Schlagwort: Alexandre Babo

Zur Geschichte der Associação Portugal−RDA

Foto von drei Mitgliedern der Associação Portugal–RDA

Teil 2: Por morrer uma andorinha não acaba a primavera (1976–1990)  •  von Dr. Rainer Bettermann

> PROLOG 
Am Abend des 4. Dezember 1976 beging die Associação Portugal—RDA in Lissabon festlich den zweiten Jahrestag ihrer Gründung. Bei dieser Gelegenheit stellte sich auch der Lektor aus der DDR vor und kündigte den Beginn der Deutschkurse für den 3. Januar an. Kurz darauf flog er zurück in die DDR, um die letzten Vorbereitungen zu treffen. Die Ankunft der Lektoren-Familie war für den 28. Dezember avisiert, aber am Flughafen von Lissabon wartete man vergebens. In der Botschaft der DDR, der Casa Azul, kam schon die Vermutung auf, dass sich die Familie in die Schweiz abgesetzt haben könnte. Doch nach zwei Tagen kamen die Verschollenen glücklich in Lissabon an. Winterstürme über den Schweizer Alpen hatten die Flugreise unterbrochen.

SPRACH- UND KULTURARBEIT
Am 3. Januar 1977 begannen pünktlich die Deutschkurse an der Associação Portugal—RDA mit zunächst 70 TeilnehmerInnen. Durch die Verpflichtung einheimischer Lehrkräfte konnten die Kurse nach und nach erweitert und auf weitere Orte ausgedehnt werden. Auch die durch einen Bombenanschlag -verwüstete Bibliothek wurde wieder hergerichtet. Über die Liga für Völkerfreundschaft der DDR wurde das Lehr- und Lernmaterial für die Sprachkurse geliefert und ein modernes Sprachlabor am Sitz der Associação installiert.

Schließlich besuchten jährlich über 200 Teilnehmende die Deutschkurse der Associação. Zu den Sprachkursen in Lissabon kamen in den 1980er Jahren noch Sprachintensivkurse, ein Übersetzungskurs sowie Fortbildungen für Deutschlehrende hinzu. Das Bildungsministerium Portugals empfahl sogar den Deutschlehrenden der Sekundarstufe, entweder einen Kurs des Goethe- Instituts oder der Associação Portugal—RDA zu belegen. Zu den nachhaltigen Leistungen der Associação Portugal—RDA gehört die Theaterarbeit, vor -allem die Förderung des Brecht-Theaters in Portugal. Im Umfeld der Associação Portugal—RDA entstanden literarische Publikationen, z.B. eine Anthologie Poesia da RDA von Álvaro Pina und Rainer Bettermann und die von Fernando Silvestre besorgte Übersetzung des Romans Nackt unter Wölfen (Nu entre Lobos) von Bruno Apitz. Letztlich ist auch die erste deutsche Übersetzung eines Romans von José Saramago (Levantado do Chão/Hoffnung im Alentejo) durch Rainer und Rosemarie Bettermann einer Initiative aus dem Kreis der Associação zu verdanken. 

Auch die Vermittlung von Studienplätzen und von Stipendien zur Teilnahme an den Internationalen Sommerkursen für Germanistik an Universitäten der DDR gehörte zu den Aktivitäten der Associação mit nachhaltiger Wirkung.

HÖHEPUNKTE
Das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der DDR ging davon aus, dass über die Associação Portugal—RDA außenpolitische Ziele verfolgt werden könnten, die sich auf staatlicher Ebene nicht umsetzen ließen (Schreiben des MfAA, Stadtarchiv Jena, G7). In diesem Sinne zielten die Semanas da RDA nicht nur auf politisch nahe stehende Kreise, sondern auf ein breites Publikum. Im März 1976 fand die erste Semana da RDA in Lissabon und in weiteren 20 Orten Portugals mit insgesamt etwa 80.000 BesucherInnen statt. Aus der DDR war eine Delegation von auserwählten ReferentInnen, WissenschaftlerInnen, MusikerInnen, SportlerInnen sowie eine Theatergruppe aus Leipzig nach Portugal entsandt worden. In der Fundação Gulbenkian präsentierte das Hygiene-Museum Dresden eine spektakuläre Ausstellung mit der Gläsernen Frau. Ein Brecht-Seminar und eine internationale Konferenz zur polytechnischen Bildung in der DDR rundeten die erste Woche der DDR ab. 

Zentraler Ort der im April 1977 stattfindenden 2. Semana da RDA war Coimbra. Das Theater der Jungen Garde aus Halle/Saale hatte im Rahmen einer Gastspielreise auch einen Auftritt in Avis, Standort der Cooperativa Primeiro de Maio. Mit dieser von einer Gruppe der Associação begleiteten kulturellen Aktion wurde zugleich die Sympathie mit der umkämpften Reforma Agrária bekundet (2).

1979 war das beste Jahr der Associação Portugal—RDA, wie Alexandre Babo rückblickend feststellte. Die Anzahl der Mitglieder betrug bereits 6000, und ein Netz von 27 Ortsgruppen erstreckte sich über das ganze Land. Die vierteljährlich für die Mitglieder erscheinende Zeitschrift Novos Caminhos erreichte eine Auflage bis zu 7500 Exemplaren. Mit erheblichem Aufwand seitens der DDR und einem Kraftakt der Associação Portugal—RDA wurde der 30. Jahrestag der DDR zwischen dem 30. März und dem 11. April 1979 in Lissabon, Almada, Alhandra, Arganil, Barreiro, Cova da Piedade, Coimbra, Elvas, Estremoz, Évora, Mafra, Marinha Grande, Montijo, Moita, Santarém, Setúbal und Torres Novas begangen. Die Associação gewann 40 bekannte Personen des öffentlichen Lebens für die Teilnahme an einer Ehrenkommission, u.a. die Musiker Carlos Paredes und Carlos do Carmo, die Schriftsteller José Saramago, Joaquim Namorado und José Gomes Ferreira, die Schauspielerin Irene Cruz sowie General Francisco da Costa Gomes, Präsident der Portugiesischen Republik von September 1974 bis Juni 1976. Im repräsentativen Pavilhão dos Desportos, heute Pavilhão Carlos Lopes, fand vor 4500 BesucherInnen die Eröffnungsveranstaltung statt. In den repräsentativen Räumlichkeiten der Sociedade Nacional de Belas Artes in Lissabon wurde die Ausstellung RDA − 30 anos de desenvolvimento cultural, social e científico gezeigt. Ausstellung, Konferenzen, Debatten, Filmvorführungen, Konzerte, Lesungen und Canto Livre -zogen Zehntausende von Besuchern an. 

Ein neues Format der Öffentlichkeitsarbeit wurde mit dem Encontro dos Amigos da RDA zur Pflege bestehender Kontakte und ihrer Ausweitung auf breitere Kreise der portugiesischen Gesellschaft sowie einflussreiche Personen des öffentlichen Lebens geschaffen. An zwei Oktobertagen des Jahres 1980 kamen im Teatro Santana von Lissabon 500 Teilnehmende zum ersten Encontro dos Amigos da RDA zu informativen Veranstaltungen über die Arbeitswelt, das Gesundheitswesen, das Bildungswesen, den Sport und die Kommunalpolitik in der DDR zusammen. «Um amigo da RDA é, certamente, um amigo da paz e, consequentemente, um amigo da cultura», hieß es in einem Redebeitrag von José Saramago. Nachfolgende Encontros dos Amigos da RDA fanden 1983 und 1987 in Lissabon unter Einbeziehung weiterer Orte statt. Das fünftägige Treffen im März 1987 stand unter dem Motto Amizade Portugal—RDA, um factor para o entendimento, a colaboração e da paz. Als Leiter der zentralen Veranstaltung im Forum Picoas von Lissabon wurde der inzwischen zum Marschall ernannte Francisco da Costa Gomes gewonnen, nunmehr Mitglied des Präsidiums im Weltfriedensrat sowie des Conselho Português para a Paz e Cooperação. Das Komitee DDR—Portugal orientierte zunehmend auf Kontakte zu altas personalidades der portugiesischen Gesellschaft. In dieses Konzept kann man auch eine noch im Juni 1989 durchgeführte Woche des Dialogs und der Begegnung Portugal—RDA einordnen. Höhepunkt dieser Woche war eine Festveranstaltung zum 15. Jahrestag des Bestehens der Associação Portugal—RDA im Forum Picoas von Lissabon, an der auch eine Delegation des Komitees DDR—Portugal und der Stadt Jena teilnahm.

STÄDTEPARTNERSCHAFTEN
Ein Punkt der Arbeitsvereinbarung zwischen dem Komitee DDR—Portugal und der Associação Portugal—RDA für 1977 war den seit 1976 bestehenden Partnerschaften zwischen Coimbra und Halle sowie zwischen Setúbal und Magdeburg gewidmet. Die nach dem II. Welt-krieg entstandene Idee von Städtepartnerschaften im Sinne europäischer Friedenspolitik fand in der DDR–Außenpolitik gegenüber Ländern des kapitalistischen Auslands zunehmendes Interesse. In diesem Kontext wurde die Associação Portugal—RDA als Initia-tor von Partnerschaften zwischen Städten Portugals und der DDR angesehen, wie aus einem ministeriellen Schreiben an den Rat der Stadt Jena vom 14. Juni 1984 ersichtlich wird (Stadtarchiv Jena, G7).

Im Rahmen der Semana da RDA im April 1977 präsentierte sich die Partnerstadt Halle im Rathaus von Coimbra. 1981 wurde die Semana da RDA gemeinsam von der Associação Portugal—RDA und den Stadtverwaltungen von Setúbal und Magdeburg organisiert. Im Festsaal des Rathauses von Coimbra wurde die Ausstellung Magdeburg, eine Stadt der DDR, grüßt die Partnerstadt Setúbal gezeigt. Eingeleitet von einer Initiative der Associação kam es 1986 auch zur Unterzeichnung eines Vertrages zwischen den Universitäten von Coimbra und Halle-Wittenberg. Die Ortsgruppe Porto der Associação Portugal—RDA und Alexandre Babo setzten sich intensiv für eine von der DDR – Führung gewünschte Partnerschaft zwischen Porto und Jena ein. Im November 1984 reiste eine Delegation der Stadt Porto nach Jena, und es kam im Rahmen des von der portugiesischen Delegation detailliert beschriebenen Besuchs zur Unterzeichnung des Vertrages über Zusammenarbeit und Freundschaft zwischen beiden Städten (Arquivo do Porto, PT/ADPRT/ASS/AMPTRDA-NP/0050). 1987 wurde die Partnerschaft durch eine Vereinbarung zwischen den Universitäten von Porto und Jena ergänzt. Noch im Juni 1989 wurde in der Casa do Infante von Porto eine Ausstellung Partnerstadt Jena − eine Begegnung mit der Deutschen Demokratischen Republik gezeigt. Die Partnerschaft zwischen Porto und Jena wurde 1991 erneuert.

MUDANÇAS
Es war der Traum von einer «sociedade justa, sem classes sociais, sem exploração do homem pelo homem, com igualdade de direitos e oportunidades, e solidário com os restantes povos» (Ana Paula, 2019), der nach dem Sturz des Caetano-Regimes zur Gründung der Associação Portugal—RDA geführt hatte. Gemeinsam mit dem Komitee DDR—Portugal hatte die Associação einige Jahre mit beträchtlichem Erfolg ein positives Bild vom realen Sozialismus verbreiten können, das den Träumen von einem sozialistischen Portugal entgegenkam. Zwei Jahre nach der Revolution vom 25. April 1974 zeichnete sich aber deutlich ab, dass Portugal auf dem Weg zu einer parlamentarischen Demokratie nach westlichem Muster war. In der DDR setzte seit Beginn der 1980er Jahre eine krisenhafte Entwicklung ein, in deren Folge die Kluft zwischen dem idealisierenden Selbstbild und der Realität immer tiefer wurde. Angesichts der sich ändernden Rahmenbedingungen wurde es für die Associação immer schwieriger, ihr inzwischen beträchtlich ausgedehntes Tätigkeitsfeld zu behaupten: Die Verwaltung der Sprachkurse, die Organisation von Tourismus- und Delegationsreisen in die DDR, die Betreuung von Delegationen aus der DDR, die Organisation von Veranstaltungen und Großereignissen, die Verwaltung der inzwischen circa 8000 Mitglieder und über 30 Ortsgruppen und nicht zuletzt die Herausgabe der Novos Caminhos führten zu organisatorischen Schwierigkeiten und finanziellen Engpässen. Alexandre Babo nahm Ende Mai 1989 an einer Krisensitzung der Leitung der Ortsgruppe von Porto teil. Diese beklagte sich über ein merkliches Desinteresse der DDR am Geschick der Associação Portugal—RDA und an der desaströsen finanziellen Lage der Ortsgruppe. Man fühle sich «marginalizados, ofendidos e desautorizados» (Arquivo do Porto, PT/ADPRT/ASS/AMPTRDA-NP/0056). Die von Ale-xandre Babo vorgebrachten Argumente und Lösungsvorschläge vermochten nicht zu überzeugen. Die Ortsgruppe sah alle bisherige politische und kulturelle Motivation ihrer Tätigkeit als nicht mehr gegeben an und bereitete die Auflösung der Ortsgruppe zum 31.12.1989 vor. 

In einem Schreiben an das Komitee DDR—Portugal vom 14. Dezember 1989 schilderte Alexandre Babo die verzweifelte Situation der Associação Portugal—RDA, die sich mit den Sprachkursen nur noch bis Juni 1990 halten könne und dann auflösen müsse. Doch die Liga für Völkerfreundschaft der DDR war zu diesem Zeitpunkt selbst in die Turbulenzen des gesellschaftlichen Umbruchs geraten und sah sich in ihrer Existenz bedroht.

Nach den ersten freien Wahlen in der DDR am 18. März 1990 trafen zwei Journalisten der Zeitung O Jornal auf einen desillusionierten Alexandre Babo, dessen einzige Aufgabe nur noch darin bestand, die Deutschkurse mit den zwei Lektoren aus der DDR bis zum Ende des Jahres aufrechtzuerhalten. Mit dem Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik zur Bundesrepublik Deutschland am 3. Oktober 1990 war das Ende Associação Portugal—RDA besiegelt.   

EPILOG
An einem Januartag des Jahres 1991 löschten Ingeburg und Hans-Georg Jank, die letzten von der DDR entsandten Lektoren der Associação Portugal—RDA, das Licht in der Casa Azul, stiegen in ihren kleinen Opel Corsa und fuhren zurück in das Land, das es eigentlich nicht mehr gab.

«Todo o mundo é composto de mudança
Tomando sempre, tomando sempre novas 
qualidades.»
José Mário Branco

(2) Zur Einführung in das Thema Reforma Agrária empfehlen wir den Spielfilm Land im Sturm, den Roman Hoffnung im Alentejo von José Saramago und mit freundlicher Zustimmung des Senders RTP (661/21) den Dokumentarfilm vom August 1975: A Terra a quem a Trabalha – RTP Arquivos

Anmerkung der Redaktion:
«Por morrer uma andorinha não acaba a primavera.» heißt auf Deutsch »Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer.«

»Hände weg von Portugal!«

Rote Nelken zur Erinnerung an den 25.4.1974

Hintergründe der SED-Politik zur Zeit der Nelken-Revolution • von Gert Peuckert

> Anlässlich des Jubiläums der Nelkenrevolution, mit der vor 45 Jahren die faschistische Diktatur in Portugal endete, lud die Technische Universität Chemnitz vom 4. bis 6. Dezember 2019 zur Tagung Portugal im deutsch-­deutschen Fokus ein. Eine Gruppe junger Wissenschaftler an der TU in Chemnitz hatte die Idee, die historischen Ereignisse im Fokus der damals noch existierenden beiden deutschen Staaten aufzuarbeiten und suchte Zeitzeugen aus der damaligen DDR für die Umsetzung ihres Vorhabens. In Abstimmung mit dem Vorstand der DPG nahm ich die Einladung zur Teilnahme gerne an und nutzte die Gelegenheit zu den Beziehungen der DDR mit Portugal in dieser Zeit und über unser Projekt zur Dokumentation der Geschichte der Freundschaftsgesellschaft in den beiden deutschen Staaten zu sprechen. Den Organisatoren in Chemnitz war bei ihren Recherchen zum Gegenstand der Tagung aufgefallen, dass die Beziehungen Portugals zu den beiden deutschen Staaten nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges bisher nur selten in wissenschaftlichen Forschungsarbeiten thematisiert wurde, da vor allem die Nelkenrevolution 1974 auf großen Widerhall gestoßen und auch die postrevolutionäre Entwicklung Portugals ganz entschieden von der BRD und der DDR beeinflusst wurde. Die zweitägige Konferenz verfolgte das Ziel, dieses Thema in einem Rahmen zu diskutieren, in welchem wissenschaftliche Forschung durch Augenzeugenberichte von Akteuren aus Ost und West flankiert und neben wissenschaftlichen Vorträgen auch Diskussionsrunden den deutsch-deutschen Blick auf Portugal freilegen sollten. Bei Vorbereitung meines Vortrags wurden viele Erinnerungen an die unvergessliche Aufbruchszeit in Portugal geweckt, und ich fand unter meinen persönlichen Sachen ein altes Tagebuch mit Aufzeichnungen, das ich als Quellenmaterial nutzte. Im Sommer 1975 konnte ich als Student am Institut für internationale Beziehungen in Moskau ein Auslandspraktikum in Lissabon absolvieren und dort für meine Diplomarbeit zur Rolle der MFA in den ­Ereignissen des 25. April 1974 in Portugal recherchieren. Meine erste Begegnung mit Freunden aus Portugal hatte ich bereits bei den Weltfestspielen der Jugend und Studenten 1973 in Berlin als Dolmetscher für die portugiesische Delegation. Die Mehrzahl der portugiesischen Teilnehmer reiste damals über Paris an, wo sie als Emigranten lebten, um nicht in den Kolonialkrieg nach Afrika zu müssen. Während der Weltfestspiele hatten mich die vielen herzlichen Begegnungen der Jugendlichen aus Portugal mit den Teilnehmern von den nationalen Befreiungsbewegungen aus Afrika und die gemeinsamen Protestaktionen zur Beendigung der blutigen Kolonialkriege nachhaltig beeindruckt. Das waren Vorboten für ein baldiges Ende des Krieges. Wir ahnten aber zu dieser Zeit noch nicht, dass wir schon am Vorabend des Militäraufstandes der MFA vom 25. April 1974 stehen würden. Nachdem in den frühen Morgenstunden des 25. April 1974 Zeca Afonsos Grândola, Vila Morena das Startsignal zum Marsch nach Lissabon für die aufständischen Einheiten der Bewegung der Streitkräfte gegeben und die Nelkenrevolution das Ende der faschistischen Diktatur in Portugal gebracht hatte, stand mein Entschluss fest, meine Diplomarbeit zu diesem Thema zu schreiben. In ganz Europa befanden sich in dieser Zeit die Anhänger der Politik der friedlichen Koexistenz auf dem Vormarsch. Der Helsinki-Prozess hatte mit der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) seinen Höhepunkt erreicht. Im Ergebnis der Nelkenrevolution war eine der letzten faschistischen Diktaturen gefallen und eröffneten sich neue Perspektiven für die Vertiefung des Entspannungsprozesses in Europa und den Sieg der nationalen Befreiungsbewegungen in Afrika. Für die meisten Bürger im Osten Deutschlands war Portugal bis dato ein schwarzer Fleck auf der Landkarte. Politische Kontakte seitens der DDR-Führung bestanden lediglich zu den in der Emi­gration lebenden Vertretern der Portugiesischen Kommunistischen Partei (PKP). Der Aufstand der linken Militärs zum Sturz der 48-jährigen faschistischen Diktatur und das Bild von der roten Nelke im Gewehr des Soldaten der MFA verbreitete sich wie ein Lauffeuer, und es kam zu Solidaritätsbekundungen im ganzen Land. In Fernsehen und Presse der DDR wurde fast täglich über die Entwicklung der politischen Ereignisse in Portugal berichtet. Nur wenige Monate zuvor hatte nach dem blutigen Militärputsch Pinochets zum Sturz der Allende-Regierung eine breite Solidaritätsbewegung mit Chile das ganze Land erfasst, die sich nun auch auf die Unterstützung der linken Militärs und der Nelkenrevolution in Portugal ausweitete. Für mich unvergessen sind bis zum heutigen Tage die mit Hochrufen auf die internationale Solidarität begleiteten Auftritte von Zeca Afonso auf dem Festival des Politischen Liedes in Berlin. Noch vor Aufnahme der offiziellen diplomatische Beziehungen im Juni 1974 wurden seitens der DDR mit Hilfe der PKP Kontakte zu den führenden Vertretern der MFA in Lissabon hergestellt. Zu diesem Vortrupp gehörte neben Politbüro-Mitglied Hermann Axen auch der Journalist und spätere Präsident der Freundschaftsgesellschaft, Klaus Steiniger. Danach gaben sich Delegationen aus allen Bereichen des öffentlichen Lebens der DDR die Klinke in die Hand, von denen ich 1975 eine ganze Reihe persönlich vor Ort begleitet habe. Zu einem Höhepunkt gestaltete sich die Durchführung der ersten Brecht-­Woche der DDR im September 1975 mit Theateraufführungen in Lissabon, Porto, Coimbra, Almada, Setúbal und Évora. Die Brecht-Gruppe vom Volkstheater Rostock spielte im ganzen Land vor ausverkauften Häusern und einem begeisterten Publikum, das jedes Mal zum Ende der Vorstellung die Internationale anstimmte. Die erste DDR-Vertretung war in der Avenida de Berna eröffnet worden. Im Januar 1976 erfolgte dann der Umzug in ein mehrstöckiges Gebäude in der Alameda Dom Afonso Henriques. Das Casa Azul − wie es von den DDR-Leuten und portugiesischen Freunden genannt wurde − stand weithin sichtbar auf dem vom Instituto Superior Técnico gegenüberliegenden Hügel über der Fonte Luminosa. Der damalige Botschafter, Dr. Butzke, scharte innerhalb kurzer Zeit ein Team von erfahrenen Diplomaten um sich, die durchgängig über portugiesische Sprachkenntnisse verfügten. Die repräsentative und zahlenmäßig große Vertretung der DDR in Portugal zeugte vom hohen Stellenwert des Landes für die Entwicklung künftiger Beziehungen, war aber für die rechte Presse Anlass zur Verbreitung verschiedenster Verschwörungstheorien im Bezug auf die Rolle von DDR und SED bei den revolutionären Ereignissen des 25. April in Portugal. Allerdings waren die wirklichen Verschwörer wohl eher unter den politisch rechten Kräften in der damaligen BRD zu finden, wie Günter Wallraff in seinem 1976 veröffentlichten Buch über die Kontaktaufnahme von General Spinola zu CSU-nahen Kreisen um Franz Josef Strauß zur Finanzierung von Waffenkäufen bei der Vorbereitung eines Putsches aufdeckte. Mit Fortschreiten der revolutionären Entwicklungen, insbesondere nach den Maßnahmen der Regierung von General Vasco Goncalves im März 1975 zur Nationalisierung von Banken und Konzernen und Umsetzung der Agrarreform, wurde die Unterstützung der DDR für Portugal weiter intensiviert. Ab diesem Zeitpunkt gab es eine sprunghafte Entwicklung der Beziehungen auf allen Ebenen, vor allem im Handels- und Wirtschaftsbereich. In meinen persönlichen Tagebuchaufzeichnungen vom September 1975 ist ein Gespräch mit dem damaligen DDR-Handelsrat Seifert vermerkt, der zum Inhalt einer politischen Richtlinie des Ministeriums für Außenhandel zum vorrangigen Ausbau des Handels mit Portugal berichtete, insbesondere mit den von Arbeiterkommissionen in Verwaltung genommene Unternehmen und neu entstandenen Kooperativen im Alentejo. Die DDR leistete materielle Hilfe durch Lieferung von Saatgut und Landwirtschaftsmaschinen und den Kauf von Waren aus enteigneten Betrieben, die nach dem Wegbrechen ihrer traditionellen Märkte Absatzprobleme hatten und um ihr wirtschaftliches Überleben kämpften. Im Rahmen des 1975 geschlossenen Handelsabkommens wurde beispielsweise der Import großer Mengen von Portwein und Schuhen im Umfang von mehreren Millionen Valutamark (VM) aus Portugal vereinbart. Die DDR verzehnfachte innerhalb eines Jahres die Importe auf 20 Millionen VM und lieferte u. a.Textilmaschinen, polygrafische Maschinen und Düngemittel im Umfang von 8 Millionen VM. Damit war innerhalb ­eines Jahres der Handel mit Portugal von faktisch Null auf fast 30 Millionen VM gewachsen. Auch die politisch-kulturellen Beziehungen stiegen sprunghaft an. Im Juni 1975 konstituierte sich in Berlin das Freundschaftskomitee DDR-­Portugal bei der Liga für Völkerfreundschaft, dessen Hauptpartner für die Zusammenarbeit die Nationale Freundschaftsgesellschaft (NFG) Portugal−DDR wurde. Die NFG war von Freunden des Alemanha democrática − wie die DDR im Volksmund von den Portugiesen im allgemeinen genannt wurde − bereits im Dezember 1974 in Lissabon gegründet worden. Zum Präsidenten wurden der anerkannte portugiesische Musikwissenschaftler Prof. Freitas Branco und als Generalsekretär der Rechtsanwalt und Schriftsteller Alexandre Babo gewählt. Die Gesellschaft fand großen Zuspruch und hatte bald 2.000 Mitglieder, die aus den unterschiedlichsten kulturellen und sozialen Schichten ­kamen und die landesweit in 28 Basisgruppen organisiert waren. Der Beitritt von Admiral Rosa Coutinho, José Saramago und weiteren anerkannten Persönlichkeiten aus Politik und Kultur belegt, dass die Nationale Freundschaftsgesellschaft und damit die DDR einen relativ breiten Zuspruch auch in intellektuellen Kreisen fand. Das ist auch darauf zurückzuführen, dass die DDR aufgrund ihrer Geschichte und Größe für Portugal einen Vergleichsrahmen bildete und den erfolgreichen Aufbau einer antifaschistischen demokratischen Ordnung voraushatte. Beide Staaten befanden sich in einer ähnlichen Ausgangs­lage: Sie hatten eine faschistische Diktatur hinter sich und mussten nun mit dieser Hypothek, welche sich ja vor allem in den Köpfen der Menschen befand, eine neue Gesellschaft aufbauen. Auf Beschluss des Ministeriums für Hoch- und Fachschulwesen wurden 1975 bei der Nationalen Freundschaftsgesellschaft (NFG) Portugal–DDR ein Deutsch-­Lektorat eingerichtet und ein Deutsch-Lektor aus der DDR nach Portugal entsendet. In Zusammenarbeit mit der NFG wurden auf Basis jährlicher Arbeitsvereinbarung zum Beispiel die Woche der DDR in Lissabon und weiteren wichtigen Zentren Portugals und die Solidaritätswoche mit Portugal in der DDR veranstaltet. Nach Aufnahme der diplomatischen Beziehungen wurden in den Jahren 1975/76 weitere Abkommen unterzeichnet und entwickelte sich ein reger Delegationsaustausch, besonders im kulturellen Bereich. Auch Studienauf­enthalte in der DDR, Freiplätze für internationale Sommerkurse sowie Hochschulstudienplätze und Plätze für postgraduales Studium wurden seitens der DDR für die portugiesische Seite angeboten. Diese euphorische Phase in den beiderseitigen Beziehungen erfuhr mit dem Wahlsieg der PS im Jahre 1976 eine spürbare Abkühlung, und die Errungenschaften der Nelkenrevolution wurden in ihrem weiteren Verlauf von den Mechanismen des Kalten Krieges entscheidend beeinflusst. In meinem Vortrag habe ich versucht, basierend auf persönlichen Erinnerungen und Tagebuchaufzeichnungen, die Ereignisse des 25 April 1974 ins Gedächtnis zurückzurufen und die Reaktion der DDR auf die Nelkenrevolution in dem ­damaligen historischen Kontext darzustellen.