Das »Mini« wird 50
Eine bierologische Gratulation von Jörg Hahn
> Im Frühsommer dieses Jahres widmete die portugiesische Wochenzeitung Expresso dem Gegenstand, um den es hier jetzt gehen wird, sogar eine siebenseitige Titelgeschichte in der Magazin-Beilage. Warnung: Es dreht sich um Alkohol!
Expresso benannte den Artikel: «A pequena misteriosa» (»Das kleine Mysterium«). Und im Untertitel hieß es: »Was sagt das fünfzigjährige Jubiläum des Biers ›Mini‹ über uns aus?«
Auch als Portugal-Reisender, als Kurzzeit-Tourist oder Langzeit-Resident, kennt man das Sagres Mini in der charakteristischen, für Ausländer zunächst ungewohnt kleinen 20-Zentiliter-Flasche, und viele lieben es auch. Als schnellen, kleinen, kühlen Schluck nach der Arbeit, nach dem Strandtag, als Einstimmung auf ein Abendessen oder zwischendurch zu einem Bifana hat Tradition und Geschichte.
Dies soll natürlich keine Bier-Werbung sein, sondern eine Spurensuche − warum gibt es das Mini, was macht es aus, was bedeutet es für die Historie und den Alltag in Portugal? Geboren 1972, hat es Momente überstanden, in denen das Mini vor dem Aus stand − wenn es nach der EU gegangen wäre, gäbe es das kultige Fläschchen nämlich gar nicht mehr.
Aber der Reihe nach. Die Minis haben eine enge Verbindung zum Alentejo. Denn diese Flasche mit dem langen Hals wurde, so ist im Archiv des Herstellers (heute firmiert er als Teil des globalen Heineken-Konzerns unter SCC – Sociedade Central de Cervejas e Bebidas) zu erfahren, vor einem halben Jahrhundert zunächst für den engeren Alentejo-Markt entwickelt.
Der Alentejo war und ist bis heute die Kornkammer Portugals, also auch Rohstofflieferant für Braugerste. Die Region war damals noch mehr als heute ein Gebiet mit Riesen-Grundstücken, ausgedehnten Landflächen, wo zahllose Menschen von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang arbeiteten, die mit sehr wenig Geld auszukommen hatten.
Das Unternehmen hat seinen Sitz in Vialonga, eine halbe Stunde nordöstlich der Innenstadt Lissabons, dort befinden sich auch die Produktionsanlagen der Marke Sagres. Eine starke kommerzielle und emotionale Bindung an die Region habe zur Idee des Mini geführt. Man habe sich, so wird berichtet, mit den Menschen im Alentejo auseinandergesetzt, ihren täglichen Gewohnheiten und Notwendigkeiten. Natürlich, alle Gesellschaftsschichten tranken und trinken Bier, nicht bloß beim Fußball. Auch die armen Leute im Alentejo, die zu Fuß oder auf Eseln unterwegs waren, oft mit Hacken und anderen schweren Geräten auf dem Rücken, um bei sehr hohen Temperaturen auf den Feldern zu arbeiten. Was sie noch nicht hatten, waren kleine Bierflaschen, die in die Dosen passten, in denen sie ihre Lebensmittelrationen transportierten. Diese Dosen, tarro, bestanden aus Kork. Und eine Flasche von nur 20 cl Volumen passte perfekt hinein in den tarro, den Korkbehälter, der von den ganhões (Bauern) zur Aufbewahrung und zum Transport der kargen Verpflegung der damaligen Zeit verwendet wurde; ein Stück Brot, Oliven, eingelegte Sardine, Eintopf − und ein Getränk.
Die Größe der Flasche − also eben 20 cl statt wie bis dahin gewohnt 33 cl − passte wunderbar, der Geschmack auch. Aber eines funktionierte nicht: Es war der Name. Die kleine Flasche kam als Sagres Pequena auf den Markt.
Dazu gibt es auch einen legendären Fernseh-Werbespot für RTP, der heute umgehend Verbraucherschützer und Frauenbeauftragte auf den Plan rufen würde. Darin sagt eine Frau mit hellem Haar säuselnd: «Sou loira. Sou viva. Sou fresca. Sou leve. Um amor de pequena.» Und ein bärtiger Mann fügt mit dunkler Stimme dann hinzu: «Sagres Pequena, apenas mais pequena. Sagres Pequena, a sua cerveja.» Muss man das übersetzen? Also gut: »Ich bin blond. Ich bin lebendig. Ich bin frisch. Ich bin leicht. Die Liebe zum Kleinen.« Und: »Sagres Pequena, nur etwas kleiner. Sagres Pequena, Ihr Bier.«
Im Alentejo wurde der Name Pequena indes nie wirklich benutzt, man nannte es im Dialekt Mine, das heißt Meine. Die Verbraucher gaben den Hersteller letztlich den Namen vor. Das Unternehmen konnte das Produkt nicht mehr Pequena nennen, der Name wurde nach etwa ein, zwei Jahren geändert, und zwar nicht in den Alentejo-Begriff Mine sondern in Mini.
Es gibt noch ein Kuriosum oder auch Mysterium, um den Titel des Expresso nochmals aufzugreifen: Sagres Mini wurde für die Landbevölkerung entwickelt. Man sieht dort heute noch die verschwitzten Männer am Ende eines Arbeitstages, wie sie sich in den Tascas treffen, und die Tische füllen sich mit geleerten Minis. In den 1980er Jahren erst eroberte das Kleine die Städte, wurde in den bekannten Lokalen Lissabons angeboten. Später noch entdeckte das Ausland die Minis, die dank des langen Flaschenhalses so zischend frisch schmecken.
Erst rund drei Jahrzehnte später kam die Konkurrenz auf dieses Format. Beinahe hätte es diese Größe zu diesem Zeitpunkt aber gar nicht mehr geben dürfen. Als Portugal 1985 der Europäischen Gemeinschaft beitrat, sollten dem Land auch die Standards für Produkte und Verpackungen auferlegt werden. Europa kannte keine 20 cl, bloß 25 cl. Portugal wurde zum Glück eine Übergangszeit zugestanden, um die Minis abzuschaffen und die Größe auf 25 cl umzustellen. Aber wieder setzte sich der Kunde, ob aus dem heißen Alentejo oder anderswo in Portugal, durch: Heute ist das kleine Mini noch immer auf dem Markt, und es gibt sogar zwei gibt, das klassische 20 cl und das europäische 25 cl. In rund dreißig Ländern kann man Mini trinken, vom europäischen Ausland bis zu den portugiesisch-sprachigen Ländern wie Kap Verde, Angola, Mosambik oder São Tomé.
Was sagt also das 50 Jahre alte Mini-Bier über die Portugiesen aus? Es ist eine starke, vielleicht die stärkste nationale Marke. Die 20-Zentiliter-Flasche prägt geselliges Beisammensein, Partys und Unterhaltungen. Sie stammt aus dem Jahr 1972, als Portugal schon eine Art politischen Frühling verspürte (Diktator Salazar war gestorben, sein Nachfolger Marcelo Caetano hatte noch eine kurze Zeit bis zur Nelkenrevolution 1974 vor sich). Der Wohlstand wuchs langsam, das Land wurde peu à peu moderner, der erkennbare Wandel begeisterte die Menschen. In den überseeischen Gebieten (Kolonien) wurde gekämpft, aber die Menschen zuhause wollten ihr Leben verbessern und genießen. In der Hauptstadt hieß ein neues großes Einkaufszentrum Apolo 70. Der Mensch hatte den Mond betreten, und die Portugiesen wollten genauso modern sein wie alle anderen. Die Warteliste für einen Telefonanschluss zum Beispiel wurde damals lang und länger. »Im aufstrebenden Kosmos der von RTP ausgestrahlten Werbespots für ›Sagres- Mini‹ gab es in jedem Portugiesen einen solchen Mann, mit Schnurrbart und Brille, gepflegt, selbstbewusst in Gegenwart und Zukunft, verführerisch und scharfsinnig, stark und entschlossen«, schreibt Expresso in Bezug auf den schon erwähnten TV-Werbespot von 1972. »Frauen kochten, kümmerten sich um die Familie und beanspruchten aber auch zunehmend das Recht auf Eleganz, was den Wunsch nach Unabhängigkeit und Modernität zum Ausdruck brachte, in einer Zeit, in der sie noch die Erlaubnis ihrer Ehemänner brauchten, um in die Vereinigten Staaten zu reisen.« Aus dieser Zeit des für manche sicher verstörenden Umbruchs im äußersten Westen Europas stammt das Mini. Und es gibt eine Generation Mini. Trinken wir auf das Wohl Portugals und seiner Menschen!