Zum »Imani-Zyklus« von Mia Couto • von Matthias Voß
»JEDEN MORGEN GINGEN ÜBER DER EBENE VON INHARRIME SIEBEN SONNEN AUF. DAMALS WAR DAS FIRMAMENT WESENTLICH GRÖSSER, ALLE GESTIRNE HATTEN DARIN PLATZ, DIE LEBENDEN UND DIE SCHON GESTORBENEN.«
Mit diesen Sätzen beginnt die Trilogie des mosambikanischen Schriftstellers Mia Couto, mit diesen Sätzen endet sie. Dazwischen liegen 80 Jahre mosambikanischer Geschichte.
Im ersten Band, Imani, begegnen sich im Jahr 1896 zwei Menschen, wie sie aus unterschiedlicheren Kulturkreisen und Traditionen nicht stammen können: Die 15-jährige VaChopi Imani und der 23-jährige portugiesische Sargento Germano de Melo. Es geht um Liebe, aber es ist kein Liebesroman. Es geht um die koloniale Geschichte Mosambiks, aber es ist kein historischer Roman. Es geht um den legendären König von Gaza Ngungunyane, aber es ist keine Biografie.
Die portugiesische Sprache führt die beiden Protagonisten zusammen. Da ist Imani Nsambe: »In meiner Muttersprache bedeutet Imani so viel wie ›Wer ist da?‹ «. Sie hat portugiesisch von einem Missionar gelernt und wird dadurch Mittlerin zwischen den Afrikanern und den Portugiesen, wird Dolmetscherin, Vertraute und Spionin zugleich. Ihre Gedanken widerspiegeln die ständige Auseinandersetzung zwischen traditionellen Vorstellungen und der Welt der weißen Männer. Germano, der strafversetzte Republikaner, verzweifelt auf einsamem Posten an der kolonialen Wirklichkeit.
Mia Couto stellt diese beiden Sichtweisen in Briefen und Tagebuchaufzeichnungen teils fiktiver, teils realer Personen gegenüber, so dass der Leser die Unterschiede ebenso empfindet wie die behutsame Annäherung, das beginnende gegenseitige Verstehen. Couto erreicht damit eine hohe Authentizität, die sich aus umfangreichem Quellenstudium ebenso speist wie aus seiner Biografie.
António Emílio Leite Mia Couto wurde 1955 in Beira als Sohn portugiesische Eltern in Mosambik geboren. Als 17-Jähriger fand er den Weg zur FRELIMO und wurde mit der Unabhängigkeit 1976 Direktor der Staatlichen Nachrichtenagentur Agência de Informação de Moçambique. Bis 1981 war er außerdem Chefredakteur der Tageszeitung Noticias und leitete bis 1985 das Wochenblatt Tempo. 1985 wandte sich Mia Couto vom Journalismus ab und begann in Maputo ein Biologie-Studium. Heute lehrt er dieses Fach als Universitätsprofessor.
Seine seit Mitte der 1980er Jahre erscheinenden Romane und Erzählungen spüren mit oft ungewöhnlichen Bildern der Seele der mosambikanischen Menschen nach. »Wir sind so vieles gleichzeitig. Ich bin ein Afrikaner, der aus Europa kommt. Ich bin ein Schriftsteller in einer Region, in der das Mündliche dominiert.«
Der sprachgewaltige Autor macht es uns nicht leicht. Immer wieder wird man verharren, den Gedanken nachspüren, und empfinden, wie sich hier Jahrhunderte alte Weisheiten vermitteln, wie jeder neue Anfang auch ein Abschied ist. Erfahrungen, Wissen, Glauben von Generationen. So ist auch Imani keine einzelne Person an einem konkreten Ort. Als 95-Jährige auf ihr Leben zurückblickend, sagt sie: »Mein Körper ist die ganze Welt.«
Die Herausforderung, die bildhafte afrikanische Gedankenwelt dem deutschsprachigen Leser nahezubringen, hat Karin von Schweder-Schreiner gemeistert. Wer sich darüber erregt, dass der Sprachgebrauch des kolonialzeitlichen Rassismus auch in der deutschen Übersetzung verwendet wird, sollte verstehen, dass gerade dies die moralischen Positionen der Kolonialherren ungeschönt wiedergibt. Es wird zu einem versteckten Höhepunkt des Romans, als der portugiesische Kapitän António de Sousa die ausgestreckte Hand des afrikanischen Königs Ngungunyane annahm, die Hand eines Schwarzen.
Im zweiten und dritten Band, vom Unionsverlag Zürich zusammengefasst unter dem Titel Asche und Sand, konzentriert sich die Handlung stärker auf die Geschehnisse um Ngungunyane. Die blutigen Auseinandersetzungen zwischen den afrikanischen Stämmen untereinander und mit den Portugiesen nehmen zu. Ihr eigener Vater bietet Imani dem König als Ehefrau an, mit einem besonderen Auftrag. Dadurch gerät sie in sein Gefolge und wird zur engen Vertrauten der Königin Dabondi, die mit den Flüssen sprechen kann. Germano gerät als unmittelbarer Akteur aus dem Blickfeld und wird über die Schwangerschaft von Imani reflektiert.
Eine ganze Epoche wird aus dem Alltag der Menschen heraus erklärt und dadurch entzerrt: Die vorkoloniale Zeit war keine Idylle, Ngungunyane nicht der übermächtige Gegner, mit dessen Niederlage Portugal in der Auseinandersetzung vor allem bei den Engländern punkten wollte.
Der Autor bezieht weitere reale Persönlichkeiten der Zeit ein, wie Mouzinho de Albuquerque, Ayres de Ornelas und Zixaxa, der es gewagt hatte, Lourenço Marques anzugreifen. Das Geschehen führt über Lissabon und das Exil des gefangenen Ngungunyane und seiner Frauen auf den Azoren, wo der zum übermächtigen Gegner stilisierte König 1906 starb, bis zum Vorabend der Proklamation der Unabhängigkeit Mosambiks, und endet dort, wo alles begonnen hat, in Nkokolani.
Es wird viele Gründe geben, zu dieser Trilogie zu greifen. Als ich 1986 nach Mosambik kam, wusste ich etwas über die afrikanischen Länder aus der Erdkunde, über die Geschichte der kolonialen Eroberungen aus dem Geschichtsunterricht, über die Tierwelt von Zoo- und Zirkusbesuchen und über den Befreiungskampf der FRELIMO aus den Zeitungen, den Filmen von Ulrich Makosch und den Radioreportagen von Peter Spacek. Kaum etwas wusste ich von den Menschen. Einiges habe ich in persönlicher Zusammenarbeit und Freundschaft gelernt, vieles mehr und tiefer aus den Büchern von Mia Couto verstanden.
Sie sind sprachgewaltige Zeugnisse der Wurzeln und des Werden des mosambikanischen Volkes.
Asche und Sand
544 Seiten, gebunden, Unionsverlag, 26€
ISBN 978-3-293-00569-3 · E-Book 19,99€
Imani
288 Seiten, broschiert, Unionsverlag, 13,95€
ISBN 978-3-293-20831-5 · E-Book 11,99€