Aus den Archiven der DPG • von Gert Peuckert
Bereits am 4. Dezember 1974, nur wenige Monate nach dem Sturz des faschistischen Regimes, wird in Lissabon die Associação Portugal−RDA gegründet. Zu den Gründungsvätern der Nationalen Freundschaftsgesellschaft gehört der international anerkannte Musikwissenschaftler Prof. Dr. João de Freitas Branco, der später zu ihrem Präsidenten gewählt wird.
Bei einem seiner ersten DDR-Aufenthalte nach den Ereignissen des 25. April 1974 spricht er auf einer Veranstaltung des Freundschaftskomitees mit Portugal der Liga für Völkerfreundschaft über die Bedeutung der April-Revolution für die Kulturschaffenden Portugals, die von der Salazar Diktatur kontrolliert und politisch verfolgt wird. Nach seinen Worten unterliegen in dieser Zeit sämtliche Theater- und Filmvorstellungen einer strengen Zensur, und Brecht ist schlechthin verboten.
In diesem Kontext berichtet er von der Gastspielreise einer brasilianischen Theatergruppe, die ein Stück von Brecht im Programm hat und mit Unterstützung ihrer Botschaft die Aufführung des Theaterstücks in Lissabon erreichen kann. Da den Zensurbehörden in diesem Fall ein Verbot verweigert ist, schleust man mit Unterstützung der Geheimpolizei PIDE eine Gruppe von Provokateuren in die ausverkaufte Theatervorstellung, die durch ihr aggressives Auftreten einen Eklat in der Öffentlichkeit inszeniert. Die Botschaft Brasiliens wird anschließend darüber in Kenntnis gesetzt, dass eine weitere Aufführung des Brecht-Stückes aus Sicherheitsgründen und zum Schutz der Schauspieler untersagt wird.
Erst mit der Nelkenrevolution werden die Voraussetzungen für die Entwicklung einer demokratischen, vom Staat geförderten und dem ganzen Volke zugänglichen Kulturpolitik in Portugal geschaffen. Am 30. Juli 1975 wird in Berlin ein Kooperationsabkommen zwischen der Associação Portugal−RDA und dem Freundschaftskomitee DDR−Portugal abgeschlossen, in dem sich beide Organisationen zu einer engen Zusammenarbeit im Geiste des Friedens, der Freundschaft und internationalen Solidarität verpflichten. Als gemeinsame Zielstellung wird »die Entwicklung des gegenseitigen Vertrauens zum Wohle beider Völker und die Förderung der Kooperation und des Austausches auf kulturellem, wissenschaftlichem und sozialem Gebiet im Interesse der internationalen Verständigung und des Weltfriedens vereinbart«.
Als erste konkrete Maßnahme zur Umsetzung des Abkommens wird die Organisation einer «Semana Bertolt Brecht» in Portugal beschlossen.
Die Brecht-Woche soll aber kein elitäres Kulturereignis werden, sondern allen Schichten des Volkes zugänglich sein. Deshalb sind alle Veranstaltungen eintrittsfrei. Das wird dank der aktiven Mitarbeit und finanziellen Unterstützung seitens der Gulbenkian-Stiftung, der Stadtregierung von Lissabon und der DDR-Botschaft in Portugal möglich.
Im Herbst 1975 ist es dann soweit: Vom 19. bis 26. September werden Theater- und Filmvorstellungen sowie Ausstellungen des Berliner Ensembles über Brecht im Teatro S. Luís in Lisboa sowie in Évora, Almada und Setúbal organisiert.
Das Künstlergruppe «Novos Horizontes» vom Volkstheater Rostock wird von dem in der DDR beliebten Schauspieler Hans-Peter Minetti geleitet, der unter großem Beifall des begeisterten Publikums die Brecht-Gedichte in Portugiesisch rezitiert.
Ich begleitete damals im Rahmen meines Auslandspraktikums an der Botschaft die Künstler auf ihrer Tournee durch Portugal und halte die Eindrücke von dieser Reise noch heute in lebendiger Erinnerung. Etwas Vergleichbares habe ich vorher noch nicht erlebt. Die Theatersäle sind überfüllt, und die politische Aufbruchstimmung bei den portugiesischen ZuhörerInnen ist überall spürbar. Nach Abschluss der Aufführungen wird vom Publikum spontan die »Internationale« angestimmt.
Zu einem besonderen Höhepunkt gestaltet sich die Brecht-Veranstaltung in Almada. Die dortige Basisgruppe der Freundschaftsgesellschaft, die zu den aktivsten der später über 20 «nucleos» mit landesweit insgesamt 6.000 Mitgliedern zählt, organisiert nach dem Theaterstück ein Zusatzprogramm mit dem anerkannten Brecht-Kenner Werner Hecht, das von dem in seiner Mehrzahl aus Werftarbeitern der Lisnave bestehendem Publikum mit Ovationen, Gesängen und Sprechchören begleitet wird.
Brecht ist auch wieder in Portugal…