Kioske: Meilensteine der Stadtgeschichte
Vor fast 150 Jahren wurde der erste Kiosk am Rossío aufgestellt • von Andreas Lahn
Wer schon mal in Lissabon war, kennt die Kioske, die auf vielen Plätzen der Stadt stehen. Die meisten sind achteckig und haben oben eine große Markise zum Schutz vor Sonne und Regen. Auf der Außenseite läuft rundherum ein kleiner kleinen Tresen, auf dem Getränke, Speisen etc. abgestellt werden. Die ersten wurden 1869 auf dem Rossío aufgestellt, wo sie mittlerweile aber verschwunden sind. Von dort ausgehend haben sich die Kioske schnell über die ganze Stadt verbreitet. Sie stehen auf großen Plätzen, in Parks, aber auch zwischen den Straßen an der Avenida de Liberdade und am Uferweg des Tejo. Das Angebot ist unterschiedlich und reicht von Getränken, Snacks, Tabak bis zu Fahrkarten, Zeitungen, Blumen etc. Der Kiosk im Jardím de Estrela ist etwas Besonderes, denn dort kann man sich Bücher ausleihen und im Park lesen.
Die Kioske sind schnell zum öffentlichen Treffpunkt geworden. Viele Lisboetas trinken hier auf dem Weg zur Arbeit den morgendlichen Kaffee oder treffen sich auf einen kurzen Plausch mit Freunden und Bekannten. Einige der Kioske haben mittlerweile Tische und Stühle aufgestellt. Dort kann man im Sommer eine Pause machen, wenn die Sonne unerbittlich Hitze in die Stadt strahlt. Doch das richtige Kiosk-Flair empfindet man nur, wenn man am Tresen steht, den Gesprächen der PortugiesInnen lauscht und das bisweilen hektische Treiben hautnah miterlebt: Die Tassen knallen auf den Tresen, Croissants und Pasteis de Natas wechseln in Windeseile die BesitzerIn und das eiskalte Imperial fliegt in Sekundenschnelle in die Hand der ungeduldig wartenden KundIn.
Anfangs haben sich an den Kiosken eher Leute getroffen, die sich den Besuch in einem der vielen Kaffeehäuser nicht leisten konnten oder wollten. Doch im Laufe der Zeit haben immer mehr Menschen die Vorzüge der Kioske für sich entdeckt − aus verschiedenen gesellschaftlichen Schichten. Heutzutage werden diese Kiosks von den TouristInnen geradezu überlaufen. Bisweilen ist der Andrang so groß, dass die Einheimischen Schwierigkeiten haben, ihre Bica zu bestellen. Das sind ähnlich Zustände wie bei den überfüllten Elétricos,
Die Kioske sind ein fester Bestandteil Lisboas und gehören einfach zum Flair der Stadt. Sie sind als täglicher Treffpunkt für die Kommunikation der Lisboetas und damit für das generelle Wohlbefinden einfach unersetzlich. Und sie sind das Zentrum vieler städtischer Plätze. Mancher Largo würde wie kahlgefressen aussehen, wenn der Kiosk nicht mehr da wäre. Hoffen wir also alle gemeinsam, dass uns diese wunderbare Tradition noch lange erhalten bleibt!
Quiosque São Roque
Seit 1985 betreibt Jorge Cardoso den Kiosk auf dem Largo Trindade Coelho • Fragen von Andreas Lahn
Seit wann arbeitest du im Quiosque São Roque?
Jorge Cardoso: Seit 1985. In diesem Jahr werden es also 33 Jahre.
Wie ist die juristische Situation? Bist du Inhaber oder hast du einen Vertrag mit der Stadt Lissabon?
Ich bin Inhaber der Firma Quiosque São Roque Limitada. Die Firma ist eine Anteilsgesellschaft. Ich habe einen Anteil, den anderen hat meine Frau.
Wird dein Sohn quasi als dein Nachfolger auch in diesem Kiosk arbeiten?
Das glaube ich nicht. Er mag es nicht so gerne, im Kiosk zu arbeiten.
Hörst du die Geschichten gerne, die die Leute dir erzählen?
Ich muss sie mir anhören, auch wenn ich sie nicht hören möchte.
Du weißt viel über das Leben der täglich kommenden Leute?
Ich weiß sehr viel, aber ich gebe diese Informationen natürlich nicht weiter. Es gehört zu meinem Job, keine Kommentare über die Geschichten anderer Leute abzugeben. Ich höre sie mir an, aber es bleibt alles in mir. Deswegen glaube ich, dass die Leute mich mögen.
Dein Kiosk ist also ein sozialer Treffpunkt?
Ja, weil die Leute wissen, dass ich das, was sie mir anvertrauen, nicht weitererzähle.
Die Kunden, die jeden Tag kommen, sind sehr wichtig für dein Geschäft, nicht wahr?
Zur Zeit sind die meisten Kunden Ausländer. In Lissabon gibt es viele Ausländer und Touristen. Das verändert den Charakter der Stadt. Obwohl die Ausländer den größten Teil des Umsatzes machen, bleibt mein Ziel der portugiesische Kunde. Der bleibt zum Trinken am Kiosk stehen und unterhält sich, während sich die Touristen an die Tische setzen.
Früher gab es am Largo Trindade Coelho Straßenbahnen und zwei Haltestellen, erinnerst du dich?
Die wird es auch wieder geben. Als ich hierherkam, gab es vier Straßenbahnlinien, zwei vom Carmo und zwei vom Cais do Sodré.
Was hat sich in den vergangenen Jahrzehnten geändert?
Geändert haben sich die Wirtschaft, die existierenden Läden und die Geschäfte. Es gibt häufige Inhaberwechsel in den vielen Restaurants hier im Bairro Alto. Es gibt aber keine Apotheken, keine Drogerien oder Einzelhandelsgeschäfte, keine Gesundheitszentren, nur Bars und Restaurants und Fado-Lokale. Letztlich alles für Touristen. Wie die Hotels, Hostels und Ferienwohnungen. In drei Jahren kommt der Tourist nach Lissabon und sieht nur noch Touristen! Der typische Lissaboner verschwindet, die älteren Menschen sterben. Die Vermieter vermieten an Touristen, um mehr Profit zu machen. Der Tourist will dann Milch kaufen und weiß nicht wo. Deshalb versuche ich, den Kiosk São Roque so zu erhalten wie es ist. Wenn ich in Rente gehe, weiß ich nicht, wie das hier weitergehen wird.
Einen Kiosk zu betreiben ist ja keine leichte Arbeit, nicht wahr?
Ich bin ja schon alt. Heutzutage arbeitet kaum noch jemand wie ich. Oft ist es so: Der Chef ist gar nicht da und die Angestellten arbeiten! Ich hingegen muss immer anwesend sein und wissen, ob der Kunde zufrieden ist, warum er das eine mag und das andere nicht. Ich bin sehr viele Stunden hier. Morgens komme ich um 6.30 Uhr und bleibe im Winter bis 7 Uhr abends, im Sommer oft sogar bis 21 oder 22 Uhr.
Ist dein Kiosk am Wochenende geöffnet?
Die Leute in Lissabon wollen alle Geld verdienen, aber wir haben auch Familien. Das Leben ist nicht nur dazu da, Geld zu verdienen.
Hast du mal davon geträumt, eine andere Arbeit an einem anderen Platz zu machen?
Nein! Als ich jünger war, vielleicht, aber jetzt nicht mehr. Ich fühle mich manchmal müde. Wenn ich im August Urlaub habe, ruhe ich mich aus. Doch nach einer Woche Freizeit will ich meistens schon wieder zurück. Das ist der Rhythmus des Lebens. Ich arbeite gerne hier und die Leute mögen mich.
Willst du bis zur Rente hier arbeiten?
Ja, es fehlen nur noch drei Jahre bis dahin. Ich bin jetzt 57 Jahre alt. Mit 60 kann ich in Rente gehen. Ich habe 48 Jahre in die Sozialversicherung eingezahlt. Aber ich bin mir noch nicht sicher, ob ich überhaupt in Rente gehen will.
Was magst du am meisten an diesem Kiosk? Was ist das Wichtigste für dich an deiner Arbeit?
Es ist das Bedienen der Leute und das Verkaufen. Normalerweise habe ich leider wenig Zeit, weil der nächste Kunde wartet und bedient werden will. Wenn ich zehn Minuten still stehe, beginnen meine Beine mir wehzutun. Ich muss immer in Bewegung sein.
Erinnerst du dich an eine spezielle Geschichte?
Carlos do Carmo, der berühmte Fado-Sänger, kam sehr oft zu mir. Auch Sportler, die der Sportzeitung A Bola Interviews geben, kommen zum Kiosk und haben mit mir gesprochen. Seit vielen Jahren kommen auch die Journalisten von A Bola. Es gibt viele normale Kunden, die lustige Begebenheiten auslösen.
Empfindest du den anderen Kiosk auf dem Largo Trindade Coelho als Konkurrent?
Nein, wir sind Freunde und gehen deshalb auch freundschaftlich miteinander um. Es gibt in diesem Sinne keine Konkurrenz.