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Portugiesische Eisenbahn: Auf breiter Spur bergab

Foto vom Bahnhof in Pinhão am Douro

Was wird aus der portugiesischen Eisenbahn?    von Andreas Lausen

Portugal begann erst später als die meisten europäischen Nationen mit dem Bau seines Eisenbahnnetzes. Am 28. Oktober 1856 wurde die erste Verbindung von Lissabon-Santa Apolónia nach Carregado entlang des Tejo ein­geweiht. Mutig befuhr König Luís I. die 37 Kilometer lange Strecke mit dem ersten offiziellen Zug. 

Nach langem Streit um 7 Millimeter Unterschied hatten sich Portugal und Spanien auf eine Spurweite von 1,668 Metern (5 portugiesische Fuß) festgelegt. Die Staaten Mittel- und Westeuropas bestimmten die schmalere Spurweite von 1,435 Metern für ihre Netze. Züge der iberischen Nachbarn hatten damit keinen direkten Anschluss an das europäische Bahnnetz − bis heute ein erheblicher Wettbewerbsnachteil.

1863 wurde bei Elvas der erste Grenz­über­gang nach Spanien fertiggestellt. 1864 waren Porto und Lissabon mit der Eisenbahn verbunden. 1887 folgte die zweite internationale Verbindung mit der Strecke von Porto nach Salamanca. Auf dieser Bahn wurde bis etwa 1965 auch der Portwein aus dem Douro-Tal transportiert. 1889 wurden Lissabon und Faro verbunden. Viele Stichbahnen im Alentejo und im Norden folgten. 

Außerhalb der Hauptlinien war die Bahn schon damals recht langsam unterwegs. Die Bahn längs des Flusses Tua brauchte vom Douro bis Bragança für 137 Kilometer fast vier Stunden. Immerhin wurden 37 Bahnhöfe bedient. Obwohl noch einige Gleis-Kilometer vorhanden sind und die Politik die Wiedereröffnung zugesagt hat, ist inzwischen ein großer Teil mit Tunneln und Brücken im neuen Tua-Stausee versunken.

1952 erreichte das portugiesische Eisenbahnnetz mit 3.627 Kilometern seine größte Ausdehnung. Dabei blieb es bis 1987, als die erste größere Stilllegung mit der Stecke Èvora-Mora geschah. 1990 wurden sogar acht Strecken stillgelegt und 1988 die erste Verbindung nach Spanien geschlossen (Douro-Strecke von Poçinho nach Salamanca).

Heute sind noch 2.500 Kilometer in Betrieb und drei von einstmals sechs Grenz­übergängen. Der Rückgang scheint nicht dramatisch. Anteilsmäßig schrumpfte das Eisenbahnnetz in Deutschland deutlich stärker. Aber während die Deutsche Bahn auch auf Nebenstrecken einen Stundentakt fährt, werden viele Strecken in Portugal nur noch drei oder viermal pro Tag befahren. Selbst die Strecke von Lissabon in die Alentejo-Metropole Èvora wird nur sieben Mal pro Tag bedient.

Häufig sieht man vom Zug aus Ruinen von Bahnhöfen, Schrottlokomotiven oder zerfledderte Wagen. Der früher wichtige Bahnhof von Barreiro gegenüber von Lissabon zerfällt. Nebenan rosten die Trümmer des alten Schnellzugs Foguete (Rakete), der 1953 bis 1970 die Strecke Lissabon—Porto befuhr und für Geschwindigkeit und Komfort berühmt war. 

Foto vom Bahnhof Oriente in Lissabon

Der modernistische Bahnhof Oriente in Lissabon · Foto: © Andreas Lausen

Bleibt zu hoffen, dass zumindest die verbliebenen Strecken erhalten bleiben. Aber auch das scheint fraglich. So wird ernsthaft überlegt, die wunderschöne Strecke am Douro durch das Weltkultur­erbe Portwein-Gebiet zu kürzen. Dagegen setzen sich die Menschen in den Dörfern und kleinen Städten massiv zur Wehr und fordern sogar die Wiederöffnung der 1988 aufgegebenen Strecke ins spanische Salamanca. 

Das letzte größere Ausbau-Vorhaben war die Schienenverlegung im Unter­geschoss der Ponte 25 de Abril im Jahre 1998, mit dem die Verbindung in den ­Süden Portugals schneller geworden ist. Im April 2021 weihte Premierminister Antó­nio Costa die runderneuerte Strecke nach Valença do Minho ein. Einige Baumaßnahmen laufen zur Zeit an der Westbahn, die vom Rossio-Bahnhof aus über Óbidos und Leiria nach Coimbra führt. Hier sollen auch die besonders sehenswerten Stationen modernisiert werden. Auch aus dem großen Corona-Hilfsprogramm der EU will Portugal Geld für die Bahn abzweigen. Neue Strecken sind aber nicht geplant. Trotz aller Tristesse auf Portugals Schienen gibt es Zeichen für Optimismus! 

Am 4. Mai 2021 wurde die 46 Kilometer lange Strecke von Guarda nach Covilhã wiedereröffnet, die zwölf Jahre lang ­außer Betrieb war. Mit sechs Zügen ­täglich in jeder Richtung wird damit die ganze Region im portugiesischen Outback wieder an das Schienennetz an­geschlossen.

Wer die schönsten Abschnitte befährt, sich an den mit Blumen und Azulejos geschmückten Bahnhöfen erfreut, sollte dies Abenteuer genießen − wer weiß, wie lange die Bahn noch fährt!

 

1972: PER BAHN NACH PORTUGAL

Schon als Schüler faszinierte mich Portugal. So fasste ich den Entschluss, zwischen Abitur und Studium eine Reise in ­dieses damals recht unbekannte Land am Rande Europas zu unternehmen. 

Einfach war mein Vorhaben nicht. Nur von Frankfurt aus gab es eine Flugverbindung. Aber die war außerhalb meiner finanziellen Möglichkeiten. Also per Bahn in 50 Stunden! Passgenau hatten einige Bahnen 1972 den Interrail-Pass eingeführt, dem sich auch die portugiesische CP angeschlossen hatte. Also bestieg ich erwartungsvoll den Zug von Hamburg nach Köln. 

Dort war Umsteigen angesagt in den Nachtzug nach Paris. Am nächsten Morgen langte ich müde am Gare du Nord an. Zum Glück hatte ich im Zug eine Gruppe Portugiesen aus Köln kennengelernt. Die waren auch auf dem Weg nach Portugal und hatten in Paris einen Landsmann aufgetan, der sie mit einem Kleinbus zum Gare de Austerlitz am anderen Ende der Stadt brachte. Mich nahmen sie mit. Sonst hätte ich den Weg quer durch Paris in knapp zwei Stunden bestimmt nicht geschafft!

An der spanischen Grenze musste wegen der breiteren iberischen Spur wieder umgestiegen werden. Mit einem gleichaltrigen Schweden okkupierte ich ein Abteil, in dem wir uns breit machen konnten und einigermaßen bequem die Fahrt durch die nächtliche spanische Meseta überstanden. 

Als der nächste Morgen dämmerte, fuhr der Zug in den spanischen Grenzbahnhof Fuentes de Oñoro ein. Der Bahnsteig war voll von spanischen Grenzpolizisten und Zöllnern, die in Vierergruppen die Waggons enterten. Nach zwei Kontrollen setzte sich der fast ganz von Portugiesen besetzte Zug schließlich in Bewegung. 

Inzwischen gingen überall die Fenster auf. Alle Passagiere waren wach geworden. Im Schritttempo rollte die Bahn durch eine Felsschlucht. Da! In der Felswand tauchte das Schild «PORTUGAL» auf, kurz darauf das portugiesische Wappen. Im Waggon ertönte ein Akkordeon, und durch alle Abteile lief das Lied «Herois do mar», Portugals Nationalhymne. Bei den letzten Takten «contra os canhões, marchar, marchar» dröhnte der ganze Zug. Der portugiesische Grenzbahnhof Vilar Formoso ähnelt einem kleinen Palast, und ich fühlte mich ein wenig wie Jaçinto in J.M. Eça de Queiroz’ Roman «A Cidade e as Serras»: »Das also ist Portugal! Cheira bem!«