Dieter Schneider: Ankerplatz Portugal
Der Algarve als Base Camp eines Weltreisenden • von Jörg Hahn
> Der Deutsche Dieter Schneider will mit einer Initiative deutlich machen: »Die Welt ist zu schön für Depression.« Ein Gespräch mit ihm wird schnell zum Kopfkino und zu einer Reise um die Welt − der 1959 in Koblenz geborene, ehemalige Olympia Fechter ist leidenschaftlicher Motorradreisender. In Würzburg begann er seine berufliche Karriere in der Medien- und Werbebranche, gründete eine Familie. Der Einschnitt im Leben war der Tod des Sohnes, der sich im Alter von 23 Jahren nach einer schweren Depression das Leben nahm. Ein Jahr danach, 2015, brach Dieter Schneider zu einer viermonatigen Transafrika-Tour auf, die ihn von Würzburg bis nach Kapstadt brachte. Und im Juni 2018 startete er eine − zwischenzeitlich von der Corona-Pandemie unterbrochene − Weltumrundung, 130.000 Kilometer. »Ich bin durch Länder gerast, in Honduras zum Beispiel war ich genau einen Tag lang. Da habe ich nur die Oberfläche gesehen. In Portugal will ich alle Kurven fahren und erleben«, sagte der Neubürger von Barranco do Velho im Hinterland des Algarve, etwas oberhalb von Loulé in den Korkeichenwäldern gelegen.
Die Weltreise half ihm nicht nur, den Schicksalsschlag zu bewältigen und die Trauer zu verarbeiten. Die globale Tour wurde auch zu einer Initiative, um auf eine Krankheit aufmerksam zu machen, die in unserer Gesellschaft noch immer ein Randdasein führt. Und das, obwohl die psychische Gesundheit und die mentale Fitness in fast allen Lebensbereichen des modernen Menschen eine immer größere Rolle spielen. »Wenn Deine Seele Fernweh hat, setz Dich aufs Motorrad und fahr los«, heißt seine Devise. Als Elternteil war er indirekt betroffen von den Folgen der Krankheit Depression. Dieter Schneider musste schmerzhaft erkennen, dass wir uns schwer tun damit, die Symptome zu deuten und richtig einzuordnen. In der Arbeitswelt, in Schulen und Universitäten sowie im privaten Bereich gibt es damit noch zum Teil erheblichen Nachholbedarf. »Ich bin kein Psychologe, ich möchte dabei helfen ein Klima zu schaffen, in dem über mentale Krisen offen gesprochen werden kann. Ich möchte direkt und indirekt betroffenen Menschen Mut machen und ihnen die Angst vor einer Stigmatisierung nehmen.« Mut machen, um rechtzeitig ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, wie bei jeder anderen Krankheit auch. »Psychisch erkrankte Menschen haben (noch) keine Lobby. Je mehr wir darüber in aller Offenheit reden, umso mehr wird sich zum Positiven verändern.«
Dieter Schneider weiß, wie man Öffentlichkeit schafft, er ist ausgebildeter Fachjournalist für Reise und Motor. Er engagiert sich schon lange ehrenamtlich in sozialen Projekten. Unter anderem hat er gemeinsam mit seinem Freund und ehemaligem Weltklasse-Schwimmer Thomas Lurz eine Stiftung zugunsten des Behindertensports sowie für Depressionshilfe ins Leben gerufen. Er hält Vorträge über seine Motorradreisen und plant weitere Touren für die Zukunft. Die Aufmerksamkeit, die seine Bilder und Geschichten beim Publikum und in den Medien wecken, will er auf die Depressionshilfe lenken.
Unter dem Motto Mit offenem Visier für Depressionshilfe organisiert er verschiedene Projekte in der Motorrad-Community. Unter anderem den Fellows Ride, eine 2021 in Würzburg begründete Motorradausfahrt zugunsten der mentalen Gesundheit. Fellows Ride steht einerseits für das Kennenlernen von Fellows, Mates, Compañeros, Buddys und Freunden, mit und ohne Motorrad. »Wir sind brave Fahrer, keine Lederjackenträger, die mit offenem Auspuff laut durch die Landschaft brettern.« Auf der anderen Seite steht Fellows Ride auch für die Mission, Aufmerksamkeit für Depressionshilfe zu schaffen. In diesem Jahr gibt es vier Fellow Rides, mit denen zugleich Spendengelder gesammelt werden, in Wolfsburg, Innsbruck, Würzburg und im Odenwald. Berlin, das Rhein-Ruhr-Gebiet und Frankfurt am Main könnten bald dazukommen – und natürlich steht der Algarve oder der Großraum Lissabon auch auf der Wunschliste von Dieter Schneider. Für die Organisation sucht er schon Mitstreiter. »Gemeinsam mit engagierten Menschen bringen wir etwas Gutes ins Rollen.« In Wolfsburg gingen jüngst die Spenden an die Robert-Enke-Stiftung. Der frühere Fußball-Nationaltorhüter hatte sich depressionskrank ebenfalls das Leben genommen, dessen Frau Teresa führt heute die Stiftung.
Dieter Schneider ist durch alle Weltreligionen gefahren − vier Tage Teaching beim Dalai Lama in seinem Exil in Dharamsala in Indien hätten ihm gezeigt, was Glück bedeuten kann: »Glück ist, Dinge zu akzeptieren, die du nicht ändern kannst.« Er war Zeuge der Rituale des Thaipusam-Festivals in Malaysia, hat im australischen Outback mit Aborigines gesprochen und war eingeladen zu einer Sundance Ceremony der Blackfootindianer in Kanada. »Neben dem Reichtum der Kulturen und der Schönheit von Mother Earth machen die vielen Begegnungen mit den Menschen vor Ort eine solche Reise aus. Gefunden wurde ich von der Seele meines Sohnes. Ohne ihn und seinen Tod hätte ich das alles nicht erlebt. Darf ich ihm dafür dankbar sein?« Man könne unter dem Motorradhelm heulen, ohne dass es jemand merke, stellt er fest.
Portugal sei für ihn als Base Camp vorprogrammiert gewesen, sagt er. »Ich wollte nach der Weltreise in den europäischen Süden, Portugal stand oben auf der Liste, irgendwas wartet hier auf mich.« Vom Nordkap kommend blieb er zunächst in Cascais und startete dann die Suche nach einer Bleibe im Algarve. »Der Mensch braucht eine Adresse, einen Standort.« Es gehe ihm nicht um den Begriff Heimat, er habe auch nie Heimweh verspürt. Sein Lebensstil bleibe für die nächsten zehn Jahre das «Travelling», wie er es nennt. »Ich will von Barranco aus nach Marokko, Westafrika, Andalusien. Ich bin mehr Entdecker als Reisender, ich habe keinen großen Plan, nur grobe Leitplanken — etwa, wann durch das Wetter eine gute Zeit für eine Reise ist. Ich fahre morgens los ohne zu wissen, wo ich abends lande. Das wird nicht aufhören.« Die E.N. 2, die auch durch Barranco do Velho führt, nennt Dieter Schneider die »Route 66 Portugals«, diese 700-Kilometer Strecke von Süd nach Nord reizt ihn natürlich.
Über seine Transafrika-Tour 2015/2016 hat er ein Buch verfasst: »Wenn dich dein Leben rechts überholt − Mit Freude und Tränen durch Afrika«. Nach seiner Weltumrundung ist eine 70-minütige Filmdokumentation entstanden mit dem Titel »Ride don’t hide − Die Welt ist zu schön für Depression.« Es sei ein Film, der Leben retten könne. Auf der ganzen Welt nach Erklärungen, Sinn und Seelenfrieden suchen, darum sei es ihm persönlich gegangen − und damit ist er ein Vorbild geworden. In einem Text von Dieter Schneider heißt es: »Wir Deutschen tun uns schwer mit dem Glück. Allein, dass wir nur ein einziges einsilbiges Wort (mehr ein Glucksen) für ein so vielschichtiges Bedeutungs-Spektrum kennen, ist auffällig. Im Sanskrit gibt es über zehn Begriffe, die das unterschiedliche Glücksempfinden beschreiben. Grundsätzlich unterscheiden wir ›Glück haben‹ (to be lucky) vom ›glücklich sein‹ (to be happy). Mich interessiert nicht das Zufallsglück − wie etwa beim Lotto. Ich will wissen wie das Erreichen eines gelingenden zufriedenen Lebensglücks funktioniert.«
Einen Buchtipp hat Dieter Schneider zum Thema auch noch: »Ich möchte lieber nicht« von Juliane Marie Schreiber. »Wir dürfen uns nicht dem Zwang zum Glücklichsein unterwerfen«, meint er. »Und wir dürfen nicht vergessen: Die Welt wird von Unzufriedenen verändert.«
LINKS:
• www.fellowsride.de
• www.sport-stiftung.de