Spaziergang in Lagos
Der seit 1998 am Algarve lebende deutsche Künstler Timo Dillner zeigt mir seine Stadt · von Andreas Lahn
Wir beginnen unseren Rundgang am sogenannten Mercado de Escravos. Heute ist das an der Praca Infante D. Henrique gelegene Haus ein Museum, das an die Zeiten der Sklaverei erinnert. Als es vor einigen Jahren noch im Besitz des Militärs ist, steht es leer und ist für KünstlerInnen nutzbar, die dort Ausstellungen machen, erzählt Timo Dillner. Die weißen Wände und der Innenhof seien ideal gewesen, alles habe sich so gestalten lassen wie gewollt. Von drinnen hört man die Reiseleiter erzählen, dass Portugal damals das erste Land gewesen sei, das mit Sklaven gehandelt habe. Und an diesem Ort seien die Sklaven verkauft worden – daher der Name. Doch das ist schlicht falsch, wie Timo Dillner weiß. »Das hier war nie ein Sklavenmarkt!« So etwas würde auch niemand in der Stadtverwaltung von Lagos behaupten. Die Touristen interessieren solche Details nicht. Sie hätten sich an die Gitter gestellt und als arme Sklaven fotografieren lassen. Nach dem Erdbeben von 1755 stand hier kein Stein mehr auf dem anderen. Sklaven seien außerhalb der Stadtmauern verkauft worden. Dort habe man auch einige negroide Skelette gefunden.
Früher habe es hier ganz anders ausgesehen, erzählt Timo Dillner. Da reichte das Meer bis an die Stadtmauer heran.Hier waren ein Fischereihafen und schöne Buchten. Die Avenida sei erst vor wenigen Jahrzehnten gebaut worden, was ältere Lagobrigenser heute noch auf die Palme bringe. Sie sagen: »Das alte Lagos wurde kaputtgemacht. Lagos ist keine Hafenstadt mehr, da ein direkter Zugang zum Meer nur hinter der kleinen Fortaleza existiert.«
In der Kirche Santa Maria hat Timo Dillner mit seinem Chor gesungen. Überhaupt kenne er die Kirchen in Lagos ziemlich gut − aus den Zeiten, als er mit dem Skizzenblock durch die Stadt gezogen sei. Auch die Kirche Santo António, wo drinnen ein Museum ist. Er könne Kirchen unter architektonischen und kulturhistorischen Gesichtspunkten betrachten und die Religion rauslassen. Das muss ich noch lernen − oder auch nicht…
Wenn Timo Dillner durch die Stadt geht, setzt er Scheuklappen auf, um seinen Kram möglichst schnell zu erledigen und schnell an die Staffelei zurückzukehren. Seine Frau Ingeborg sei da ganz anders. Sie gehe aktiv durch die Stadt, gucke nach links und nach rechts, treffe hier jemanden und dort. So nehme sie Lagos ganz anders wahr als er. Ohnehin ergänzen die beiden sich gut, wie nicht nur ich finde.
Bei der Buchmesse im Frühjahr haben sie mit einer Gruppe von Fotografen der Universidade dos Seniores zusammengearbeitet, die zum Thema Lesen und Schreiben Fotos von Büchern und Tintenfässern gemacht haben, um damit die Wände zu dekorieren.
Wir erreichen das 1992 eröffnete Centro Cultural, wo gerade Timo Dillners Ausstellung unter dem Titel läuft »Der Poetische Contineralismus − Neue Horizonte«. Bevor er anfängt zu zeichnen, legt er das Format fest. Häufig ist es ein Quadrat: »Das Format ist wie ein Spielfeld, auf dem ich mich dann austoben kann.« Auf einigen Bildern sind Seekarten zu erkennen, und Timo Dillner erklärt: »Ich schaue mir gerne intensiv Landkarten an. Ich war schon als Kind begeistert, wenn in einem Buch eine Schatzkarte abgebildet war.« Er weist auf drei Bilder zu den Hauptreligionen Judentum, Christen und Islam hin. Die abgebildeten Männer würden auf etwas warten, was sie auf ihre Buchseiten schreiben können, um es dann als Religion zu verbreiten.
Auf den Vorwurf einer Ausstellungsbesucherin, er würde zu viele Brüste malen, habe er geantwortet: »Jede Frau hat zwei. Ich kann nichts dafür.« Die erste Bild-Zeitung seines Lebens habe er gekauft, um damit die Figur des Hohlkopfes zu füttern.
Als wir wieder durch die Straßen von Lagos spazieren, kommen wir an einer riesigen Wandmalerei vorbei, die die Künstlerkommune LAC im Rahmen von Urban Art schaffen ließ. In einer unscheinbaren Kirche finden Chorproben statt und auch einige Auftritte. Ursprünglich sein die Kirche ein Nonnenkloster gewesen, das komplett renoviert worden sei und nun für Kulturveranstaltungen genutzt werde. Zum Glück würden sie im Chor keine Volkslieder singen, was ihm sehr entgegenkomme.
Wir laufen an einem Schild vorbei mit der Aufschrift »Hortas Urbanas Sociais«. Hinter der Tür verbergen sich landwirtschaftliche Flächen, von denen sich vorwiegend ältere Leute ein Stück Garten bestellen, um Gemüse und Nahrungsmittel anzubauen und um sich mit anderen zu treffen.
Im »Zentrum der lebendigen Wissenschaft« (Centro Ciência Viva) gehe es um Entdeckungsfahrten. Hier können Kinder nautische Instrumente ausprobieren und mit Sextanten und Kompass auf Schatzsuche gehen. Eine Idee zur Steigerung der Attraktivität des Lagoser Hafens hat Timo Dillner auch. Er kann sich gut vorstellen, aus einer Ecke des Hafens einen »historischen Hafen« zu machen mit Piratenschiffen, Dreimastern und alten Hafenspelunken.
Was seine Kunstwerke angeht, hat Timo Dillner eine klare Linie. Ihm sei wichtig, dass seine inhaltlichen Anliegen rüberkommen, zur Kommunikation anregen und formuliert klar: »Das Verkaufen ist nicht mein Hauptanliegen.« Und von den BesucherInnen der Ausstellung fordert er: »Man muss auch als Betrachter investieren, sonst wird man mit Obeflächlichkeit bestraft. Ich mache keine fertig präsentierten, leicht verdaulichen Sachen. Aber natürlich kann man sich meine Bilder auch einfach nur ansehen und sie schön finden − und ist auch damit gut bedient.« Er stellt z. B. prinzipiell nicht in Restaurants aus, was bisweilen auf Unverständnis stößt.
Ingeborg und Timo Dillner sind 1998 mit zwei Kindern nach Lagos gekommen, haben alle auf ihrem Weg liegende Steine aus dem Weg geräumt und sind als einheimische Künstler aus Lagos akzeptiert. Es sind Ausstellungen in Faro und Portimão geplant. Gibt es Pläne, den Ort nochmal zu wechseln? »Vom Gefühl her, − sagen wir zu achtzig Prozent − möchten wir hierblieben. Aber da bleiben zwanzig Prozent übrig. Da ist immer noch Abenteuerlust und Neugier. So interessiert uns auch der portugiesische Norden.. Aber schon der Gedanke an einen Umzug, ist grausig! Die ganzen Maschinen, die man mitnehmen müsste, die Bücher, die Schallplatten…«
Doch Timo Dillner will auch herausgefordert werden. Das hat er schon als Kind gemocht und gerne Texte gelesen, die er nicht komplett versteht, in denen es Worte gibt, die er nicht kennt. Er hat ein paar Mal das Wort Montage gelesen, und gedacht: »Ich krieg das nicht hin. Was hat das mit Montag zu tun. Warum nicht Dienstage und Mittwoche. Bis mir einfällt, es heißt Montage. Dann habe ich mich gefreut und war so stolz auf mich, dass ich das rausgekriegt habe.« Na dann! Liebe Ingeborg, lieber Timo, vielen Dank für die schönen Stunden in Lagos. Ich wünsche euch alles Gute für die hoffentlich spannende Zukunft!