Schlagwort: Architektur

Das Neufert-Haus in Weimar-Gelmerola

Foto vom Neufert-Haus in Weimar-Gelmerola

Zwei Leben für die Architektur: Ernst und Peter Neufert    von Gabriele Baumgarten-Heinke

> Im Spätsommer dieses Jahres lernte ich, eher zufällig, ein sympathisches, älteres Ehepaar in Berlin kennen. Er, Professor der Architektur und seine Frau, eine namhafte Architektin, die an mehren Gebäuden in Berlin ihre Handschrift hinterlassen hat. 

Beim Auflesen der ersten Klaräpfel im Garten ihres Hauses kamen wir schnell ins Gespräch und vielleicht um zu zeigen, dass ich da auch Jemanden aus der Architektur-Branche kenne, fragte ich, ob ihnen der Name Peter Neufert etwas sage. Diese Frage Architekten zu stellen, ist wohl ein eher ein fauxpas, wie ich schnell begreifen musste. Die Frau gab mir freundlich zur Antwort, »Wer keinen Neufert im Schrank zu stehen hat, ist kein ­Architekt«. Ich war für einen Moment verblüfft − die Bedeutung der Neuferts für die Architektur in dem Maße war mir nicht bewusst, und das Gespräch wurde für mich zum Anlass, mehr darüber erfahren zu wollen.. 

Es gibt ja zwei bedeutende Neuferts in der Architektur. Sie sprach von Ernst Neufert, der 1936 die erste Ausgabe der Bauentwurfslehre herausgegeben hatte. Dieses Buch gilt seit Jahrzehnten als Handbuch für Architekten und wird seit 1936 kontinuierlich aktualisiert. Es gilt wohl jetzt die 43. Auflage. Das Buch bietet grundlegende Kenntnisse für die detaillierte Entwicklung eines Bauprojektes. Ich dagegen sprach von Peter Neufert, dem Sohn von Ernst Neufert, den ich 1998 als Präsidenten der Deutsch-Portugiesischen Gesellschaft kennen lernen durfte. 

Ganz schnell waren wir bei dem Neufert-Haus in Weimar-Gelmeroda und bei der Frage, was denn daraus geworden sei. Sie meinte damit natürlich das Neufert-Holzversuchshaus im Bauhausstil, und ich verband mit dem Neufert-Haus eine DPG-Jahrestagung, die dort am 8.5.1999 stattfand. Zu dieser Jahrestagung hatte Peter Neufert, bereits gezeichnet durch seine Krankheit, sein langjähriges Amt als Präsident der DPG niedergelegt, und sein Stellvertreter, Harald Heinke, wurde zum neuen Präsidenten gewählt. Beide verband eine enge Freundschaft und eine große Leidenschaft für das Land und die Menschen in Portugal. 

Die Frage nach dem Verbleib und der Bedeutung des Hauses lies mich nicht mehr los, und um es zu verstehen, musste ich eintauchen in die Geschichte der Bauhaus-Architektur und ein bisschen in das Leben von Ernst und Peter Neufert.

Auf der Website der DBU Deutsche Bau-Union AG wird die Bauhaus-Architektur wie folgt beschrieben: »Die Stilepoche der Architektur hat ihre Wurzeln im idyllischen Weimar. Hier errichtete Walter Gropius erstmalig eine Schule, die aus dem Handwerk und der Kunst des Bauens eine Symbiose formte und beide Disziplinen an einer Schule lehrte. 1919 erschuf er eine Baukunst, die später den Namen ›Bauhaus‹ erhielt. Diese Kunst lebte davon, dass verschiedene Künstler aus unterschiedlichen Stilen zusammenkamen und ein gemeinsames Ziel verfolgten.«

Einer dieser Künstler war Ernst Neufert (1900−1986), der wegen der wärmephysikalischen Eigenschaften von je her eine Vorliebe für den natürlichen Werkstoff Holz hatte. Geboren in Freyburg/Unstrut und Besuch der Bürgerschule begann er, nach der Gesellenprüfung 1917 als Maurer, eine Berufsbegleitende Ausbildung an der Großherzoglich-Sächsischen Baugewerkenschule Weimar. Dem schloss sich ein Studium am Staatlichen Bauhaus in Weimar mit einer anschließenden einjährigen Studienreise durch Spanien an. Nach seiner Rückkehr 1921 nach Weimar erhielt er eine leitende Position unter Walter Gropius in dessen Architekturbüro in Weimar und Dessau. Als späterem Bauleiter fiel 1925 der Bauhaus– Neubau und die Meisterhaus-Siedlung in Dessau in seinen Zuständigkeitsbereich. Als er 1926 zum Professor an die Staatliche Bauhochschule in Weimar berufen wurde, galt er als der damals jüngste Universitäts-Professor in Deutschland.

1929 plante er in Weimar–Gelmeroda ein Wohnhaus mit integriertem Architekturbüro. Zu der Zeit, 1921, war er mit Alice Spieß-Neufert verheiratet. Aus dieser Ehe gingen vier Kinder hervor. Sein ältester Sohn, Peter Neufert (1925-1999), trat später in seine Fußstapfen. Ein Schreinergeschäft wurde mit der Errichtung des Hauses beauftragt, das nach nur sechs Wochen bezugsfertig war. Das zweigeschossige Haus wurde auf einer Fläche von 10×10 Meter errichtet und hatte Platz für Familie und Atelier. Im Hochparterre befand sich die Arbeitsetage mit Terrasse und im ersten Stock die Wohnräume der Familie mit Balkon. 

Dieses Haus galt als das erste Holzhaus des Bauhauses, ein Versuchsbau Neuferts, in dem er schwedische und nordamerikanische Vorbilder einfließen ließ. (Quelle: Villen in Weimar; Hans Hoffmeister). Teile des Baumbestands im Garten zeugen von den ursprünglichen Plänen Neuferts, das Haus mit einem Selbstversorger-­Garten zu umgeben.

Nach der Schließung der Bauhochschule 1930 durch die Nationalsozialisten erfolgte der Umzug nach Berlin. Peter Neufert lebte nach der Scheidung der Eltern 1939 in Dresden und machte 1943 an der Dreikönigsschule sein Abitur. Danach absolvierte er ein Studium der Architektur (1945−1949) an der TH Darm­stadt, an dem sein Vater einen Lehrstuhl für Baukunst innehatte. 1953 heiratet er Marys Stüssgen, aus der Ehe gingen drei Kinder hervor. Ab 1955 betrieb er sein selbständiges Atelier unter dem Namen Atelier Neufert Köln. 1972 gründete er eine Niederlassung des Architekturbüros in Lissabon. 1985 erfolgte der Umzug nach Portugal. Von 1986 bis 1999 war er Präsident der Deutsch-Portugiesischen Gesellschaft. 

Was aber wurde aus dem Neufert-Haus in Gelmeroda? Nach Ende des 2. Weltkrieges quartierte sich hier zunächst sowjetisches Militär ein. Danach wurden die zwei Stockwerke separat von verschiedenen Familien bewohnt. Es wird berichtet, dass die Familien, vor allem aber deren Kinder, das Haus mit dem großen Garten sehr liebten. 1991 wurde dem Rückführungsantrag der Erbengemeinschaft entsprochen. Bis auf wenige Änderungen war das Haus im Original erhalten und wurde von Peter Neufert und Katja Aulbach, geb. Neufert, (Tochter aus 2. Ehe von Ernst Neufert) in zwei Schritten saniert. 

Die Familie Neufert gründete 2001 die Neufert-Stiftung, um das architektonische Erbe von Ernst und Peter Neufert zu bewahren: https://www.neufert-stiftung.de/de Ein Anliegen von Peter und Ernst Neufert war es, die Ausbildung der Jugend zu fördern. Die Stiftung vergibt jedes Jahr Stipendien an nationale und internationale Studierende der Architektur und richtet Ausstellungen und Veranstaltungen in der Neufert-Box im Garten des Neufert-Hauses aus. Die Box wurde im Jahr 1999 aus Anlass des 100. Geburtstages von Ernst Neufert im Garten des Neufert-Hauses als Raum für Veranstaltungen und Ausstellungen errichtet. Zu den öffentlichen Veranstaltungen gehören unter anderem der Tag des offenen Denkmals und die Museumsnacht. Eine große Aufgabe ist die Realisierung von Ausstellungen zur zeitgenössischen Architektur. Es besteht die Möglichkeit, sowohl das Neufert-Haus als auch die Neufert-Box nach Voranmeldung zu besichtigen. Es ist die Aufgabe der Stiftung, die Bauentwurfslehre von Prof. Ernst Neufert fortzusetzen und das Neufert-Haus in Weimar von 1929 sowie die Neufert-Box zu pflegen. 

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Vielen Dank an Nicole Delmes, Tochter von Peter und Marys Neufert, für die Unterstützung bei der Entstehung des Artikels.