Bei dem beeindruckenden Konzert junger Portugiesen wird an die Nelken-Revolution von 1974 in Portugal erinnert • von Dr. Stefan Poppitz
Zum Schluss springen fast alle Zuhörer auf, spenden prasselnden Applaus, ertönen Da capo-Rufe: Soeben ist José Afonsos berühmtes Lied «Como se faz um canalha» in einer modern arrangierten Fassung mit Bläsern, Schlagzeug und Bassgitarre verklungen, und die Leute toben vor Begeisterung. Und da die musikalischen Akteure auf der Bühne − gut ein Dutzend junger Portugiesen, die an der Leipziger Hochschule für Musik und Theater studieren − auf eine Zugabe nicht eingerichtet sind, spielen sie Zeca Afonsos Song einfach noch mal. Erneut euphorischer Jubel der etwa 120 Besucher, unter ihnen auch DPG-Präsident Michael W. Wirges. Finaler Glanzpunkt eines außergewöhnlichen Konzerts am 25. April in der Leipziger Stadtbibliothek, organisiert von den einheimischen Portugal-Liebhabern der DPG und dem Instituto Camões.
Der Anlass dafür ist denkwürdig: An diesem Tag vor 45 Jahren begann in Portugal die weitgehend friedlich verlaufende Nelkenrevolution. Ihren Namen verdankte sie den roten Nelken, die sich aufständische Soldaten in die Gewehrläufe gesteckt hatten. Mit ihr wurde die bis dahin herrschende autoritäre Diktatur gestürzt und dem Land eine demokratische Entwicklung ermöglicht.
So ist es nur ganz natürlich, dass an diesem mit «Música de Abril» überschriebenen Abend auch drei Lieder des Sängers der Revolution, José Afonso, erklingen, dessen «Grândola vila morena» am frühen Morgen des 25. April in einem Radiosender gespielt und zum Startsignal für den Aufstand wird. Doch die Zeitreise durch die portugiesische Musik führt auch zu Werken klassischer Komponisten wie Luís de Freitas Branco, Joly Braga Santos oder Fernando Lopes-Graça, welche die jungen Portugiesen − verstärkt durch mehrere Studienfreunde anderer Nationen − ausdrucksstark wie hingebungsvoll vortragen. Und auch Portugals junge Komponisten-Generation lässt mit neuen Stücken aufhorchen − beispielsweise der an der Leipziger Musikhochschule studierende Violinist Rui C. Antunes oder deren Absolvent, der Pianist Filipe Pinto, der den Konzertabend künstlerisch ebenso gut betreut wie ihn Manuel Durão launig und informativ moderiert. Auch der ist Hochschulabsolvent, jetzt Komponist und Dirigent, Mitstreiter in der DPG und lebt schon seit vielen Jahren in Leipzig.
Er hat dann eine Überraschung parat, sagt zwei Stücke von Johann Sebastian Bach an, gespielt vom Bochumer Oboisten Hans-Heinrich Kriegel. Auch der gehört schon lange der Deutsch-Portugiesischen Gesellschaft an. Gefragt, warum er an einem Abend mit portugiesischen Klängen Musik ausgerechnet dieses Mannes spiele, sagt er, dass Bach als langjähriger Thomas-Kantor am intensivsten mit Leipzig verbunden war, jener Stadt, von der 1989 so viel Hoffnung ausging und in der die Friedliche Revolution ihren Anfang nahm. Er wolle eine Brücke schlagen zu den Ereignissen vor dreißig Jahren im Osten Deutschlands. Ebenfalls starker Beifall für Kriegels Darbietung.
Viele verlassen nach dem Konzert den Saal mit leuchtenden Augen, sind hingerissen von dem musikalischen Erlebnis, haben viel zu erzählen. Wie António Oliveira, der Keramiker, den die Liebe vor Jahren nach Leipzig zog: »Das war klasse, wirklich tolle Musik! Schade, dass meine Kinder nicht dabei waren, das hätten sie hören müssen. Aber das nächste Mal sind sie dabei. Und wenn ich sie herschleppen muss!«
Com o apoio do Ministério dos Negócios Estrangeiros – Comunidades Portuguesas