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Weltfrauentag

Foto auf einer Demonstration zum Weltfrauentag

Gedanken zum 8. März    von Catrin Ponciano

> Die Lebensverwirklichung für Frauen ähnelt einem Hindernislauf, sagt ein indischer Multimillionär. Er hatte für vierzehn Tage mit seiner Tochter die Rollen getauscht. Seine Quintessenz über seine Erfahrung als temporäre Mutter und berufstätige Frau mit Familie und Kindern findet Ausdruck in seinem Bildnis Hindernislauf (https://m.facebook.com/741593119884853). Ein Modellversuch für die Schärfung der Sichtweise gegenüber der Wirklichkeit im Leben einer Frau.

Was allerdings mehrere Jahrtausende lang gepredigt wurde, kann sich nicht in einem Jahrhundert ändern. Die Rolle der Frau war in den meisten Völkern dieser Erde, mit Ausnahme einer Handvoll Naturvölker, in denen das Matriarchat heute noch dominiert, eben patriarchalisch besetzt und definiert. Die Crux daran ist die Tatsache, dass sämtliche Regeln für Frauen von Männern entschieden und niedergeschrieben worden sind. Regeln, die erst in einer Art Stammesordnung Ausübung fanden und später in Gesetzbüchern und Verfassungen. Und, nicht zu vergessen, in der Bibel.

In sämtlichen Schriften der Spätantike, des späten Mittelalters bis zur Schwelle zur Neuzeit mit aufkeimenden liberalistischen Denkansätzen, existierten Frauen in der Gesellschaft lediglich als Ehefrau oder Tochter von Sowieso, als Magd oder als Hure. Als Mensch mit Gedanken, Gefühlen und Rechten wurden Frauen nicht wahrgenommen, sondern zu etwas Verklärtem erhoben − oder gänzlich unterdrückt.

In Portugal war das nicht anders. Die Frau diente dem Mann, der Familie, der Kirche und dem Nachwuchs. Tat sie das nicht, diskriminierte die Konvention sie zum Frauenzimmer, und sie war gefährdet, von Moralwächtern verhaftet und entmündigt zu werden, auf dem Schafott zu landen oder in einem geschlossenen Heim zwecks Umerziehung. Frauen ihren Willen und eigenen Geist zuzugestehen, gar Handlungsspielraum, stand selbst noch zur vorvorherigen Jahrhundertwende und speziell während der über vierzig Jahre lang währenden Diktatur Salazars außer Frage. 

Trotz der Nelkenrevolution ist es traurig, dass der 8. März auch 2022 wieder daran gedenken muss, wie ungleich verteilt die Rechte und Chancen zur Verwirklichung des eigenen Lebensplans zwischen Frauen und Männern sind, heißt es unisono aus Portugal, doch ­gemeint ist die Lebenswirklichkeit für Frauen weltweit. Deswegen ziehen Portugals Frauen kritisch Bilanz über 50 Jahre nationale Zeitgeschichte.

Der Sozialisierungsprozess sei ihrer Meinung nach ins Stocken geraten. Frauen leisten nach wie vor mehr Lebensarbeit als Männer, sobald sie Mutter sind. Verantwortlich dafür sei die in Portugal nach wie vor seitens der Politik finanziell beschränkte Möglichkeit für Frauen, länger als fünf Monate Mutterschaftsurlaub zu Hause zu bleiben, um sich um den Nachwuchs zu kümmern − oder als Alternativmodell der Vater. Ohne ein zweites Gehalt sichert nämlich in über der Hälfte aller Familienhaushalte ein Gehalt plus das Kindergeld bei Weitem nicht die Existenz. Aus diesem Grund existieren in Portugal bereits seit etlichen Jahren immer weniger Single-Haushalte. Nebenbei bemerkt: Denn ein Gehalt im Mindestlohnbereich reicht generell nicht für die Existenz auf eigenen Füßen. Deswegen sind besonders junge Frauen dazu gezwungen, bei ihren Eltern zu wohnen.

Fotos von Frauen dieser Welt

Frauen dieser Welt · © Gerd Altmann from Pixabay

Sich finanziell auf bessere Füße zu stellen, bleibt einem Großteil der Frauen verwehrt, denn sie arbeiten in Bereichen, in denen Männern selten oder gar nicht tätig sind. Als Beispiel dienen berufliche Tätigkeiten wie Zimmermädchen, Kassiererin, Spülkraft, Krankenschwester, Pflegerin. Berufe, die im Mindestlohnbereich liegen und eine eigenständige Lebensgrundlage unmöglich machen. Männer trifft man in diesen Berufsfeldern gar nicht oder nur selten an, was die nächste Diskrepanz aufblättert. Die Kategorisierung von Berufen in weiblich oder männlich. Es gibt keinen Grund, warum es nicht auch Zimmerjungs geben kann, wird einstimmig bekräftigt.

Die Lohnschere in der Privatwirtschaft spiegelt die nächste Diskrepanz. Gehälter für weibliche Fachkräfte liegen bis zu vierzig Prozent unter denen der männlichen Kollegen in gleicher Position und mit gleichem Anforderungsprofil an die berufliche Kompetenz. Eine Quotenregelung wird kritisch betrachtet. Führungspositionen sollten nach Qualifikation besetzt werden und nicht 1 : 1 zwischen den Geschlechtern. Wichtig sei vielmehr die gleichwertige monetär adäquate Würdigung der gleichen erbrachten Leistung.

Ein paar Worte zur hiesig praktizierten Würdigung von Frauen. Einig sind sich Portugiesinnen darin, dass der Weg zur Akzeptanz der Frau als gleichgestellte, gleich qualifizierte, gleich bezahlte und chancengleich behandelte Partner familiär und beruflich auch künftig hindernisreich bleibt. 

Dass Frauen sich seit dem Arbeiterinnenaufstand in einer Textilfabrik 1908 in New York überall auf der Welt zusammenraufen und seither organisiert für ihre Rechte als Frau, als Mutter, als Ehefrau und im Beruf kämpfen, blickt gerade einmal auf 113 Jahre Frauenrechtlerinnen-Geschichte zurück. Auch Portugals Frauen waren von Anfang an mit dabei und mussten während ihres Hindernislaufes zusätzlich die 42 Jahre andauernde Hürde der faschistischen Diktatur Salazars nehmen.

Düstere Jahre für Frauen. Degradiert zum Schoß der Nation, ein Dasein für die Familie, Kinder und Kirche zu fristen. Ohne Legitimation zur Selbstbestimmung durften Frauen in Portugal während der Diktatur kein eigenes Konto führen, keinen Arbeitsvertrag ohne die Zustimmung der Familie oder, als Ehefrau des Ehemannes unterschreiben. Frauen durften nicht wählen (es sein denn sie waren Witwe und damit vor dem Gesetz das Familienoberhaupt) und ohne Zustimmung des Ehemannes auch keinen Beruf ausüben. In völlige finanzielle und soziale Abhängigkeit gedrängt, erduldeten Hunderttausende Frauen zusätzlich häusliche Gewalt (bis 1974 kein Strafbestand), gegen die sie weder Anzeige erstatten noch sich scheiden lassen konnten. Darüber hinaus waltete das Moral Gesetz über die Sittenwahrung des weiblichen Geschlechts. Sollte ein Mann, oder Eltern, das sittliche Verhalten seiner Frau, ihrer Tochter, in Frage stellen, griffen Sittenwächter ein. Eine individuelle Entfaltung der eigenen Persönlichkeit für Frauen war gänzlich ausgeschlossen. Auf diese Weise moralisch überwacht, wurden Frauen, die für ihre Individualität einstanden, reihenweise in Umerziehungsanstalten eingewiesen − oder sie wurden entmündigt.

Plakat zum Weltfrauentag

Plakat zum Weltfrauentag · © Vane from Pixabay

Seit der April-Revolution und den ersten freien Wahlen mit Wahlrecht für Frauen ist zwar bald ein halbes Jahrhundert vergangen, und Frauen dürfen laut Gesetz längst selbst über ihr Leben bestimmen, besitzen freien Zugang zu Bildungseinrichtungen, können häusliche Gewalt zur Strafanzeige bringen und sich scheiden lassen, aber die persönliche Aufopferung für eine eigene Familie, für eine Ehe und gegen einen Beruf mit höherer Laufbahn bleibt für sie ungleich hoch, in Relation zur Entscheidungsfreiheit der Männer.

Summa summarum tragen auch in Portugal weiterhin Frauen den Löwen­anteil zur gesellschaftlichen und − selbstredend − zur demografischen Entwicklung bei.

»Vieles hat sich für uns Frauen in Portugal seit 1974 verbessert«, sagt eine Geschichtsforscherin. »Doch die größte Hürde für ein selbstbestimmtes Leben für Frauen und Mütter bleibt bestehen, solange die Politik junge Familien nicht angemessen finanziell unterstützt − und solange die Akzeptanz der Frau als Partnerin Mensch durch die nach wie vor starre patriarchalische Denkweise verwehrt wird.«

Portugals Frauen kämpfen in alle Richtungen. Sie meistern ihr Leben trotzdem. Ergo kämpfen Portugals Frauen weiter. Jeden Tag.