Ein unreifer König führt Portugal im 16. Jahrhundert in die Katastrophe • von Andreas Lausen
> Am 2. Januar 1554 starb der portugiesische Thronfolger Infant João Manuel mit nur 16 Jahren an Tuberkulose und Diabetes. Die Portugiesen waren entsetzt, denn nun war auch der letzte der sechs legitimen Söhne von König João III. gestorben. Aber die Witwe des toten Kronprinzen war schwanger. Ganz Portugal fieberte der Niederkunft entgegen. Nur ein Junge konnte die Dynastie Avis retten. Unermesslich war die Freude im Land, als am 20. Januar 1554 Infant Sebastião geboren wurde. Der «Desejado« (der Ersehnte) war da! Das Land schien gerettet.
Als sein Großvater König João III. am 11. Juni 1557 starb, kam als Thronerbe Infant Sebastião auf den Thron. Er war aber erst drei Jahre alt. Die Regentschaft übernahm Kardinal Henrique, Bruder von João III. Er war ein mürrischer, hinfälliger Mann. Moralische Prinzipien und strenge Askese standen im Mittelpunkt seines Denkens und Handelns. Als Großinquisitor oblag ihm die Gewissensprüfung religiöser Abweichler. Und er war nun für das Aufwachsen seines dreijährigen Großneffen verantwortlich.
Portugal befand sich in dieser Zeit schon auf dem absteigenden Ast. Die Zeit der großen Entdeckungsfahrten war vorbei, und immer schwerer wurde die Last des weltumspannenden Imperiums. Das kleine Land hatte sich mit seinem Weltreich übernommen. Die Kolonien, Stützpunkte, Festungen und Faktoreien zogen sich von Barbados in der Karibik bis zu Nagasaki in Japan, vom Rio de la Plata bis zu den Molukken, von Brasilien bis Moçambique. Allein an den Küsten Indiens hielt Portugal mehr als 50 Stützpunkte. Zu den Streitigkeiten mit benachbarten Reichen kamen Feindseligkeiten mit aufstrebenden europäischen Rivalen, wie Spanien, Frankreich und dem eigentlich verbündeten England.
Portugal war reich − und verarmte zusehends. Viele Felder lagen verlassen und wurden von Unkraut überwuchert. Auf der Suche nach schnellem Reichtum verließen junge Männer ihre Frauen und Kinder. Und in dieser schwierigen Phase saß ein Kind auf dem Thron.
An der absehbaren Katastrophe tragen die Erzieher und Berater des jungen Königs die Schuld. Sie impften ihm die Ideale eines Rittertums ein, das es in Portugal schon seit Jahrhunderten nicht mehr gab. Im Park des Schlosses von Sintra lauschte Sebastião fasziniert den Dichtungen von Luíz de Camões, der sein Epos von nationaler Größe, Heldentaten und vom Kampf gegen den Islam deklamierte. In Sebastião reifte der Gedanke, das nahe Marokko von den Mauren zu befreien.
Entsprechende Pläne gab es schon seit der portugiesischen Eroberung von Ceuta 1415. Aber sie gelangen nie. Portugal besaß nur einige trutzige Festungen an der Küste, konnte aber nie den Islam aus dem Land drängen. Da die Türken auf dem Balkan vordrangen, meinte Portugals König, in Marokko den Europäern ein Beispiel an Wagemut und Rittertum liefern zu müssen.
Mit 14 Jahren wurde Sebastião 1568 für mündig erklärt. Seine Berater hatten es versäumt, für ihn eine Eheschließung anzubahnen, damit der junge König demnächst für einen legitimen Nachfolger sorgen könnte. Denn aufgrund alter Erbverträge war der spanische König Felipe II. der nächste Anwärter auf den portugiesischen Thron. Es gibt aber auch die Meinung, dass der junge König an weiblichen Wesen kein Interesse hatte.
Als ob sein Land nicht genug Probleme hätte, arbeitete der junge König an der Vorbereitung seines Feldzugs nach Marokko. Er erforschte die Rivalitäten unter den muslimischen Stämmen Nordafrikas, knüpfte Kontakte und ließ Schiffe bauen. In ganz Europa warb er Söldner und Glücksritter an. 1578 fuhr schließlich eine Streitmacht von 17.000 Männern nach Marokko. Sebastião war sich seines Sieges so sicher, dass er sein Unternehmen ausgerechnet im nordafrikanischen Hochsommer durchführte. Im Gepäck hatte er eine eigens angefertigte Krone, mit der er sich als marokkanischer König krönen wollte. Am 4. August 1578 trafen die Heere bei Alcácer-Quibir aufeinander. Sultan Muley Abd-el Malik hatte seine Truppe gut vorbereitet.
Portugals Meister-Regisseur Manuel de Oliveira beschreibt im seinem filmischen Epos Não, wie der König hektisch und hilflos die Front seines Heeres auf- und abreitet und den Soldaten Kommandos zuruft, die von den Italienern, Deutschen, Kroaten, Engländern, Spaniern kaum jemand versteht. Die Schlacht endet im Blutbad. Die portugiesische Truppe wird vernichtet. Weniger als 100 Mann kehren auf Umwegen oder gegen hohes Lösegeld nach Portugal zurück.
Einige der Heimkehrer berichten, der König sei dem Gemetzel entkommen. Bald hieß es, er sei auf seinem Pferd zum Himmel aufgestiegen (die erzählerische Anleihe beim Propheten Mohammed ist offensichtlich). Unter den Portugiesen breitet sich der Glaube aus, Sebastião werde eines Tages wiederkommen, um Portugal zu retten. Noch gab es einen Nachfolger aus der Dynastie Avis. Der Großonkel des verschollenen Königs, Kardinal Henrique, lässt sich mit Sondererlaubnis des Papstes krönen. Aber er ist schwach und krank. Anderthalb Jahre später stirbt er und macht den Thron frei für die spanischen Habsburger, die Portugal in Personalunion 60 Jahre lang regieren.