Wie ein Lissabonner Stadtteil immer mehr Menschen in seinen Bann zieht • von Catrin George Ponciano
> Es gibt Orte, die verändern sich ständig, dann gibt es andere, die verändern sich nie. Der Park Jardim de Príncipe Real mit gleichnamigem Quartier im Herzen von Lissabon ist solch ein Ort. Hier begegnen sich Menschen. Das war schon immer so. Am liebsten auf einer Bank unter der über 140 Jahre alten Bucaço-Zeder in der Mitte des Parks, am Stamm asymmetrisch verwachsen, an der Baumkrone zu einem zwanzig Meter sich auffächerndem Schattendach steht sie dort und gehört einfach dazu. Wer mag hier unter diesen würzig duftenden Ästen und Zweigen seit 1869, seit dieser Park vom Hofgarten-Architekten Bonnard designt wurde, alles gesessen haben. Gelesen, diskutiert, geträumt? Auf jeden Fall Anwohner, um Neuigkeiten auszutauschen. Künstler, um Inspiration zu erhaschen. Intellektuelle, Spione, Neugierige. Und Arbeiter, um ihr bescheidenen Mahl einzunehmen, sowie unzählige Reisende, die sich vom Flair des Viertels bezaubern ließen und in diesem Park eine Erholungspause auf ihrem Weg von, nach, fanden.
Seit also dieser neu angelegte Garten am Rand des Bairro Alto, Prinzenpark heißt, benannt nach dem Sohn von König D. Fernando II von Coburg-Sachsen-Gotha, dem Auftraggeber für den Park, den einstigen Marktplatz für den Verkauf von lebenden Schweinen abgelöst hat, ist einiges passiert in Lissabon. Die Monarchie wurde gestürzt, zwei Weltkriege gingen an der Hauptstadt nicht spurlos vorbei, gefolgt von der Diktatur, bis die Nelkenrevolution 1974 das Land in einen neuerlichen Befreiungstaumel stürzte und die dritte Republik in Kraft trat.
Aber auch in den Jahrhunderten vorher, bevor dieser prächtige Baum gepflanzt und sein Park nach französischem Vorbild angelegt wurde, blickt der Platz an sich auf eine bewegte Geschichte zurück. Etliche Jahrhunderte erst als Müllplatz für die Oberstadt genutzt, diente die Fläche im Laufe der Urbanisierung der Hügelkuppe unter anderem dem einst in der São Roque-Kirche beheimateten Jesuitenorden für ein Gebäude als Missionars-Station, das beim Erdbeben 1755 einstürzte. Danach wurde ein königlicher Stadtpalast auf den Platz erbaut, der einem Brandstifter zum Opfer fiel. Mitte des 19. Jahrhunderts betteten die damaligen Städteplaner das Gelände dann ein für die dringende Trinkwasserversorgung im Bairro Alto und im Chiado, und bauten die eindrucksvolle Zisterne Reservatório Patriarcal. Getragen von 31 Säulen speicherte dieses 9,50 Meter tiefes Wasserreservoir mit Kuppeldecke Trinkwasser für die Anwohner in der Oberstadt und versorgte die Nachbarschaft bis zur Avenida da Liberdade, und ist durch den einstigen Wasser-Versorgungstunnel mit dem Hauptreservoir und heutigem Wasserwerk-Museum Água Mãe im Stadtteil Amoreira unterirdisch verbunden. Das Reservoir, die Gänge, und das Museum kann man besichtigen, aber das besondere Highlight erlebt man Freitagabend bei Fado mit Wein. Ein unscheinbares Schild weist den Weg zum Eingang in die Zisterne.
Bloß wenige Gehminuten von der Aussichtsterrasse São Pedro de Alcântara entfernt, kennen die meisten Besucher Lissabons dieses grüne Kleinod und sein vibrierendes Stadtviertel drumherum (noch) nicht. Gut so! Somit kann das momentan laut Time-Out-Press an fünfter Stelle platzierte coolste Stadtviertel der Welt, sein Cool-Sein, seine Lässigkeit, seine Nonchalance, aufrecht halten. Wer nebenbei, neben der Arbeit, zwischen zwei Museumsbesuchen oder einfach nach Feierabend in das Quartier kommt, kennt Lissabon wirklich, sagt man, und verrät es nicht.
Überhaupt passiert im Príncípe Real alles so eher nebenbei. Man geht nebenbei die außergewöhnlichsten Dinge kaufen, besucht im Vorbeigehen zeitgenössische Galerien, geht heute vegan und morgen iranisch essen, chillt in der Gin-for-friends-Bar im Embaixada-Palast oder lümmelt auf Puffkissen in einer der angesagten Bars entlang der Rua São Pedro de Alcântara im Patio mit Blick auf die Unterstadt, die Burg, das Graça-Viertel, und die markanten Torres de Lisboa, die modernen Stahlglasbauten, die in ihrer Architektur tatsächlich an Ritterburg-Wachtürme erinnern und die heutige wirtschaftliche Bastion Lissabons verkörpern. Allein diese unaufdringliche, ja, fast natürliche Gelassenheit im Quartier, steckt alle an, die hierherkommen, und eine Auszeit suchen von der Hektik in der Unterstadt, von der Enge in der Alfama und im Burgviertel, und sich von den nicht abreißenden Touristenströmen erholen, die sich beinahe rund um die Uhr durch Lissabons berühmte Altstadt-Viertel und deren Sehenswürdigkeiten drängeln.
Ein Spaziergang durch den Prinzenpark und die umliegenden Straßen und Gassen bescheren Eindrücke eines anderen Lissabon. Das Viertel ist ein Abschied von gestern, obwohl der Príncípe Real dank eines amerikanischen Investors, der das Viertel mit einer Summe in schwindelerregender neunstelliger Höhe in einem Zeitraum von 15 Jahren sanieren ließ, sich sein historisch romantisches, architektonisches Fassadengesicht aus einer Mischung von Jugendstil bis Neo-Maurisch der vergangenen Jahrhundertwende erhalten konnte, und dank des Investors und seiner Vision eben nicht dem Modernisierungswahn heutiger Star-Architekten zum Opfer fiel.
In die Häuser zog aber nach der Sanierung ein neuer Esprit ein. Ein Esprit, der das heutige intellektuelle Portugal in eine winzigen Blase gebettet verkörpert. Im Princípe Real entsteht Zukunft. Auf dem Sektor Design, Innenausstattung, Dekoration, Körperpflege, Genussmittel, Kunst, Kleidung, Schuhe, Produkte, die sich abwenden vom Konsum, findet man hier neben Markenqualität und Mode nach dem letzten Schrei geschneidert, vor allem innovative Ideen, Einzigartigkeiten und eine große Auswahl an Unikaten und Produkten made in Portugal. Der avantgardistisch individuelle Stil der einzelnen Boutiquen und Designer kennt keine Grenzen, jedes Geschäft an sich ist ein kleines Kunstwerk, jedes Produkt etwas Besonderes, und die Betreiber sind stolz auf ihren Zusammenschluss zu den sogenannten Concept-Stores, die sich mittlerweile mit über 100 Ladeneinheiten nicht nur im Príncípe Real, sondern in der gesamten Oberstadt Lissabons ausbreiten.
Doch nicht bloß shoppen und chillen kann man hier. Bekannt berüchtigt ist das Viertel auch für seine alteingesessene Gay-Szene und für seine Kult-Bars, deren Ursprung und Einrichtung bis in die Siebziger Jahre zurückreicht, die Live-Musik und entspanntes multikulturelles Flair bieten.
Mit dem Kettenaufzug Glória geht es vom Platz Praça dos Restauradores nördlich vom Rossio aufwärts, von dort weiter zu Fuß nach rechts, den Aussichtspunkt S. Pedro de Alcântara lässt man rechts liegen, und gelangt nach etwa zehn Minuten Fußmarsch der Straße folgend, zum Park Jardim Princípe Real. Auf dem Weg dorthin liegt die Kult-Bar Pavilhão-Chinés, links, Hausnummer 91, vermutlich (noch) die einzige Bar in Lissabon wo man Billard spielen, im Museum Cocktails trinken, und rauchen kann. Gegenüber auf der anderen Straßenseite gelangt man durch unscheinbare Hausdurchlässe in die schicksten Bars und Cafés der Stadt mit beschriebener atemberaubender Aussicht und schlendert vorbei an etlichen Tapas-Bars, Vegan-Snack-Bars und Restauration von fünf Kontinenten. Rund um den Park herum breitet sich das Quartier sternenförmig aus, und lädt ein zum Flanieren und chillen. Wer mag, stolpert und staunt von der einen Boutique oder Galerie durch die Tür hinaus in die nächste Tür hinein und staunt weiter. Den besten Fado der Stadt hört man übrigens auch hier. Also prinzipiell kann man gleich ganz im Quartier bleiben. Viel Spaß!