Bei »Grandola« flossen die Tränen
• von Wolfgang Weiß
> Der zweifellos emotionale Höhepunkt war, als die Stimme des vor 31 Jahren gestorbenen Musikers und Interpreten José Afonso − auch Zeca Afonso genannt − mit dem legendären Lied «Grandola, vila morena» (Grandola, braune Stadt) in den Ruinen des Convento do Carmo im Lissabonner Stadtteil Bairro Alto ertönte. An den Wänden der Klosterruine wurden wie auf einer 360- Grad-Leinwand Bilder aus jenen Tagen um den 25. April 1974 projiziert, als junge Soldaten und Offiziere mit Hilfe des Volkes die älteste faschistische Diktatur Europas stürzten und Marktfrauen den Befreiern rote Nelken in die Gewehrläufe steckten. «Grandola, vila morena», im Rundfunk abgespielt, war damals das Signal zum Losschlagen. Noch heute, mehr als 44 Jahre später, sind dieses Lied und die damit verbundenen Ereignisse tief im Bewusstsein der Portugiesen verankert. Bei Zeca Afonsos Melodie standen die Besucher der Show im Convento do Carmo auf und sangen mit, bei vielen flossen Tränen.
Es war keine politische sondern eine kommerzielle Veranstaltung unter dem Titel «Lisbon under Stars» (Lissabon unter Sternen) in Anspielung auf die Tatsache, dass das ehemalige Kloster unter freiem Himmel steht, also nur noch die Seitenwände zum Teil erhalten sind. In der imposanten und technisch hochwertige Show ging es in einer Art Zeitraffer um 600 Jahre der wechselvollen Geschichte des Klosters und der Geschichte Portugals überhaupt. Dabei projizierten Laser Sterne in den nachtblauen Himmel über Lissabon. Die Show begann mit einem eindrucksvollen musikalischen Prolog des wohl bedeutendsten portugiesischen Komponisten Luis de Freitas Branco, dessen Musik auch den ersten Akt des Spektakels begleitete: die Schlacht von Aljubarrota. Damals, am 14. August 1385, schlugen 7000 portugiesische Krieger ein spanisches (kastilianisches) Heer von 40.000 Mann, und sicherten so die Unabhängigkeit des ältesten europäischen Staates in seinen ursprünglichen Grenzen. An den Klosterwänden sah man sich Ritter schlagen und sterben.
Neben den Bauphasen des Convento do Carmo − untermalt und begleitet durch Tanzszenen berühmter portugiesischer Ballettkünstler − konnten die Besucher dank Multimedia auch an der Entdeckung des Seeweges nach Indien am 8. Juli 1497 durch Vasco da Gama teilnehmen. Dramatisch, optisch wie akustisch, wurde es, als sich die Show mit dem schweren Erdbeben vom 1. November 1755 befasste, dem Feuersbrünste und eine Tsunami-Welle folgten. Damals wurden große Teile Lissabons und auch das Convento do Carmo zerstört. An den Wänden des Klosters irrten verzweifelte Menschen auf der Suche nach Schutz umher, untermalt von dramatischer Musik Freitas Brancos. Dessen Sohn, ein bekannter portugiesischer Dirigent, war übrigens Präsident der Freundschaftsgesellschaft Portugal—DDR.
Ein kleines Kapitel, das in einer geschichts- und musikbetonten Show in Portugal nicht fehlen darf, gehörte dem Fado. Und damit dem 23. Juli 1920, als Amalia Rodrigues geboren wurde, die wohl berühmteste Interpretin dieses typischen volkstümlichen Gesangs. Ihre bis heute unvergleichliche Stimme ertönte im Convento do Carmo mit dem Lied «Lisboa Antiga» (Alt-Lissabon). Den Abschluss der 12 Kapitel umfassenden Show bildete ein buntes Potpourri zu Themen wie »Lissabon heute, Lissabon frei, Lissabon multikultural«, wo erzählt wurde, wie heutzutage in der portugiesischen Hauptstadt gelebt wird. Musikalisch untermalt wurde das Ganze von der Sängerin Mariza, der man nachsagt, sie könne die Nachfolgerin von Amalia werden. Die Show endete um Mitternacht − unter den Sternen von Lissabon.