Ein Königspalast für zwei Tage
• von Andreas Lausen
> Die portugiesische 12.000-Einwohner-Stadt Vendas Novas ist nicht gerade ein Magnet für Besucher. Zwar sind die hier beheimateten Bifanas (Brötchen mit Schnitzel) berühmt, aber sonst macht die Stadt zwischen Lissabon und Évora keinen attraktiven Eindruck. Und doch gibt es in Vendas Novas einen weitgehend unbekannten königlichen Palast, der für wenige Tage im Jahre 1729 im Mittelpunkt einer kuriosen Reise stand. Wie viele Bauwerke in Portugal ist er einer Laune des barocken Königs João V. entsprungen, der das Land von 1706 bis 1750 regierte.
João war eher ein friedfertiger Mensch. Er strebte nicht nach militärischen Großtaten wie viele seiner europäischen Kollegen. Seine Leidenschaft waren die Schönen Künste: Architektur, Musik, Bildhauerei, Malerei und die Bücher.
Nach dem Ende des Spanischen Erbfolgekrieges 1714 wollte er die jahrhundertealte Feindschaft mit den spanischen Nachbarn beenden. Die kluge Heiratspolitik seiner österreichischen Verwandten brachte João auf die Idee, zur neuen spanischen Bourbonen-Dynastie eheliche Bande zu knüpfen.
So verhandelten die Nachbarländer ausführlich über eine Doppelhochzeit: Die portugiesische Prinzessin Maria Bárbara sollte den spanischen Thronfolger Fernando (später König Fernando VI.) heiraten. Im Gegenzug wurde die spanische Infantin Mariana Vitória dem portugiesischen Thronfolger José versprochen. 1723 wurde das Heiratsversprechen feierlich abgelegt, obwohl Fernando erst neun und Maria Bárbara erst zwölf Jahre alt waren. Mariana war eigentlich bereits dem französischen Thronfolger zugesagt und hatte schon einige Jahre in Versailles gelebt, aber inzwischen war den spanischen Bourbonen die Hochzeit mit dem portugiesischen Thronfolger wichtiger. Die Unterhändler verhandelten ausführlich über den Austausch der Prinzessinnen, der auf den 19. Januar 1729 festgelegt wurde.
Als Ort der Feierlichkeiten wurde der kleine Grenzfluss Caia zwischen Elvas und Badajoz ausgesucht. Hier sollte ein stabiles hölzernes Brückenbauwerk errichtet werden mit einem Saal auf portugiesischer, einem auf spanischer Seite und einem Saal über der Flussmitte. Nun galt es, für die portugiesische Delegation standesgemäße Quartiere zu finden. Von Évora bis Elvas standen genügend Unterkünfte zur Verfügung, aber zwischen Lissabon und Évora fand sich nichts.
1727 rief João die Architekten zu sich, die seit bereits zehn Jahren am Palast von Mafra arbeiteten. Dem deutschstämmigen João Frederico Ludovice, seinem Sohn Pedro und dem Portugiesen Custódio Vieira schwante nichts Gutes. Seit Jahren forderte der König von ihnen mehr Anstrengungen, um den Bau in Mafra zu beschleunigen. Und jetzt verlangte der Magnânimo (der Großherzige) den Bau eines weiteren Palastes in Vendas Novas, um dort auf der Reise zur spanischen Grenze ein standesgemäßes Quartier vorzufinden!
Innerhalb eines Jahres sollte der Bau fertig sein, in den Maßen von 70 mal 70 Metern. Die drei Architekten wagten den Widerspruch. Schon in Mafra fehlten Arbeiter, Künstler und Geld − wie sollte dann noch ein Schloss fertig werden? Der König wischte alle Bedenken vom Tisch. Sein einziges Zugeständnis war: Ein tatkräftiger Offizier (Coronél José de Silva Pais e Vasconcelos) sollte für genügend Arbeiter und Geld sorgen. Dieser schickte Greiftrupps durch das Land, um Arbeiter für die Bauten anzuwerben, was oft nur mit Gewalt gelang.
Im Jahre 1728 arbeiteten 45.000 Männer in Mafra und 2.000 in Vendas Novas, um die Bauwut ihres Königs zu befriedigen. In Brasilien wurden mehr Zölle und Steuern eingetrieben, und unter Leitung von Custódio Vieira wurde Vendas Novas tatsächlich schon in neun Monaten fertig.
So konnten sich João V. und seine österreichische Gemahlin Maria Ana mit Sohn und Tochter am 9. Januar 1729 von Lissabon auf den Weg machen. 185 prächtige Kutschen umfasste die Kolonne − einige davon stehen heute im Kutschenmuseum in Belém − dazu hunderte Planwagen und Karren, begleitet von 7.000 Soldaten, 3000 Dienern, einem Orchester, 222 Köchen, Adligen, Bischöfen, Priestern und Handwerkern. Pauken und Trompeten kündigten die königliche Karawane an, die durch die stillen Dörfer des Alentejo lärmte. Und wenn der König gute Laune hatte, griff er in die Truhe zu seinen Füßen und warf ein paar Hände voll Münzen unters Volk.
Trotz Kälte und Regen sowie zahlreicher Achsbrüche kam man termingemäß im neuen Palast von Vendas Novas an. Portugals Nobelpreisträger für Literatur José Saramago beschreibt die Reise eindrücklich in seinem Buch »Das Memorial«. Der Palast war prächtig ausgestattet und geschmückt. Nach der Übernachtung ging es über Èvora weiter nach Elvas.
Am 19.Januar 1729 trafen sich die Delegationen beider Königreiche in dem hölzernen Bauwerk über dem Grenzfluss. Zum ersten Mal begegneten sich hier die eingeschüchterten Brautpaare. Die Zeremonie erinnerte eher an den Austausch von Geiseln («Troca das princesas») als an eine fröhliche Feier. Beide Prinzessinnen sahen ihre Heimat nie wieder.
Politisch war die so besiegelte Freundschaft nicht von langer Dauer. Schon 1734 forderte Spanien den Abzug der Portugiesen vom Rio de la Plata und griff die Kolonie Sacramento im heutigen Uruguay an.
Auch auf der Rückfahrt von Elvas machte die königliche Familie wieder in Vendas Novas Station. Danach residierte nie wieder ein König in diesem Palast, der den Namen «das Passagens» erhielt − »Palast der Durchreisen«. Nach langem Leerstand wurde der Palast schließlich als Seuchenspital genutzt. Als 1857 direkt hinter dem Palast die Eisenbahnlinie Barreiro—Évora gebaut wurde, fand der Palast eine gänzlich andere Verwendung. Der Gleisanschluss machte den schnellen Transport von Geschützen möglich, und so residiert hier seit 1861 die Escola Prática de Artilharía.
Eine reguläre Besichtigung des militärisch genutzten Gebäudes ist nicht vorgesehen. Trotzdem können Sie den Wachtposten am Tor danach fragen. Wenn der Dienstplan es erlaubt, führt Sie ein fachkundiger Soldat durch einige Räume und zeigt Ihnen auch die ansprechende Kapelle mit sehr schönen weiß-blauen Azulejos. Sie sehen dann einige der königlichen Wohnräume mit Deckengemälden und den Lichthof mit gusseisernen Säulen. Auch die «Sala dos Tedescos» ist heute noch beeindruckend.
Und wenn Sie mögen, können Sie anschließend in einem Restaurant in Vendas Novas die berühmten Bifanas probieren.