Schlagwort: Semana da RDA

Zur Geschichte der Associação Portugal−RDA

Foto von drei Mitgliedern der Associação Portugal–RDA

Teil 2: Por morrer uma andorinha não acaba a primavera (1976–1990)  •  von Dr. Rainer Bettermann

> PROLOG 
Am Abend des 4. Dezember 1976 beging die Associação Portugal—RDA in Lissabon festlich den zweiten Jahrestag ihrer Gründung. Bei dieser Gelegenheit stellte sich auch der Lektor aus der DDR vor und kündigte den Beginn der Deutschkurse für den 3. Januar an. Kurz darauf flog er zurück in die DDR, um die letzten Vorbereitungen zu treffen. Die Ankunft der Lektoren-Familie war für den 28. Dezember avisiert, aber am Flughafen von Lissabon wartete man vergebens. In der Botschaft der DDR, der Casa Azul, kam schon die Vermutung auf, dass sich die Familie in die Schweiz abgesetzt haben könnte. Doch nach zwei Tagen kamen die Verschollenen glücklich in Lissabon an. Winterstürme über den Schweizer Alpen hatten die Flugreise unterbrochen.

SPRACH- UND KULTURARBEIT
Am 3. Januar 1977 begannen pünktlich die Deutschkurse an der Associação Portugal—RDA mit zunächst 70 TeilnehmerInnen. Durch die Verpflichtung einheimischer Lehrkräfte konnten die Kurse nach und nach erweitert und auf weitere Orte ausgedehnt werden. Auch die durch einen Bombenanschlag -verwüstete Bibliothek wurde wieder hergerichtet. Über die Liga für Völkerfreundschaft der DDR wurde das Lehr- und Lernmaterial für die Sprachkurse geliefert und ein modernes Sprachlabor am Sitz der Associação installiert.

Schließlich besuchten jährlich über 200 Teilnehmende die Deutschkurse der Associação. Zu den Sprachkursen in Lissabon kamen in den 1980er Jahren noch Sprachintensivkurse, ein Übersetzungskurs sowie Fortbildungen für Deutschlehrende hinzu. Das Bildungsministerium Portugals empfahl sogar den Deutschlehrenden der Sekundarstufe, entweder einen Kurs des Goethe- Instituts oder der Associação Portugal—RDA zu belegen. Zu den nachhaltigen Leistungen der Associação Portugal—RDA gehört die Theaterarbeit, vor -allem die Förderung des Brecht-Theaters in Portugal. Im Umfeld der Associação Portugal—RDA entstanden literarische Publikationen, z.B. eine Anthologie Poesia da RDA von Álvaro Pina und Rainer Bettermann und die von Fernando Silvestre besorgte Übersetzung des Romans Nackt unter Wölfen (Nu entre Lobos) von Bruno Apitz. Letztlich ist auch die erste deutsche Übersetzung eines Romans von José Saramago (Levantado do Chão/Hoffnung im Alentejo) durch Rainer und Rosemarie Bettermann einer Initiative aus dem Kreis der Associação zu verdanken. 

Auch die Vermittlung von Studienplätzen und von Stipendien zur Teilnahme an den Internationalen Sommerkursen für Germanistik an Universitäten der DDR gehörte zu den Aktivitäten der Associação mit nachhaltiger Wirkung.

HÖHEPUNKTE
Das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der DDR ging davon aus, dass über die Associação Portugal—RDA außenpolitische Ziele verfolgt werden könnten, die sich auf staatlicher Ebene nicht umsetzen ließen (Schreiben des MfAA, Stadtarchiv Jena, G7). In diesem Sinne zielten die Semanas da RDA nicht nur auf politisch nahe stehende Kreise, sondern auf ein breites Publikum. Im März 1976 fand die erste Semana da RDA in Lissabon und in weiteren 20 Orten Portugals mit insgesamt etwa 80.000 BesucherInnen statt. Aus der DDR war eine Delegation von auserwählten ReferentInnen, WissenschaftlerInnen, MusikerInnen, SportlerInnen sowie eine Theatergruppe aus Leipzig nach Portugal entsandt worden. In der Fundação Gulbenkian präsentierte das Hygiene-Museum Dresden eine spektakuläre Ausstellung mit der Gläsernen Frau. Ein Brecht-Seminar und eine internationale Konferenz zur polytechnischen Bildung in der DDR rundeten die erste Woche der DDR ab. 

Zentraler Ort der im April 1977 stattfindenden 2. Semana da RDA war Coimbra. Das Theater der Jungen Garde aus Halle/Saale hatte im Rahmen einer Gastspielreise auch einen Auftritt in Avis, Standort der Cooperativa Primeiro de Maio. Mit dieser von einer Gruppe der Associação begleiteten kulturellen Aktion wurde zugleich die Sympathie mit der umkämpften Reforma Agrária bekundet (2).

1979 war das beste Jahr der Associação Portugal—RDA, wie Alexandre Babo rückblickend feststellte. Die Anzahl der Mitglieder betrug bereits 6000, und ein Netz von 27 Ortsgruppen erstreckte sich über das ganze Land. Die vierteljährlich für die Mitglieder erscheinende Zeitschrift Novos Caminhos erreichte eine Auflage bis zu 7500 Exemplaren. Mit erheblichem Aufwand seitens der DDR und einem Kraftakt der Associação Portugal—RDA wurde der 30. Jahrestag der DDR zwischen dem 30. März und dem 11. April 1979 in Lissabon, Almada, Alhandra, Arganil, Barreiro, Cova da Piedade, Coimbra, Elvas, Estremoz, Évora, Mafra, Marinha Grande, Montijo, Moita, Santarém, Setúbal und Torres Novas begangen. Die Associação gewann 40 bekannte Personen des öffentlichen Lebens für die Teilnahme an einer Ehrenkommission, u.a. die Musiker Carlos Paredes und Carlos do Carmo, die Schriftsteller José Saramago, Joaquim Namorado und José Gomes Ferreira, die Schauspielerin Irene Cruz sowie General Francisco da Costa Gomes, Präsident der Portugiesischen Republik von September 1974 bis Juni 1976. Im repräsentativen Pavilhão dos Desportos, heute Pavilhão Carlos Lopes, fand vor 4500 BesucherInnen die Eröffnungsveranstaltung statt. In den repräsentativen Räumlichkeiten der Sociedade Nacional de Belas Artes in Lissabon wurde die Ausstellung RDA − 30 anos de desenvolvimento cultural, social e científico gezeigt. Ausstellung, Konferenzen, Debatten, Filmvorführungen, Konzerte, Lesungen und Canto Livre -zogen Zehntausende von Besuchern an. 

Ein neues Format der Öffentlichkeitsarbeit wurde mit dem Encontro dos Amigos da RDA zur Pflege bestehender Kontakte und ihrer Ausweitung auf breitere Kreise der portugiesischen Gesellschaft sowie einflussreiche Personen des öffentlichen Lebens geschaffen. An zwei Oktobertagen des Jahres 1980 kamen im Teatro Santana von Lissabon 500 Teilnehmende zum ersten Encontro dos Amigos da RDA zu informativen Veranstaltungen über die Arbeitswelt, das Gesundheitswesen, das Bildungswesen, den Sport und die Kommunalpolitik in der DDR zusammen. «Um amigo da RDA é, certamente, um amigo da paz e, consequentemente, um amigo da cultura», hieß es in einem Redebeitrag von José Saramago. Nachfolgende Encontros dos Amigos da RDA fanden 1983 und 1987 in Lissabon unter Einbeziehung weiterer Orte statt. Das fünftägige Treffen im März 1987 stand unter dem Motto Amizade Portugal—RDA, um factor para o entendimento, a colaboração e da paz. Als Leiter der zentralen Veranstaltung im Forum Picoas von Lissabon wurde der inzwischen zum Marschall ernannte Francisco da Costa Gomes gewonnen, nunmehr Mitglied des Präsidiums im Weltfriedensrat sowie des Conselho Português para a Paz e Cooperação. Das Komitee DDR—Portugal orientierte zunehmend auf Kontakte zu altas personalidades der portugiesischen Gesellschaft. In dieses Konzept kann man auch eine noch im Juni 1989 durchgeführte Woche des Dialogs und der Begegnung Portugal—RDA einordnen. Höhepunkt dieser Woche war eine Festveranstaltung zum 15. Jahrestag des Bestehens der Associação Portugal—RDA im Forum Picoas von Lissabon, an der auch eine Delegation des Komitees DDR—Portugal und der Stadt Jena teilnahm.

STÄDTEPARTNERSCHAFTEN
Ein Punkt der Arbeitsvereinbarung zwischen dem Komitee DDR—Portugal und der Associação Portugal—RDA für 1977 war den seit 1976 bestehenden Partnerschaften zwischen Coimbra und Halle sowie zwischen Setúbal und Magdeburg gewidmet. Die nach dem II. Welt-krieg entstandene Idee von Städtepartnerschaften im Sinne europäischer Friedenspolitik fand in der DDR–Außenpolitik gegenüber Ländern des kapitalistischen Auslands zunehmendes Interesse. In diesem Kontext wurde die Associação Portugal—RDA als Initia-tor von Partnerschaften zwischen Städten Portugals und der DDR angesehen, wie aus einem ministeriellen Schreiben an den Rat der Stadt Jena vom 14. Juni 1984 ersichtlich wird (Stadtarchiv Jena, G7).

Im Rahmen der Semana da RDA im April 1977 präsentierte sich die Partnerstadt Halle im Rathaus von Coimbra. 1981 wurde die Semana da RDA gemeinsam von der Associação Portugal—RDA und den Stadtverwaltungen von Setúbal und Magdeburg organisiert. Im Festsaal des Rathauses von Coimbra wurde die Ausstellung Magdeburg, eine Stadt der DDR, grüßt die Partnerstadt Setúbal gezeigt. Eingeleitet von einer Initiative der Associação kam es 1986 auch zur Unterzeichnung eines Vertrages zwischen den Universitäten von Coimbra und Halle-Wittenberg. Die Ortsgruppe Porto der Associação Portugal—RDA und Alexandre Babo setzten sich intensiv für eine von der DDR – Führung gewünschte Partnerschaft zwischen Porto und Jena ein. Im November 1984 reiste eine Delegation der Stadt Porto nach Jena, und es kam im Rahmen des von der portugiesischen Delegation detailliert beschriebenen Besuchs zur Unterzeichnung des Vertrages über Zusammenarbeit und Freundschaft zwischen beiden Städten (Arquivo do Porto, PT/ADPRT/ASS/AMPTRDA-NP/0050). 1987 wurde die Partnerschaft durch eine Vereinbarung zwischen den Universitäten von Porto und Jena ergänzt. Noch im Juni 1989 wurde in der Casa do Infante von Porto eine Ausstellung Partnerstadt Jena − eine Begegnung mit der Deutschen Demokratischen Republik gezeigt. Die Partnerschaft zwischen Porto und Jena wurde 1991 erneuert.

MUDANÇAS
Es war der Traum von einer «sociedade justa, sem classes sociais, sem exploração do homem pelo homem, com igualdade de direitos e oportunidades, e solidário com os restantes povos» (Ana Paula, 2019), der nach dem Sturz des Caetano-Regimes zur Gründung der Associação Portugal—RDA geführt hatte. Gemeinsam mit dem Komitee DDR—Portugal hatte die Associação einige Jahre mit beträchtlichem Erfolg ein positives Bild vom realen Sozialismus verbreiten können, das den Träumen von einem sozialistischen Portugal entgegenkam. Zwei Jahre nach der Revolution vom 25. April 1974 zeichnete sich aber deutlich ab, dass Portugal auf dem Weg zu einer parlamentarischen Demokratie nach westlichem Muster war. In der DDR setzte seit Beginn der 1980er Jahre eine krisenhafte Entwicklung ein, in deren Folge die Kluft zwischen dem idealisierenden Selbstbild und der Realität immer tiefer wurde. Angesichts der sich ändernden Rahmenbedingungen wurde es für die Associação immer schwieriger, ihr inzwischen beträchtlich ausgedehntes Tätigkeitsfeld zu behaupten: Die Verwaltung der Sprachkurse, die Organisation von Tourismus- und Delegationsreisen in die DDR, die Betreuung von Delegationen aus der DDR, die Organisation von Veranstaltungen und Großereignissen, die Verwaltung der inzwischen circa 8000 Mitglieder und über 30 Ortsgruppen und nicht zuletzt die Herausgabe der Novos Caminhos führten zu organisatorischen Schwierigkeiten und finanziellen Engpässen. Alexandre Babo nahm Ende Mai 1989 an einer Krisensitzung der Leitung der Ortsgruppe von Porto teil. Diese beklagte sich über ein merkliches Desinteresse der DDR am Geschick der Associação Portugal—RDA und an der desaströsen finanziellen Lage der Ortsgruppe. Man fühle sich «marginalizados, ofendidos e desautorizados» (Arquivo do Porto, PT/ADPRT/ASS/AMPTRDA-NP/0056). Die von Ale-xandre Babo vorgebrachten Argumente und Lösungsvorschläge vermochten nicht zu überzeugen. Die Ortsgruppe sah alle bisherige politische und kulturelle Motivation ihrer Tätigkeit als nicht mehr gegeben an und bereitete die Auflösung der Ortsgruppe zum 31.12.1989 vor. 

In einem Schreiben an das Komitee DDR—Portugal vom 14. Dezember 1989 schilderte Alexandre Babo die verzweifelte Situation der Associação Portugal—RDA, die sich mit den Sprachkursen nur noch bis Juni 1990 halten könne und dann auflösen müsse. Doch die Liga für Völkerfreundschaft der DDR war zu diesem Zeitpunkt selbst in die Turbulenzen des gesellschaftlichen Umbruchs geraten und sah sich in ihrer Existenz bedroht.

Nach den ersten freien Wahlen in der DDR am 18. März 1990 trafen zwei Journalisten der Zeitung O Jornal auf einen desillusionierten Alexandre Babo, dessen einzige Aufgabe nur noch darin bestand, die Deutschkurse mit den zwei Lektoren aus der DDR bis zum Ende des Jahres aufrechtzuerhalten. Mit dem Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik zur Bundesrepublik Deutschland am 3. Oktober 1990 war das Ende Associação Portugal—RDA besiegelt.   

EPILOG
An einem Januartag des Jahres 1991 löschten Ingeburg und Hans-Georg Jank, die letzten von der DDR entsandten Lektoren der Associação Portugal—RDA, das Licht in der Casa Azul, stiegen in ihren kleinen Opel Corsa und fuhren zurück in das Land, das es eigentlich nicht mehr gab.

«Todo o mundo é composto de mudança
Tomando sempre, tomando sempre novas 
qualidades.»
José Mário Branco

(2) Zur Einführung in das Thema Reforma Agrária empfehlen wir den Spielfilm Land im Sturm, den Roman Hoffnung im Alentejo von José Saramago und mit freundlicher Zustimmung des Senders RTP (661/21) den Dokumentarfilm vom August 1975: A Terra a quem a Trabalha – RTP Arquivos

Anmerkung der Redaktion:
«Por morrer uma andorinha não acaba a primavera.» heißt auf Deutsch »Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer.«