luvas deselegantes. Sem máscara, é certo, ninguém entra, uma regra indiscutível! Lutamos juntos contra esta pandemia. Tem de ser, reflito absorto nesta irrealidade social.
O serviço militar não pode ser mais regulado. Mas os portugueses têm a calma e a paciência no sangue. Faz lembrar os antepassados dos séculos XV e XVI, em pleno período de Descobrimentos. Para chegar à América, foram semanas e semanas purgantes sem vento para andar em frente. O nosso povo mostrou efetivamente a sua perseverança, praticando a arte de espera e esperança. Mas a distância de 2 metros num «país de beijinhos e abraços sem fim» é um juízo digno do céu, mas uma «via dolorosa» para todo o mundo infectado.
Assalta-me a ideia de como poderei transmitir a uma outra pessoa a minha simpatia com um sorriso por detrás da máscara larga. A maneira usual de abrir a boca, mostrar os dentes e inclinar a cabeça, não serve. Devo experimentar uma nova maneira. A pessoa à minha frente com 2 m de distância obrigatória parece ter um bom vulto para uma prova espontânea. Trata-se de uma beleza, na casa dos quarenta, bem equipada com uma máscara radiante, evidenciando a magnitude dos seus olhos profundamente ­sonhadores. A mãe, com uma beleza igual à da filha, de máscara rosa, traz a pequenota com cerca de 12 anos, Mafalda de nome, pela mão. A pequena parece olhar continuamente para a minha máscara simples branca. Em contrapartida ela tem uma bela e pitoresca peça, com uma viva imagem dum passarinho, pintado em cima no fundo preto. Menina Mafalda, tu és muito mais bonita com a tua máscara, ganhaste a nossa competição secreta num mundo de mascarados.
Quando a mãe se virou, curiosamente com o mesmo nome, como ouvi num ­telefonema dela com uma amiga, tentei oferecer-lhe os meus cumprimentos com um melhor e prometedor sorriso. Abri a boca com tanta força que, mostrando os dentes quase caiu a minha máscara. ­Esbugalhei os meus olhos com toda a ­claridade e bondade, mas ela não reagiu, como que se sentisse cravada em pensamentos pandémicos. Analisei com des­ilusão violenta: a máscara é um obstáculo social terrível, um distúrbio zangado para a comunicação humana, um drama excessivo para a cultura.
Quando ela se virou pela segunda vez, isto porque eu tivera, entretanto, sem qualquer problema de logística uma ­comunicação de intensa comparação de máscaras com a sua filha Mafalda II − a rapariga farta de tamanha monotonia à sua volta − reproduzi a mesma cerimónia, usando para tal a minha própria beleza e, reforçando a minha ação, levantei a mão direita. Cumprimentei-a, deixando tremer as minhas sobrancelhas e as ­minhas orelhas, mas nenhuma reação chegou desta beleza distante. Quando na minha última tentativa completei os requisitos anteriores com uma profunda e dolorosa reverência para a minha coluna, quase arriscando uma prostração atrás do meu carrinho, ela riu-se mais ou menos de forma clemente, como que encantada perante a palhaçada dum doido. Acabou, a máscara é um bloqueio social catastrófico, inflexível e intransigível! ­Experiências de solidão no meio duma superpopulação, sem romances platónicos com as Mafaldas por detrás das nossas máscaras.
Encenei com novo entusiasmo e optimismo a mesma cerimónia ao cumprimentar com um sorriso atrás a máscara dois rapazinhos na linha atrás de mim. Usavam máscaras de estilo ilustre oriental e ambos traziam uma garrafa de cerveja na mão. Como irão beber sem mexer na máscara ou a molhar, questionava-me eu, curioso. Mas eis que, de repente, para minha surpresa, sacaram relaxadamente de uma palhinha, deitaram-na elegantemente no gargalo da garrafa e, colocando a palhinha na boca sem tirar a máscara, uma anormalidade surreal, murmuraram «obrigado» ao meu sorriso expressivo, compreendendo eu talvez um «bom apetite» ou «boa saúde». Obviamente bebem sempre a cerveja assim. A ­minha máscara não funcionou, não operou bem. Fim então a estas tentativas e sonhos sociais frágeis! Foi um bico de obra para entrar no supermercado.
Abreviando estas terríveis vicissitudes: Se o uso de máscara tiver como objetivo a salvação do ambiente social, era talvez preferível o «não uso» de máscara branca, como disfarce comum. Oferece-se um grande mercado de configurações individuais e de decorações especiais, ampliando na totalidade a base humana − uma panóplia ampla de máscaras diversas, salvaguardando um resto de erotismo sociocognitivo e de arte. Para qualquer publicidade da declaração íntima, pois logo provocam um sorriso automático ao observador, a máscara pode ter as cores da bandeira nacional, mostrar o símbolo do clube de futebol preferido, pode deixar ver o signo de nascimento, leão, escorpião, peixes, virgem etc., pode até enobrecer almas animais ferozes como o tigre, o elefante, o hipopótamo, o orangotango ou mesmo o resto do zoo, mas uma coisa é certa: a máscara universal para as crianças, assim como um promotor de bonecas e figuras artificiais da internet, é para toda gente um novo mundo de inspiração com marcas individuais e surpresas definitivas, um caleidoscópio infinitivo repleto de facetas multidimensionais e ocultas, formando, em simultâneo, multiplicidades de rostos de ícones surreais, sendo que no fundo, todo este novo ambiente social não é mais que, em inúmeros aspetos, um espelho da raça humana, refletindo a cara da terra. Sem passar esta época, iremos ter pouco a pouco o fim da vida social. Uma sociedade permanente com máscaras faciais, fora do carnaval, não é concebível. Uma máscara contra o vírus e por cima uma máscara para a alegria do carnaval é uma contradição infernal, um horror ético.
A indústria de máscaras deve ativamente explorar o mercado com ideias inovadoras. Quando um dia − efetivamente − acabar este período contemporâneo com o retorno de explosões drásticas e fanáticas de beijinhos e abraços bilaterais, muitas máscaras serão arquivadas e deixarão na memória encontros mascarados expressivos com recordações nomeadamente dos olhos bonitos portugueses exemplares, sejam de origem romana, árabe, visigoda e «omni-europeia» − filigranas ou violentas, simpáticas ou desconfortáveis, elegantes ou vulgares, artísticas ou rústicas, introvertidas ou progressivas, clássicas ou futuristas, honestas ou misteriosas, transparentes ou enigmáticas, terrestres ou ­galácticas, ambiciosas ou comodistas, ­insípidas e aromáticas, altruístas ou egoístas, enfim, também um desfile de lembranças exóticas e sofisticadas conforme os múltiplos caracteres únicos de portadores da máscara e da refinada ­tecnologia têxtil.

Bolas de Berlim gibt’s auch wieder

Fotos des Verkaufs von Bolas de Berlim am Algarve

Portugals Algarve ohne Sommergäste? Unvorstellbar • von Catrin George Ponciano

> Am 30. Juni stand ich in Vila Real de Santo António am Flussufer und schaute auf den seicht dahin- strömenden Rio Guadiana, der von jeher die beiden Ufer und ihre Menschen im Süden der Iberischen Halbinsel voneinander trennt: die außerrömischen Provinzen Hispanien von Lusitanien, die islamisch besetzten Gebiete Al-­Andaluz vom Algarve, später das Königreich Portugal und der Algarven vom Königreich Kastilien und heute Spanien von Portugal.
Doch etwas stimmt nicht. Der Fluss, der hier zwischen Vila Real de Santo António in den Atlantik schwemmt, breit, gemächlich und tintenblau, ist leer: Kein einziges Boot hinterlässt einen Gischtschweif und schwappende Wellen, kein Dieselmotor tuckert im Zwei-Takt, das einzig Hörbare ist das Knarzen eines Segelschiffsbauches. Ein fliegender, nein, ein schwimmender Holländer, der vor den ehemaligen Thunfischhallen vertäut am Kai liegt. Das blau-rot lackierte Fährboot, das sonst ständig zwischen Ayamonte am Ufer gegenüber in Spanien und Vila Real de Santo António in Portugal hin und her schippert, fehlt. Die Erkenntnis trifft mich blitzartig in dem Moment, als ich eine ältere Frau sehe, die ihr Auto neben den Fischhallen parkt, aussteigt und all die fiependen, streunenden Katzen füttert. Sie trägt einen Mundschutz. Wir leben im Zeitalter der Corona-Pandemie und heute ist der 30. Juni. Die Grenze ist geschlossen und somit auf dem Guadiana nichts los.
Morgen wird es anders sein, denn morgen ist ein neuer Tag. Am 1. Juli öffnen Portugal und Spanien ihre Grenze wieder, die seit dem 17. März für die Dauer des internationalen Lockdowns geschlossen ist und danach, präventiv, weitere zwei Monate lang. Seit Anfang Mai ist der Hausarrest in Portugal vorbei. Seit Mitte Mai sind Cafés, Restaurants und Geschäfte wieder geöffnet. Seither wartet Algarve. Warten Angestellte. Warten Arbeitssuchende. Warten Lieferanten. Alle warten. Auf Touristen.
Die Stadtväter, die Geschäftsinhaber und vor allem die derzeit wegen Covid Ausgestellten und noch nicht wieder Angestellten hoffen, der gesamte Algarve hofft, dass während des Sommers, zumindest ein Teil der nach wie vor geltenden 50% Belegung ausgelastet wird. Dass wenigstens die Hälfte der erlaubten Betten, der erlaubten Sitzplätze im Restaurant besetzt werden. Dass Urlauber kommen mögen, und konsumieren. Einkaufen. Essen. Trinken. Übernachten. Damit Löhne bezahlt werden können. Mieten. Energie. Versicherungen. Steuern. Damit, ach nein, lieber nicht an den nächsten Winter denken.
Mitte Juni dann die Hiobsbotschaft: England sagt, Portugal wäre ein Risikoland. Andere stimmten in den Refrain ein. Die Angst wächst. Keiner will zu uns kommen. Portugal dankt einer Handvoll Partybestien, die in Lagos und in Lissabon das Tanzbein geschwungen haben, bis einige Tage später die Fallzahlen rasant in die Höhe schossen. Die Nation hielt den Atem an. Steht etwa ein zweiter Lockdown bevor? Sollte der Flughafen Faro, eben erst wieder zum Leben erweckt, etwa erneut in den Tiefschlaf gleiten?
Nein. Seit Anfang Juli erfährt der Algarve Belebung. Erst allmählich, dann rasant ansteigend. Die Engländer reisen in den Algarve via Amsterdam/Spanien und weiter mit dem Mietwagen. Die Spanier reisen ein, weil sie mehr Angst vor einer Ansteckung mit dem Corona-Virus im eigenen Land haben, und verbringen Wochenenden oder Ferien lieber hier. Mitte Juli − und seither unaufhörlich − höre ich, egal wo, im Supermarkt, an der Kasse, im Restaurant, in der Eisdiele, avec moi, und avec toi, und bonjour, ça va. Franzosen reisen an mit dem Flugzeug oder mit eige­nem Fahrzeug, quer durch Spanien. Peux á peux füllt sich der Algarve. Vor den Supermärkten bilden sich täglich längere Warteschlangen als in der gesamten Arrest-Zeit. Stop-and-go-Verkehr auf den Straßen innerorts und auf der Nationalstraße N 125 seit dem ersten August, seit die übliche alljährlich wiederkehrende Reisewelle aus Portugals Hauptstadt und dem Norden anrollt und portugiesische Touristen, wie alle Jahre wieder, sich in ihrer Provinz, häuslich einrichten − in Ferienwohnungen, bei Ávo und Avô oder in Hotels. Mitbringen tun sie alles, was man im ­Algarve braucht oder nicht, vom Klo­papier bis zur Babywindel sind ihre Autos vollgeräumt bis unter das Dach. Trotzdem gehen sie täglich alle zur gleichen Zeit einkaufen. Die Warteschlange vor den Discountern, egal wie er heißen mag, ist nicht die einzige. In den Shopping-Oasen herrscht Betrieb wie an Heiligabend. An der Einfahrt zum Parkplatz am Strand staut sich die Wagenkolonne. Am Strand zieht die Karawane in Gleichschritt und Gänsemarsch weiter ihre Runden, steht in den Strandlokalen an für einen freien Tisch oder bloß für ein Eis. Wie eh und je bevölkern Urlauber Algarves Strände, kommen vollbepackt mit Strand-Accessoires, Sonnenschirm und Liegestuhl, lassen sich Handtuchnaht an Handtuchnaht nebeneinander in den Sand sinken und bestöhnen im polyphonen Gleichklang das verflixte Virus­Jahr.
Am Abend zappelt die Karawane ungeduldig und hungrig − vor den Restaurants wartend − auf der Straße, bis ein Tisch frei wird. Wenn ein Gastronom verkündet, dass alle Tische belegt sind und danach Feierabend sei, reagieren die Wartenden entrüstet und polemisch. Trotz aller geltenden COVID-­Empfehlungen halten sich derzeit (gefühlt) mehr Gäste im Algarve auf, als Sitzplätze in den Restaurants zur Verfügung stehen. Service-MitarbeiterInnen und Küche arbeiten am Limit. Halb so viele Plätze stehen den Gästen bloß zur Verfügung, aber diese wechseln im Stundentakt. Um wirtschaftlich arbeiten zu können, haben die Gastronomen ihren Mitarbeiterstamm auf die Hälfte reduziert, aber alle Tische bleiben bis nach Küchenschluss ununterbrochen neu besetzt. Kinder quengeln, Frauen keifen, Männer fluchen. KellnerInnen eilen überfordert hin und her, stundenlang und pausenlos mit Mundschutz, bei Temperaturen zwischen 30 und 35 Grad Celsius, der Schweiß rennt ihnen über das Gesicht, das Hemd klebt ihnen am Rücken. Ihre zwei Hände und zwei Beine reichen nicht, um den ungeduldigen Ansturm zu bewältigen − aber irgendwie schaffen sie es trotzdem. ­August-Business as usual.
Der Mundschutz, auch für Gäste beim Betreten eines Lokals vorgeschrieben, baumelt bei den meisten − leider − bloß am Handgelenk. Der Abstand in der Warteschlange beträgt eher zwei Handbreit als zwei Meter, wobei zusätzlich alles versucht wird, um sich vorzudrängeln und den nächsten freien Tisch zu ergattern.
Am Strand sieht sie Situation ähnlich aus. Zu viele StrandbesucherInnen und zu wenig Platz. Die mit Liegen konzessionierten Flächen und die für freies Liegen mit Sonnenschirm sind deutlich erkennbar getrennt. Fahnenstangen markieren die Grenzen, Schiffstaue liegen kennzeichnend im Sand. StrandgängerInnen mit eigenem Sonnenschirm sind im konzessionierten Teil unwillkommen. Kleinkriege zwischen dem Strandliegen-Vermieter und dem Urlauber brechen aus − selbst im Covid-­Jahr. Denn auch hier gilt die 50%-Belegung, die Strandliegen stehen weiter auseinander, aber die Strandbetten-­Vermieter bezahlen trotzdem ihre Konzession, die RettungsschwimmerInnen und sorgen für sauberes Ambiente.
Todo boe da fixe. Die Strandbesucher teilen sich den Strand unter Algarves perfekt blauem Himmel und lassen sich rundherum sonnenbräunen oder röten. Der Algarve ist voll. Zumindest entlang der Küste. Der Tourismus boomt, alles ist wie immer: Alles wird gut! Und − Gott sei Dank − Bolas de Berlim gibt’s auch. Frisch, fettig, fluffig − und frech vom Verkäufer aus der Kühltasche angepriesen. Na dann: Schöne Ferien!

Lächeln in Zeiten der Maske

Foto von Frauen mit Masken zum Schutz vor dem Coronavirus

von Eberhard Fedtke und Ana Carla Gomes Fedtke

> Ich stehe kühlen Mutes in einer Warteschlange vor einem Supermarkt, den Einkaufswagen lässig in Händen, voll diszipliniert den Abstand von zwei Metern zu den Nachbarn nach vorne und hinten beachtend, um der Regelung des Gesetzes 2-A vom 20. März 2020 zu entsprechen. Dieser Abstand ist imperativ in gelben Linien auch dem Fussboden markiert. Alle drei bis fünf Minuten, wie ich auf meiner zuverlässigen chinesischen Uhr im Wert von 10 Euro vermerke, rücke ich vor, kalkuliere und multipliziere die siebzehn Mitbürger vor mir mit durchschnittlich vier Minuten, wann ich in den Laden eintreten kann, um einzukaufen, was ich für meine Familie benötige, dabei den Einkaufswagen rigoros bis obenhin aufzufüllen. Zum Glück regnet es nicht, das wäre kaum zu ertragen bei diesem Einkaufsmartyrium! Das Ambiente ähnelt ein bisschen an Folklore, Covid 19 in Zeiten der Ausgangssperre, tägliche Aufgaben zum Überleben ohne Kontakt »Kopf an Kopf« zu erledigen, für viele ein Qual, wenn ich in mancherlei Gesichter rundherum blicke. Insgesamt zähle ich eine Reihe von etwa dreißig gut maskierten Personen, einige mit einfachen Handschuhen. Ohne Maske, das ist sicher, kommt niemand hinein, eine indiskutable Regel. Wir kämpfen gemeinsam gegen diese Pandemie. Das muss sein, reflektiere ich, in Gedanken versunken in dieser sozialen Irrealität.
Militärdienst kann nicht strenger reguliert sein. Aber die Portugiesen haben Ruhe und Geduld im Blut. Es erinnert mich an die vergangenen Jahrhunderte XV und XVI, an die hohe Zeit der Entdeckungen. Um nach Amerika zu gelangen, vergingen läuternde Wochen um Wochen ohne Winde zur Weiterfahrt. Unser Volk zeigte seine Beharrlichkeit, indem es die Kunst des Wartens und der Hoffnung praktizierte. Aber die Entfernung von zwei Metern in einem Land der Küsschen und Umarmungen ohne Ende ist ein gnädiges Urteil des Himmels, dennoch eine via mala für alle infizierte Welt.
Es kommt mir die Idee, wie ich einer anderen Person meine Zuneigung mit einem Lächeln hinter der Maske zuteil werden lassen kann. Die übliche Methode, den Mund zu öffnen, die Zähne zu zeigen und den Kopf zu neigen, hilft nicht. Ich muss eine neue Methode erfinden. Die Person vor mir in einem notwenigen Abstand von zwei Metern erscheint mit eine gute Gestalt für eine spontane Erprobung abzugeben. Es handelt sich um eine Schönheit, um die 40 Jahre, mit einer strahlenden Maske ausgestattet, welche die Schönheit ihrer zutiefst verträumten Augen hervorhebt. Die Mutter, dem guten Aussehen ihrer Tochter gleich, mit rosafarbener Maske ausgestattet, führt die Kleine von circa zwölf Jahren, Mafalda mit Namen, an der Hand. Die Kleine schaut ständig auf meine einfache weiße Maske, scheint es mir. Sie hingegen trägt ein schönes und schmuckes Stück, mit dem lebendigen Abdruck eines Vögelchens auf schwarzen Untergrund gemalt. Meine Kleine, du bist die weitaus hübschere mit deiner Maske, hast unseren heimlichen Wettbewerb in der Welt der Maskierten für dich entschieden.
Als die Mutter sich umdrehte, versuchte ich ihr meine Grüße mit meinem besten und verheißungsvollem Lächeln darzubieten. Ich öffnete meinen Mund mit so viel Anstrengung, die Zähne zeigend, dass fast meine Maske herabfiel. Ich riss meine Augen mit aller Klarheit und Wohlwollen auf, doch sie reagiert, als sei sie in pandemischen Gedanken vernagelt. Mit heftiger Enttäuschung analysierte ich: Die Maske ist ein schreckliches soziales Hindernis, ein exzessives kulturelles Drama.
Als sie sich ein zweites Mal umdrehte, und zwar weil ich inzwischen ohne jegliches logistisches Problem mit ihrer Tochter einen intensiven Vergleich unserer Masken betrieb – das Kind war die große Monotonie um sich herum leid –, wiederholte ich dieselbe Zeremonie, dafür meine eigene Erscheinung nutzend, und, um meine Aktion zu verstärken, hob ich die rechte Hand. Ich grüßte sie, ließ meine Augenbrauen und Ohren erzittern. Es kam jedoch keinerlei Antwort von dieser distanzierten Schönheit. Zu meinem letzten Versuch vervollständigte ich meine bisherigen Requisiten mit einem tiefen und einer für mein Rückgrat schmerzhaften Verbeugung, nahezu einen Kniefall hinter meinem Einkaufswagen riskierend. Doch sie lächelte mehr oder weniger milde, als erfreue sie sich an der Kasperei eines Verrückten. Schluss, die Maske ist eine soziale Katastrophe, zutiefst inflexibel und unnachgiebig, ohne Chance einer platonischen Romanze mit den Mafaldas hinter unseren Masken.
Mit neuem Enthusiasmus sowie Optimismus inszenierte ich dieselbe Zeremonie zum Gruß mit einem Lächeln hinter der Maske bei zwei Jungen in der Reihe hinter mir. Sie trugen Masken im illustren orientalischen Stil, und beide hielten eine Flasche Bier in der Hand. Wie werden sie trinken, ohne die Maske zu berühren oder sie nass zu machen, fragte ich mich neugierig. Aber sie zogen zu meinem Erstaunen geduldig einen Strohhalm hervor, stopften ihn elegant in den Flaschenhals, steckten ihn, ohne die Maske abzunehmen, in den Mund, eine surreale Anomalie und murmelten »Danke« auf mein expressives Lächeln hin, verstanden es wohl als »Guten Appetit« oder »Gute Gesundheit«. Offenbar trinken sie Bier immer auf diese Weise. Meine Maske funktionierte nicht, bewirkte nichts. Ende also mit diesen Versuchen fragiler sozialer Träume. War eine knifflige Sache, in den Supermarkt einzutreten.
Kürzen wir diese schrecklichen Missgeschicke ab: Wenn der Gebrauch der Maske die Rettung des sozialen Ambientes vorhat, wäre vielleicht der Nichtgebrauch weißer Masken als allgemeine Verkleidung anzuraten. Es bietet sich ein großer Markt für individuelle Konfigurationen und spezielle Dekorationen, die menschliche Oberfläche zu vergrößern – eine gigantische Fülle verschiedener Masken, die einen Rest von Erotik und Kunst bewahren. Für jedwede intime Darbietung, die sofort ein automatisches Lächeln beim Betrachter hervorruft, gilt: Die Maske kann in den Farben der Nationalflagge sein, das Symbol der bevorzugten Fußballklubs zeigen, kann das Sternzeichen verraten, Löwe, Skorpion, Fische, Jungfrau usw., vermag die typischen Charakter wilder Tiere wie Tiger, Elefant, Hippopotamus, Orang-Utan und gar den totalen Rest des Zoos zu adeln. Eine Sache ist zutreffend: Die universelle Maske für Kinder, angelehnt an einen Sender im Internet von Puppen und Kunstfiguren, ist für jedermann eine neue Welt von Inspirationen individueller Marken und definitiver Überraschungen, ein unbegrenztes Kaleidoskop voller multidimensionaler und okkulter Facetten, schafft zugleich Mengen von Gesichtern surrealer Ikonen, wobei im Grunde dieses neue soziale Ambiente Maske in ungezählten Aspekten ein Spiegel der menschlichen Gesellschaft ist, welche das Antlitz der Erde reflektiert. Ohne die Epoche der Pandemie zu überwinden, werden wir nach und nach ein Ende des sozialen Lebens haben. Außerhalb des Karnevals ist eine dauerhafte Welt mit Maske nicht vorstellbar. Eine Maske gegen den Virus und oben auf eine Maske für die Freude des Karnevals wäre ein infernaler Widerspruch, ein ethisches Greuel.
Die Maskenindustrie muss aktiv mit innovativen Ideen den Markt explorieren. Wenn diese augenblickliche Periode – endgültig – mit der Wiederkehr drastischer und fanatischer Ausbrüche von gegenseitigen Küsschen und Umarmungen endet, werden viele Masken archiviert werden und hinterlassen die Erinnerung an expressive Maskenbegegnungen, vor allem mit schönen Exemplaren portugiesischer Augen, seien sie romantischen, arabischen, gotischen oder alleuropäischen Ursprungs – filigran oder violent, sympathisch oder unbequem, elegant oder vulgär, artistisch oder rustikal, introvertiert oder progressiv, klassisch oder futuristisch, ehrlich oder mysteriös, transparent oder rätselhaft, irdisch oder galaktisch, ambitioniert und kommod, geschmacklos oder aromatisch, alles auch ein Defilee von esoterischen und sophistischen Erinnerungen entsprechend den multiplen Charakteren sowie der raffinierten Textiltechnologie.