von Ana Carla Gomes Fedtke und Eberhard Fedtke
> Vier sitzen zu vier Personen an einem kleinen Tisch eines Cafés am Fuße des Castelo de Monsaraz. Die Atmosphäre ist familiär und gediegen. Der Saal hat nur zehn Plätze, auf drei Tische aufgeteilt, ist gut ausgestattet, hat eine »Kinderecke«, bestehend aus einem Bänkchen, und eine »Wifi-Zone«. Wir leben im Einklang mit dem modernen Dasein: spärlicher Platz für Kinder, welche immer mehr in einer überwiegend technischen Umwelt fehlen, aber mit einer auf unergründliche Dimensionen geöffneten digitalen Welt. Die kleine Bartheke ist Teil des Raumes, ebenfalls die Miniküche, alles in funktionalem Ambiente gehalten.
Den Service versehen ein Mann, assistiert von einem jungen Mädchen. Augenscheinlich handelt es sich um Vater und Tochter. Sie ist reichlich groß gewachsen, erheblich größer als der Vater, hat blonde Haare, eine helle Haut und blaue Augen, ist froh gestimmt und von offener Liebenswürdigkeit. Dagegen ist das Verhalten des Vaters, einem »Braunhäutigen«, bei seiner Betätigung in der Küche diskret, würdevoll, schweigsam und bescheiden anzuschauen, sich an der Theke reserviert sowie in der Zusammenarbeit mit der Tochter mit gestischer Einfühlsamkeit zeigend, ohne seine Achtsamkeit zu mindern.
Wieso kommt ein Exemplar von so nordischer Schönheit in dieser Ecke der Welt vor, wollen wir die Meinung unserer beiden Tischgenossen dieses »Tages von Monsaraz« erfahren, sie, Natália, »eine Tochter aus Vinhas«, und er, »Sohn dos Foros da Fonte Seca«, Ortsteile der Gemarkung Redondo. Beider Gesten sowie ihre Erscheinungsform sind authentisch alentejanisch. Natália und Miguel geben uns eine ethnische Aufklärung über die Geschichte dieser Region Portugals: So erfahren wir, dass die nordische Schönheit keine vereinzelte Rarität ist. Es finden sich weit mehr bedeutsame Belege dieser Spezies. Das Alentejo erlebte in seiner Geschichte verschiedene ethnische Einflüsse, welche bedeutsame Fingerabdrücke in der Bevölkerung hinterliessen und sie als einzigartig formten. Zunächst waren es die Römer, die nachhaltig das Alentejo, zusammen mit anderen Teilen des Landes, bevölkerten und es zur Kolonie von Rom machten, wie die vielfältigen römischen Monumente, Brücken und antiken Säulen, römische Fußwege usw. belegen. Sodann erreichten die Westgoten die Halbinsel auf ihrer mittelalterlichen Wanderung, wobei die iberische Halbinsel das geographische Ende einer langandauernden und weiten Reise bildete. Das dritte Volk, das breite Merkmale in die Charaktere der Alentejaner versetzte, stellen die Araber dar, welche einen profunden Beitrag zur physischen Silhouette des alentejanischen Volkes beitrugen. Wenn wir in die Gesichter von alentejanischen Schönheiten blicken, können wir je ein wenig von diesen drei rassischen Typisierungen entdecken, elegante römische Nasen, schillernde blaue und grüne Augen der Westgoten sowie die braune Haut der Araber. Das portugiesische Volk hat viel Glück durch blutauffrischende Blüte-Epochen mit dominierenden Einflüssen dieser multiplen genetischen Ursprünge erfahren, was einzigartige Gesichtszüge kreierte. Spontan erinnere ich mich an eine Nachbarin mit puren grünen Augen. Wir meinen, dass eine Vielzahl der Portugiesen in sich ein Drittel römischer, ein Drittel westgotischer und ein Drittel muselmanischer Ausstaffierung vereinigt. »Es fehlt heute nur noch die Morgenröte afrikanischer Flüchtlinge«, wendet Natália ironisierend die Diskussion, »damit sie hier ihre Vorfahren, die Familien der vergangenen Jahrhunderte 1, 5 und 6 vor Christus besuchen.« »Eine gute Form der kulturellen Wiedergeburt«, sage ich. »Aber die Deutschen sind mit relevanter Präsenz und Effizienz hier«, hebt Miguel hervor, und ich neige mein Haupt zum Zeichen der Zustimmung. Sei es, wie es sei, wir leben in einem vereinten Europa, einer immer signifikantere und vielfältigere Mischung. Die besungene Geschichte des Alentejos mit seiner Folklore ist Teil dieses geographisch multifarbigen Europas.
Inzwischen beginnt die nordische Schönheit das Mittagessen zu servieren. Es gibt alentejanische Fischsuppe mit regionalen Spezialitäten, Schweinefleisch nach heimischer Art. Miguel sucht einen guten Wein aus und hat ersichtlich Schwierigkeiten, unter all den berühmten Produkten, die in der gesamten Region wachsen und nationale wie internationale Anerkennung genießen, einen diesem bevorzugten Tag angemessenen Tropfen zu finden. Letztlich entschließt er sich für einen roten Eugénio de Almeida, Jahrgang 2013, etliche Male prämiert. Wir haben Hunger und einen guten Appetit nach dem anstrengenden Aufstieg vom Parkplatz unten zum Eingang des Ortes Monsaraz, wir diesen durchschreiten und das Schloss besuchen, summa summarum drei Stunden voller Konzentration und Bewunderung antiker und mittelalterlicher Sehenswürdigkeiten, von Anspielungen an die blumengeschmückte Renaissance, vieles in manuelinischem Stil. Der Ort bildet eine erstaunliche Ansammlung von Farben in grauem Granit, rotem Mörtel und einer Mischung von Schiefer. Die Häuser wie alle Strassen strahlen eine Vielfalt sensibler Inspiration einfallsreicher Architektur aus, viele Teile in profunder Symbiose von Kunst und Religion sowie klassischer Planimetrie der Vergangenheit. Es ist ein anregendes Vergnügen, durch diese historische städtische Kostbarkeit zu gehen, voll auch von authentischen Kostümierungen und folkloristischen Verkleidungen. Die Porta da Vila, welche mit einem Spitzbogen die Besucher begrüßt und sie erstaunen lässt, zeigt sich geschmückt von zwei halbzylindrischen Cubelos-Figuren, deren eine einen schweigsamen Uhrenturm trägt.
Das Schloss, erbaut auf dem erhobenen Monte Monsaraz, ist ein prähistorisches Monument mit wertvollen mittelalterlichen Elementen und solchen aus dem 16. Jahrhundert, in viereckiger Grundstruktur, mit Mauern aus Schiefer und Türmen mit Kalkverputz In der Mitte befindet sich der große und imponierende Kampfplatz mit Tribünen, klug verbunden mit den Alkoven sowie dem Bergfried. Das Schloss wird von drei Bollwerken geschützt und ist mit einer Brüstung sowie einer Schutzmauer versehen, welche die gesamte Stadt umkreist und eine vollendete Einheit bis zum Eingang der Kirche Ermida de São Bento de Monsaraz bildet. Im Innern des Forts lebten durchgehend etwa 40 bis 50 Personen.
Der gute Wein setzt mehr und mehr Impulse frei: Natália und Miguel erläutern uns mit Begeisterung und Stolz die allgemeinen Charakteristika des Alentejos und der Region Monsaraz, bevor der Bau dieses fantastischen Sees von Alqueva begann, eine famose portugiesisch-spanische Komposition am Guadiana-Fluss. Diese Gemeinschaftsarbeit schuf den größten künstlichen See in ganz Westeuropa. »Die Leute lebten«, berichtet Miguel mit feierlicher Stimme über die Vergangenheit des Alentejos, »hauptsächlich von der Landwirtschaft, der Viehzucht, ein wenig Tourismus, stets mit viel Demut gegenüber den ärmlichen Bedingungen dieses Landesteils. Das Leben war hart, bescheiden in allem, authentisch im täglichen Kampf um das ›Brot auf dem Tisch‹ der Familie, gläubig in Entsprechung der Fürbitte des Vaterunsers«. Das Auftreten war glaubwürdig und die Hitze des Sommers für jede Art von Betätigung ein signifikantes Hindernis. Der soziale Rhythmus änderte sich mit der ersten Migrationswelle nach Zentraleuropa in den sechziger Jahren und der Einführung des Fernsehens in den Achtzigern. Mit dem See von Alqueva, beendet und in Funktion seit 2010, änderte sich die Situation bedeutsam, indem etwa 20.000 neue Arbeitsplätze, und etliche anhängende wirtschaftliche Aktivitäten geschaffen wurden.Die Bedingungen der Landwirtschaft verbesserten sich, die Monokultur der Weidewirtschaft wurde beendet. Der See nutzt mit seinen Wasserreserven der gesamten Region, schafft regelmässige Bewässerung und sichert die Versorgung mit elektrischer Energie. Der Tourismus nimmt zu, vor allem mit seinen bekannten Bootsreisen über den gesamten See. Heutzutage stellt die Region von Alqueva und Monsaraz für Portugal ein Beispiel dynamischen modernen Leistungsnachweises und einen Pfeiler der Zukunftsentwicklung des Landes dar. Das Gebiet ist Teil des Welterbes. »Es waren wir Alentejaner«, vervollständigt Natália stolz den Punkt über die alentejanische Migration, »welche die Azoren im 16. Jahrhundert kolonisierten«, was den unternehmerischen Charakter der Alentejaner offenbart.
Inzwischen hat meine Begleiterin mit den Personen am Nebentisch ein Gespräch angefangen, diese angezogen von unserem intensiven und emotionalen Gespräch bzw. den Beiträgen von Natália und Miguel. Unter den Tischnachbarn befand sich ein eleganter Herr mit feingliedrigen Händen und Fingern, nicht von alentejanischer Ausprägung, mit einer randlosen Brille, ein Archäologe, der, wie er uns mit wachsender Begeisterung erzählte, in der Planungsleitung für das »gloriose Projekt Alqueva«, wie er formulierte, gearbeitet hatte. Er kehrte heute hierhin zurück, um seiner Ehefrau und seien zwei Kindern zu zeigen, wo er einen guten Teil seines Arbeitswirkens zwischen 1993 bis 2005, also zwölf Jahre seines Lebens, zubrachte, alles um ihn herum »seine geliebte Heimat«, wo »er jeden Stein, jeden Grashalm, jede Straße ohne Kurven in den Feldern und jeden der Adler kenne, welche majestätisch um das Kastell kreisen.« »Es waren deren Urgroßväter«, unterbricht meine Partnerin, Alentejanerin aus Redondo, den Wissenschaftler der Wasserhydraulik und korrigiert ihm die Landkarte der alentejanischen Fauna. Er nickt vergnüglich mit dem Kopf und fährt fort, uns in begeisterten, farbigen und faszinierenden Ausführungen die Geschichte seines Arbeitsuniversums von 250 km2 und mehr als 1.000 km Strandlänge zu erzählen, das Vorhaben im Jahr 1968 durch die portugiesisch-spanische Übereinkunft zur Nutzung der internationalen Gewässer eröffnet. Vorarbeiten liefen 1976, dann kam eine Unterbrechung im Jahr 1978, die Wiederaufnahme setzte 1995 nach langen politisch-administrativen »Kämpfen« ein, die Verkehrsübergabe der Nationalstraße Portel—Moura geschah 2002. Am 12. Januar 2010 erreichte der Stau mit 152 Metern seine größte Höhe, was ein gestautes Volumen von 4.150 Hektometern ergab, 2013 die zentrale Hydroelektrikanlage eingeweiht wurde. Für uns waren es 30 kurze Minuten eines authentischen Films gemischter Zusammenhänge, illustriert von fröhlichen Episoden des Alltags in jener grössten Baustelle Portugals während viereinhalb Dekaden. Der Archäologe in seiner starken Emotion, zurückzublicken, versetzte den ganzen Saal in ein betäubtes Schweigen, die hübsche Blonde stellte ihren Service ein und der braunhäutige Vater, mit den Ellenbogen auf die Theke der Bar gestützt, applaudierte mit seinen Augen unentwegt dem enthusiastischen Ingenieur. Ein Szenario fertig für einen Filmdreh ohne geschriebenes Libretto.
Der Nachtisch – serviert wurde eine alentejanische «cericá da terra» – schloss den Tag in würdiger Form.
Bevor wir aufbrachen, lüftete der wortkarge Chef des Cafés sein Schweigen und sagte zu uns: »Es lohnt sich, auf den höchsten Punkt des Schlosses zurückzukehren, um den Sonnenuntergang zu genießen. Dieses einmalige Ereignis vergisst man nicht.«
Er sollte Recht behalten – ein Supererlebnis lyrischen Wohlbefindens für die Augen, diese eindringliche Mischung von Wasser und Landschaft mit aus unendlichen Ebenen heraufschwebenden Aromen – in der Tat ein malerisches, monströses und magisches Make-up.