Schlagwort: Lagos

Die Klosterkirche der Karmelitinnen in Lagos

Foto der Kirche »Igreja da Nossa Senhora do Carmo« in Lagos

Über die Igreja da Nossa Senhora do Carmo • von Timo Dillner

> Ihrer Funktion nach sind die großen Kirchen unserer Städte Zentren des öffentlichen Lebens, und als solche dazu bestimmt, vielen Menschen Treffpunkt und Versammlungsort zu sein. Also stehen sie mitten drin. Was ich meine, wird jeder wissen, der schon einmal versucht hat, das Bild einer Kirche fotografisch oder zeichnerisch festzuhalten: Oft muss man das Objekt seiner Begierde weiträumig umwandern. Man nähert und entfernt sich von ihm; schleicht sich gewissermaßen an; und was aus einiger Distanz so fabelhaft aussah, dass man neugierig darauf ist, es aus der Nähe zu betrachten, verschwindet bald hinter ­anderen Häusern, Plakatwänden oder parkenden Autos. Hat man das Glück, endlich eine freie Passage mit dem Wirklich Guten Blick gefunden zu haben, dann ist es genau die Ansicht, die bereits auf unzähligen Bildern unzähliger Autoren zu finden ist. Und trotzdem − wer sich die Mühe macht, wird doch immerhin den Vorteil haben, die Stadt Schritt für Schritt besser kennenzulernen. Lagos beispielsweise hat vier große Kirchen. Wer die Städte hier unten im Süden Portugals ein wenig kennt, wird bei den Worten große Kirchen nicht an Monumente im Maßstab des Kölner Doms denken. Trotzdem sind es Bauwerke, die auffallen, und als Künstler interessiere ich mich, auf oben beschriebene Weise, sehr für Bauwerke, die auffallen. Also zeichnete ich als erstes die Igreja de Santa Maria, die dem begehrlichen Betrachter immerhin zwei Ansichten bietet, die es wert sind, abgebildet zu werden. Dann die Igreja de Santo António, die einmal die Straße hinauf und einmal die Straße hinunter ein reizvolles Bild bietet. Außerdem die Igreja de São Sebastião, die es fertigbringt, als höchste Kirche der Stadt fast völlig unsichtbar zu bleiben: Man sieht sie von weitem oder aber, wenn man ganz dicht davor steht. Eine interessante Kirche; ein schwieriges ­Motiv. In allen drei Kirchen finden neben den Gottesdiensten auch musikalische Veranstaltungen statt, und die Kenntnis ­davon ergibt sich quasi automatisch, während man seine Ansicht sucht. Und also wussten wir auch bald, wie diese Kirchen von innen aussahen. Nur die Nossa Senhora do Carmo kannten wir jahrelang lediglich von außen. Dabei ist das Gebäude recht eindrucksvoll. Das Gewölbedach des Chores an der Nordwestseite des Baus wird optisch zur linken von einem funktionslosen Mäuerchen flankiert, das durch seine drei ­bogenfensterartigen Durchbrüche sehr attraktiv wirkt. Also zeichnete ich die Ansicht mehrere Male, und es entstanden sogar zwei Malereien aus verschiedenen Perspektiven, derweil sich nebenbei die Neugier regte, weshalb die Kirche wohl nicht mehr in Betrieb und immer verschlossen war. Von außen sah sie recht gut erhalten aus. Eine Klosterkirche war es einst, so erfuhr ich irgendwann von einer älteren Portugiesin. Nonnenkloster. Und bekam die Information gewürzt mit der Nachricht, es sei auch ein Geheimgang gefunden worden, und in dem Gang die Knochen von … Psst … und deshalb wäre da jetzt immer alles abgeschlossen. Nun, was wäre ein mysteriöses altes Gebäude ohne Geheimgang und Knochen! Und möglich ist ja bekanntlich ­alles. In historischen Büchern über die Stadt sind nur wenig Angaben über die frühere Geschichte der Kirche zu entdecken: Als Kirche des Klosters der Karmelitinnen wurde die Igreja da Nossa Senhora do Carmo in Lagos 1463 erbaut. Das Erdbeben 1755 zerstörte den größten Teil der Stadt und also auch das Kloster. Es wurde wiederaufgebaut und überlebte in seiner Funktion bis 1833, daselbst die Order erging, alle Klöster, deren Bewohnerzahl unter das Dutzend gesunken war, zu schließen. Man hatte keine rechte Verwendung mehr dafür, und die Welt tat sich schwer, die Gemäuer anschließend einer einigermaßen endgültigen Nutzung zu bestimmen. Nach vielen unterschiedlichen Funktionen war die Anlage schließlich Sitz des Theaters Gil Vicente und des Gerichts, bis die Stadt dann eine Berufsschule daraus machte. Die eigentliche Kirche blieb geschlossen und reifte sozusagen dringendem Restaurations­bedürfnis entgegen. Im Jahr 2004 wurde von Klerus und Staat ein Vertrag über die 25jährige Nutzung der Anlage durch die Stadt, auch zum Zwecke umfangreicher Wiederherstellung, unterzeichnet. Diese Arbeiten wurden in zwei Abschnitte geteilt, deren erster − die bauliche Sanierung − 2007 abgeschlossen war. Seitdem öffneten sich die Türen in unregelmäßigen Abständen zu kulturellen Veranstaltungen, und anlässlich einer solchen Veranstaltung war es auch, dass wir die Kirche zum ersten Mal von innen sehen konnten. Es war ein nachhaltig wirkendes Erlebnis. Nicht nur des Konzertes wegen, das wie so viele, die so oft in Lagos angeboten werden, in seiner ­Mischung aus hoher Professionalität und improvisatorischem Geschick bezaubernd war. Sondern zu einem gewaltigen Teil auch wegen der Kirche selbst. Ohne jeden Zweifel war sie restauriert worden: Die Wände weiß, der Fußboden in Ordnung, die hohe Decke modern und schlicht verstrebt … − und das war es schon. Der Altar, die Emporen, die Nischen und Säulen für die Figuren der Heiligen − alles noch da und vorhanden, und doch beeindruckend unvollständig. Keine Heiligenfiguren in den Nischen, keine Engel auf den Säulen, keine ­altersbraunen Bilder und keine Bemalungen an den Wänden. Bei genauerem Hinsehen entdeckte man auch, dass manch ein geschnitztes Englein nur noch durch den Umriss zu erahnen war, den sein Fehlen auf einer hölzern verzierten Tafel hinterlassen hatte. Ganz armen ­Figuren waren Gesicht oder Hände abhanden gekommen. Die Wirkung war ­äußerst eigenartig. In vielen hölzernen Rückwänden klafften Spalten oder ­Löcher, und doch wirkten sie nicht ­ruiniert sondern durch die unbesorgte Ausbesserung mit vorhandenem Gehölz wie absichtlich festgehalten in einem besonders kostbaren Stadium des Verfalls. Verlorenes und Bewahrtes hielten sich eine perfekte Waage. Und all die verschwundenen Details schienen zwar ­gegangen zu sein, aber vielleicht doch nicht für immer, denn ihre Plätze waren sozusagen freigehalten. Die Stühle, auf denen sie gesessen hatten, fast noch warm. Der Eindruck, zwar in einer Kirche, jedoch weder in einem Gotteshaus noch in verweltlichter Sakralarchitektur zu sitzen, erlaubte uns die Wahl, und wir wählten das Empfinden, uns im perfekten Ambiente aufzuhalten. Seitdem kennen wir die Kirche besser und wissen, dass auch die Sakristei und die anderen Räume ähnlich aussehen und ähnlich ausstrahlen; und inzwischen sind sie uns nicht nur vertraut, sondern sogar ein Stück Zuhause geworden. Denn die Sakristei ist inzwischen der Ort der Proben der Grupo Coral de Lagos, der wir seit drei Jahren angehören. Montags und donnerstags wird für Konzerte geübt. Die vier Stimmen des Chores (Sopran, Alt, Tenor und Bass) sind zumeist Portugiesen, von denen einige schon seit seiner Gründung, 1976, hier singen. Die Kon­zerte selbst finden nicht nur in der Igreja das Freiras − wie die Kirche im Volksmund genannt wird − statt, sondern überall an der Algarve und in anderen Distrikten Portugals. Auch im Ausland vertritt die Grupo Coral ihre Stadt Lagos würdig und mit Erfolg, wie beispielsweise im vergangenen Jahr in Slowenien. Der Chor ist mit seinen 44 Jahren übrigens der älteste von inzwischen drei ­Akteuren der Associação Grupo Coral de Lagos. Der zweite Akteur der Associação ist der Kinder- und Jugendchor, der Coro ­Infanto-Juvenil de Lagos, den es seit 1996 gibt. Die Sänger sind zwischen sieben und zwölf Jahren alt, und so mancher von ihnen wechselt später in den größeren Chor, was fast unauffällig vonstatten geht, da gelegentlich gemeinsam gesungen wird und man mit Vera Batista auch eine gemeinsame Chorleiterin hat. Das jüngste Kind der Associação ist das vor zwei Jahren gegründete Conservatório de Música e Arte de Lagos. Mit direkter finanzieller Unterstützung des portugiesischen Bildungsministeriums wird hier Unterricht gegeben und zum Beispiel die musikalische Schulausbildung von Abiturienten vollendet. Auch das Konservatorium hat seinen Sitz in der Kirche und lehrt in den Räumen der ­angrenzenden Gebäude, die für einen ­geregelten Schulbetrieb sehr günstige Bedingungen bieten. Fast 20 unterschiedliche Instrumente, Gesang und Musik­theorie stehen auf dem Lehrplan, der meiner ursprünglichen Annäherung an die Kirche übrigens ein unerwartetes und glückliches Ziel gegeben hat: Da das Konservatorium sich nicht nur der Musik sondern auch der Bildenden Kunst annimmt, gibt es auch Kurse fürs Zeichnen und Malen und Kreativ-Projekte für Erwachsene und Kinder. Und so hat mich die zeichnende Umkreisung der Kirche auf der Suche nach einem guten Motiv letztendlich in ihr Inneres geführt, wo ich als Lehrer weitergeben darf, was mich als Künstler begeistert. Zum Abschluss dieses Schuljahres wird es zwei Schulaufführungen geben, in denen Instrumente, Gesang, Theater und Bildende Kunst zu einer großen Darbietung verknüpft sind. Nutzen Sie, wenn Sie in der Gegend sind, diese oder andere Gelegenheiten, sich die seltsamste der Lagoser Kirchen von innen anzusehen!

Ausstellung von Timo Dillner in Lagos

Foto vom Bild Grandes Projetos

Grandes projetos – Große Pläne · © Timo Dillner

Der Poetische Contineralismus –
Neue Horizonte

Anmerkungen zu Timo Dillners Ausstellung im Centro Cultural in Lagos (Algarve) · von Andreas Lahn

Wer dieses Jahr an den Algarve fährt, kann die Ausstellung von Timo Dillner im »Centro Cultural de Lagos« ansehen. Sie heißt »Der Poetische Contineralismus − Neue Horizonte« und ist bis zum 31.12.2017 zu besichtigen.
Wer leichte Kost erwartet, den muss ich enttäuschen. Dafür ist der Künstler Timo Dillner nicht zu haben. Wenn Sie sich auf seine Werke einlassen, werden Sie belohnt mit wundervollen Zeichnungen und aussagekräftigen Gedanken zu Themen der Zeit. Timo legt Wert darauf, dass die Bilder aus drei Teilen bestehen, die zusammengehören: aus dem eigentlichen Bild, dem Gedicht und der Überschrift. Nur wer sich intensiv mit allen drei Teilen beschäftigt, kommt dem nahe, was Timo vermitteln möchte. Und trotzdem lässt jede Komposition genug Spielraum für eigene Gedanken.
Timo Dillner beschreibt seine Tätigkeit so: »Ich male und dichte, forme Figuren; ich zeichne und schreibe Bücher, fertige ­Gebrauchsgegenstände und verwirkliche multimediale Projekte. Ich mache Trick­filme, nehme Hörbücher auf, halte Vorträge und Lesungen, ich layoute und ich gestalte Ausstellungen. Das alles unter dem Dach des Contineralismus. Das heißt, ich präsentiere meine Botschaften, so deutlich es geht auf möglichst originelle, wirksame und handwerklich hochwertige Weise.«
Als »Poetischen Contineralismus« bezeichnet Timo Dillner seinen eigenen Stil und meint damit Kunst, die alle sechs Elemente enthält, die er als Voraussetzung für das Kunst-Sein versteht: Wahrnehmbarkeit, Persönlichkeit, Wissenschaft, Experiment, Wirkung und ­Botschaft. Dillner sagt, er könne sich künstlerisch mittels jeden Mediums ausdrücken. Er sei als Künstler nicht Maler, Grafiker oder Bildhauer, sondern eben Contineralist (lat. continere=beinhalten, zusammenhalten). »Es könnte einen ab­strakten Contineralismus geben oder einen impressionistischen. Mein persönlicher ist der poetische, weil meine Arbeiten die ­V­ertonung von Gedanken sind. Oft unterstreiche ich das dadurch, dass ich meinen Werken neben ihren Titeln tatsächlich ­Gedichte zur Seite stelle.«
Wenn Sie bei einigen Bildern das Gefühl haben, hierbei könne es sich um ein Selbstportrait handeln, liegen Sie weder richtig noch falsch. Denn in jedem seiner Bilder steckt das Leben Timo Dillners. Man kann nur das schaffen, was man fühlt. Und für die BetrachterIn gelten die Worte Fernando Pessoas: »Was wir sehen ist nicht was wir sehen, sondern was wir sind.« In den Bildern und Texten sind Motive und Gedanken kombiniert, die ein Eintauchen in die portugiesische Seele ermöglichen. Lassen Sie Ihren Gefühlen freien Lauf und wundern Sie nicht darüber, wohin Sie sich selbst entführen.
Neben den gehängten Bildern gibt es einige Figuren zu bestaunen und eine lebensgroße Skulptur Heinrich des Seefahrers, die am Eingang zu einem kleinen Raum steht, in dem Timos Film Aufbeschworen läuft.
Es lohnt auch ein Blick in das aus­gelegte Buch zum Aufschreiben von Gedanken und Gefühlen. Hier haben einige BesucherInnen Ihre Eindrücke notiert. mit oft überschwänglichem Lob nicht nur für die wunderschönen Zeichnungen, sondern auch für die akribisch formulierten Texte. Der Raum ist einfach gehalten und strahlt die nötige Ruhe aus, um sich auf die Ausstellung einzulassen. Nichts wirkt gedrängt, alles hat genug Platz, um gebührend zu wirken.
Die Eröffnung der Ausstellung am 24. Oktober 2017 ist Teil der Festivitäten zum 25. Jahrestag des Centro Cultural. Der Saal ist gerammelt voll. Viele Menschen aus Lagos und Umgebung sind gekommen, um sich die ausgestellten ­Arbeiten des deutschen Künstlers anzusehen. ­Allein das ist eine Anerkennung seiner Arbeit und zeigt auch, dass er und seine Frau Ingeborg in Lagos verankert sind, auch wenn sie einige Kilometer außerhalb der Stadt in Bensafrim wohnen.
Das Centro Cultural veranstaltet Ausstellungen für regionale und überregionale KünstlerInnen. Sämtliche Kosten für Transport, Versicherung, Hängung, Beschilderung, Katalog und Werbung werden von der Stadtverwaltung Lagos ­getragen. Die KünstlerInnen selbst sind sozusagen eingeladene Gast-Stars.
Den Katalog können Sie übrigens − ebenso wie einige Postkarten − im Café des Museums kaufen. Wer sich nicht mit kleinformatigen Bildern begnügen möchte, fragt bei Timo Dillner einfach nach dem Preis für die Originale.
Eine rundum gelungene Ausstellung mit farbenfrohen Bildern, faszinierenden Texten und einem spannenden Film. Timo Dillner präsentiert uns eine inspirierende Sicht auf die Welt. Ich kann ihm weitgehend folgen. Sie auch?

Spaziergang mit Timo Dillner in Lagos

Foto einer Wandmalerei in Lagos

Wandmalerei in Lagos · © Andreas Lahn

Spaziergang in Lagos

Der seit 1998 am Algarve lebende deutsche Künstler Timo Dillner zeigt mir seine Stadt · von Andreas Lahn

Wir beginnen unseren Rundgang am sogenannten Mercado de Escravos. Heute ist das an der Praca Infante D. Henrique gelegene Haus ein Museum, das an die Zeiten der Sklaverei erinnert. Als es vor einigen Jahren noch im Besitz des Militärs ist, steht es leer und ist für KünstlerInnen nutzbar, die dort Ausstellungen machen, erzählt Timo Dillner. Die weißen Wände und der Innenhof seien ideal gewesen, alles habe sich so gestalten lassen wie gewollt. Von drinnen hört man die Reiseleiter erzählen, dass Portugal damals das erste Land gewesen sei, das mit Sklaven gehandelt habe. Und an diesem Ort seien die Sklaven verkauft worden – daher der Name. Doch das ist schlicht falsch, wie Timo Dillner weiß. »Das hier war nie ein Sklavenmarkt!« So etwas würde auch niemand in der Stadtverwaltung von Lagos behaupten. Die Touristen interessieren solche Details nicht. Sie hätten sich an die Gitter gestellt und als arme Sklaven fotografieren lassen. Nach dem Erdbeben von 1755 stand hier kein Stein mehr auf dem anderen. Sklaven seien außerhalb der Stadtmauern verkauft worden. Dort habe man auch einige negroide Skelette gefunden.
Früher habe es hier ganz anders ausgesehen, erzählt Timo Dillner. Da reichte das Meer bis an die Stadtmauer heran.Hier waren ein Fischereihafen und schöne Buchten. Die Avenida sei erst vor wenigen Jahrzehnten gebaut worden, was ältere Lagobrigenser heute noch auf die Palme bringe. Sie sagen: »Das alte Lagos wurde kaputtgemacht. Lagos ist keine Hafenstadt mehr, da ein direkter Zugang zum Meer nur hinter der kleinen Fortaleza existiert.«
In der Kirche Santa Maria hat Timo Dillner mit seinem Chor gesungen. Überhaupt kenne er die Kirchen in Lagos ziemlich gut − aus den Zeiten, als er mit dem Skizzenblock durch die Stadt gezogen sei. Auch die Kirche Santo António, wo drinnen ein Museum ist. Er könne Kirchen unter architektonischen und kulturhistorischen Gesichtspunkten betrachten und die Religion rauslassen. Das muss ich noch lernen − oder auch nicht…
Wenn Timo Dillner durch die Stadt geht, setzt er Scheuklappen auf, um seinen Kram möglichst schnell zu erledigen und schnell an die Staffelei zurückzukehren. Seine Frau Ingeborg sei da ganz anders. Sie gehe aktiv durch die Stadt, gucke nach links und nach rechts, treffe hier jemanden und dort. So nehme sie Lagos ganz anders wahr als er. Ohnehin ergänzen die beiden sich gut, wie nicht nur ich finde.
Bei der Buchmesse im Frühjahr haben sie mit einer Gruppe von Fotografen der Universidade dos Seniores zusammengearbeitet, die zum Thema Lesen und Schreiben Fotos von Büchern und Tintenfässern gemacht haben, um damit die Wände zu dekorieren.
Wir erreichen das 1992 eröffnete Centro Cultural, wo gerade Timo Dillners Ausstellung unter dem Titel läuft »Der Poetische Contineralismus − Neue Horizonte«. Bevor er anfängt zu zeichnen, legt er das Format fest. Häufig ist es ein Quadrat: »Das Format ist wie ein Spielfeld, auf dem ich mich dann austoben kann.« Auf einigen Bildern sind Seekarten zu erkennen, und Timo Dillner erklärt: »Ich schaue mir gerne intensiv Landkarten an. Ich war schon als Kind begeistert, wenn in einem Buch eine Schatzkarte abgebildet war.« Er weist auf drei Bilder zu den Hauptreligionen Judentum, Christen und Islam hin. Die abgebildeten Männer würden auf etwas warten, was sie auf ihre Buchseiten schreiben können, um es dann als Religion zu verbreiten.
Auf den Vorwurf einer Ausstellungsbesucherin, er würde zu viele Brüste malen, habe er geantwortet: »Jede Frau hat zwei. Ich kann nichts dafür.« Die erste Bild-­Zeitung seines Lebens habe er gekauft, um damit die Figur des Hohlkopfes zu füttern.
Als wir wieder durch die Straßen von Lagos spazieren, kommen wir an einer riesigen Wandmalerei vorbei, die die Künstlerkommune LAC im Rahmen von Urban Art schaffen ließ. In einer unscheinbaren Kirche finden Chorproben statt und auch einige Auftritte. Ursprünglich sein die Kirche ein Nonnenkloster gewesen, das komplett renoviert worden sei und nun für Kulturveranstaltungen genutzt werde. Zum Glück würden sie im Chor keine Volkslieder singen, was ihm sehr entgegenkomme.
Wir laufen an einem Schild vorbei mit der Aufschrift »Hortas Urbanas Sociais«. Hinter der Tür verbergen sich landwirtschaftliche Flächen, von denen sich vorwiegend ältere Leute ein Stück Garten bestellen, um Gemüse und Nahrungsmittel anzubauen und um sich mit anderen zu treffen.
Im »Zentrum der lebendigen Wissenschaft« (Centro Ciência Viva) gehe es um Entdeckungsfahrten. Hier können Kinder nautische Instrumente ausprobieren und mit Sextanten und Kompass auf Schatzsuche gehen. Eine Idee zur Steigerung der Attraktivität des Lagoser Hafens hat Timo Dillner auch. Er kann sich gut vorstellen, aus einer Ecke des Hafens einen »historischen Hafen« zu machen mit Piratenschiffen, Dreimastern und ­alten Hafenspelunken.
Was seine Kunstwerke angeht, hat Timo Dillner eine klare Linie. Ihm sei wichtig, dass seine inhaltlichen Anliegen rüberkommen, zur Kommunikation anregen und formuliert klar: »Das Verkaufen ist nicht mein Hauptanliegen.« Und von den BesucherInnen der Ausstellung fordert er: »Man muss auch als Betrachter investieren, sonst wird man mit Obeflächlichkeit bestraft. Ich mache keine fertig präsentierten, leicht verdaulichen Sachen. Aber natürlich kann man sich meine Bilder auch einfach nur ansehen und sie schön finden − und ist auch damit gut bedient.« Er stellt z. B. prinzipiell nicht in Restaurants aus, was bisweilen auf Unverständnis stößt.
Ingeborg und Timo Dillner sind 1998 mit zwei Kindern nach Lagos gekommen, haben alle auf ihrem Weg liegende Steine aus dem Weg geräumt und sind als einheimische Künstler aus Lagos akzeptiert. Es sind Ausstellungen in Faro und Portimão geplant. Gibt es Pläne, den Ort nochmal zu wechseln? »Vom Gefühl her, − sagen wir zu achtzig Prozent − möchten wir hierblieben. Aber da bleiben zwanzig Prozent übrig. Da ist immer noch Abenteuerlust und Neugier. So interessiert uns auch der portugiesische Norden.. Aber schon der Gedanke an einen Umzug, ist grausig! Die ganzen Maschinen, die man mitnehmen müsste, die Bücher, die Schallplatten…«
Doch Timo Dillner will auch herausgefordert werden. Das hat er schon als Kind gemocht und gerne Texte gelesen, die er nicht komplett versteht, in denen es Worte gibt, die er nicht kennt. Er hat ein paar Mal das Wort Montage gelesen, und gedacht: »Ich krieg das nicht hin. Was hat das mit Montag zu tun. Warum nicht Dienstage und Mittwoche. Bis mir einfällt, es heißt Montage. Dann habe ich mich gefreut und war so stolz auf mich, dass ich das rausgekriegt habe.« Na dann! Liebe Ingeborg, lieber Timo, vielen Dank für die schönen Stunden in Lagos. Ich wünsche euch alles Gute für die hoffentlich spannende Zukunft!