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Die weiße Braut des Meeres

Foto vom Strand in Fuseta

Kleine Liebesgeschichte über Fuseta    von Jörg Hahn

> Dies ist eine kleine Liebesgeschichte. Sie gilt keinem Menschen, sondern einer Ortschaft im Algarve, die − grob beschrieben − zwischen Faro und Tavira liegt: Fuseta.

1979, als es fast nur langatmige, schwere Kunstreiseführer für die Nachkriegsgeneration gab, wurden die mit echten Geheimtipps, praktischen Überlebenshinweisen sowie selbstgezeichneten Karten und Bildchen versehenen Broschüren von Michael Müller schnell ein Muss für alle jungen Menschen, die Europa intensiv und echt erleben wollten. Die Generation Interrail sog Michael Müller förmlich auf.

Basierend auf Recherchen im Herbst 1978 erschien 1979 auch ein rund 130 Seiten umfassender Portugal-Band (alles in schwarz-weiß, mit der Schreibmaschine getippt und mit handgemalten Überschriften). In alten Reiseführern − wie dem von Müller − wird der Ort Fuseta noch mit Z geschrieben. Und auch der Schriftzug auf der Praça da República, aus Pflastersteinen (Calçada portuguesa) gestaltet, ist in alter Schreibweise: «Fuzeta Branca Noiva Do Mar» (»Fuzeta, weiße Braut des Meeres«) steht dort, direkt neben den Tischen der Cervejaria O Pescador. Der Ortsname ist wohl ist eine Verkleinerungsform von Foz (Mündung), und bezieht sich auf den kleinen, hier in den Atlantik mündenden Fluss.

Müller schrieb damals: »Fuzeta liegt inmitten üppiger Felder und weißglänzender Salzgärten, in denen nach der ­Uraltmethode (wie auch in Tavira) Salz gewonnen wird. Das Meerwasser verdunstet in großen, sehr seichten Becken, und übrig bleibt eine dicke Salzkruste. Wenn man in den Ort reinkommt, riechts schon nach Fisch aus den dunklen Lagerschuppen. (…) Zum gerade wohnzimmergroßen Hautplatz kommt man nach der ersten Hälfte der kerzengeraden Hauptstraße. Auf den Bänken krümmen sich die Dorfältesten und fluchen gemeinsam über die Jungs auf ihren knatternden Zündapps, die auf der Hauptstraße hin- und herjagen.« Müller vermerkte auch: »Das Dorf ist nicht auf Tourismus eingestellt.«

Foto von Booten in Fuseta

Boote in Fuseta · © Foto: Jörg Hahn

Die geschilderte Szenerie ist bis auf die Marke der Mopeds bis heute erlebbar. Über vier Jahrzehnte Tourismus haben diesen Ort natürlich nicht unberührt gelassen, aber auch nicht entstellt. Samstagmittags ist in der Cervejaria O Pescador am Hauptplatz regelmäßig volles Haus. Das Publikum ist zu 95 Prozent portugiesisch und männlich, die Gesichter und Hände der Gäste sind von harter Arbeit gezeichnet. Das Bier fließt zwei Stunden lang in Strömen, die kleinen Gläser ­(Imperial) werden in beeindruckender Geschwindigkeit gefüllt und über den Tresen geschoben. Danach leert sich das Lokal rasch.

An der Cervejaria führt auch die Rua Dr. Virgílio Inglês vorbei, und diese Straße bringt uns mitten hinein in die Geschichten rund um den Hamburger Polizisten Leander Lost, die Fuseta seit 2017 unter deutschen Krimi-Lesern bekannt, vielleicht sogar berühmt gemacht haben. Lost in Fuseta: Die Mund-zu-Mund-Propaganda von Portugal- beziehungsweise Algarve-Fans katapultierte gleich das erste Buch in die Bestsellerlisten, alle folgenden dann auch. »Es war einer dieser Tage, der so verheißungsvoll begonnen hatte, dass man fürchtete, es müsse zwangsläufig etwas dazwischenkommen«, so lautete der erste Satz im ersten Lost-Band.

In der Rua Dr. Virgílio Inglês hat der Autor Holger Karsten Schmidt alias Gil Ribeiro das Haus der Eltern von Graciana Rosado verortet, die als Sub-Inspektorin der Kripo Faro (Polícia Judiciária) die Chefin von Leander Lost ist. Lost ist Polizist, aber auch ein Asperger-Autist. Als Asperger-Autist verfügt er über außer­gewöhnliche Fähigkeiten wie ein fotografisches Gedächtnis oder ein untrüg­liches Gespür, ob sein Gegenüber lügt. Gleichzeitig versteht er weder Ironie noch kann er emotionale Schwingungen während eines Gesprächs deuten, und er ist unfähig selbst zu lügen. Im Rahmen eines Austauschprogramms von Deutschland nach Portugal gekommen, setzt er sich mit seiner besonderen Sicht auf die Welt und die Menschen als unkonventioneller Ermittler durch − und wird in Fuseta heimisch. Im Haus in der Rua Dr. Virgílio Inglês, besser gesagt auf der Dachterrasse, werden die Fälle oft besprochen, bei Wein, Gegrilltem, Petiscos.

Blick auf die Cervejaria «O Pescador» in Fuseta

Blick auf die Cervejaria «O Pescador» in Fuseta · Foto: © Jörg Hahn

Das alles hat Schmidt / Ribeiro in inzwischen fünf Bänden beschrieben und dabei seine LeserInnen nicht nur kreuz und quer durch den Algarve, sondern auch in den Alentejo oder das benachbarte Spanien geführt. Es geht, so funktioniert das Genre der Regional-­Krimis ja, nicht nur um perfide Verbrechen, sondern sehr viel auch um Land und Leute, Wetter und Klima, Essen und Trinken. Mit Lost kann man das Naturschutzgebiet Ria Formosa kennenlernen, die Bahnstrecke Linha do Algarve oder das alltägliche Leben zwischen Mercados, Praias, Ilhas und Tascas.

Fuseta ist im Kern beschaulich, mit vielen weißen kubistischen Häusern, etwa 2.000 Menschen leben permanent hier. Durch den großen Campingplatz hinter dem Strand geht es im Sommer in den Straßen nahe am Meer wuselig zu. Doch nur eine Ecke weiter umfängt einen schon wieder die Stille. Vor den Fischerhütten treffen sich Einheimische, Residenten und manchmal auch mutige ­Touristen zum Petanca-Spiel. Das eindrucksvollste Gebäude ist der alte, langsam verfallende Stelzenbau der Lebensretter in Gelb und Rot (Socorros a Náufragos de Fuzeta).

Der erste Bahnhof von Fuseta an der Eisenbahnlinie Linha do Algarve (sie führt von Lagos im Westen nach Vila Real de Santo António im Osten) wurde schon Anfang des 20. Jahrhunderts eröffnet − im September 1904. Mit dem Bahnhof Fuseta-Moncarapacho und der Halte­stelle Fuseta-A verfügt die kleine ­Gemeinde sogar über zwei Haltepunkte.

 

Foto von einem der beiden Bahnhöfe in Fuseta

Einer der beiden Bahnhöfe von Fuseta · Foto: © Jörg Hahn

Die Zahl der Liebhaber von Ort und Umgebung könnte bald noch sprunghaft steigen, denn Lost in Fuseta ist für die ARD an Schauplätzen an der Algarve als Zweiteiler verfilmt worden und wird in diesem Herbst ausgestrahlt. Holger Karsten Schmidt (er ist schon Grimme-Preisträger) schrieb auch die Drehbücher, und es soll nach Mitteilung der Produktionsfirma in Zukunft noch weitere Lost-Verfilmungen geben. 

Auf seiner Webseite hat Holger Karsten Schmidt schon 2020 einen ersten Einblick ins Drehbuch gegeben: »1. Ilha da Armona − Aussen/Tag − Wasser. Klares blaues Wasser, über das wir fliegen und dann hochschwenken. Die vorgelagerte Insel Ilha da Armona. Sand nach links und rechts soweit das Auge reicht. Und fast kein Mensch. Wir erheben uns, jagen über die Insel hinweg, wir fliegen über die Lagune mit dem charakteristischen Bootshaus. Eine Fähre mit weißem Korpus und orangem Dach tuckert durch die Lagune. Ein sonniger Tag, keine Wolke am Himmel. Ein kleiner Ort mit einem Kanal, malerisch an der Lagune gelegen: Fuseta.«

Wen befällt dabei nicht das Fernweh, eine Sehnsucht nach dem Meer. »Das Meer ist nicht die Antwort.«, heißt ein Sprichwort, es erübrigen sich aber alle Fragen. Fuseta ist einer dieser Orte, die einem das Gefühl geben, angekommen zu sein und keine Fragen mehr stellen zu müssen. 

Schon heute sieht man BesucherInnen, die mit einem Lost-Krimi in der Hand die Gassen von Fuseta erkunden. Ein Phänomen, das sich dank der Verfilmung verstärken dürfte.

MEHR INFOS
finden Sie auf der Webseite von Holger Karsten Schmidt (Gil Ribeiro):
www.holger-karsten-schmidt.de