Zwei Morde, ein Tatort: Kein Zufall, ein Zeichen
»Rache im Alentejo«: Anmerkungen zum neuen Krimi von DPG-Mitglied Catrin Ponciano • von Andreas Lahn
> Es kommt selten vor, dass der Ast einer Korkeiche innerhalb von lediglich 30 Jahren zwei Mal das zweifelhafte Vergnügen hat, einen erhängten Menschen beherbergen zu dürfen − wenn auch jeweils nur kurzzeitig. Da es Zufälle im Leben nicht wirklich gibt, liegt die Vermutung nahe, dass die eine Leiche etwas mit der anderen zu tun hat.
Aber der Reihe nach: Catrin Ponciano hat mit ihrem Krimi-Debüt Leiser Tod in Lissabon 2019 ein wundervolles Buch geschrieben und wird 2021 vollkommen zurecht mit dem Stuttgarter Krimi-Debütpreis ausgezeichnet. Damals klärt Inspetadora Chefe Dora Monteiro den aufsehenerregenden Mord an Elías Inácio in der Lissabonner Igreja de São Miguel auf und sticht dabei in ein Wespennest der portugiesischen Geschichte. Trotzdem Dora Monteiro für ihre aufsehenerregenden Ermittlungen mit Lob überhäuft wird, fasst sie den Entschluss, den Dienst bei der Lissabonner Mordkommission zu quittieren, sich fortan der Kunst zu widmen und mehr Zeit mit ihrem lustigen Raben Afonso Henrique zu verbringen, dessen »Dorrra« eine liebevolle Begrüßung ist, wenn Dora Monteiro nach getaner Arbeit nach Hause zurückkehrt. Nachfolger wird ihr Nachbar und bisheriger Untergebener Sérgio Cardoso.
Wer nun glaubt, dass Dora Monteiro in Ruhe als Künstlerin arbeiten und das Leben genießen kann, hat die Rechnung ohne Catrin Ponciano gemacht. Sie löst ihr Versprechen ein, Dora wieder ermitteln zu lassen. Nicht als Polizistin, sondern als verdeckte Ermittlerin, denn als sie der Hilferuf ihres Jugendfreundes Tomás Maia erreicht, der unter Mordverdacht im Gefängnis von Grândola sitzt, überlegt sie nur kurz und macht sich von Lissabon aus auf den Weg in den Alentejo. An der Mündung des Rio Sado wird sie zwischen Grândola, Tróia, Carrasqueira und Comporta in den Sumpf der alentejanischen Geschichte gezogen. Es geht nicht nur um die verfeindeten Familien Maia und Carvalho, sondern auch um Erniedrigung, Gier, Macht und Gewalt.
Tomás Maia soll am 13. Juni 2022 nach einer Feier zu Ehren von Santo António Gustavo Carvalho ermordet haben, den Sohn von Américo Carvalho, den von vielen gehassten Besitzer der Herdade Carvalho und glühender Anhänger von Salazar, fremdenfeindlich und homophob. Américo Carvalho gilt als Auftraggeber für den als Selbstmord deklarierten Mord an Tomás Maias Vater Guilherme am 11. November 1992 während des São Martinho-Festes. Dora Monteiro muss alle Register ziehen, um die Mauern des Schweigens zu brechen und der Gerechtigkeit zum Sieg zu verhelfen. Lesen Sie, wie sie entdeckt, was die mitten in einem von der EU geförderten Naturschutzgebiet geplante Ferienhaussiedlung mit der Widmung zum Buch »Für die Fischer mit Land ohne Grund« zu tun hat und warum die Häuser Fishermen heißen.
Catrin Ponciano hat es mit diesem Buch wieder geschafft, mich von anderen Dingen fernzuhalten, aus Neugier und aus Angst davor, jemand könne die Buchstaben aus diesem wundervollen Kriminalroman stehlen, wenn ich es ignoriere.
Also liebe Catrin, ich verneige mich und sage 1.000 Dank, weil es mir wie ein kleines Weltwunder vorkommt, eine derart spannende und tiefsinnige Geschichte aus meinem geliebten Portugal lesen zu dürfen. Und wie du weißt, lese ich ja ansonsten kaum noch Romane …
Trotzdem ist es so, dass uns die Autorin am Ende des Buches wichtige Informationen unterschlägt: Ihr Rabe, oder besser gesagt, ihre Räbin, die nunmehr Afonzine-Henriqua heißt, erwartet nach einer heißen Liebesnacht mit dem zugeflogenen Raben Egas Nachwuchs. Vier Eier werden ausgebrütet, aber bis zum Ende des Buches wird nichts darüber berichtet, wer dem Ei entschlüpft und ob zukünftig alle Räbinnen und Raben als kleines Orchester Dorrrra krächzen, wenn Dora Monteiro nach Hause kommt. Da Catrin Ponciano schlicht vergessen hat, uns den Werdegang der Rabenkinder mitzuteilen, freue ich mich schon auf den dritten Band mit Dora Monteiro und ihren RäbInnen.
Von diesem kleinen Fauxpas abgesehen, ist Catrin Ponciano mit Rache im Alentejo ein Krimi gelungen, der eine spannende Geschichte mit der Realität menschlicher Abgründe verbindet: »Wer nie eingesperrt gewesen ist, erkennt Freiheit nicht.« Dieses Zitat aus den Tagebüchern des Miguel Torga, Diário V sollte uns alle zum Nachdenken darüber anregen, in welcher Welt wir leben und was wir bereit sind zu opfern, um in einer besseren Welt zu leben. Was für eine kleine Polizeistation in Grândola zutrifft, gilt auch für weite Teile dieser Welt: »Diese Willkür musste ein Ende finden, so wahr sie Dora Monteiro hieß.« Leisten wir unseren Beitrag, um Dora Monteiro in ihrem Kampf um mehr Gerechtigkeit zu unterstützen, in Portugal, in Deutschland und im Rest der Welt.
Und wenn Sie zur Ruhe kommen müssen, erinnern Sie sich gerne an die Weisheit der Fischer: »Das Meer kommt, das Meer geht, aber es bleibt immer das Meer.« (Seite 20) und / oder bereiten Sie sich den Nachtisch zu, den die verliebte Dora mit ihrem Liebhaber verspeist: »Zum Dessert teilten sie sich kandierte Rainha-Cláudia-Pflaumen mit Quarkschaumcreme und fütterten sich gegenseitig mit langstieligen Löffeln.« (S. 120) Das macht mich beim Schreiben und auch beim Lesen glücklich. Wie muss das erst beim Essen sein?
Catrin Ponciano, Rache im Alentejo
Kriminalroman, 256 Seiten, Broschur Emons Verlag, Köln 2022
ISBN: 978-3-7408-1574-5; Preis: 13 €
auch als E-Book erhältlich
Catrin Ponciano, Krimi-Autorin · © Foto: Anabela Gaspar
LESEREISE 2022
Catrin Ponciano liest aus ihrem neuen Krimi Rache im Alentejo
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