Bom dia, Lisboa: Nach zwei Jahren ist eine Reise in die charmante Stadt am Tejo endlich wieder möglich • von Andreas Lahn
> Der Flug mit der TAP von Hamburg nach Lissabon verläuft ohne Probleme. Auch wenn man bei den immer enger werden Sitzreihen kaum weiß, wo man seine Beine lassen soll und nicht mal mehr ein Glas Wasser umsonst serviert wird, ist es doch ein schönes Gefühl, den portugiesischen Worten der Stewardessen zu lauschen. Auf dem Lissabonner Flughafen kommt das Gepäck so schnell wie noch nie – was für eine angenehme Überraschung! Und das, obwohl das Flugzeug relativ weit draußen parken muss und keine Gangway zur Verfügung steht.
Was für ein unvergesslicher Moment, beim Verlassen des Flughafens endlich wieder Lissabonner Luft zu atmen und aufgrund der angenehm warmen Temperaturen den Pullover auszuziehen. Ich fahre zum Hotel immer mit der Metro, die an diesem Sonntagnachmittag nahezu leer durch die Gegend fährt. Dieses Mal steige ich am Cais do Sodré aus, denn ich habe beschlossen, ein paar Tage in der Nähe des Tejo zu logieren. Doch bevor es zum Hotel geht, verbringe ich eine knappe Stunde am Tejo, schaue in die Sonne und lasse die vielen Momente an diesem Ort Revue passieren. Ich liebe es, an Orte zurückzukehren, die ich im Laufe des Lebens zu schätzen gelernt habe. Die Treppenstufen am Tejo sind so ein Ort. Allein träumend oder mit Leuten plaudernd, morgens die wärmenden Sonnenstrahlen genießen oder abends auf das beeindruckende Lichtermeer am anderen Ufer blicken, immer sind Licht und Stimmungen anders. Und genau das macht den Reiz aus: Ich fühle jedes Mal anders und deshalb ist auch der Blick auf die Ponte jedes Mal ein anderer. Fernando Pessoa hat schlicht Recht mit seinem schlauen Satz: »Was wir sehen ist nicht, was wir sehen, sondern was wir sind.« Wir leben unser Leben und kommen immer an Orte zurück, die auch ihr Leben leben. So einfach ist das!
Mein gemütliches Zimmer liegt direkt am Largo do Corpo Santo und hat einen freien Blick auf die gegenüber liegende Igreja do Corpo Santo. Ich habe es bekanntermaßen nicht so mit Kirchen und vertraue eher mir selbst als himmlischen Kräften, doch etwas befremdlich finde ich es schon, dass etliche Jugendliche direkt auf dem Vorplatz der Kirche bis in Nacht mit ihren Scateboards einen geradezu höllischen Krach machen. Nur gut, dass dieses Spektakel kurz vorm Schlafen vorbei ist. Ein Gott sei Dank kann ich mir an dieser Stelle gerade noch verkneifen.
Eigentlich möchte ich im Zarzuela frühstücken und Udo Bachmeier, dem deutschen Besitzer des Restaurants ein freundliches Bom dia entgegen schmettern, doch leider hat das auch glutenfreie Speisen servierende Restaurant montags und dienstags geschlossen. Ich habe mir im Laufe der Jahrzehnte abgewöhnt, lange nach Alternativen zu suchen, weil ein solches Vorgehen nur länger dauert, aber nicht zu besseren Lösungen führt. Deshalb zieht mich die ein paar Meter weiter auf der rechten Seite liegende Pastelaria Ribeira magisch an. Draußen stehen Tische, und drinnen steht mir ein freundlicher Verkäufer gegenüber, dem ich − vermutlich etwas zu laut − mein erstes Bom dia im Jahre 2021 direkt ins Gesicht rufe. Ich bestelle einen Espresso und muss danach innehalten. Denn diese Pastelaria hat etwas, was vor etlichen Jahren und ohnehin vor einigen Jahrzehnten in Lissabon zum normalen Angebot jedes Cafés gehört. Um Sie nicht länger auf die Folter zu spannen: Die Rede ist von Croissants. Während ich zu Hause kaum Brot esse und mir morgens einen leckeren Smoothie mit Obst, Hanfsamen, schwarzem Sesam, Kokosflocken, Leinsamen, einigen Gewürzen und Hirsemilch zubereite, liebe ich in Portugal die fettige Variante in Form von Torradas und eben Croissants. In der Pastelaria Ribeira gibt es viele verschiedene: normale, ungefüllte und welche mit Füllung in Form von Schokolade oder Creme. Alle sind gigantisch groß und genau das, was ich jetzt Lust habe zu verzehren. Ich esse sonst immer einen normalen, aber an diesem Morgen schreit der Croissant − oder heißt es »das«? − mit einer Creme-Füllung so laut »Nimm’ mich«, dass ich keine andere Chance habe als diesem aufdringlichem Verhalten nachzugeben. Ich zahle das erste Mal an einem kontaktlos funktionierenden Münzautomaten, schnappe mir Croissant und Bica, um mich nach draußen zu setzen und mein erstes Frühstück in Lisboa nach langen Monaten gebührend zu zelebrieren. Selbst obigem Foto kann ich nicht widerstehen, obwohl es sonst nicht meine Art ist, von allen Dingen des Alltags Erinnerungen in Form von Fotos zu produzieren. Ich transportiere diese Erinnerungen lieber in Form von persönlichen und nur mir zugänglichen Bildern in meinem Herzen, immer bereit, sie zu gegebener Zeit erneut zu fühlen.
Frisch gestärkt bin ich bereit, Schiffe zu gucken und Leute, die am Tejo spazieren gehen, joggen, laufen oder auf diesen unsäglichen Rollern am liebsten durch alle hindurch fahren würden. Die Sonne scheint und wärmt den ganzen Körper so angenehm, dass ich die feuchte Kälte der ersten Oktoberwochen in Deutschland schnell vergesse. Ich gehe am Tejo entlang Richtung Terreiro do Paço und bin − wie immer − begeistert von diesem wundervollen Platz mit seinen in jeder Richtung atemberaubenden Reizen. Ich laufe unter den Arkaden entlang nach rechts Richtung Campo das Cebolas und weiter nach Santa Apolónia. Um mich herum wirkt alles entspannt. Selbst die TouristInnen scheinen sich dem portugiesischen Lauf der Dinge anzuschließen und schalten ein paar Gänge zurück. Schließlich muss man nicht alles an einem Tag sehen, sondern das, was man sieht, auch wirken lassen und genießen!
Jetzt geht es steil bergauf in die Alfama. Nach ein paar Stunden ist es Zeit für ein Mittagessen. Es ist zwar erst 12 Uhr, doch mein Magen knurrt. Und als ich sehe, wie liebevoll eine ältere Dame ihre drei Tische deckt, frage ich sie, ob sie schon bereit sei, ein Mittagessen zu servieren. Ein kurzer Blick in die Karte reicht, um mich für Bacalhau à Brás zu entscheiden. «E para beber?» Eigentlich trinke ich nichts zum Essen, aber heute muss es einfach ein Glas Rotwein sein. Ich habe im Laufe der Jahre gemerkt, dass ich mit Vinho tinto da casa, also dem Hauswein, noch nie eine schlechte Wahl getroffen habe. So ist es auch dieses Mal. Schön fruchtig, knallrot, angenehm leicht und trotzdem vollmundig: Genau die richtige Wahl für einen wundervollen Sommertag im Oktober! Ich bin ja das, was die PortugiesInnen einen guloso nennen, eine Naschkatze also, und deshalb ist die Frage nach sobremesa (Nachtisch) fast schon zwingend. Und als ich bolo de chocolate höre, ist meine Wahl schnell getroffen. Mousse de chocolate hätte ich auch genommen, aber dieser kleine Kuchen ist nicht nur optisch ein Genuss, sondern er schmeckt auch einfach wundervoll. Ich muss nach einem dreimal so teuren, aber lieblosen Essen in einem Hotel in Porto an diese sympathische Dame und ihre mit Liebe und Leidenschaft zubereiteten Speisen zurückdenken. Ich mag sowohl die ungezwungene Stimmung als auch das oft authentischere Essen in diesen »Volksküchen« lieber als die gediegene Atmosphäre und das »korrekt« liegende Besteck und die einstudierten Abläufe in diesen Hotel-Restaurants.
Frisch gestärkt geht es kreuz und quer durch die verwinkelte Alfama zum Pantheon und weiter an der Igreja de São Vicente de Fora vorbei hoch nach Graça zum Miradouro da Graça, wo zur Zeit leider gebaut wird. Ich gehe also weiter die Treppe runter und genieße das schöne Licht in den Gassen der Mouraria. Hier hat ja die britische Fotografin Camilla Watson viele BewohnerInnen des Viertels abgelichtet und ihre Konterfeis samt Namen auf die Gebäude in der Nachbarschaft gebannt. Was für eine schöne Idee! Ich habe jedes Mal das Gefühl, immer mehr BewohnerInnen der Mouraria zu kennen, obwohl ich noch nie jemandem begegnet bin, der oder die auf einem Bild an der Hauswand prangt − jedenfalls nicht bewusst. Es duftet nach frisch gegrillten Sardinen. Ich laufe kreuz und quer durch die Mouraria und komme an der Rua da Palma raus. Ich gehe über die Praça Martim Moniz, lasse das Hotel Mundial links liegen. Direkt am Rossio schaue ich mir das Treiben vor der Ginjinha-Bar an, wo ich gestern Abend auch einen Kirschlikör getrunken habe, um Lissabon und den Lisboetas bem-vindo zu sagen. Diese Tradition habe ich über alle Jahre beibehalten.
An vielen Stellen stehen wieder die Stände der Maronen-VerkäuferInnen. Ich liebe diesen Geruch, den von weitem sichtbaren Rauch und kaufe fast jeden Tag «Uma dúzia», zwölf heiße Kastanien, deren Schale ich auf dem weiteren Weg pelle, um anschließend den köstlichen Geschmack der Maronen zu genießen.
So schlendere ich mit meiner Maronen-Tüte langsam durch die Rua Augusta zum Terreiro do Paço und biege ein in die Rua do Arsenal Ich gehe am Praça do Município vorbei, von dem das sehenswerte Museu do Dinheiro nur einen Katzensprung entfernt liegt. Mich zieht es zurück in mein Zimmer, um ein wenig auszuruhen und um Mails zu checken, wie es auf Neudeutsch mittlerweile heißt. Davon kann ich mich leider nicht ganz freimachen, da ich bekanntlich die kleine Firma PORTANDI führe und deshalb bisweilen schauen muss, ob KundInnen irgendwelche Wünsche haben.
Nach einer Bica am Tejo und einem Rundgang inklusive Bad in der Abendsonne entscheide ich mich für ein Abendessen in der Nähe des Hotels − draußen! Ich habe wohl noch den Geruch der Sardinen aus der Mouraria in der Nase, denn dies ist das Essen meiner Wahl. Ich erinnere mich noch genau daran, wie vor etwa vierzig Jahren meine Liebe zu Land und Leuten mit diesen gegrillten Sardinen, einem leckeren Salat und genau so leckerem Rotwein auf der Ilha da Tavira im Algarve angefangen hat. Damals faszinieren mich Strand, Sonne und Sternenhimmel, heute sind es das Licht und die immer wieder bezaubernde Atmosphäre in meinem geliebten Lissabon. Diese Liebe wird ewig halten, davon bin ich felsenfest überzeugt.
Also Lisboa: Dieser erste Tag ist wunderschön. Weitere sind in der Zwischenzeit gefolgt. Während der DPG-Tagung in Porto habe ich von einigen Leuten viele schöne Dinge über Porto gehört. Auch wenn sich ja niemand für die eine und damit gegen die andere Stadt entscheidet, möchte ich abschließend einfach nur sagen: Amo-te, Lisboa!